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Was ist eine Negativauslese (Adverse Selektion): Definition und Bedeutung


Die Negativauslese bzw. Adverse Selektion ist ein Phänomen, wonach sich in einer Volkswirtschaft oder allgemein in einem Markt – in welchem die Teilnehmer nicht über den gleichen Informationsgehalt bzw. Wissenstand verfügen – negative Merkmale besser durchsetzen als positive. Normalerweise sollten die bestqualifiziertes Arbeitskräfte den Job bekommen und die besten Produkte sollten zuerst verkauft werden. Ähnlich, wie in der Evolutionstheorie nach Darwin und dessen Einzeltheorie der natürlichen Auslese, sollten sich die positive Merkmale stets durchsetzen und dem Hersteller signalisieren, wie sich Produkte weiterentwickeln lassen. Qualität setzt sich durch, oder? Die Negativauslese bzw. Adverse Selektion führt allerdings dazu, dass Produkte qualitativ immer schlechter werden oder Märkte zusammenbrechen können.

Was bedeutet Negativauslese bzw. adverse Selektion: Definition und Bedeutung

Bei “adverser Selektion” denkt man unwillkürlich an einen Ausdruck aus der Biologie, aber tatsächlich stammt er aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaft. Der Ausdruck beschreibt ein bestimmtes Verhalten an einem Markt, der zu einem Marktversagen führt.

In den Wirtschaftswissenschaften wird in der Regel mit Modellen gearbeitet, die für ihren jeweiligen Zweck optimiert sind. Eine Annahme in solchen Modellen ist oftmals die Gleichheit der am Markt erscheinenden Akteure. Beispielsweise wird davon ausgegangen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt gleich starke Positionen haben. Eine andere Annahme ist die, dass alle Wirtschaftssubjekte, die an einem Markt auftreten, gleich informiert sind. Solche Annahmen sind zwar unrealistisch, dienen aber zur Modellierung von Theorien. Mit dem zweiten Beispiel, den gleich informierten Marktteilnehmern, ist man bereits beim Thema der adversen Selektion angelangt.

Denn diese Theorie beschäftigt sich mit der Frage, was geschieht, wenn die Marktteilnehmer eben nicht über die gleichen Informationen verfügen. Dies ist ein recht neuer Forschungsansatz, dessen erste Ergebnisse erst im Jahr 1970 veröffentlicht wurden, und zwar vom 1940 geborenen amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler und Professor George Arthur Akerlof, der 2001 für seine Arbeit mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

Grundlage der adversen Selektion: Die Informationsasymmetrie

Die Situation, dass Marktteilnehmer unterschiedlich informiert sind, eine Seite also einen Wissensvorsprung gegenüber der anderen hat, wird in der Wirtschaftswissenschaft als “Informationsasymmetrie” bezeichnet. Die Wissenschaft unterscheidet hierbei zwischen einer solchen Asymmetrie, die erst nach dem Vertragsabschluss vorliegt, und einer, die vor dem Vertragsabschluss bestand.

Im ersten Fall spricht sie von “Moral Hazard” oder moralischem Risiko, im zweiten Fall liegt die “adverse Selektion” vor, die hier das Thema ist. Aber welche Folgen kann eine solche ungleiche Verteilung von Informationen haben?

Die Wirkungsweise der adversen Selektion am Beispiel des Konsummarktes

In der Praxis ist es zumeist der Anbieter einer Ware oder einer Leistung, der besser über das angebotene Produkt informiert ist als der Nachfrager, also der spätere Kunde.

Nehmen wir an, auf einem Markt werden zwei Produkte zu unterschiedlichen Preisen angeboten. Beide Produkte scheinen für den Nachfrager völlig identisch zu sein. Nur der Anbieter weiß, dass es tatsächlich einen Unterschied zwischen den Produkten gibt, nämlich bei der Qualität. Das teurere Produkt ist auch das bessere. Da der Nachfrager dies aber nicht wissen kann und er beide Produkte für gleichwertig hält, wird er sich beim Kauf für das billigere der beiden Produkte entscheiden. Also für das schlechtere. Das bessere Produkt kann der Anbieter nicht verkaufen.

Es geht noch weiter…
Denn in der Praxis gibt es auf einem Markt nicht nur je einen Anbieter und Nachfrager, sondern viele. Aber alle verhalten sich so wie oben beschrieben. Die Kunden kennen die qualitativen Unterschiede der Produkte nicht und halten sie daher im Durchschnitt für gleichwertig. Sie beachten daher nur die Preise. Aus der Vielzahl der angezeigten Verkaufspreise bilden sie einen durchschnittlichen Preis, zu dem sie höchstens bereit sind, zu kaufen. Dieser Preis wird in der Wirtschaftswissenschaft als “Reservationspreis” oder “Vorbehaltspreis” bezeichnet.

