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Verhaltensgenetik an Beispielen erklärt: Bedeutung und Forschung


Menschen aller Länder und Kontinente weisen ähnliche Eigenschaften im Verhalten auf. Wir zeigen Emotionen auf ähnliche Art und Weise, indem wir lachen oder weinen. Wir spielen, tanzen, treffen uns mit anderen Menschen. Im Großen und Ganzen haben wir rein genetisch gesehen sehr viel gemeinsam. Dennoch gibt es kleine Unterschiede zwischen einzelnen Personen.

So ist Person A gern unter Menschen und nimmt jede Einladung zu einer Party an, während Person B lieber für sich allein ist und den Abend wesentlich lieber mit einem Buch als auf der Tanzfläche verbringt. Person C ist schnell gestresst und fährt unverzüglich aus der Haut, während Person D auch in dem größten Trubel die Ruhe selbst ist. Wie kommen diese Unterschiede zustande, wenn wir uns doch eigentlich so ähnlich sind? Das ist eine Frage, mit der sich die Verhaltensgenetik beschäftigt.

Anlage oder Umwelt?

Der Mensch wird in seinem Denken und Handeln nicht nur von seinen Genen beeinflusst. Auch unsere Umwelt hat einen erheblichen Einfluss darauf, zu welchen Individuen wir uns entwickeln. Mit Umwelt ist jeder Einfluss gemeint, der sich nicht auf unsere Gene bezieht: Kultur, die Beziehung zu unseren Eltern und Verwandten, die Umgebung, in der wir aufwachsen, Schulen und so weiter.

Die Verhaltensgenetik untersucht, wo die Grenzen des Einflusses beider Seiten liegen. Es geht also um die Frage: Wie stark prägt uns die Umwelt und wie stark unsere Gene? Wir sind nämlich nicht ausschließlich das Ergebnis unserer Genetik oder unserer Umwelt, sondern aus einem Zusammenspiel beider Faktoren.

Ein Blick auf die Gene

Bevor wir näher auf den Zusammenhang zwischen Genen und Psyche eingehen, sehen wir uns die dazugehörigen Begriffe erst einmal an.

Zunächst einmal: Was sind überhaupt Gene?
Du kannst sie dir als eine Art biochemische Bausteine vorstellen. Wir besitzen im Schnitt rund 20.000 bis 25.000 davon. Sie spielen bei der Vererbung eine entscheidende Rolle und sind Segmente der DNA, die Proteine synthetisieren können. Die Herstellung von Proteinen hängt davon ab, ob ein Gen „angeschaltet“ ist. „Abgeschaltete“ Gene synthetisieren keine Proteinmoleküle. Diese Proteine sind übrigens die Bausteine unseres Körpers.

DNA oder DNS steht für deoxyribonucleic acid beziehungsweise Desoxyribonukleinsäure. Dabei handelt es sich um komplexe Moleküle, welche genetische Informationen enthalten. Die DNA-Moleküle wiederum bilden die Chromosomen.

Chromosomen erinnern in ihrer Struktur an spiralförmig aufgerollte Ketten. Diese Ketten bestehen aus DNA, welche die Gene enthalten. Der Mensch besitzt 46 Chromosomen. Davon stammen 23 von der Mutter und 23 vom Vater.

Ein weiterer Begriff ist das Genom. Innerhalb der menschlichen DNA gibt es eine Sequenz, die alle Menschen zu Menschen macht. Wir teilen uns nämlich erstaunlich viele Gene mit anderen Tieren und selbst Pflanzenarten. So teilen wir etwa rund 96 Prozent unserer DNA-Sequenzen mit Schimpansen. Laut Evolutionsbiologe Robert May haben wir sogar rund die Hälfte der Gene mit Bananen gemeinsam.

Doch selbst kleinste Unterschiede in den Genen können große Auswirkungen haben. Ob nun ein Mensch schüchtern oder sehr kontaktfreudig ist, hängt jedoch nicht nur von einem einzigen Gen ab, sondern meist von mehreren. Hinzu kommt, dass auch Gene von der Umwelt beeinflusst werden. So können bestimmte Umweltfaktoren dafür sorgen, dass bestimmte Gene an- oder ausgeschaltet werden.

