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Mixed Methods Paradigma: Definition und Anwendung


Das Mixed Methods Paradigma auch als Mixed-Method-Ansatz oder als Mixed Method Design bezeichnet, ist ein wissenschaftstheoretisches Konzept, um die Dualität der qualitativen und quantitativen Forschung zu überwinden. Denn beide bergen gewisse Restriktionen, haben aber auch Vorteile. Durch den Mix sollen diese Vorteile vereint werden. Es handelt sich somit um einen Methodenpluralismus innerhalb der Forschung.

Wie?
Das schauen wir uns gleich an, versprochen.

Doch vorher noch eine Gegenfrage….
Hast du dich schon einmal mit psychologischen Forschungsprozessen beschäftigt? Dann ist dir sicher bereits früh aufgefallen, dass die psychologische Forschung mit einer Vielzahl von Forschungsmethoden und Untersuchungsdesigns einher geht.

Doch warum ist das so?
Ein Grund dafür ist die psychologische Wissenschaftstheorie. Sie ist so gesehen der Grundstein für sämtliche Forschungsunternehmungen in der wissenschaftlichen Psychologie und anderen Sozialwissenschaften. Dabei handelt es sich um ein System verschiedener Vorannahmen darüber, wie die Forschung abzulaufen hat. Dazu zählt sowohl die Wahl geeigneter Messinstrumente als auch die Art und Weise der Datenauswertung und ebenso die ethische Verantwortung, die mit dem neuen Erkenntnisgewinn einhergeht.

Innerhalb der psychologischen Wissenschaftstheorie liegen drei verschiedene Paradigmen vor, welche sich unterschiedlicher Forschungsmethoden bedienen. Eines davon ist das Mixed-Methods-Paradigma. Wodurch sich dieser Ansatz auszeichnet und wozu er überhaupt gut ist, schauen wir uns nun einmal genauer an.

Mixed-Methods-Paradigma als Übereinkunft von quantitativer und qualitativer Forschung

Dieses Paradigma vereint die Vorteile der anderen in sich.
Mit den „anderen“ sind der qualitative und der quantitative Ansatz gemeint. Diese beiden Paradigmen sind recht komplementär in Bezug auf ihre theoretischen Ansichten, ihre Vorgehensweisen und Methoden.

Das quantitative Paradigma entstammt ursprünglich den Naturwissenschaften und basiert auf dem Kritischen Rationalismus nach Karl Popper. Hier besteht das Forschungsvorgehen darin, eine Theorie anhand von Daten zu überprüfen. Ein quantitatives Vorgehen wird daher auch als deduktiv und theoriegeleitet bezeichnet.

Das heißt…
Um die Theorie auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen, werden empirische Daten erhoben. Es werden Beobachtungen gemacht und in numerischer Form festgehalten. Die Auswertung dieser Daten erfolgt mit statistischen Mitteln. Sprechen die Daten für die Theorie, gilt diese als vorläufig bestätigt. Je mehr Studien die Theorie unterstützen, umso mehr wird sie als gefestigt angesehen.

Allerdings kann eine Theorie laut Popper niemals endgültig bestätigt werden. Denn eine Theorie ist nur eine Vermutung über die Realität und hat nur so lange Bestand, bis sie widerlegt wurde. Das wird auch als Prinzip der Falsifizierbarkeit bezeichnet.

Das qualitative Paradigma sattelt das Pferd von hinten auf: Hier werden zunächst Daten gesammelt und ausgewertet. Auf Basis der daraus gewonnenen Erkenntnisse können neue Theorien entstehen. Hier spricht man auch von Induktion beziehungsweise einem induktiven Vorgehen.

Es handelt sich hier demnach um ein theoriegenerierendes Verfahren, statt um ein theorieprüfendes. Auch die Daten werden nicht zwingend in numerischer Form erhoben. Da die Erhebung nicht theoriegeleitet vorgeht, finden viele verschiedene Formen von Daten Einzug in die Sammlung. Das können Wörter, Sätze, sprachliche Kodierungen, Fotos und so weiter sein.

Beide Paradigmen weisen Vorteile und Nachteile auf. So kann dem quantitativen Paradigma vorgehalten werden, dass es hier keine Erklärung zur Entstehung neuer Theorien gibt. Dem qualitativen Paradigma hingegen könnte man eine fehlende Strukturiertheit vorwerfen.

Um die jeweiligen Unzulänglichkeiten auszugleichen, kann eine Kombination der Paradigmen von Vorteil sein. Bei dem Zusammenschluss von Informationen aus verschiedenen Datenquellen spricht man auch von einer Daten-Triangulation.

Lange Zeit dominierte die quantitative Forschung, doch eine Ergänzung durch qualitative Methoden kann vor allem in sozialwissenschaftlichen Disziplinen nützlich sein. Zumal Verfechter des qualitativen Ansatzes kritisieren, dass quantitative Methoden dem Erforschen des menschlichen Erlebens und Verhalten nicht gerecht werden. Schließlich sei der Mensch ein reflektiertes und selbstbestimmtes Wesen, welches nicht automatisch nach bestimmten Naturgesetzen handelt.

