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Binokularsehen: Stufen, Funktionsweise und Merkmale


Binokulares Sehen bedeutet: Sehen mit zwei Augen. Im Unterschied zum Binokularsehen gibt es das monokulare Sehen, das Sehen mit nur einem Auge. Der Mensch sieht binokular – und es ist eine fantastische, unglaublich komplexe Fähigkeit.

Was ist Binokularsehen?

Das Rechte und linke Auge werden durch sensorische und motorische Impulse gesteuert. Sie richten sich demnach auf ein ganz bestimmtes Objekt deiner Wahrnehmung aus. Beide Augen erfassen das Objekt und die Lichteindrücke, welches das anvisierte Objekt reflektiert, werden auf deiner Netzhaut geworfen. Diese leitet die Bildsignale an das Gehirn weiter, wo dann ein tatächliches Bild bzw. eine Seherlebnis entsteht.

Dass beide Netzhaut-Bilder zu einem Bild verschmelzen, liegt am sogenannten Fusionsreiz. Das Gehirn interpretiert beide Bilder als ein Bild und lässt diese verschmelzen.

5 Stufen des Binokularsehens

  • 1. Stufe: Monokularsehen ist das Sehen mit nur einem Auge
  • 2. Stufe: Alternierendes Sehen beschreibt die Sehfähigkeit beider Augen. Allerdings wechseln diese jeweils.
  • 3. Stufe: Simultansehen ohne Fusion ist das Sehen beider Augen. Der Fusionsreiz ist allerdings nicht ausgebildet, wodurch die Bilder nicht verschmelzen
  • 4. Stufe: Simultansehen mit Fusion bedeutet, dass beide Augen ein Bild empfangen. Die Bildsignale werden an das Gehirn weitergegeben. Die Fusion bzw. Verschmelzung beider Bilder findet statt.
  • 5. Stufe: Stereoskopisches Sehen ist die Möglichkeit während des Sehens eine Tiefe wahrzunehmen. Deshalb bezeichnet man diese Fähigkeit auch als räumliches Sehen.

Binokulares Sehen ermöglicht das räumliche Sehen

Durch das binokulare Sehen – das Sehen mit zwei Augen – bekommt dein Gehirn eine räumliche Vorstellung von der Umwelt. Jeder Raum hat drei Dimensionen: Länge, Breite und Tiefe. Die Netzhaut aber ist flach – also zweidimensional.

Die Raumwahrnehmung ist daher ein fundamentales Problem. Wie kann ich drei Dimensionen im Raum wahrnehmen, obwohl meine Netzhaut nur Informationen über zwei Dimensionen bekommt? Die erste Stufe und die erste Voraussetzung ist das Simultansehen. Das linke und das rechte Auge sehen gleichzeitig dasselbe Bild.

Das Simultansehen ermöglicht Hinweise auf die Tiefe des Raums durch zwei Augen

Dein Gehirn erhält von den Netzhäuten der beiden Augen zwei verschiedene Bilder. Das ist ganz wichtig, deshalb erkläre ich es genauer.
Deine Augen liegen horizontal (also waagrecht nebeneinander) im Kopf. Beim Erwachsenen beträgt der Abstand zwischen ihnen etwa 6,5 cm. Diesen Abstand nennt man Querdisparation. Deine beiden Augen sehen die Welt also aus leicht unterschiedlichen Positionen an. Es gibt kleine Differenzen in den Bildern auf der Netzhaut.

Du kannst das ausprobieren. Schau mal abwechselnd nur mit dem linken oder nur mit dem rechten Auge den Sprecher der Tagesschau an. Dessen Position wird sich leicht verändern, je nachdem, ob du das rechte oder das linke Auge benutzt. Diese Unterschiede in den Bildern der beiden Augen, benutzt das Gehirn, um ein 3D-Bild zu produzieren.

Zwei Bilder aus leicht unterschiedlichen Positionen – das ist das Konzept der retinalen Disparitäten. Retina ist das lateinische Wort für Netzhaut, Disparität ist der Unterschied. Wenn du mit einer Kamera zwei Fotos desselben Objektes machst – aber aus zwei leicht unterschiedlichen, horizontalen Positionen – dann bekommst du zwei Bilder. Deine Augen machen dies ebenfalls, senden die Bilder dann an dein Gehirn.

Man spricht hier von einer simultanen Sinneserfahrung, da das Gehirn beide Bilder gleichzeitig interpretiert.

Unterschiedliche Bilder

Dein Gehirn hat unterschiedliche Möglichkeiten, Tiefe wahrzunehmen. Dazu später mehr. Die Tiefenwahrnehmung, die rein und allein aus der retinalen Disparität (den unterschiedlichen Bildern deiner beiden Augen) entsteht, nennt man Stereopsis oder stereoskopisches Sehen. Das ist ein sehr spezieller Fall des räumlichen Sehens.

Wann sehen beide Augen keine unterschiedlichen Bilder?

Wenn das Objekt, das du anschaust, in beiden Augen auf dieselbe Stelle der Netzhaut projiziert wird, dann bekommt dein Gehirn zwei identische Bilder. Das klingt komplizierter als es ist.

Du hast zwei Augen und jedes Auge hat eine Netzhaut. Bei jeder Netzhaut gibt es in der Mitte einen Bereich, die sogenannte Fovea. In diesem Bereich siehst du besonders scharf. Die Fovea liegt bei beiden Augen direkt gegenüber vom Zentrum des Auges.

Würde man die beiden Augen übereinanderlegen, dann lägen die Bereiche der Fovea (wir nennen das Punkt F) genau übereinander. Man spricht dann von korrespondierenden (entsprechenden) Netzhautpunkten.

