Beschreibung | Als 1944 der polnische Jurist Raphael Lemkin für die Ermordung der europäischen Juden den Begriff Genozid prägte, wollte er damit einem Verbrechen einen Namen geben, für das die herkömmlichen Tatbestände nicht ausreichten, weil sie nur Teilaspekte dieses Verbrechens und nicht das Verbrechen in seinem vollen Umfang bezeichneten. In den Nürnberger Prozessen wurde es noch unter die Verbrechen gegen die Menschlichkeit gefaßt, doch schon 1948 wurde eine Konvention verabschiedet, die allein dem Völkermord, seiner Verhütung und Bestrafung gewidmet war. Seither ist dieser Tatbestand zu einer Grundnorm des Völkerrechts geworden. Er hat Eingang gefunden in die Statuten der Ad-hoc-Strafgerichte für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda, und auch das Statut des unlängst geschaffenen ständigen Internationalen Strafgerichtshofs nennt als erstes Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist, das Verbrechen des Völkermords.
Doch was genau bedeutet Völkermord? Inwieweit unterscheidet er sich von anderen Verbrechen, die ebenfalls die Vernichtung oder Zerstörung von Menschenleben zum Ziel haben? Zählen die Vergewaltigung, die »ethnische Säuberung« oder der Einsatz von Atomwaffen auch zu den Handlungen des Völkermords? Wer bestimmt über Merkmale, die eine bestimmte Gruppe von Menschen zu einer nationalen, ethnischen oder rassischen Gruppe machen. Sind es die Opfer oder die Täter? Und warum gehören politische Gruppen nicht zu den von der Genozidkonvention geschützten Gruppen?
Auf Fragen wie diese gibt der Autor des vorliegenden Buches Antwort. Als Jurist und Berater humanitärer Organisationen ist William Schabas ein ausgewiesener Kenner des Völkerrechts, der sich mit der Entwicklung der Menschenrechte und deren Schutz beschäftigt. So stellt er auch eine Darstellung der menschenrechtlichen Wurzeln des Genozidverbots an den Anfang seiner Untersuchung, bevor er sich den Bestimmungen der Konvention zuwendet. Artikel für Artikel erklärt und kommentiert er deren Inhalt und Bedeutung und spannt dabei den Bogen von den ersten Entwürfen für eine Genozidkonvention über Probleme des Vorsatzes und der Täterschaft bei der Begehung von Völkermord bis hin zu den Möglichkeiten und Grenzen präventiver Maßnahmen. Einen breiten Raum nehmen in diesem Zusammenhang Prozesse vor nationalen und vor allem internationalen Gerichten ein, die sich zumeist auf den Krieg im ehemaligen Jugoslawien und hier insbesondere auf das Massaker von Srebrenica sowie auf den Völkermord von 1994 in Ruanda beziehen. Sie machen nicht nur deutlich, welche großen juristischen Schwierigkeiten sich hinter augenscheinlich klaren Sachverhalten verbergen, sondern zeigen auch, in welchem Maße staatliche Stellen an der Planung und Durchführung der Verbrechen beteiligt waren. Ihnen allein die Ahndung von Völkermord zu überlassen wäre gleichbedeutend mit einer weitgehenden Straflosigkeit für die Täter, wie es bekanntlich jahrzehntelang der Fall gewesen ist. Insofern ist das Buch auch ein eindringliches Plädoyer für eine von der gesamten Staatengemeinschaft unterstützte internationale Strafgerichtsbarkeit. |