Weinen (Psychologie): Ursachen, Formen und Folgen
Weinen ist ein Ausdruck einer bestimmten Emotion, muss allerdings nicht zwingend der Trauer, der Freude oder Wut zugeschrieben werden. Oft ist Weinen mit Tränenfluss verbunden, jedoch nicht immer.
Wie genau das Weinen mit der Stimmung zusammenhängt, wurde bereits mehrfach untersucht. Allerdings zeigte die Forschung hier unterschiedliche Ergebnisse. Einige Untersuchungen deuten darauf hin, dass das Weinen eine Art „Ventil-Funktion“ hat. Andere zeigen wiederum, dass die Stimmung nach dem Weinen eher schlechter ist.
Inhalt
Warum weinen wir?
Es gibt verschiedene Vermutungen bezüglich der Funktion.
Bevor wir uns der eben genannten Studie widmen, wollen wir uns einmal die Theorien hinter der Funktion des Weinens anschauen. Auf der einen Seite stehen die physiologischen Funktionen. Tränen können dabei helfen, Fremdkörper aus dem empfindlichen Auge zu befördern. Gleichzeitig kann neben Reizungen auch Trockenheit eine Ursache dafür sein, dass die Augen zu tränen beginnen.
Allerdings sollen hier die psychologischen Funktionen im Fokus stehen. Eine Annahme besteht darin, dass das Weinen eine interindividuelle (zwischen verschiedenen Personen) Aufgabe erfüllt. Es zielt in diesem Fall auf das soziale Zusammenleben ab. Denn eine weinende Person signalisiert, dass sie Hilfe braucht und Aufmerksamkeit möchte.
Das menschliche Bedürfnis nach Zugehörigkeit spielt hier eine Rolle. Diese Theorie stützt sich vor allem darauf, dass dieser Mechanismus gerade von Kindern gekonnt eingesetzt wird, um ihre eigenen Ziele bei ihren Eltern durchzusetzen. Diese Funktion könnte auch noch im Erwachsenenalter fortbestehen.
Eine intraindividuelle (innerhalb einer Person) Funktion hat das Weinen im Sinne der Emotionsregulation. Negative Emotionen sollen durch das Weinen verarbeitet werden, so dass anschließend wieder eine bessere Stimmung eintreten kann. Auch der Umgang mit Stress (auch Stress-Coping genannt) kann eine mögliche Erklärung darstellen.
Verbessert Weinen die Stimmung nun oder nicht?
Die Forschergruppe um Asmir Gracanin veröffentlichte 2015 eine Studie, die sich mit den Ungereimtheiten der bisherigen Forschung befasste. Der Forschungsstand ließ sich bis dahin in zwei Lager teilen:
- Entweder waren die Studien retrospektiv angelegt und berichteten von einem positiven Effekt des Weinens auf die Stimmung
- oder es handelte sich um Laborexperimente, die einen negativen Zusammenhang auf die Stimmung ausmachten.
Sowohl bei den retrospektiven Befragungen als auch bei den Laborstudien wurde nur ein Messzeitpunkt erhoben. Das Ziel der Studie von Gracanin und Kollegen war nun, die Wirkung des Weinens auf die Stimmung im Zeitverlauf zu untersuchen.
Welche Hypothesen untersuchten die Forscher?
Um der Forschungsfrage nach dem Zusammenhang von Stimmung und Weinen auf den Grund zu gehen, nutzten die Forscher ein quasi-experimentelles Längsschnittdesign. Quasi-experimentell bedeutet, dass diese Methode sich nur insofern von einem „echten“ Experiment unterscheidet, als dass die Versuchspersonen nicht zufällig den Untersuchungsbedingungen zugeordnet wurden.
Oder anders gesagt…
Es findet keine Randomisierung, also kein Zufallsverfahren bei der Auswahl der Teilnehmer, statt.
Mit Längsschnitt ist gemeint, dass an mehreren Messzeitpunkten Daten von denselben Versuchsteilnehmern erhoben wurden. Wie genau der Versuchsaufbau aussah, schauen wir uns später an. Doch so viel sei gesagt: Die Probanden sahen sich einen emotionalen Film an, der sie zu Tränen rühren sollte.
Zunächst werfen wir einen Blick auf die Hypothesen, welche die Forscher aufgestellt haben. Die erste Hypothese lautete, dass der negative Effekt beziehungsweise die schlechte Stimmung direkt nach dem Weinen schlechter ist als vor dem Schauen des Films. Das bedeutet gleichzeitig, dass es zu keiner Stimmungsänderung kommt, sofern das Weinen ausblieb.
