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Warum bringen sich Lemminge selbst um


warum bringen sich lemminge selbst um

Der Berglemming lebt in Norwegen und Schweden.


Lemminge sind kleine Nagetiere, welche im Verdacht stehen Selbstmörder zu sein. Heute weiß man, dass Lemminge sich nicht selbst umbringen. Diese Massenmord-Theorie bei der tausende Lemminge sich von Klippen stürzten, existierte noch bis in die 50-er Jahre. Ihren Ursprung hat diese Theorie durch die Arbeiten einiger norwegischer Wissenschaftler, welche sich die Populationsschwankungen der Lemminge nicht erklären konnten.

Warum sind Lemminge keine Selbstmörder

Die Massenmord-Legende der Lemminge geht auf die Berglemminge zurück. Dies ist ein Unterart, welche in Schweden und Norwegen vorkommt. Und diese Selbstmord Idee hängt mit den Populationsschwankungen der Lemminge zusammen. Denn im 19. Jahrhundert gab es eine Studie durch norwegische Forscher zu dem Lemming-Phänomen.

Das Forscherteam beobachte in einem Jahr extrem viele Tiere und im nächsten Jahr gingen die Populationszahlen deutlich zurück. Man fand ertrunkene Lemminge im Wasser, heruntergestürzte Tiere unter Klippen und schloss daraus, dass sich Lemminge selbst umbringen. Ob es sich beim Suizid der Tiere um Absicht oder ein Versehen handelte, ließen die Forscher offen.

Aber das große Lemming-Sterben lässt sich erklären, wenn man die Fortpflanzungsgewohnheiten der Lemminge kennt. Denn diese sind außergewöhnlich und wurden erst im 20. Jahrhundert untersucht. Ein einzelnes Weibchen kann bis zu 80 Nachkommen pro Jahr bekommen. Pro Wurf bekommt ein Weibchen circa 3 bis 7 Junge. Die Tragzeit ist extrem kurz und schon nach 20 Tagen werden die Jungen geboren.

Dadurch kommt es zu extrem vielen Würfen pro Jahr. Im Durchschnitt liegt die Anzahl der Würfe bei 3 pro Jahr, was dann allerdings bereits 9 bis 21 Jungtiere pro Weibchen und pro Jahr bedeutet. Der Rekord, welcher jemals beobachtet wurde, liegt bei 8 Würfen in einem halben Jahr. Dieses Weibchen hat in einem halben Jahr über 40 Jungtiere geworfen. Zwar ist die Paarungszeit vornehmlich auf April bis September beschränkt, jedoch wurden auch Winterpaarungen bereits beobachtet.

Nach 3 Wochen sind weibliche Jungtiere bereits geschlechtsreif, nach 5 Wochen die Männchen. Somit können die Jungtiere schon ein paar Wochen nach ihrer Geburt, selbst Nachwuchs bekommen. Dadurch kommt es zur Bevölkerungsexplosion unter den Lemmingen.

Dieser massenhafte Anstieg an Nachwuchs kann allerdings nur zustande kommen, wenn die Tiere genug zu fressen haben. Denn ohne Pflanzen-Nahrung überleben nicht genug Elterntiere und können somit keine Nachkommen zeugen. Gleichzeitig braucht das Weibchen genug Nahrung, um Muttermilch herstellen zu können. Ist diese Nahrung nicht vorhanden, kann sie nicht alle Jungtiere versorgen, wodurch einige oder sogar alle im Wurf sterben.

Lemminge fressen Pflanzen und zu Zeiten von hohen Bevölkerungsanstiegen fressen sie ganze Gebiete kahl. Irgendwann sind die Ressourcen aufgebraucht, weshalb sich die Tiere auf Wanderschaft begeben, um neue Nahrungsquellen zu erschließen. Dabei entwickeln sich richtige Wanderungsströme von mehreren tausend Tieren pro Zug. Diese stoßen auf andere Horden und verbinden sich mit diesen.

Es ist logisch, dass neue Nahrungsquellen bei so riesigen Populationszahlen nur eine kurze Zeit Nahrung liefern können. Und so fressen sie die neuen Quellen ebenfalls kahl und ziehen rasch weiter. Hinter den Horden liegt dann kahles Land und vor ihnen liegen neue Nahrungsquellen, aber auch Hindernisse. Um nicht verhungern zu müssen, bleibt den Lemmingen nichts anderes übrig, als diese Hindernisse zu überwinden.

Bei ihren Wanderungen durchqueren Lemminge auch größere Seen und Flüsse, was normalerweise kein Problem ist – da die Tiere gut schwimmen können. Allerdings sind mitunter nicht alle Tiere gleich gut mit Nahrung versorgt wurden, weshalb sich Erschöpfung breitmacht. Auch springen einige hundert Tiere gleichzeitig ins Wasser und kämpfen gegen die Strömung, wodurch sich im Wasser ein Gerangel entwickelt. Zahlreiche Tiere ertrinken deshalb einfach im Wasser, wodurch die Theorie entstand, dass sich Lemminge selbst ertränken.

Berglemmingen leben im Winter im Gebirge und besiedeln nur in den Sommermonaten die offenen Gebiete Norwegens und Schwedens. Durch den Zug der Lemming-Horden ins Gebirge ergeben sich, wie schon im Wasser, große Tumulte – ähnlich wie bei einer Massenpanik. Da Lemminge gegenüber Artgenossen auch nicht feinfühlig – sondern eher feinselig sind – kommt es zu Bissen und Kämpfen während des Aufstiegs. Als Folge dieser Massenwanderung stürzen zahlreiche Lemminge von den Klippen.

