Was ist Tiefenpsychologie: Merkmale, Formen und Therapieansätze
Es gibt die verschiedensten psychologischen Strömungen und jede hat ihre ganz eigene Sichtweise auf die Entstehung von psychischen Problemen. Auch das Verständnis des menschlichen Geistes unterscheidet sich je nach psychologischer Ausrichtung.
Die Tiefenpsychologie ist eine Form, die sich aus der Psychoanalyse entwickelt hat. Doch was unterscheidet sie von der Psychoanalyse? Und inwiefern unterscheidet sich ihr Ansatz von den Methoden der Verhaltenstherapie?
Inhalt
Was ist Tiefenpsychologie
Die Tiefenpsychologie ist nicht direkt eine für sich alleinstehende psychologische Strömung.
Sie ist eher ein Zusammenschluss sämtlicher Ansätze, bei denen den unbewussten psychischen Prozessen eine große Bedeutung zugeschrieben wird. Das bedeutet also, dass die Tiefenpsychologie sich vor allem mit den seelischen Inhalten befasst, die sich nicht im Bewusstsein befinden. Es wird angenommen, dass eben diese Inhalte einen maßgeblichen Einfluss auf das menschliche Erleben und Verhalten haben.
Formen der Tiefenpsychologie
Es gibt verschiedene Unterformen der Tiefenpsychologie, die von Freud, Adler und Jung entwickelt wurden.
Die Wurzeln der Tiefenpsychologie liegen in der Psychoanalyse, welche von Sigmund Freud ins Leben gerufen wurde. Am Ende des 20. Jahrhunderts entwickelte sich daraus unter dem Einfluss der Psychologie die Tiefenpsychologie. Somit ist die Tiefenpsychologie eine Weiterentwicklung Freuds Psychoanalyse. Weitere Vertreter der Tiefenpsychologie waren neben Freud auch Carl Gustav Jung und Alfred Adler.
Jung entwickelte die analytische Psychologie. Die analytische Psychologie ist eine sogenannte Einsichtstherapie. Darunter wird verstanden, dass der Patient infolge der Einsicht über den Grund seiner Erkrankung weniger Leid empfindet. Der Beginn von psychischen Erkrankungen wird hier ebenfalls in der Kindheit vermutet.
Adler ist der Begründer der Individualpsychologie.
Der Grundgedanke ist der, dass das Individuum von seinem sozialen Kontext beeinflusst wird. Die sozialen Beziehungen und die Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt können Ursachen für psychische Probleme sein. Sowohl die analytische Psychologie als auch die Individualpsychologie gehören zur Tiefenpsychologie.
Welcher Unterschied besteht zwischen Tiefenpsychologie und Behaviorismus
Der Unterschied zwischen Tiefenpsychologie und Behaviorismus liegt in der Erklärung des Verhaltens.
Der Behaviorismus erklärt das Verhalten eines Menschen oder eines Tieres durch eine Verkettung aus Reiz und Reaktion. Dieser Auffassung nach lernen wir, indem wir bestimmte Reize mit bestimmten Folgen verbinden. Das bedeutet, dass bestimmte Verhaltensweisen öfter gezeigt werden, wenn sie belohnt werden. Dabei spricht man auch von Verstärkung.
Die Tiefenpsychologie geht von unbewussten Inhalten der Psyche aus. Über diese Inhalte sind wir uns nicht im Klaren. Dennoch beeinflussen sie stark unser Verhalten und können auch zu psychischen Problemen und Krankheiten führen.
Kindheitstrauma oder erlernte Angst
Aufgrund dieser unterschiedlichen Sichtweisen könnte auch zum Beispiel die Angst einer erwachsenen Person vor dem Zahnarzt völlig anders erklärt werden.
Vom tiefenpsychologischen Standpunkt aus wäre eine Möglichkeit, ein traumatisches Erlebnis in der oralen Phase in der Kindheit zu vermuten. Freud teilte die kindliche Entwicklung in verschiedene Phasen ein. Bei der oralen Phase lag das Hauptaugenmerk auf dem Mund. Diese Sichtweise wäre dann allerdings hauptsächlich in der psychoanalytischen Ecke zu verorten.
Die Tiefenpsychologie beschränkt sich aber nicht nur auf Kindheitserlebnisse, sondern bezieht auch die aktuellen Geschehnisse ein. Es könnte also sein, dass der Patient vor Kurzem eine beunruhigende Geschichte über den Zahnarztbesuch eines Bekannten mitbekommen hat. Allerdings kann er sich bewusst gar nicht mehr daran erinnern und kann sich daher auch seine Angst nicht erklären.