Studien mit Zwillingen und Adoptivkindern

Einen guten Einblick in die Wirkweise von Anlage und Umwelt bieten Zwillings- und Adoptivstudien. Bei Zwillingen wird zwischen ein- und zweieiigen unterschieden. Eineiige Zwillinge sind aus einer befruchteten Eizelle entstanden, während zweieiige Zwillinge sich aus zwei Eizellen entwickelt haben. Zwillinge aus einer Eizelle sind genetisch identisch. Zweieiige Zwillinge hingegen haben genetisch genauso viel gemeinsam wie andere Geschwister. Allerdings teilen sich eineiige Zwillinge nicht nur die gleichen Gene, sondern auch dieselbe Gebärmutter, denselben Geburtstag und dasselbe familiäre und kulturelle Umfeld.

Dennoch sind eineiige Zwillinge nicht immer zu 100 Prozent gleich. Zwar haben sie dasselbe Genmaterial, doch kann die Anzahl der Kopien diese Gene sich unterscheiden. Das kann beispielsweise dafür sorgen, dass ein Zwilling anfälliger für eine bestimmte Krankheit ist als der andere. Auch die pränatale Nährstoffversorgung ist von Bedeutung. Häufig teilen eineiige Zwillinge sich dieselbe Plazenta. Doch rund ein Drittel hat getrennte Plazentas, so dass ein Baby andere oder weniger Nahrung erhält als das andere.

Gene und Gesundheit

Gemeinsame Gene bergen auch ein gemeinsames Krankheitsrisiko. Erkrankt ein zweieiiger Zwilling an Alzheimer, besteht beim anderen eine Chance von 30 Prozent, selbst auch zu erkranken. Dieses Risiko ist bei einem eineiigen Zwilling doppelt so hoch. Auch für Persönlichkeitseigenschaften besteht eine höhere Ähnlichkeit zwischen eineiigen als zwischen zweieiigen Zwillingen.

Das gilt beispielsweise für die Ausprägungen von Extraversion (darunter fällt etwa Geselligkeit oder Optimismus) und Neurotizismus (emotionale Instabilität, Gehemmtheit oder Schüchternheit). Dass diese Ähnlichkeiten nicht darauf zurückzuführen sind, dass die Zwillinge in derselben Umgebung aufwachsen, zeigen Fälle von eineiigen Zwillingen, die nach der Geburt getrennt wurden. Diese ähneln sich trotz unterschiedlicher Umwelten sehr stark in Verhalten, Intelligenz, Ängsten, Interessen und sogar den Gehirnwellen.

Geht es Adoptivkindern besser?

Auch bei Studien mit Adoptivkindern zeigt sich der genetische Einfluss. Kinder, die von Adoptiveltern aufgezogen werden, ähneln dennoch in ihren Persönlichkeitsmerkmalen eher ihren leiblichen Eltern. Der Einfluss der Umwelt scheint also sehr gering zu sein. Das heißt allerdings nicht, dass die Adoptiveltern überhaupt keine Wirkung auf die Entwicklung der Kinder hätten.

Schließlich vermitteln sie ihnen Werte, Benehmen oder Glaubensfragen. Unabhängig davon, ob es sich um die leiblichen Eltern oder Adoptiveltern handelt, haben auch bestimmte Lebensereignisse einen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern. Vernachlässigung, Misshandlung, Scheidung oder der Tod eines Elternteils sind Umstände, die einen erheblichen Effekt auf die Entwicklung ausüben.

Umso wichtiger ist ein liebevolles und stabiles Elternhaus. Studien weisen dabei sogar darauf hin, dass Adoptivkinder zu emotional stabileren und intelligenteren Erwachsenen werden als es ihre leiblichen Eltern sind. Der Grund dafür ist vermutlich der, dass Adoptiveltern genau geprüft werden, bevor sie ein Kind zu sich nehmen dürfen.