Ist der Mixed-Methods-Ansatz überhaupt ein drittes Paradigma?

Nun könntest du dich fragen, ob es sich bei dem Mixed-Methods-Ansatz überhaupt um ein eigenständiges Paradigma neben dem qualitativen und quantitativen Ansatz handelt.

Die Frage wird in der Tat häufig diskutiert. Daher haben sich innerhalb der wissenschaftlichen Psychologie auch mittlerweile fünf verschiedene Standpunkte herauskristallisiert, die dem Mixed-Methods-Ansatz mit unterschiedlichen Ansichten gegenüberstehen.

Diese stelle ich dir jetzt vor..

1. Inkommensurabilitäts-These

Hier wird die Mixed-Methods-Methode mehr oder minder als unsinnig abgetan. Die Kritiker dieses Ansatzes empfinden die qualitativen und quantitativen Paradigmen grundsätzlich nicht als vergleichbar. Daher stellt sich für sie gar nicht die Frage, ob es bei diesem vermeintlich dritten Paradigma überhaupt um ein solches handelt. Sie lehnen den Ansatz einfach von Grund auf ab.

2.Aparadigmischer Standpunkt

Den Mixed-Methods-Ansatz als ein eigenständiges Paradigma zu etablieren, wird hier ebenfalls als unnötig empfunden. Allerdings aus einem anderen Grund als in der vorherigen These. Zwar werden die qualitativen und quantitativen Methoden nicht als unvergleichbar eingestuft, sondern ein drittes Paradigma wird einfach als schlichtweg überflüssig angesehen.

Denn schließlich sollten in der Forschung einfach alle Methoden verwendet werden, die den Erkenntnisgewinn voranbringen. Unabhängig davon, ob es sich um quantitative oder qualitative Methoden der Forschung handelt. Dafür brauche es nicht extra ein neues Paradigma.

3. Komplementaritäts-These

Die beiden ursprünglichen Paradigmen werden hier ebenfalls als unterschiedlich wahrgenommen. Allerdings unterscheidet sich diese These von der Inkommensurabilitäts-These, als dass qualitative und quantitative Methoden durchaus zusammen in einer Studie genutzt werden könnten und sollten.

Dabei werden zwei separate Teilstudien (eine qualitative und eine quantitative) unternommen, die sich demselben Thema widmen. Beide finden dann vereint Eingang in dieselbe Studie. Allerdings stellt sich hier die Frage, ob so ein Vorgehen wirklich sinnvoll ist. Denn es werden bereits häufig qualitativ und quantitativ erhobene Daten innerhalb einer Studie verwendet und anschließend verglichen. Damit entsteht ein Gesamtbild zu einem Untersuchungsgegenstand, welches anhand verschiedener Daten erst ermöglicht wird.

4. Dialektischer Standpunkt

Hier steht der Gedanke im Zentrum, dass die Schwächen des einen Paradigmas durch die Stärken des anderen ausgeglichen werden sollen. Die Methoden der verschiedenen Paradigmen werden als gleichwertig angesehen und sollen sich gegenseitig ergänzen.

Allerdings ist es im Rahmen eines Forschungsprozesses sehr aufwändig, für jede Schwachstelle einer quantitativen Untersuchung eine ausgleichende qualitative Methode zu suchen und umzusetzen. Umgekehrt gilt natürlich das Gleiche. In der Praxis ist dieser Standpunkt also etwas schwierig.

5. Standpunkt eines neuen Mixed-Methods-Paradigmas

Schließlich gibt es noch die Auffassung, dass es sich bei dem Mixed-Methods-Ansatz selbstverständlich um ein eigenständiges, drittes Paradigma handelt. Das quantitative Paradigma fußt auf dem Kritischen Rationalismus, während der qualitative Ansatz auf dem Sozialkonstruktivismus aufbaut. Dem Mixed-Methods-Paradigma wird auch eine eigene wissenschaftstheoretische Basis zugewiesen. Der philosophische Pragmatismus.

Pragmatismus als wissenschaftstheoretische Grundlage des Mixed-Methods-Ansatzes

Hier gilt die Annahme: Theorien sind gültig, wenn sie brauchbar sind.
Das steht natürlich im krassen Gegensatz zum Kritischen Rationalismus Poppers, nach dem Theorien prinzipiell nicht bewiesen werden können.

Doch der philosophische Pragmatismus denkt hier praxisorientierter. Erkenntnisgewinn erfolgt hier nicht induktiv (wie im qualitativen Paradigma, bei dem Theorien aus Daten generiert werden) und auch nicht deduktiv (wie im qualitativen Paradigma, welches theoriegeleitet Daten zur statistischen Auswertung und Theorieprüfung erhebt). Der philosophische Pragmatismus geht davon aus, dass Erkenntnisgewinn aufgrund von zielgerichtetem Handeln in der Lebenswelt entsteht. Wissen entsteht also auf pragmatischem Wege.

