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Primacy Effekt: Warum zählt der erste Eindruck | Psychologie


Wenn wir auf ein unbekanntes Gesicht treffen, benötigt unser Gehirn nur wenige Millisekunden zur Urteilsbildung. Wir bekommen einen ersten Eindruck von einer Person, der auf verschiedenen Aspekten beruht. Wir nehmen Äußerlichkeiten wahr, die wir blitzschnell zu einem Gesamtbild über diese Person formen.

Mimik, Gestik, Körperhaltung und Aussehen beeinflussen unsere Eindrucksbildung. Hinzu kommen weitere Informationen, wie Geruch oder der Klang der Stimme. Mit all diesen Informationen konstruieren wir uns eine Theorie über das Wesen dieses unbekannten Menschen, den wir vor ein paar Sekunden zum ersten Mal gesehen haben.

Doch nicht nur, die genannten Informationen spielen eine Rolle. Auch unsere Erfahrungen und die in uns vorherrschenden Stereotype beeinflussen den ersten Eindruck enorm. Haben wir uns erst einmal ein Urteil gebildet, hält sich dieses sehr hartnäckig. Es hat selbst dann noch Bestand, wenn neue Informationen dem ersten Eindruck widersprechen. Dafür wird der sogenannte Primacy-Effekt verantwortlich gemacht.

Primacy-Effekt: Unser Gehirn neigt zur Überbewertung des ersten Eindrucks

Um uns ein Urteil über eine Person zu bilden, müssen wir sie nicht einmal treffen.
In einigen Studien reichte selbst ein Foto aus, damit sich die Versuchsteilnehmer ein umfassendes Bild über die abgebildete Person machten. Die Bildung des ersten Eindrucks erfolgt nicht objektiv anhand der reinen Sammlung von Daten. Alle erhältlichen Informationen werden mit Erfahrungen und Stereotypen kombiniert.

Das kann natürlich zu verzerrten Urteilen führen. Hier spielt auch die Attraktivität des Fremden eine Rolle. Wir tendieren dazu, attraktive Menschen als sympathischer wahrzunehmen. Dabei bewerten wir beispielsweise Menschen mit einem durchschnittlichen Gesicht positiver als solche mit ungewöhnlichen Zügen. In Bezug auf die Attraktivität greift unter anderem das Stereotyp „Was schön ist, ist gut“.

Beim Primacy Effekt haben frühere Informationen mehr Gewicht

Bei dem eben erwähnten Primacy-Effekt handelt es sich um ein Gedächtnisphänomen.
Dieser Effekt wurde erstmals von Solomon Asch untersucht und ist ein Teil der Attributionstheorie. Attributionen sind in der sozialen Wahrnehmung von großer Bedeutung.

Dabei handelt es sich um die Ursachenzuschreibung von Verhaltensweisen. Menschen schreiben anderen Menschen somit unbewusst Ursachen für deren Verhalten zu, welchen sie in ihren Persönlichkeitseigenschaften (Attributen) zu sehen glauben.

Doch warum ist der Primacy-Effekt für den ersten Eindruck relevant? Zum einen konnte nachgewiesen werden, dass uns früher eingehende Informationen besser im Gedächtnis bleiben als später eintreffende. Das hat zur Folge, dass wir uns beim Gedanken an eine bestimmte Person unseren ursprünglichen Eindruck zuerst ins Gedächtnis rufen. Zum anderen dienen die Informationen aus der ersten Urteilsbildung als Basis für weitere Informationen.

Wenn wir uns ein Bild von einer Person gemacht haben, fügen wir weitere Informationen (für uns logisch erscheinend) in das Gesamtgefüge ein. Eine nett aussehende Person bekommt sozusagen unbewusst weitere Eigenschaften (Attribute) – wie vertrauensvoll oder zuvorkommend angehängt.

Der erste Eindruck hat evolutionäre Vorteile

Die schnelle Einschätzung eines Fremden erlaubt uns eine Risikoabwägung.
Laut der Sozialpsychologin Dr. Elisabeth Schneider fungiert der erste Eindruck als Schutz vor Risiken. Die schnelle Einschätzung anderer war in früheren Zeiten überlebenswichtig. Nur so konnten unsere Ahnen einen Fremden schnell als Freund oder Feind einschätzen. Dem Urteil entsprechend konnte dann entweder Kontakt aufgenommen oder die Flucht ergriffen werden.

Obwohl unsere Urteilsbildung von Stereotypen geprägt ist, sollten wir laut Schneider ein ungutes Bauchgefühl dennoch nicht ignorieren. Immerhin könnte von der fremden Person tatsächlich eine Gefahr ausgehen. Das gute oder schlechte Gefühl beim ersten Eindruck entsteht durch Stereotype, die bei der erstmaligen Begegnung mit einem Fremden aktiviert werden. Diese schalten sich automatisch ein, so dass wir kaum einen Einfluss darauf haben. Sie basieren auch auf unseren Lernerfahrungen und lösen Emotionen aus. Entweder in Form von Gefühlen der Sympathie oder der Bedrohung.