Molekulargenetik und Erblichkeit

Die Molekulargenetik stellt einen Teilbereich der Biologie dar. Untersucht werden dabei die molekularen Strukturen der Gene sowie ihre Funktionen. Es geht darum, spezifische Gene zu identifizieren und herauszufinden, auf welche Weise sie das Verhalten beeinflussen. Dabei ist es in der Regel nicht ein einziges Gen, das zu einem bestimmten Verhalten führt. Viel mehr handelt es sich um Gruppen von Genen und ihr Verhalten untereinander, die unsere Persönlichkeit oder unser Handeln beeinflussen.

Wichtig ist die Molekulargenetik auch deshalb, weil mit ihrer Hilfe Gene oder Gengruppen ausgemacht werden können, die für bestimmte psychische Störungen oder andere Erkrankungen verantwortlich sind. So könnten bereits bei Ungeborenen bestimmte Risikogene erkannt werden. Bei solchen Früherkennungsmaßnahmen stellen sich allerdings auch ethische Fragen. Wenn bereits die Feststellung des Geschlechts in Kulturen, wo Jungen einen höheren Stellenwert haben als Mädchen, zu mehr Abtreibungen führten, wie ist es dann bei Lernstörungen oder einer Neigung zu Depressionen? Einerseits könnten durch den technologischen Fortschritt ernsthafte Krankheiten vermieden werden, andererseits könnte ein Trend hin zu „Designer-Babys“ stattfinden.

Was, wenn alles gleich wäre?

Erblichkeit meint nichts anderes als das Ausmaß, in dem persönliche Unterschiede auf den Genen basieren. Dieses Ausmaß kann von der untersuchten Gruppe und den Umweltbedingungen abhängen. Die Unterschiede in Persönlichkeitseigenschaften oder der Intelligenz können nur dann ausschließlich den Genen zugeordnet werden, wenn die Umweltverhältnisse aller untersuchten Individuen vollkommen identisch sind. Das umzusetzen, ist allerdings nahezu unmöglich. Daher stellt sich eigentlich immer die Frage, wie hoch der Einfluss der Gene und wie hoch der der Umwelt ist.

Zusammenfassung

  • Menschen sind sich genetisch und im Verhalten sehr ähnlich.
  • Dennoch haben kleine Unterschiede in den Genen eine große Wirkung auf das Denken, Fühlen und Handeln.
  • Neben den Genen beeinflusst auch unsere jeweilige Umwelt unsere Entwicklung. Die Verhaltensgenetik untersucht unter anderem, wo der Einfluss der Gene endet und der der Umwelt beginnt.
  • Unsere Entwicklung wird nicht nur durch die Gene oder ausschließlich durch die Umwelt geprägt. Beides interagiert miteinander.
    Gene sind biochemische Bausteine, die Proteine synthetisieren.
  • Bei DNA handelt es sich um komplexe Moleküle, die genetische Informationen tragen.
  • Wir haben 46 Chromosomen, welche aus spiralförmig aufgerollten Ketten aus DNA bestehen.
  • Unterschiede in Verhalten und Persönlichkeit sind nicht nur von einem Gen abhängig, sondern von mehreren sowie von deren Interaktion untereinander.
  • Eineiige Zwillinge sind genetisch identisch, unterscheiden sich jedoch zum Beispiel in der Anzahl der Kopien dieser Gene. Auch können sie trotz derselben Gene unterschiedlich sein, wenn sie sich nicht die Plazenta im Mutterleib teilten, sondern jeweils eine eigene hatten. Das kann zu Unterschieden in der Nährstoffversorgung führen und damit einen Einfluss auf die Entwicklung haben.
  • Anhand von Zwillings- und Adoptionsstudien kann der genetische Einfluss auf das Verhalten untersucht werden. So ähneln sich eineiige Zwillinge selbst dann noch stark im Verhalten, wenn sie in getrennten Umwelten aufwuchsen.
  • Molekulargenetik ist ein Teilgebiet der Biologie und befasst sich mit den Strukturen und Funktionen der Gene auf molekularer Ebene.
  • Mit der Erblichkeit ist gemeint, wie stark ein Verhalten von den Genen abhängt, wenn die untersuchten Individuen in einer identischen Umwelt aufwachsen.

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