Einen solchen Reservationspreis haben auf der anderen Seite auch die Verkäufer. Für sie ist es der Mindestpreis, zu dem zu verkaufen sie bereit sind. Der ist bei den Anbietern der schlechten Produkte niedriger als bei denen, die die besseren Produkte anbieten.

Da die schlechteren Produkte nun aber billiger sind als der Reservationspreis der Kunden, die ja aber nicht wissen, dass die Produkte schlechter sind, werden diese die schlechteren Produkte kaufen. Für die Anbieter der schlechten Ware ist dies ein gutes Geschäft, denn ihr Reservationspreis ist ja niedriger als der Preis, den der Kunde maximal zu zahlen bereit war und den er nun tatsächlich gezahlt hat.

Das Nachsehen haben die Anbieter der guten Produkte, die ihren Reservationspreis nicht so weit senken können, dass er für die Kunden interessant wird.

Aber das Nachsehen haben aber auch die Kunden. Denn die haben ja nun ein vergleichsweise schlechtes Produkt erworben, obwohl sie bereit gewesen wären, für bessere Ware einen etwas höheren Preis zu zahlen, wenn sie denn überhaupt gewusst hätten, dass es auf dem Markt bessere und schlechtere Produkte gab.

Im Laufe der Zeit entsteht aufgrund ungleich verteilter Information an dem Markt auf diese Weise die Situation, dass die qualitativ besseren Produkte sich gar nicht verkaufen lassen und sie gemeinsam mit ihren Anbietern vom Markt verdrängt werden. Langfristig werden auf diesem Markt also nur noch schlechte Produkte angeboten. Da sich der Prozess immer wiederholt – bereits schlechte Ware wird von noch schlechterer verdrängt, der Reservationspreis der Kunden sinkt und so weiter – , kommt es zu einer immer weiteren Verschlechterung der Produktqualität am Markt.

Wären alle Kunden über die unterschiedlichen Qualitäten informiert gewesen, dann hätten alle Anbieter und Produkte auf dem Markt überleben können, denn die Kunden hätten dann bei ihrer Kaufentscheidung neben dem Preis noch ein weiteres Entscheidungskriterium zur Verfügung gehabt, und sie hätten bewusst zwischen verschiedenen gewünschten Qualitäten und akzeptablen Preisen wählen können. So aber versagt der Markt.

Der bereits erwähnte George Arthur Akerlof hat zur Beschreibung dieses Prozesses den Gebrauchtwagenmarkt als Beispiel gewählt. Schlechte Gebrauchtwagen werden in den USA “Lemons” (Zitronen) genannt, weshalb das Problem als das “Lemons-Problem” bekannt geworden ist. Dieses wird zum Beispiel auch in der Spieltheorie gern als Beispiel verwendet und untersucht.

Wie oben erwähnt, liegt bei der adversen Selektion der Wissensvorsprung in aller Regel bei den Anbietern einer Ware oder Dienstleistung. Das Problem gibt es auch in der Form, dass die Kunden über Informationen verfügen, die den Anbietern nicht bekannt sind.

Negativauslese am Beispiel der Krankenversicherung

Der Anbieter der Versicherung weiß nichts über den Gesundheitszustand seiner potentiellen Kunden. Die hingegen wissen sehr wohl, ob sie bereits mehrere Herzinfarkte hatten und stark rauchen, oder ob sie gesund sind und sich vorbildlich ernähren und Sport treiben (aber keinen gefährlichen!).

Wenn der Anbieter der Versicherung nun seinen Reservationspreis bildet, geht er dabei von angenommenen Durchschnitten aus. Dieser Preis wird irgendwo zwischen den Kosten zustande kommen, die die Gesunden im Jahr für ihre Gesundheit ausgeben, und den Kosten, die bei den Kranken anfallen. Jedenfalls wird er zu hoch sein, um die gesunden Kunden anzusprechen, und diese werden folglich keine Versicherung kaufen. Interessant ist der Preis hingegen für die kranken Kunden. Die werden sich versichern lassen, denn die Versicherung ist ja billiger als der Preis, den sie bisher pro Jahr für Behandlungen und Medikamente ausgegeben haben. Er liegt unter ihrem Reservationspreis.

Durch die für die Versicherung nun entstehenden unerwartet hohen Kosten kann sie bald den Preis nicht mehr halten, und sie muss ihn anheben. Dadurch wird die Versicherung für die gesunden Kunden noch unattraktiver. Aber auch immer mehr kranke Kunden werden ihr Interesse an der Versicherung verlieren oder sie sich nicht mehr leisten können, und sie werden sie kündigen. Langfristig wird diese Versicherung aus dem Markt ausscheiden. Auch hier kommt es also am Ende zu einem Marktversagen und somit zu einer Situation, die für Anbieter und Nachfrager gleichermaßen unerwünscht ist. Denn auch, wer sich versichern will, kann es nicht mehr, da es die Versicherung nicht mehr gibt.