Die zweite Hypothese beinhaltete, dass die schlechte Stimmung nach dem Weinen besser sein sollte und auch langfristig anhielt. Als Ursache für die Intensität der Stimmungsverbesserung wurde in der dritten Hypothese die Häufigkeit des Weinens angenommen.
Hier noch einmal ganz kurz die drei Hypothesen:
- Der Film verschlechtert die Stimmung.
- Weinen verbessert die Stimmung.
- Häufigeres Weinen hebt die Stimmung immer weiter an.
Ablauf des Weinen-Experiments
Wie war das Quasi-Experiment aufgebaut?
Als unabhängige Variable fungierte der Film. Die Versuchsteilnehmer wurden von unabhängigen Beobachtern in eine Gruppe „Weinende“ und eine Gruppe „Nicht-Weinende“ eingeteilt. Aufgrund dieser nicht-zufälligen Verteilung handelt es sich um ein Quasi-Experiment. Gemessen wird der Einfluss der unabhängigen Variable (Film) auf die abhängige Variablen. Letztere sind in diesem Fall die Stimmung und die Häufigkeit des Weinens.
Zu Beginn des Experiments fanden die Versuchspersonen sich im Labor ein, wo zum ersten Mal ihre Stimmung anhand einer Skala gemessen wurde (Messzeitpunkt 1). Anschließend sahen sie einen emotionalen Film. Währenddessen wurden sie von zwei unabhängigen Personen beobachtet. Diese hielten die Häufigkeit und die Dauer des Weinens der Probanden beim Schauen des Films fest. Nach dem Film füllten die Versuchsteilnehmer einen irrelevanten Fragebogen aus. Dieser hatte nichts mit der Untersuchung zu tun und sollte die Probanden vom eigentlichen Sinn der Studie ablenken.
Wieso?
Dieses Vorgehen dient dazu, dass die Ergebnisse der Studie möglichst nicht durch die Erwartungen der Probanden an die Studie verzerrt werden. Wenn Versuchsteilnehmer um die Intention hinter einer Untersuchung wissen, passen sie ihr Verhalten dementsprechend an. Sie verhalten sich unter Umständen dann gegenteilig zum Untersuchungsziel oder versuchen, es dem Versuchsleiter recht zu machen.
Darauf folgte Messzeitpunkt 2, anschließend wieder ein irrelevanter Fragebogen und insgesamt zwanzig Minuten nach dem Film beziehungsweise dem Weinen dann Messzeitpunkt 3. Noch einmal neunzig Minuten nach dem Film wurde die Stimmung erneut gemessen (Messzeitpunkt 4). Damit endete die Datenerhebung.
Was kam bei der Studie über das Weinen heraus?
Zwei Hypothesen wurden bestätigt, eine wurde abgelehnt.
Die Analyse der Daten zeigte, dass die Stimmung direkt nach dem Film erwartungsgetreu schlechter war als zum ersten Messzeitpunkt vor dem Film und somit vor dem Weinen. Die weiteren Messzeitpunkte zeigten eine allmähliche Besserung der Stimmung nach dem Weinen. Damit wurde die erste Hypothese bestätigt.
Auch die zweite Hypothese traf zu, da sich die Stimmung nach dem Weinen bis zum letzten Messzeitpunkt über das Level des ersten Messzeitpunktes besserte. Die dritte Hypothese konnte allerdings nicht bestätigt werden, da sich die Weinhäufigkeit statistisch nicht als Ursache für die Stärke der Stimmungsverbesserung herausstellte. Wie oft jemand weint, beeinflusst also nicht, wie stark sich seine Stimmung im Anschluss bessert. Ausschlaggebend scheint zu sein, dass überhaupt geweint wurde.
Neben den Hypothesen kamen noch weitere Befunde heraus. Es wurde beobachtet, dass weibliche Studienteilnehmer während des Films häufiger weinten als die männlichen. Hierfür können Geschlechterrollen und -stereotype eine Ursache sein. Doch woran genau das liegt, müsste in weiteren Studien untersucht werden.
Zusätzlich hat die Stärke der kurzfristigen Verschlechterung nach dem Weinen keinen Einfluss auf die Intensität der langfristigen Stimmungsverbesserung. Sowohl eine sehr schlechte als auch eine weniger schlechte Stimmung direkt nach dem Weinen führte im Verlauf der Messzeitpunkte zu einer Aufhellung der Stimmung.
