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Psychologie der sich selbst erfüllende Prophezeiung in der Sozialforschung

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Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung beschreibt ein Phänomen, dass Vorhersagen – welche über eine mögliche Zukunft getroffen werden – auch eintreten. Dieser Effekt kann psychologisch erklärt werden und wurde experimentell durch Robert Rosenthal und Lenore F. Jacobsen nachgewiesen.

Wie?
Die Sozialpsychologie beschäftigt sich unter anderem mit der sozialen Wahrnehmung. Diese beinhaltet den Prozess der Sammlung von Informationen aus unserem Umfeld. Diese Informationen können sich beispielsweise auf individuelle Persönlichkeitseigenschaften unseres Gegenübers beziehen und ebenso auf unsere eigenen.

Auch der Prozess des Attribuierens spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Dieser bestimmt nämlich, welche Ursachen wir dem Verhalten unserer Mitmenschen zuschreiben. Diese Prozesse sind von unseren Erfahrungen und unseren Erwartungen geprägt. Ein interessantes Phänomen im Rahmen dieser Prozesse ist die sich selbst erfüllende Prophezeiung. Was diese beinhaltet und wie dieser Effekt zustande kommt, sehen wir uns nun einmal genauer an.

Selbst erfüllende Prophezeiung oder wenn Gedanken Wirklichkeit werden

Was du denkst, beeinflusst dein Verhalten anderen gegenüber.
Wenn du jemanden kennenlernst, machst du dir vermutlich bereits im Bruchteil einer Sekunde ein Bild über diese Person. Aus irgendeinem Grund findest du dein Gegenüber unsympathisch und schreibst ihm Persönlichkeitseigenschaften zu, die du noch gar nicht kennen kannst.

Doch schon eine bestimmte Geste oder ein Satz reichen dir für ein grobes Profil. Das geht natürlich nicht nur dir so, sondern auch allen anderen Menschen. Gewisse optische Merkmale lassen dich vielleicht vermuten, dass die besagte Person eher gefühlskalt und berechnend ist. Du glaubst, dass man ihr gegenüber am besten vorsichtig sein und sich ihr besser nicht anvertrauen sollte.

Dementsprechend verhältst du dich auch so und siehe da: Beim nächsten Treffen beachtet die Person dich kaum. Sie hat kein Interesse daran, mit dir ins Gespräch zu kommen und verhält sich dir gegenüber sehr unterkühlt. Dein anfänglicher Verdacht hat sich also bestätigt. Doch ist es wirklich so simpel?

Die selbst erfüllende Prophezeiung ergibt sich sozialen Miteinander

Es ist eine verbreitete Annahme, dass der erste Eindruck nicht täuscht.
Wir nehmen daher in der Regel an, uns auf unsere Menschenkenntnis verlassen zu können und sortieren Menschen sehr schnell in bestimmte Kategorien ein. Doch der erste Eindruck kann durchaus unzutreffend sein. Wie ein Mensch sich dir gegenüber verhält, hängt nicht nur von seiner Persönlichkeit ab.

Der negative erste Eindruck von der oben beschriebenen Person könnte dadurch zustande gekommen sein, dass sie ganz einfach einen schlechten Tag hatte. Die Person wirkte unterkühlt, weil sie mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt war und hat sich daher nicht in ein Gespräch verwickeln lassen. Eigentlich ist sie ein offener und freundlicher Mensch, doch ein schlimmes Ereignis an diesem Tag hat ihre Stimmung getrübt.

Halten wir fest…
Unsere Stimmung trägt also einen beträchtlichen Teil dazu bei, wie andere Menschen uns wahrnehmen. Doch wie hängt das mit sich selbst erfüllenden Prophezeiungen zusammen?

Unsere Wahrnehmung wird zur selbstbestimmenden Prophezeiung

Sich selbst erfüllende Prophezeiungen beginnen immer mit der Wahrnehmung des Anderen.
Mittels unserer Wahrnehmung machen wir uns nicht nur ein Bild von anderen Personen. Daran geknüpft sind auch Erwartungen, die wir an ihren Charakter und ihre Verhaltensweisen stellen. Das wiederum prägt unser Verhalten gegenüber unseren Mitmenschen.

Im obigen Beispiel bestand die Erwartung darin, dass wir es mit einer unterkühlten Person zu tun haben, die kein Interesse an anderen Menschen hat. Dementsprechend wirkte sich diese Erwartung auch unbewusst auf unser Verhalten aus. Wir haben uns dieser Person gegenüber verschlossen und sind auf Distanz gegangen. Das signalisiert ihr natürlich, dass wir nichts von ihr wissen wollen und sie verschließt sich uns ebenfalls.

Unsere scheinbar bestätigte Erwartung ist also einfach nur eine entsprechende Reaktion unseres Gegenübers auf unser Verhalten. Unsere Erwartungen beziehungsweise Prophezeiungen werden Realität. Dadurch sehen wir uns bestätigt und das verstärkt den Glauben an die Richtigkeit unserer Vermutungen noch. Dieses Phänomen tritt in allen sozialen Kontexten auf.

Wenn du von der Freundlichkeit anderer Menschen überzeugt bist, lächelst du häufiger. Das führt dazu, dass du wiederum häufiger angelächelt wirst. Wenn du von deinem eigenen Glück überzeugt bist, nimmst du vermutlich an mehr Wettbewerben teil und gewinnst auch häufiger als eine Person, die sich selbst als Pechvogel einstuft.