Der Behaviorismus würde die Ursache der Angst eher in einer gemachten Erfahrung suchen. Die Angst wäre erlernt. Vielleicht war der letzte Besuch beim Zahnarzt sehr unangenehm. Es wurde zum Beispiel gebohrt und der Patient hatte Schmerzen. Daraufhin hat er eine Verbindung zwischen dem Zahnarzt und den Schmerzen gebildet, die seine jetzige Angst verursacht.
Was ist der Unterschied zur Psychoanalyse
Psychoanalyse und tiefenpsychologische Behandlung unterscheiden sich in Zielsetzung und Dauer.
Die tiefenpsychologische Psychotherapie hat sich ursprünglich aus der Psychoanalyse entwickelt, unterscheidet sich jedoch in einigen Punkten von dieser.
Eine Psychoanalyse hat das Ziel, die problematischen Muster ganzheitlich umzustrukturieren.
Dadurch sollen psychische Probleme behoben werden. Psychische Erkrankungen werden in der Psychoanalyse als Folge von unbewältigten Entwicklungsschritten, Traumata oder inneren Konflikten gesehen. Der Therapeut hat dabei die Aufgabe, dem Patienten dessen verdrängten Gedächtnisinhalte wieder bewusst zu machen. Die Sitzungen laufen immer recht offen ab. Es gibt also keine vorgefertigten Fragen. Stattdessen erzählt der Patient alles, was ihm gerade in den Sinn kommt. Dadurch sollen bestimmte Denkmuster offengelegt werden.
Das Setting spiegelt genau das wider, was die meisten aus Filmen kennen oder wie sie sich eben eine Psychotherapie vorstellen: Der Therapeut sitzt im Sessel, während der Patient auf der Couch liegt. Dabei werden hauptsächlich Erlebnisse aus der Kindheit besprochen, welche die Probleme verursacht haben könnten. Bei der psychoanalytischen Behandlung handelt es sich um einen relativ langwierigen Prozess, der sich über fünf Jahre erstrecken kann. Die Sitzungen finden etwa zwei- bis viermal in der Woche statt.
Auf Augenhöhe mit dem Patienten
Die tiefenpsychologisch fundierte Therapie läuft etwas anders ab.
Bei einer tiefenpsychologischen Behandlung geht es um die Verarbeitung und die Manifestation unbewusster Konflikte, die sich in den aktuellen Lebensumständen zugetragen haben.
Es soll nicht großflächig die Persönlichkeit verändert werden, sondern das Ziel ist die Lösung eines konkreten Problems. Hier wird ein besonderes Augenmerk auf die aktuellen Beziehungen des Patienten gelegt. Der Therapeut hat eine aktivere Rolle als in der Psychoanalyse. Er lenkt das Gespräch auf bestimmte Problembereiche und die Hintergründe der aktuellen Situation.
Mit ein bis drei Jahren ist die tiefenpsychologische Behandlung auch kein Schnelldurchlauf.
Allerdings erstreckt sie sich somit über einen kürzeren Zeitraum als die Psychoanalyse. Auch die Häufigkeit der Sitzungen ist geringer. Anders als bei der Psychoanalyse wird meistens nur eine Sitzung pro Woche abgehalten. Der Patient liegt hier auch nicht auf der Couch. Wie bei den meisten anderen Therapieformen sitzen sich Patient und Therapeut auf Augenhöhe gegenüber.
Der für die Kassenzulassung von psychotherapeutischen Ansätzen verantwortliche Bundesausschuss sieht beide als unterschiedliche Verfahren an. Deshalb gibt es sowohl für die Tiefenpsychologie als auch für die Psychoanalyse separate Ausbildungen und Abrechnungsmöglichkeiten.
Was ist der Unterschied zwischen Verhaltenstherapie und Tiefenpsychologie
Die Verhaltenstherapie hingegen verfolgt einen gänzlich anderen Ansatz.
Anders als bei der tiefenpsychologischen und der psychoanalytischen Psychotherapie liegt der Fokus hier auf der Gegenwart. Oder genauer gesagt, auf der Behebung aktueller psychischer Probleme.
