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Wahlblindheit: Beispiele, Nachweise, Experimente, Auswirkungen


Wahlblindheit (engl. choice blindness) erklärt das Phänomen, dass Menschen zwischen zwei Merkmalen eigentlich keinen Unterschied erkennen und dennoch eine Auswahl treffen, welche sie dann rational begründen.

Weitergehend führt dies dazu, dass die Menschen eine falsche bzw. schlechte Wahl dennoch verteidigen und als Erfolg ausgeben. Dabei werden Ungereimtheiten und Fehler des ausgewählten Objektes oder Sachverhaltes ausgeblendet bzw. untergeordnet. Denn dadurch ist es dem Wähler möglich, seine Entscheidung rational zu erklären.

Innerhalb der wissenschaftlichen Psychologie, insbesondere der Bewusstseinsforschung, wird dieses Phänomen untersucht, um festzustellen, wie sich Wirklichkeit und Realität des Einzelnen zusammensetzen.

Wahlblindheit: Bedeutung

Viele Menschen haben Lieblingsbücher, ein Lieblingsessen, einen Lieblingsfilm oder eine Lieblingsfarbe. Doch was wäre, wenn diese Präferenz lediglich zustande kommt, da vor einem bestimmten Zeitraum eine Wahl bzw. Entscheidung getroffen und im Anschluss rational begründet wurde. Dann ist der Lieblingsfilm lediglich so besonders, weil der Betroffene sich bewusst dazu entschieden hat.

Die Wahlblindheit ist ein Phänomen, welches durch selektive Aufmerksamkeit entsteht. Die menschliche Aufmerksamkeit ist dabei niemals unbegrenzt und richtet sich stattdessen wie eine Taschenlampe von einem Objekt zum nächsten. Nehmen wir etwas bewusst wahr, bedeutet dies – dass unsere Aufmerksamkeit gerade auf diesem Gegenstand oder Lebewesen lastet bzw. der Lichtstrahl darauf zeigt.

Durch diese Fokussierung und Konzentration auf einen ganz bestimmten Sachverhalt werden andere Merkmale ausgeblendet, überschattet und nur noch unbewusst wahrgenommen. Falls wir aus einer bestimmten Auswahl von Möglichkeiten eine herausstellen, lastet unsere ganze bewusste Aufmerksamkeit auf dieser Entscheidung.

Die Auswahl wird dabei emotional getroffen und später rationalisiert. Das bedeutet, dass der menschliche Verstand alle Entscheidungen auf einer emotionalen Ebene trifft. Unmittelbar nach der Auswahl wird diese Entscheidung allerdings rationalisiert und somit gerechtfertigt, um den inneren Kritiker dauerhaft zu überzeugen.

Einmal richtig überzeugt von etwas zu sein, bedeutet dann – dass Emotionen mit scheinbar rationalen Erklärungen verknüpft wurden, was zu einer enorm starken Wertvorstellung wird. Dieser Wert ist fast unumstößlich und kann allein durch gegenteilige Erklärungen nicht angegriffen werden. Denn alle neuen Argumente können lediglich die Rationalisierungsebene erreichen. Das Fundament der zurückliegenden Entscheidung bleibt allerdings die Emotion, welche schließlich die Grundlage der Entscheidung war.

Dies bedeutet, dass man Menschen mitunter nicht überzeugen kann, bestimmte Entscheidungen zu treffen oder diese zu überdenken. Denn Erklärungsversuche, welche auf die Entscheidungsumkehr abzielen, bedienen lediglich die Oberfläche der Entscheidung. Die darunterliegende Emotion wird nicht aktiviert bzw. angegriffen.

Und so kommt es, dass Menschen eine Entscheidung fällen – welche sich später als schlecht herausstellt. Allerdings verteidigen sie diese Entscheidungen nach innen (vor sich) oder außen (vor Mitmenschen). Sie finden zahlreiche Argumente, um diese Entscheidung als gut oder als notwendig auszugeben. Die Fehler und Unstimmigkeiten der schlechten Entscheidung bzw. Auswahl werden untergeordnet und die einst getroffenen Rationalisierungsgründe werden übergestellt.

Wahlblindheit an Beispielen erklärt

Angenommen du hast eine Lieblingsschokolade von einer bestimmten Marke. Du isst nur diese eine Schokolade und andere Sorten schmecken dir nicht.