Warum kategorisieren wir andere?

Kategorien ermöglichen eine bessere Übersicht.
Indem wir unsere Umwelt kategorisieren, verschaffen wir uns eine bessere Orientierung in dieser. Früher waren Fremde eher eine Ausnahme im Heimatdorf. Die Einwohnerzahl war geringer und man kannte die Gesichter, die einem im Alltag begegneten.

Mittlerweile sieht unser Alltag in den meisten Fällen anders aus. Besonders dann, wenn man in einer Großstadt wohnt. Allein auf dem Weg zur Arbeit erblicken wir in der Bahn etliche neue Gesichter. Im Büro angekommen, haben wir vielleicht mit wechselnden Kunden zu tun oder neuen Mitarbeitern. Wenn wir nach Feierabend noch schnell in den Supermarkt fahren, um das Abendessen zu besorgen, treffen wir wieder auf dutzende fremde Menschen. Seien es andere Kunden oder Mitarbeiter an der Kasse, die man zuvor noch nie gesehen hat.

Die neuen Medien bombardieren uns zusätzlich mit unzähligen Fotos und Videos, welche wieder neue Gesichter und damit auch neue Informationen bieten. Unsere Eindrucksbildung hat im Laufe eines Tages also allerhand zu tun. Daher sind Kategorien sowohl zeit- als auch energiesparend.

Ein Kategoriesystem hilft uns nicht nur bei der Zurechtfindung, sondern beeinflusst auch unser Denken und Verhalten. Denn Kategorien gehen auch immer mit Stereotypen und gegebenenfalls Vorurteilen einher. Genauer gesagt ist das Kategoriendenken eine Ursache der Entwicklung von Stereotypen. Wie genau unsere Kategorien aufgebaut sind, ist wiederum von unseren individuellen Lernerfahrungen abhängig.

Was verstärkt den ersten Eindruck?

Unser erster Eindruck kann falsch sein und sich dennoch bestätigen.
In dem Fall spricht man von einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Wenn wir jemanden auf Anhieb unsympathisch finden, verhalten wir uns entsprechend. Wir agieren abweisend und gehen auf Distanz. Als Reaktion auf unser Verhalten, wendet sich auch die andere Person von uns ab.

Hatten wir den Eindruck, dass diese Person verschlossen und kalt ist, dann hat sich dieser soeben bestätigt. Allerdings nicht, weil dieser Mensch tatsächlich solche Eigenschaften aufweist. Unser Verhalten war der Auslöser für die Reaktion, die wir nun als Bestätigung für unsere ursprüngliche Annahmen halten. Da wir uns gegenüber einer sympathisch wirkenden Person ganz anders verhalten würden, würde sich diese uns auch offener und freundlicher begegnen.

Die sich selbst erfüllende Prophezeiung funktioniert also in beide Richtungen und stärkt unseren Ersteindruck durch dessen scheinbare Bestätigung.

Einige Merkmal sind so prägnant, dass wir sie auf die gesamte Persönlichkeit anwenden

Als weiterer Verstärker gilt der Halo-Effekt.
„Halo“ ist das englische Wort für Heiligenschein. Seinen Namen erhielt dieser Effekt dadurch, dass ein bestimmtes Merkmal einer Person deren weiteren Merkmale „überstrahlt“. Sehen wir eine attraktive Person, schreiben wir ihr auch schnell andere positive Eigenschaften zu. Er oder sie ist unserer Meinung nach auch mit beispielsweise sozialer Kompetenz, Intelligenz und Freundlichkeit ausgestattet.

Der Halo-Effekt greift jedoch auch bei negativen Merkmalen. Daher hat eine einmal als negativ bewertete Person es schwer, den ersten Eindruck wieder auszugleichen. Allerdings hält ein erster Eindruck sich generell sehr hartnäckig. Ganz unabhängig davon, ob er positiv oder negativ ausfällt.

Warum werden wir den ersten Eindruck so schlecht wieder los?

Wir halten häufig am ersten Eindruck fest, weil ein Umstrukturieren der Kategorien Zeit und Energie kostet.
Unser Gehirn arbeitet bevorzugt mit möglichst geringem Aufwand. Daher wenden wir auch so gern Kategorien an und sind anfällig für Stereotypen. Diese Sparsamkeit geht allerdings auf Kosten der Eindrucksbildung.

Wie wir gelernt haben, verstärkt der Primacy-Effekt den bleibenden ersten Eindruck. Dieser Effekt wird vor allem dann aktiv, wenn wir unter Zeitdruck stehen. Sind wir zu einer schnellen Urteilsbildung motiviert, bleiben uns die ersten Informationen besonders gut in Erinnerung.

Korrekturen finden nur im kleinen Rahmen statt

Neue Informationen ändern den ersten Eindruck als Ganzes daher nicht, sondern es werden nur vereinzelt Teilkorrekturen vorgenommen.