Fixierst du jetzt ein nahes Objekt im Raum, z.B. ein Wasserglas, dann fällt das Bild des Wasserglases in beiden Augen auf die Fovea. Das Gehirn bekommt zweimal das gleiche Bild, diesen Vorgang nennt man auch Fusion.

Was ist der Horopter?

Stell dir vor, das Wasserglas befindet sich auf einem Kreisbogen. Alle Punkte auf diesem Kreis – dem Horopter – befinden sich in der gleichen Entfernung von deinen Augen. Alle Punkte auf dem Horopter projizieren also auf korrespondierende Punkte der Retina.

Das ist wieder nicht ganz einfach zu verstehen. Also: Legst du beide Augen übereinander, dann liegen die beiden Punkte F genau übereinander.

Jetzt denke dir links vom Punkt F in der Netzhaut einen weiteren Punkt L und rechts vom Punkt F einen weiteren Punkt R. Auch diese Punkte – R und L – sind korrespondierende Punkte, sie befinden sich in beiden Augen in der Netzhaut an der gleichen Stelle.

Neben dem Wasserglas steht – auf der gedachten Kreisebene – eine Flasche. Die Flasche projiziert in beiden Augen auf Punkt R. Auf der anderen Seite des Wasserglases – auf der gedachten Kreisebene – steht ein Krug. Der Krug projiziert in beiden Augen auf Punkt L. Alle Objekte auf dem Horopter projizieren auf korrespondierende Punkte in der Netzhaut.

Auf allen Punkten des Horopters erhält das linke Auge die exakten Positionsinformationen, die auch das rechte Auge erhält. Es bestehen keinerlei Unterschiede (keinerlei Disparität) zwischen den Informationen.

Was ist mit Objekten außerhalb des Horopters?

Der Horopter entspricht nicht der realen Welt. Wenn du ein Wasserglas fixierst, sind davor und dahinter weitere Objekte. Also, nehmen wir an, vor dem Wasserglas steht ein Teller. Der Teller projiziert auf zwei nicht korrespondierende Punkte in der Retina.

Ebenso die Schüssel, die hinter dem Wasserglas steht. Sowohl der Teller vor dem Wasserglas als auch die Schüssel hinter dem Wasserglas projizieren auf zwei nicht korrespondierende Punkte in der Retina.

Der Teller vor dem Wasserglas befindet sich vor dem Horopter – der gedachten Kreisline. Diese Objekte bewirken eine sogenannte gekreuzte Disparität. Das nennt man so, weil man seine Augen kreuzen muss – du kennst das. Wenn du einen Punkt in der Ferne anschaust und dann ein Objekt, das deutlich näher an dir ist, musst du mit dem rechten Auge mehr nach links schauen und mit dem linken Auge mehr nach rechts. Das nennt man gekreuzte Disparität.

Objekte, die weiter weg sind als das Wasserglas projizieren ebenfalls auf unterschiedliche Stellen in der Netzhaut. Hier spricht man von ungekreuzter Disparität – auch das kennst du. Fixiere einen Punkt, und dann fixiere ein Objekt, das in der Ferne liegt. Dann muss das rechte Auge weiter nach rechts schauen, das linke weiter nach links. Deshalb nennt man das ungekreuzte Disparität.

Retinale Disparität entspricht binokularer Disparität.

Aus diesen Informationen erhält das Gehirn Tiefeninformation?

Richtig, aus diesen Informationen der versetzten Bilder berechnet das Gehirn den Raum. Die Objekte (der Teller, die Schüssel) fallen auf nicht korrespondierende Stellen der Netzhaut – also leicht zueinander versetzt.

Das Gehirn erkennt,

  • dass diese Objekte versetzt zueinander erscheinen,
  • dass der Betrachter die Augenmuskeln anspannt oder entspannt,
  • das Ausmaß, in dem diese Objekte versetzt zueinander erscheinen.

Daraus berechnet das Gehirn, wo sich die Objekte räumlich befinden (näher, weiter weg) und wie weit entfernt sie sind. Wahrnehmung ist also weitgehend ein interpretativer Vorgang. Das Gehirn muss die Informationen, deuten, die es bekommt.

Gibt es auch andere Tiefeninformationen?

Ja, es gibt auch Informationen über den Raum, die du mit nur einem Auge (monokular) wahrnehmen kannst. Bewegte Objekte zum Beispiel liefern dir Informationen über den Raum, sogenannte bewegungsinduzierte Tiefeninformationen.

Zum Beispiel…
Du sitzt im Zug und schaust seitlich aus dem Fenster. Die Objekte scheinen sich an dir vorbei zu bewegen und zwar unterschiedlich schnell. Das nennt man Bewegungsparallaxe. Das Gebüsch direkt am Bahndamm schießt mit hoher Geschwindigkeit an dir vorbei. Häuser, Bäume und Berge hingegen im Hintergrund scheinen sich nur sehr langsam zu bewegen.

Objekte, die näher an dir liegen (das Gebüsch am Bahndamm) scheinen sich entgegen deiner eigenen Bewegungsrichtung durch das Blickfeld zu bewegen. Objekte, die weiter entfernt liegen (ein Berg, ein Strommast) scheinen sich in dieselbe Richtung zu bewegen wie du.

Wozu brauche ich die Information über den Raum?

Das Tiefensehen hilft dir, dich problemlos in deiner Umwelt aufzuhalten: Werkzeug zu benutzen, einen Ball zu fangen oder über einen Graben zu springen. Wenn du ein Auge schließt, ist es z.B. schwieriger, gezielt nach einem Glas zu greifen. Tiefensehen funktioniert nur bei kurzen Distanzen.


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