Was sagt uns das jetzt also über das Weinen?
Einige Annahmen werden untermauert, manches bleibt jedoch offen.
Die Ergebnisse der Studie von Gracanin und Kollegen erlaubt durch die Kombination von psychologisch geführten Befragungen und quasi-experimentellen Methoden ein gutes Verständnis davon, warum die bisherige Forschungslage so zwiegespalten war.
Durch vorherige Studien wurde jeweils nur ein Messzeitpunkt erhoben, wodurch eine Langzeitwirkung des Weinens auf die Stimmung nicht möglich war. Durch mehrere Messzeitpunkte zeichnet sich in dieser Studie der Verlauf der Stimmung ab. Gleichzeitig wird durch die Beobachtung der Versuchspersonen durch unabhängige Dritte deren Wein-Verhalten festgehalten, wodurch bei der Befragung keine Rückschaufehler entstehen können.
Es zeigte sich, dass das Weinen durchaus eine Art „emotionales Ventil“ darstellt, durch welches eine Stimmungsverbesserung eintritt. Allerdings bleibt unklar, ob die kurzfristige Verschlechterung der Stimmung direkt nach dem Weinen der Auslöser oder die Folge des Weinens ist. Zudem kann nicht eindeutig nachgewiesen werden, ob das Weinen tatsächlich die Ursache für die Stimmungsverbesserung darstellt oder ob es noch andere Einflussvariablen gibt.
Weinen wirkt auf das sympathische und das parasympathisches Nervensystem
Die Forscher erklären sich die Stimmungsverbesserung des Weinens auf körperlicher Ebene durch das Hormon Oxytocin.
Während des emotionalen Films spannt der Körper an und das sympathische Nervensystem wird aktiviert. Dieses System ist für die Aktivierung bestimmter Körperfunktionen zuständig, darunter beispielsweise eine steigende Herzfrequenz oder eine schnellere Atmung. Der Körper wird auf eine potenzielle Flucht oder einen Kampf vorbereitet. Das Weinen hingegen kann hier zur Regulierung des Nervensystems beitragen, indem es den Parasympathikus aktiviert.
Im Gegensatz zum sympathischen Nervensystem ist das parasympathische für Entspannung zuständig. Es reguliert etwa die Verdauung oder auch körpereigene Regenerationsprozesse. Durch die gleichzeitige Ausschüttung von Oxytocin wird die interindividuelle (zwischenmenschlich) Ebene angesprochen. Dieses Hormon sorgt dafür, dass wir zu anderen Menschen mehr Vertrauen fassen.
Das ist ein sinnvoller Aspekt, sofern das Weinen eine hilfesuchende Funktion erfüllen soll. Um dieser Annahme auf den Grund zu gehen, könnten weitere Studien unternommen werden. Diese könnten dann die Messung des Hormonspiegels im Zeitverlauf beinhalten.
Zusätzlich konnten die statistischen Auswertungen zeigen, dass die Gruppe der „Weinenden“ sich hinsichtlich ihrer emotionalen Sensibilität nicht von der Gruppe der „Nicht-Weinenden“ unterschied. Die Forscher rechneten diese Persönlichkeitseigenschaft während der Datenauswertung aus den Daten heraus. Dennoch blieb ein positiver Effekt des Weinens auf die Stimmung bestehen.
Fazit
Die bisherige Forschungslage wies Widersprüche hinsichtlich des Effekts des Weinens auf die Stimmung auf. Einige Studien beschrieben eine Stimmungsaufhellung durch das Weinen, während andere eine Verschlechterung durch das Weinen ermittelten.
Die Forschergruppe um Gracanin fand heraus, dass diese Unstimmigkeiten auf die Messzeitpunkte zurückzuführen ist. Wird die Stimmung unmittelbar nach dem Weinen erhoben, so zeigt sich eine Verschlechterung. Im Zeitverlauf wird allerdings deutlich, dass die Stimmung sich durch das Weinen verbessert.
Dieser stimmungsaufhellende Effekt zeigte sich nur bei der Gruppe der „Weinenden“. Weinten Personen bei dem Film nicht, wurde auch kein Einfluss auf die Stimmung festgestellt. Der Zusammenhang von Weinen und Stimmung wird zwar deutlicher, doch fehlen weiterhin Erkenntnisse hinsichtlich Wirkrichtung und Funktion des Weinens generell.