Adverse Selektion am Arbeitsmarkz

Auch am Arbeitsmarkt kommt es zu adverser Selektion. Denn die Anbieter, also die Arbeitnehmer, die ihre Arbeitskraft verkaufen wollen, kennen ihre Qualifikationen, ihre Stärken und Schwächen. Die Nachfrager, also die Arbeitgeber, kennen diese nicht. Auf der Grundlage dieser Informationsasymmetrie entwickeln die Arbeitgeber ihre Gehaltsvorstellung. Zu diesem Gehalt sind die besser qualifizierten Arbeitnehmer aber nicht bereit, zu arbeiten. Tendentiell werden die Arbeitgeber vor allem schlechter ausgebildete Arbeitskräfte einstellen. Dies schadet den Arbeitgebern, aber auch den gut qualifizierten Arbeitnehmern.

In Nachschlagewerken finden sich mitunter etwa auch Wettbewerbe zwischen Staaten mit unterschiedlichen Steuer- oder Sozialsystemen als Beispiele. Hier wandern Personen oder Unternehmen in den für sie günstigeren Staat ab. Da dies aber reine Verdrängungswettbewerbe sind, denen keine Informationsasymmetrie zugrunde liegt, die jedoch zur Definition der adversen Selektion gehört, sind diese Beispiele eher unglücklich gewählt beziehungsweise nicht zutreffend.

Signalling und Screening sollen Adverse Selektion verhindern

Die adverse Selektion schadet sowohl den Anbietern als auch den Nachfragern von Produkten, seien es Waren oder Dienstleistungen. Es gilt also, sie zu verhindern. Da die Grundlage adverser Selektion die ungleich verteilte Information ist, lässt sie sich vor allem durch Verbesserung dieser Information vermeiden.

Die Wirtschaftswissenschaft spricht hier von Modellen, die sie “Signalling” und “Screening” nennt. Beim Signalling weist, um auf Akerlofs Beispiel vom Gebrauchtwagenmarkt zurückzukommen, der Anbieter guter Gebrauchtwagen darauf hin, dass seine Autos eine gute Qualität haben. Dies kann er zum Beispiel tun, indem er mit Qualitätszertifikaten wirbt. Der Anbieter schlechter Wagen würde ein solches Zertifikat für seine Autos nicht bekommen. Hier sendet das Zertifikat also das Signal aus, nach dem der Kunde die unterschiedlichen Qualitäten der angebotenen Wagen unterscheiden kann.

Solche Zertifikat verursachen Kosten, die der Anbieter der schlechten Autos nicht tragen kann. Aber auch der Verkäufer der guten Gebrauchtwagen wird diese Zertifikate nur ausstellen lassen, wenn seine Vorteile am Markt die Nachteile durch diese Kosten überwiegen.

Im Graubereich zwischen Signalling und Screening liegen beispielsweise Garantiepakete, mit denen der Anbieter guter Gebrauchtwagen werben kann und die später auch Bestandteil des Kaufvertrages werden. Der Anbieter weiß, dass er das Risiko eingehen kann, ein solches Paket anzubieten. Der Verkäufer der schlechteren Autos weiß, dass er dies nicht kann, denn das finanzielle Risiko wäre für ihn zu hoch.

Ein Beispiel für das Screening, also das Filtern, sind die von Versicherern angebotenen unterschiedlichen Verträge mit unterschiedlich hohen Selbstbeteiligungen. Ein gesunder Kunde wird hier eher eine Teilversicherung mit Selbstbeteiligung wählen. Dies minimiert das Risiko für die Versicherungsgesellschaft, gleichzeitig ist die Gefahr für den Kunden überschaubar. Ein kranker Kunde hingegen wird die Kosten der Selbstbeteiligung scheuen und sich eher für die Vollversicherung entscheiden, was wiederum das Risiko für die Versicherung senkt, da solche Vollversicherungen erheblich teurer sind.

Gleichzeitig versuchen Versicherungen, ihren Informationsnachteil so weit wie möglich zu verringern, indem sie den Kunden vor Vertragsabschluss dazu verpflichten, so viele Informationen wie denkbar über ihren Gesundheitszustand und ihren Lebensstil offenzulegen. Risikokunden kann die Versicherung dann ablehnen, bestimmte Risiken von der Deckung ausschließen oder bei falschen Angaben den Vertrag kündigen.

Natürlich kann auch der Staat steuernd eingreifen, um das Risiko der adversen Selektion zu verringern. So kann er etwa die Gebrauchtwagenhändler dazu verpflichten, bestimmte Angaben zu machen oder Garantien zu übernehmen. Im anderen Beispiel kann er eine Versicherungspflicht erlassen, bei der Kunden versichert sein müssen und Versicherungsunternehmen verpflichtet sind, die Versicherung zu übernehmen. Hier kommt es dann immer zu einem Vertragsabschluss, auch wenn die Informationsasymmetrie weiterbesteht.


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