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Ist das Temperament eines Menschen angeboren?


Im Laufe der Zeit hat sich unser Bild von Babys stark gewandelt. Vielleicht sagt dir der Begriff „tabula rasa“ etwas. Damit ist in der Philosophie der ursprüngliche Seelenzustand eines Menschen gemeint. Ein Baby wurde lange als ein „unbeschriebenes Blatt“ verstanden, das durch nichts vorgeprägt ist. Weder von Eindrücken noch von Erfahrungen oder sonst etwas. Der Gedanke war: Sie sind alle gleich und fangen bei Null an. Es wurde noch bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts angenommen, dass Säuglinge in ihrer Wahrnehmung stark eingeschränkt seien und ausschließlich durch angeborene Reflexe gesteuert würden.

Dieses Bild wandelte sich in den letzten fünfzig Jahren mit Hilfe der Säuglingsforschung. Wie Forschungsergebnisse zeigten, war die Wahrnehmungs- und Lernfähigkeit von Babys sehr stark unterschätzt worden. Doch auch unabhängig von den jüngeren Forschungserkenntnissen können wohl die meisten Eltern mehrerer Kinder sagen, dass diese sich als Babys unterschiedlich verhalten haben.

Ob ein Baby leicht irritierbar ist, heftig auf Reize reagiert, viel weint oder sich durch nichts so schnell aus der Ruhe bringen lässt, hängt von seinem Temperament ab. Menschen kommen also nicht unbeschrieben zur Welt, sondern sind von Anfang an mit gewissen persönlichen Merkmalen ausgestattet.

Was bedeutet Temperament?

Beim Temperament handelt es sich um die angeborene emotionale Erregbarkeit eines Babys. Die emotionale Reaktionsbereitschaft ist bei jedem Menschen individuell ausgeprägt. Ebenso die Stärke dieser Reaktionen. Es wird auch zwischen „schwierigen“ und unkomplizierten“ Babys unterschieden. Die „schwierigen“ sind schnell irritiert. Ihr Verhalten lässt sich schwer vorhersagen und sie reagieren zum Teil mit sehr heftigen Emotionen auf bestimmte Reize.

Das Verhalten in Bezug auf das Füttern und Schlafen von „unkomplizierten“ Babys ist leichter vorherzusagen. Sie wirken zudem meist vergnügt und zufrieden. Eine weitere Kategorie bilden noch die „langsam warm werdenden“ Säuglinge. Sie brauchen eine Weile, um sich an neue Umstände zu gewöhnen und tendieren dazu, das Unbekannte abzulehnen. Meist versuchen sie daher, sich neuen Personen oder Situationen zu entziehen oder widersetzen sich diesen unbekannten Gegebenheiten.

Temperament kann die spätere Persönlichkeit zu einem gewissen Teil voraussagen

Die Unterschiede im Temperament der Babys bleiben über das Säuglingsalter hinaus erhalten. So zeigen verschiedene Forschungsergebnisse zum Beispiel, dass Neugeborene mit einem sehr starken emotionalen Reaktionsvermögen auch mit knapp einem Jahr noch so reagieren. Sind Kinder im Alter von zwei Jahren ängstlich und gehemmt, verhalten sie sich auch im Alter von acht noch schüchtern. Etwa die Hälfte dieser Kinder ist auch im Jugendalter noch introvertiert.

Vorschulkinder mit heftigen Reaktionen zeigten im Rahmen einer anderen Studie auch im jungen Erwachsenenalter noch vergleichbare Verhaltensweisen. Anfang der 2000er Jahre ergab eine Studie, dass impulsive und stark emotional reagierende Kinder auch im Alter von 21 noch solche Tendenzen aufwiesen oder sogar noch impulsiver und aggressiver geworden waren.

Temperament und Körpermerkmale

Die Gene haben einen Einfluss auf die Psyche, jedoch auch auf den Körper. Studien mit gehemmten und ängstlichen Kindern zeigten bei diesen etwa einen erhöhten und unregelmäßigeren Herzschlag als bei emotional stabileren Kindern. Auch die neuronale Aktivität dieser Kinder war stärker ausgeprägt. Bei neuen Reizen und fremden Situationen reagierten ihre Körper daher mit einer stärkeren physiologischen Erregung. Man könnte auch sagen, sie wirkten gestresster als weniger ängstliche Kinder.

Gene beeinflussen uns über biologische Prozesse

Gene regulieren unter anderem auch die Produktion von Neurotransmittern. Damit sind chemische Botenstoffe gemeint, welche innerhalb des Nervensystems die Weiterleitung von Informationen fördern oder hemmen. Ein Neurotransmitter ist beispielsweise Serotonin. Dieser Botenstoff beziehungsweise das Gen, welches für seine Regulation verantwortlich ist, wurde in verschiedenen Studien mit einem ängstlichen Temperament in Verbindung gebracht.

Es liegt nicht nur an den Genen oder nur an der Umwelt

Allerdings sind die Gene nicht allein der Auslöser für die Persönlichkeitsentwicklung in die eine oder andere Richtung. Das eben genannte Gen, welches mit der Serotoninregulation beauftragt ist, kommt besonders zusammen mit einer bestimmten Erziehungsform zum Tragen. Kinder mit einem ängstlichen Temperament entwickeln sich vor allem dann zu gehemmten Kindern und Jugendlichen, wenn sie in ihrer Erziehung nur wenig Unterstützung erfahren.

Unser Temperament ist uns sozusagen biologisch in die Wiege gelegt worden. Doch wie sich unsere Persönlichkeit entwickelt, hängt nicht allein von unseren Genen, sondern auch von unserer Umwelt ab.

Zusammenfassung

  • Babys werden heute nicht mehr als unbeschriebenes Blatt verstanden. Sie leisten bereits in den ersten Tagen und Wochen erstaunliche Leistungen in Sachen Wahrnehmung, Motorik und Lernfähigkeit.
  • Die genetische Veranlagung eines Menschen bestimmt zu einem Großteil, mit welchem Temperament wir geboren werden. Manche Babys sind ruhig und gelassen, andere schnell irritiert und emotional unausgeglichen. Einige haben Angst vor neuen Situationen, anderen machen diese wenig aus und wieder andere brauchen einfach ein bisschen Zeit, um mit einer unbekannten Person „warm zu werden“.
  • Die Art des Temperaments liefert bereits im Säuglingsalter erste Hinweise darauf, welche Persönlichkeit diese Babys im Laufe ihres Lebens entwickeln werden. So werden zum Beispiel ängstliche und gehemmte Kleinkinder häufig auch zu schüchternen Kindern und introvertierten Jugendlichen.
  • Impulsive Verhaltensweisen können auch bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben oder sich sogar noch weiter ausprägen.
  • Das Temperament eines Babys zeigt sich sogar in dessen physiologischen Merkmalen. So ist der Herzschlag von ängstlichen Kindern höher und unregelmäßiger als der von gelasseneren Kindern.
  • Da bestimmte Gene auch für die Regulation von Neurotransmittern zuständig sind, können sie die Persönlichkeitsentwicklung über diesen biochemischen Umweg beeinflussen.
  • Doch nicht allein die Gene sind für die spätere Persönlichkeit eines Menschen verantwortlich. Auch die Umwelt birgt eine Menge Faktoren, welche an der Persönlichkeitsentwicklung beteiligt sind.
  • Der Erziehungsstil der Eltern ist nur ein Umweltfaktor, welcher im Zusammenspiel mit den genetischen Voraussetzungen die Persönlichkeit eines Menschen formt.

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