Mal angenommen…
Du lernst einen schlecht gekleideten Menschen kennen. Alle bisherigen Menschen mit schlechter Kleidung haben dir ein Menschenbild von unorganisiert und undiszipliniert vermittelt. Dies nennt man dann Lernerfahrung. Diese Erfahrungen wurden immer wieder bestätigt und dein Primacy-Effekt beim Kennenlernen eines „neuen“ schlecht gekleideten Menschen fällt dementsprechend ins Gewicht.

Sofort schreibt dein Gehirn dem Menschen weitere Eigenschaften zu. Somit ist dieser nicht nur undiszipliniert, sondern wohlmöglich auch unzuverlässig, antriebslos oder was auch immer. Diese Attribution findet unbewusst statt und du kannst dich aufgrund deines kategoriesierenden Gehirns kaum wären.

Und immer wenn ein neuer Mensch mit schlechter Kleidung auftaucht und deinen Verdacht bestätigt, wird das Gesamtbild weiter bestärkt. Dies nennt man dann Summation.

Falls du aber Jemanden mit schlechter Kleidung kennenlernst und diese verhält sich diszipliniert, zuvorkommend oder zuverlässig – ändert sich dein Gesamtbild kaum. Wie bereits oben geschrieben, werden lediglich Teilaspkete korrigeiert und das Verhalten des Gegenübers niemals komplett umgeschrieben. Du bekommst somit kein neues Menschenbild sondern lediglich einen situativen Neueindruck.

Die neue Information gilt dann nur für den spezifischen Kontext, indem sie aufgenommen wurde. Wir sagen uns anschließend, dass die betreffende Person in anderen Situationen dennoch unserem ersten Eindruck entspricht.

Hier noch ein Beispiel…
Nehmen wir an, der erste Eindruck von unserer künftigen Schwiegermutter fällt nicht besonders positiv aus. Dann stellen wir beim nächsten Familientreffen vielleicht etwas überrascht fest, wie aufgeschlossen und warmherzig sie doch eigentlich ist. Doch diese neue Information formt unser Gesamtbild von ihr nur in Bezug auf Familientreffen. In anderen Kontexten ist sie unserer Meinung nach genauso, wie wir sie uns vorstellen. Nur bei geselligen Familienanlässen ist sie eben freundlich.

Vertrautheit führt meistens zu einer positiveren Bewertung

Da die Informationen aus dem ersten Eindruck als Basis für die Integration weiterer sozialer Daten in deinem Kopf genutzt werden, ist diese in Bezug auf den Mere-Exposure-Effekt entscheidend.

Hierbei geht es um die Bewertung eines Stimulus, die bei wiederholter Darbietung zunehmend positiver ausfällt. Hier spielt der Faktor Vertrautheit eine Rolle. Denn was uns vertraut ist, das empfinden wir als positiv. Wenn unser erster Eindruck daher bereits gut ist, wird dies die Sympathie für diese Person bei jedem weiteren Treffen verstärken.

Der Effekt hängt jedoch von der anfänglichen Bewertung ab. Er kommt nur dann zustande, wenn der Stimuli (also in diesem Fall die fremde Person) anfänglich als leicht positiv oder zumindest neutral bewertet wurde. Eine negative Beurteilung führt bei wiederholter Darbietung nur zu noch mehr Abneigung.

Da wir unserem Verhalten unserem Denken anpassen, sind die sich selbst erfüllenden Prophezeiungen natürlich auch ein Hindernis bei der Korrektur des ersten Eindrucks. Immerhin führen diese zu einer vermeintlichen Bestätigung unseres ersten Urteils. Wenn wir unsere Denkweise und unser Verhalten nicht ändern, wird sich auch die andere Person uns gegenüber nicht anders verhalten. Das wiederum verfestigt unser anfängliches Bild des Gegenübers erneut.

Um den ersten Eindruck zu korrigieren, benötigen wir Zeit. Und auch ein gewisser kognitiver Aufwand ist nötig, um unser Gesamtbild über eine andere Person anzupassen. Dennoch sollten wir uns die Mühe vielleicht doch häufiger machen und unseren ersten Eindruck hinterfragen.

Zusammenfassung

  • Der erste Eindruck ist selten korrekt, hält sich jedoch hartnäckig. Der psychologische Grund dafür ist der Primacy Effekt.
  • Wir bilden ihn anhand verschiedener Informationen, die eine fremde Person hauptsächlich durch ihr Aussehen liefert.
  • Die Datensammlung ist durch Kategorisierung und Stereotype beeinflusst.
  • Wir sollten unseren ersten Eindruck häufiger hinterfragen. Schließlich können wir ganz einfach nicht wissen, wie viel Wahrheitsgehalt vorliegt.
  • Sobald man die psychologischen Mechanismen hinter der Eindrucksbildung versteht, kann man seine eigenen Vorurteile und Stereotype besser reflektieren. Hilfreich ist dabei das Hinterfragen des ersten Eindrucks: Was könnte diesen veranlasst haben? Durch welche Erfahrungen und Stereotype könnte er entstanden sein? Doch dieser Prozess ist zeit- und energieaufwendig.

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