Begründet wurde dieser wissenschaftstheoretische Ansatz bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Als Gründerväter gelten Charles Sanders Pierce, William James und John Dewey. Als Neopragmatismus erhielt dieser Ansatz in der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder Aufwind durch Richard Rorty uns Hilary Putnam.

Prämissens des philosophischen Pragmatismus

Wie auch der Kritische Rationalismus und der Sozialkonstruktivismus (die wissenschaftstheoretischen Fundamente des quantitativen und des qualitativen Paradigmas) beinhaltet der Pragmatismus verschiedene Prämissen.

Nützlichkeit gleich Gültigkeit

Die epistemologische Prämisse sieht Wissen als ein Werkzeug zielgerichteten Handelns an und bemisst deinen Stellenwert am Kriterium der Nützlichkeit. Ist eine Theorie nützlich, bleibt sie bestehen. Liegen jedoch keine praktischen Anwendungsmöglichkeiten für sie vor, so wird sie verworfen.

Die Gültigkeit einer Theorie ist daher abhängig von den jeweiligen Interessen. Diese müssen innerhalb und außerhalb der Wissenschaftsgesellschaft diskutiert und transparent gemacht werden. Hier kommt die Frage nach Werten und der ethischen Verantwortung von Wissenschaft wieder ins Spiel.

Da die Anzahl von Interessen groß ist, könnte man von einem recht pluralistischen Ansatz ausgehen. Allerdings trifft das nur bedingt zu. Zwar gibt es eine Vielzahl von Interessen, jedoch keine Palette von nebeneinander existierenden Theorien. I

m qualitativen Ansatz wird davon ausgegangen, dass Realitäten sozial konstruiert sind, weshalb auch mehrere Theorien zum selben Sachverhalt nebeneinander existieren und sich im Idealfall gegenseitig ergänzen sollen. Im Pragmatismus hingegen besitzt nur diejenige Theorie Gültigkeit, die sich als am nützlichsten erweist.

Zudem ist der Pragmatismus nicht auf Induktion (Theoriebildung durch Beobachtungen wie beim qualitativen Paradigma) oder Deduktion (Theorieprüfung im Rahmen des qualitativen Paradigmas) beschränkt. Hier finden ganz einfach alle Strategien Anwendung, die einen praktischen Nutzen mit sich bringen.

Die Frage nach der Realität

Die ontologische Prämisse des Pragmatismus vermittelt zwischen dem qualitativen und dem quantitativen Wirklichkeitsverständnis. Die quantitative Auffassung über die Realität ist die, dass es eine objektive Wirklichkeit gibt, in welcher bestimmte Naturgesetze vorherrschen.

Demgegenüber steht das qualitative Paradigma, welche die Realität etwas anders versteht. Hier geht man davon aus, dass die Wirklichkeit nur in unserem Bewusstsein und im interaktiven Miteinander entsteht – unabhängig von Gesetzmäßigkeiten.

Der pragmatische Ansatz hingegen kombiniert diese beiden Ansichten und sorgt für ein transaktionales Mensch-Umwelt-Verhältnis. Dabei wird weder das eine noch das andere ausgeschlossen, sondern es besteht folgende Annahme: Es gibt sowohl objektive soziale und psychologische Gesetzmäßigkeiten als auch die subjektive Konstruktion der Wirklichkeit. Und diese beiden Punkte beeinflussen sich hier gegenseitig. So werden soziale Phänomene zwar individuell aktiv gestaltet, doch nur soweit es in einem Rahmen der objektiven sozialen Gegebenheiten möglich ist.

Die vor dem Hintergrund der anderen beiden Paradigmen geführten Debatten über die soziale Realität und die wahre Natur des Menschen sind nach der Auffassung des Pragmatismus nicht von Belang. Für dessen Forschungspraxis zählt nur, dass verschiedene Faktoren sich gegenseitig beeinflussen.

Warum ist sozialwissenschaftliche Forschung wichtig?

Abschließend widmen wir uns noch der axiologischen Prämisse. Hier geht es um die Frage, was die empirische Sozialforschung eigentlich bezwecken soll. Es geht darum, sozialen und psychologischen Problemen auf den Grund zu gehen. Und zwar auf individueller, kollektiver und gesellschaftlicher Ebene, um die bestmöglichen Lösungen für verschiedene Probleme zu entwickeln.

Hier soll vor allem der Fokus auf benachteiligte Gruppen gelegt werden, um deren Lebensumstände zu verbessern. Allerdings ist das nicht selten mit Interessenskonflikten und ethischen Dilemmata verbunden. Daher sind an dieser Stelle wieder öffentliche Debatten nötig und die Frage danach, welchen Interessen die Untersuchungen im Endeffekt dienen.


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