Die sich selbst erfüllende Prophezeiung und das Lehrer-Schüler-Problem

Die sich selbsterfüllende Prophezeiung ist auch unter dem Begriff „Pygmalion Effekt“ geläufig.

Eine klassische Studie dazu stammt von den Psychologen Rosenthal und Jacobson. Das Experiment fand Mitte der 1960er Jahre an einer Schule statt. Den Lehrern wurden nach dem Zufallsprinzip die Namen von Kindern genannt, die einem angeblichen Intelligenztest zufolge im Laufe des Schuljahres einen großen Zuwachs hinsichtlich ihrer Leistungen zeigen würden.

Am Ende des Schuljahres hatten diese Schüler tatsächlich wesentlich bessere Noten als ihre Mitschüler, die nicht als hochbegabt eingestuft wurden. Doch wie kam es zu diesem Ergebnis, wenn die angeblich hochbegabten Kinder zufällig ausgewählt wurden?

Die Ursache liegt in den Erwartungen der Lehrer. Sie gingen davon aus, dass diese Schüler sich bald in ihren Leistungen von denen ihrer Mitschüler abheben würden. Daraus folgte eine Verhaltensänderung bei den Lehrern. Sie förderten nun die Kinder mehr, die sie für intelligenter hielten und stellten ihnen herausforderndere Aufgaben zur Verfügung als den anderen Schülern.

Den vermeintlich klügeren Kindern wurden also mehr Möglichkeiten geboten, um ihre Leistungen tatsächlich zu steigern. Höhere Erwartungen führen demnach zu besseren Ergebnissen.

Wir haben Erwartungen an andere und an uns selbst

Das betrifft nicht nur unsere Erwartungen anderen gegenüber sondern auch in Bezug auf uns selbst.
Auch dazu ziehen wir ein Beispiel heran. Vielleicht denkst du von dir, dass du ein geselliger Mensch bist. Du lernst leicht neue Leute kennen und gewinnst schnell neue Freunde. Deshalb verhältst du dich auf Partys gegenüber Fremden offen, freundlich und wirst – nur aus diesem Grund – häufiger angesprochen.

Ganz anders verhält es sich, wenn du dich selbst als kontaktscheu einstufst. Du gehst von vornherein davon aus, dass auf einer Party niemand von dir Notiz nehmen würde. Dementsprechend verhältst du dich zurückgezogen und gehst auch nicht auf andere zu. Am Ende scheint sich deine Annahme zu bestätigen, da du kaum mit jemandem gesprochen hast und nur mit den Personen Kontakt hattest, die du eh schon kanntest.

In beiden Fällen senden wir Signale aus, welche in unserer Umwelt unbewusst registriert werden. Dadurch nehmen die Mitmenschen uns entweder als offenen und geselligen Typen wahr oder als zurückhaltend. Dadurch werden sie uns Eigenschaften zusprechen, welche entweder attraktiv sind oder nicht.

Dies führt dazu, dass Menschen – welche sich als attraktiv, gesellig, kontaktfreudig oder amüsant halten – genau dies bestätigt bekommen. Denn das soziale Umfeld reagiert verhältnismäßig häufig darauf und sendet diese Erfahrungen zurück.

Stereotype und Vorurteile haben Einfluss auf die sich selbst erfüllenden Prophezeiungen

Auch in Bezug auf Stereotype oder Vorurteile greift der Effekt der sich selbst erfüllenden Prophezeiungen.
So kann es zusätzlich dazu kommen, dass diese Erwartungserfüllungen zum Erhalt von Stereotypen beitragen. Ein weit verbreitetes Stereotyp hinsichtlich des Geschlechts ist, dass Frauen in Mathe schlechter sind als Männer.

Studien zu dieser Annahme zeigten, dass weibliche und männliche Studierende sich hinsichtlich ihrer mathematischen Leistungen stark unterschieden, wenn ihnen das Stereotyp zuvor durch eine Information gedanklich zugänglich gemacht wurde. Sie wurden also an dieses Geschlechterstereotyp erinnert, was sich dann auf ihre tatsächlichen Leistungen auswirkte.

Männer schnitten besser ab, wenn ihnen der angebliche Unterschied der mathematischen Leistungen bewusst gemacht wurde und Frauen schlechter. Bei Kontrollgruppen (hier wurden die Teilnehmer zuvor nicht mit dem Stereotyp konfrontiert) fanden sich keine Geschlechtsunterschiede. Ein ähnliches Bild zeigt sich, wenn ethnische Stereotype vorliegen. Zum Beispiel die Annahme, dass Asiaten besser in Mathe sind als Personen aus westlichen Ländern.

Zusammenfassung

  • Unsere Erwartungen beeinflussen unser Verhalten. Das gilt für unsere Mitmenschen und auch in Bezug auf uns selbst.
  • Wenn wir jemanden für freundlich halten, werden wir uns ihm gegenüber ebenfalls freundlich verhalten. Das wiederum führt in der Regel zu einer ebenfalls freundlichen Reaktion unseres Gegenübers und wir sehen uns in unserer Vermutung bestätigt.
  • Dieser Prozess der Reaktion und Gegenreaktion führt zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
  • Das gilt allerdings auch im negativen Sinne. So können auch Stereotype und Vorurteile durch dieses Phänomen aufrechterhalten werden.

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