Die Vergangenheit spielt zwar insofern eine Rolle, als dass sich in ihr die Probleme entwickelt haben. Allerdings geht es im Kern nicht um die Erschließung der Ursache, sondern um die konkrete Behebung des Problems. Der Patient kommt mit einem Problem zum Verhaltenstherapeuten, welches auf verfahrene Reaktionsmuster zurückzuführen ist. Diese hat der Patient im Laufe seines Lebens erlernt und sie lassen sich auch wieder ändern.
Unter Ängsten oder Phobien leidende Menschen sollen im Zuge der Therapie lernen, mit diesen besser umzugehen. Dafür gibt der Therapeut dem Patienten meistens eine Art „Hausaufgabe“ nach jeder Sitzung mit. Dabei handelt es sich um kleinere Alltagsaufgaben, die der Patient erledigen muss. Diese Aufgaben sollen ihm helfen, schrittweise mit seinen Ängsten besser klarzukommen. Dabei ist eine große Eigenmotivation des Patienten die Voraussetzung dafür, dass die Therapie Erfolg zeigt. Der Patient kann diese Aufgaben auch in der Sitzung lösen. Die Bearbeitung der Aufgaben kann auch in der Vorstellung des Patienten ablaufen.
Sich der eigenen Angst stellen
Auch die Konfrontation mit dem angstauslösenden Reiz ist eine Methode der Verhaltenstherapie.
Wenn du an einer Spinnenphobie leidest, könnte ein Verhaltenstherapeut dich auf zwei Wegen mit der Spinne konfrontieren.
Die eine Möglichkeit wäre die systematische Desensibilisierung.
Dabei gibst du beispielsweise auf einer Skala von null bis zehn an, wie stark deine Angst ist. Stellst du dir etwa vor, wie du auf einer Wiese liegst und entspannt in die Wolken schaust, vergibst du eine Null. Denkst du daran, wie eine Spinne durch dein Zimmer läuft, steigt deine Angst vielleicht schon auf die fünfte oder sechste Stufe deiner Angst-Skala. Sitzt die Spinne in deiner Vorstellung auf deiner Hand, liegt deine Angst bei der Zehn.
Während dieser gedanklichen Übungen werden immer wieder Entspannungseinheiten eingebaut, damit dein Körper seine Angstreaktionen langsam abschwächt.
Bei der Exposition geht es etwas rabiater zu.
Hier erfolgt keine gedankliche Annäherung an die Spinne. Sie wird dir einfach direkt auf die Hand gesetzt. Unser Körper kann aber nicht ewig eine Angstreaktion aufrechterhalten. Deshalb musst du die Spinne so lange auf der Hand sitzen lassen, bis deine Angst nachlässt. Dabei ist es wichtig, dass dieser Punkt auch wirklich erreicht und überschritten wird. Brichst du vorher ab, kann deine Angst sich sogar noch verschlimmern.
Was wird bei der Tiefenpsychologie gemacht
Es gibt eine ganze Reihe von Ansätzen, die in der Tiefenpsychologie genutzt werden.
Funktionelle Entspannung, Autogenes Training oder die Hypnosepsychotherapie sind einige Beispiele.
Die Funktionelle Entspannung soll unbewusste und verdrängte Erfahrungen wieder zugänglich machen. Erreicht werden soll dies durch kleinste Bewegungen einzelner Gelenke und durch bewusstes Atmen. Diese körperlichen Prozesse sollen Einfluss auf die Psyche nehmen und so Blockaden auflösen. Ziel dieser Übungen ist die Verbesserung der körperlichen Wahrnehmungen und der Selbstwahrnehmung.
So sollen unter anderem auch Erinnerungen zu Tage gefördert werden, die sich noch auf die vorsprachliche Kindheit beziehen. Diese Methode findet sowohl bei psychosomatischen Erkrankungen als auch bei Angst- und Zwangsstörungen, Depressionen oder Schlafstörungen Anwendungen.
Beim Autogenen Training wird eine Tiefenentspannung durch Autosuggestion erreicht.
Damit ist gemeint, dass von außen (entweder vom Therapeuten oder einem Tonband) Ruhe vermittelnde Aussagen kommen. Diese soll dazu führen, dass sich der Patient mithilfe seiner eigenen Vorstellungskraft in einen tiefen Zustand der Entspannung versetzt. Diese Methode wird mittlerweile allerdings nicht mehr nur zu psychotherapeutischen Zwecken angewendet, sondern auch für andere Lebensbereiche. So kann es auch zu einer Verbesserung des Lernens oder zur allgemeinen Steigerung der Lebensqualität eingesetzt werden.