Kannst du dir vorstellen, dass eine andere Schokolade, welche im Papier der Lieblingsschokolade eingewickelt wurde – genauso schmecken könnte? Du selbst kannst dies nicht an dir ausprobieren – da du den Schwindel dann kennst. Aber eine andere Person bemerkt dies mitunter nicht.

Dazu solltest du dieser Person die „falsche Schokolade“ verabreichen und gezielt danach fragen, welche Merkmale diese von anderer Schokolade so deutlich unterscheidet. Mitunter wird die Person dir eine Erklärung liefern, wie sich diese falsche Lieblingsschokolade von den anderen unterscheidet. Die Person bemerkt den Schummel nicht und wird die Merkmale, welche sie sonst an dieser Schokolade nicht mag, ganz besonders hervorheben.

Oder Menschen, welche nur Frischmilch trinken, da diese ganz besonders schmeckt – kann man ganz leicht H-Milch unterschummeln. Und wahrscheinlich bemerkt der Großteil der Feinschmecker den Schummel ebenfalls nicht. Falls diese Menschen dann die H-Milch trinken, werden diese ebenfalls Gründe anführen – welche eigentlich die Frischmilch betreffen sollten.

Konsequenzen und Auswirkungen der Wahlblindheit

In der Werbung und Produktplatzierung eröffnet die Wahlblindheit riesige Möglichkeiten. Man denke an Automarken, welche für ganz bestimmte Eigenschaften stehen. Oder an Kleidung, Parfum und High-Tech-Geräte, welche ganz besondere Merkmale versprechen. Haben wir uns einmal festgelegt, glauben wir an die Eigenschaften der Produkte und rechtfertigen diese Entscheidungen, obwohl andere Marken ähnlich oder besser sein könnten.

Aber auch in Beziehungen kommt es zur Wahlblindheit. So treffen wir irgendwann einen Partner und rechtfertigen unsere Entscheidung zum Auserwählten rational. Dieser Mensch verändert sich mitunter im Charakter, im Aussehen und auch in seiner Einstellung zu uns. Und eigentlich ist man dann mit einer völlig anderen Person zusammen, als zum Zeitpunkt der ursprünglichen Entscheidung.

Vielleicht ist die Partnerschaft auch nur noch einseitig oder für beide eine Last. Und dennoch werden Erklärungen zum weiteren Festhalten der Beziehung herangezogen, welche eigentlich nicht mehr zutreffend sind und stattdessen die anfängliche Beziehung betreffen.

Ein Alltagsbeispiel ist der Arbeitsplatz. Viele Menschen sind unzufrieden mit ihrem Job, welcher immerhin 8 Stunden täglich ausmacht. Und dennoch wurde diese Entscheidung bzw. die Auswahl nun einmal getroffen. Und falls jemand Fremdes nachfragt, wieso man sich 8 Stunden täglich quält – fallen dem Betroffenen enorm viele Rechtfertigungsgründe für seine tägliche Strapazen ein.

Dabei muss man sich vorstellen, dass dieser Mensch auch noch zur Arbeitsstelle hinfährt und vielleicht täglich 10 Stunden auf den Beinen ist, für eine Sache – welche er nicht will. Nochmal… Diese Person macht täglich 10 Stunden, also circa 40% ihres Tages, etwas – was sie nicht will.

Urlaub und Freizeit, also alles das was die Person eigentlich will, stellt sie hinten an und ordnet dies dem Zustand unter, welchen sie eigentlich abwenden bzw. loswerden will.

Die Wahlblindheit versperrt dieser Person das Umdenken. Denn die Wahl, dass man einer festen Arbeit nachgehen will, wurde irgendwann getroffen. Der Betroffene hat sich für Lohnarbeit, anstelle von Selbstständigkeit oder Beihilfe entschieden und rechtfertigt nun seine Entscheidung rational.

Dieser Person fallen tausend Gründe ein, wieso er weiter zur Arbeit gehen sollte. Ein Umdenken ist auch durch andere Alternativen nicht möglich, da diese immer entkräftet werden würden. Selbst wenn der Betroffene bei anderen Menschen sehen würde, dass diese ohne feste Arbeitsstrukturen glücklich sind – sucht der Verstand nach Rationalisierungen – weshalb dies beim Gegenüber was anderes als bei einem selbst.

Die eigene Wahlblindheit führt dazu, dass die Gründe für ein Weitermachen heraufgestuft und die Gründe für eine Umkehr herabgestuft oder als nicht durchsetzbar abgewimmelt werden.