Diese ertrunkenen oder abgestürzten Lemminge fanden die Forscher aus Norwegen, wodurch sie zu dem Entschluss kamen, dass Lemminge einen Massenselbstmord begehen.

Wodurch wurde die Theorie vom Massenselbstmord der Lemminge verbreitet?

Der erste Naturfilm mit internationaler Bedeutung wurde 1958 von Walt Disney gedreht. Dieser trägt den Titel „Weiße Wildnis“. Der Film war von vorne bis hinten gefakt. Drehort des Filmes war die kanadische Provinz Alberta, in welcher nicht ein Lemming lebt.

Um die Lemming-Wanderungen nachzubilden, wurden zahlreiche Tiere importiert. Man ließ die Tiere über eine rotierende Drehscheibe laufen, welche schneebedeckt war. Dadurch sollte der Eindruck einer kräftezehrenden Wanderung beim Zuschauer geweckt werden. In der berühmten Schlussszene warf man Lemminge in einen Fluss und erzählte dem Zuschauer, dass diese ins Meer springen.

Die Szene endet mit den Worten:

„Dies ist ihre letzte Chance zur Umkehr. Aber sie laufen weiter, werfen sich Hals über Kopf in den Abgrund“.

Dadurch wurde der Eindruck verstärkt, dass es bei Lemmingen zum Massenselbstmord kommt. Allerdings haben die Disney-Studios nur eine Theorie aufgenommen, welche bereits in den Köpfen der Menschen vorherrschte.

In einem Kinderlexikon am Anfang des 20. Jahrhunderts konnte man lesen:

„Sie rennen immerzu geradeaus weiter, durch Gärten, Farmen und Dörfer, hinein in Brunnen und Teiche, wo sie das Wasser vergiften und Typhus hervorrufen.“

Erklärt wurde der Umstand des Massensuizids damit, dass diese Tiere sich selbstumbringen müssen, da sie ansonsten ganz Europa leerfressen würden.

In den 90-er Jahren wurde das Computerspiel Lemmings entwickelt und stützte die Massenmordtheorie weiter. Der Spieler musste für Lemminge, welche einfach gerade ausliefen, diverse Vorrichtungen bauen. Es mussten somit Wassergräben, Klippen überwunden werden und eine gewisse Anzahl an Tieren gerettet werden, um das Level zu bestehen. Dieses Spiel, welches auch internationalen Ruhm hatte, trug weiter zur Legende bei.

Wieso kommt es nur alle paar Jahre zum großen Lemming-Sterben?

Die Bevölkerungsexplosion der Lemminge findet nur alle 2 bis 4 Jahre statt. Dies hat etwas mit der Nahrungskette und der Ökologie in Skandinavien und dem ökologischen Gleichgewicht zu tun. Fressfeinde des Berglemmings sind die diverse Raubvögel, Eulen oder Füchse. Ganz besonders sticht aber das Hermelin hervor, denn dessen Population hängt extrem stark von Lemmingen ab.

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Hermelin als Fressfeind des Lemmings.

Das Hermelin ist Marder, welcher Lemminge jagt und frisst. Findet der Räuber genug Nahrung vor, überleben genug Tiere und können sich paaren. Gleichzeitig wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Jungtiere genug Nahrung erhalten und ebenfalls überleben.

Somit werden in den Jahren mit hohen Lemming-Populationen auch mehr Hermeline überleben. Dies hat zur Folge, dass im nächsten Jahr mehr Hermeline geboren werden und deren Population steigt. Da nun aber weniger Lemminge auf noch mehr Hermeline treffen, beginnt bei dem Marder der Kampf um Nahrungsquellen, welchen nicht jedes Tier überlebt.

Hohe Lemming-Geburten-Jahrgänge und hohe Hermelin-Geburten stehen somit in einem unmittelbaren Zusammenhang. Die Geburtenjahrgänge wechseln sich regelmäßig ab. Hier ein Beispiel:

  • Jahr 1: Es werden viele Lemminge geboren, weshalb viele Hermeline Nahrung finden und dadurch überleben können. Die Lemminge bieten eine gute Nahrungsquelle für den Räuber, weshalb viele Tiere die Bevölkerungsexplosion nicht überstehen. Gleichzeitig beginnt die Nahrung knapp zu werden, wodurch der Lemming-Bestand wieder sinkt.
  • Jahr 2: Es werden mehr Hermeline geboren, da mehr Elterntiere überlebt haben und der Nachwuchs ebenfalls gut versorgt wurde. Da die Hermeline die Lemminge weiterhin bejagen, sinkt deren Population weiter. Weniger Elternlemminge bedeutet gleichzeitig auch weniger Nachwuchs. Die Population der Lemminge sinkt weiter.
  • Jahr 3: Hermeline sterben, da nicht mehr genug Lemminge als Nahrungsquelle bereitstehen. Dadurch kann sich die Bevölkerung der Lemminge wieder erhöhen. Es werden wieder mehr Lemminge geboren, als sterben.
  • Jahr 4: Dadurch, dass sich die Geburtenraten an Lemmingen im letzten Jahr wieder positiv entwickelt hat – kommt es in diesem Jahr wieder zu einer Bevölkerungsexplosion.

Die Bestände an Lemmingen und Hermeline sind somit abhängig von einander und regulieren sich gegenseitig. Deshalb hat ein starker Anstieg an Lemmingen immer einen starken Anstieg an Hermelinen zur Folge. Sinkt die Geburtenrate bei den Lemmingen, wird im Folgejahr die Geburtenrate der Räuber sinken. Dadurch kann im nachfolgenden Jahr wieder die Geburtenrate der Lemminge steigen.


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