Auch die Hypnosepsychotherapie kann die Zugänge zum Unbewussten öffnen. Der durch den Therapeuten hervorgerufene Zustand der Trance kann dem Patienten helfen, in diesem entspannten Zustand an seinen Problemen zu arbeiten. Der Entwickler dieser Methode war Milton H. Erikson. Im Gegensatz zu Freud nahm er an, dass sich im Unbewussten nicht nur verdrängte Erinnerungen befinden. Stattdessen vermutete er im Unbewussten auch den Sitz von Kreativität und anderen Ressourcen.
In Deutschland werden die Kosten für zwei tiefenpsychologische Formen der Tiefenpsychologie von den Krankenkassen übernommen. Dabei handelt es sich um die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie.
Was bringt Tiefenpsychologie
An den Methoden der Tiefenpsychologie wird kritisiert, dass sie eine zu geringe wissenschaftliche Fundierung aufweisen.
Zwar werden sowohl in der Tiefenpsychologie als auch in der Psychoanalyse empirische Methoden angewendet. Jedoch merken die Kritiker an, dass diese Methoden nur schwer nachvollziehbar sind und auch kaum auf ihre Korrektheit überprüft werden können. Wie andere wissenschaftliche Theorien auch, müssen psychologische Theorien sich eigentlich an das Falsifikationsprinzip halten. Theorien müssen so formuliert sein, dass sie grundsätzlich widerlegt werden können.
Die Wirksamkeit der in Deutschland anerkannten tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie ist dennoch in mehreren Punkten belegt. Zum Beispiel konnten meta-analytische Untersuchungen zeigen, dass ein großer Therapieeffekt bei Persönlichkeitsstörungen vorliegt. Eine Meta-Analyse ist eine Untersuchung verschiedener Studien zu einem bestimmten Thema.
Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ist also durchaus ein Mittel zur Problembewältigung. Mithilfe des Therapeuten kann der Patient seine alten Einstellungen und Verhaltensweisen reflektieren und unter Umständen sogar ablegen. So gelangt der Patient zu neuen Sichtweisen auf seine momentane Situation und allein das kann manchmal bereits den Leidensdruck erheblich senken.
Zusammenfassung
- Das Menschenbild in der Tiefenpsychologie wird bestimmt durch unbewusste Kräfte, welche für den Menschen verborgen bleiben.
- Diese Kräfte können verbotene bzw. nicht zugelassene Wünsche und Antriebe sein. Aber auch unangenehme Ereignisse, Ängste bestimmen das Handeln des Einzelnen
- Diese Kräfte wirken sich auf das Individualverhalten und die Persönlichkeitsentwicklung aus, ohne dass der Betroffene dies merkt.
- Tiefenpsychologie soll dem entgegen wirken und die Kräfte sichtbar machen.
Tiefenpsychologische Richtungen sind vorallem:
- die Psychoanalyse und deren Weiterentwicklung als Ich-Therapie von Sigmund Freud.
- Objektbeziehungstheorie von Melanie Klein
- Selbstpsychologie von Heinz Kahut
- Individualpsychologie von Alfred Adler
- analytische bzw. komplexe Psychologie von Carl Gustav Jung
- Neopsychoanalyse von Karen Horney, Erich Fromm, Harald Schultz-Hencke und Harry Stack Sullivan
Literatur und Quellen
- Siegfried Elhardt: Tiefenpsychologie: Eine Einführung, ISBN 3170284568*
- Wolfgang Wöller (Hrsg.), Johannes Kruse (Hrsg.), Gerd Rudolf (Einl.): Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie: Basisbuch und Praxisleitfaden, ISBN 9783608432756*
- Verena Kast: Die Tiefenpsychologie nach C.G.Jung – Eine praktische Orientierungshilfe, ISBN 3843605580*
- Eva Jaeggi, Günter Gödde, Wolfgang Hagener, Heidi Möller: Tiefenpsychologie lehren – Tiefenpsychologie lernen, ISBN 9783608940602*
- Eugen Drewermann: Tiefenpsychologie und Exegese, Bd. 1: Die Wahrheit der Formen – Traum, Mythos, Märchen, Sage und Legende, ISBN 3530168556*
- Joseph Rieforth, Gabriele Graf: Tiefenpsychologie trifft Systemtherapie: Eine besondere Begegnung, ISBN 3525404549*