Wahlblindheit und Rechtfertigungsdruck

Eine schlechte Entscheidung und deren Auswirkungen sorgen immer für einen Rechtfertigungsdruck. Dabei muss der Entscheider sich seinem inneren Kritiker stellen und manchmal auch gegenüber seiner Umwelt beharrlich auftreten. Diese Erklärungsversuche erzeugen inneren Druck, weshalb man zwingend nach Rechtfertigungen für die eigenen Entscheidungen sucht.

Dadurch werden weitere Rationalisierungsversuche unternommen und Gründe herangeführt, welche die eigene Entscheidung vertretbar machen. Und so entsteht bei besonders brisanten Themen, welche sich über Jahre halten, ein Gerüst aus Gründen, welche sich um die darunterliegende ursprüngliche Entscheidungsemotion spannen, diese verschließen und verteidigen. Dadurch wird es immer schwieriger an diese heranzukommen und diese aufzulockern.

Die Wahlblindheit und deren Konsequenzen bleiben somit länger erhalten und erhärten sich immer weiter. Irgendwann ist es fast unmöglich, diese zu überwinden – da so viele Rationalisierungsgründe die Ursprungsentscheidung unterstützen und verteidigen.

Experimente zur Wahlblindheit

Forscher der schwedischen Lund Universität unternahmen einige Experimente zur Wahlblindheit und deren Auswirkungen. Das Forscherteam um Lars Hall untersuchte dabei die Wahlentscheidungen von Personen in einem schwedischen Supermarkt.

Die Probanden des Experiments sollten verschiedene Teesorten und Marmelade probieren. Stillschweigend trafen die Teilnehmer eine Entscheidung, welche Sorte am besten schmeckte. Diese Entscheidung behielten die Probanden erst einmal für sich. Im zweiten Durchgang sollten sie noch einmal probieren und ihre Entscheidung direkt begründen.

Zwischen den Durchgängen tauschten Hall und sein Team die Deckel der Gläser aus, so dass die Teilnehmer nicht ihre ursprüngliche Marmelade aßen bzw. Tee tranken. Stattdessen befanden sie sich in einer Illusion.

Dennoch glaubten die Teilnehmer weiterhin, dass sie ihre ursprünglichen Lieblingsprodukte verzerrten. Sie begründeten ihre Entscheidung mit Aussagen wie: „Ich mag Honigtee“. Doch anstelle des Honigtees befand sich nun Zitronentee im Glas.

Circa 60% der 180 Teilnehmer bemerkten den Tausch nicht und führten Gründe für ihre Entscheidung an, welche eigentlich ganz andere Produkte betrafen.

Lars Hall führte bereits 2005 ein Experiment durch, bei welchem Teilnehmer Bilder von anderen Personen gezeigt wurde. Die Probanden sollten entscheiden, welche Person sie am attraktivsten finden.

Ähnlich wie im Supermarkt-Experiment wurden die Bilder vertauscht, bevor die Probanden ihre Gründe vorstellten. Und auch hier argumentierte eine größere Anzahl von Teilnehmern mit Gründen, welche eigentlich nicht dieses Bild betrafen.

Zusammenfassung

  • Die Wahlblindheit beschreibt ein Phänomen, bei dem die betroffene Person zwischen bestimmten Merkmalen nicht unterscheidet und dennoch eine Auswahl trifft, welche sie dann rational begründet.
  • Der rationale Grund für diese Entscheidung ist somit lediglich eine Illusion, um diese zu rechtfertigen.
  • Dennoch werden diese Gründe aufrechterhalten und verteidigt. Hingegen werden schlechte Konsequenzen einer Entscheidung heruntergestuft, um weiterhin der Illusion zu folgen, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Literatur

  • Martin Sauerland: Entscheidungen erfolgreich treffen: Entscheidungskompetenzen aufbauen und die Angst vor Fehlentscheidungen abbauen, ISBN 9783658187972*
  • Christopher Chabris, Daniel Simons: Der unsichtbare Gorilla: Wie unser Gehirn sich täuschen lässt, ISBN 3492053513*
  • Joseph Bikart: Die Kunst, Entscheidungen zu treffen: Von der Unentschlossenheit zur besten Wahl, ISBN 3730608835*
  • Daniel Kahneman: Schnelles Denken, langsames Denken , ISBN 3328100342*
  • Maja Storch: Das Geheimnis kluger Entscheidungen: Von Bauchgefühl und Körpersignalen, ISBN 3492264085*

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