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Kulturgen: So funktioniert Kulturelle Vererbung und kulturelle Verbreitung


Gibt es ein Kulturgen bzw. eine kulturelle Vererbung?
Kulturen gibt es schon so lange es Menschen gibt beziehungsweise seit Gemeinschaften zwischen Menschen existieren. Mit dem Begriff Kultur verbindet man fast automatisch Dinge wie Musik, Tanz oder Malerei. Doch eine Kultur geht noch weit darüber hinaus.

Es handelt sich um ein Orientierungssystem, an dem sich die Mitglieder einer bestimmten Gesellschaft ausrichten. Dieses System beinhaltet Grenzen, Glaubenssätze und Werte, die das Zusammenleben regeln.

Die Kultur, in die wir hineingeboren werden, prägt uns enorm.
Sie beeinflusst unser Denken, unser Handeln und unsere Wahrnehmung. Doch dieser Einfluss ist nicht nur einseitig. Denn jeder einzelne Mensch beeinflusst ebenfalls die Kultur der Gemeinschaft, welcher er angehört.

Kulturen sind also nicht statisch.
Sie verändern sich jedes Mal ein wenig durch die neuen Ideen einzelner Personen der Gemeinschaft. So lassen sich Phänomene wie Sprachwandel oder Veränderungen in Religionen erklären.

Sind Gefühle, Ängste und Einstellung durch Gene vererbbar?

Ob bestimmte Persönlichkeitseigenschaften und Emotionen genetisch vererbt werden, ist nicht so leicht zu beantworten.

Unsere Gene legen Merkmale wie die Farbe unserer Augen und Haare oder unsere Körpergröße fest.
Auch die Anfälligkeit für verschiedene Krankheiten werden über die Gene von einer Generation an die nächste weitergegeben.

Doch wie sieht es mit der Vererbung von Gefühlen oder Einstellungen aus?
Die genetische Veranlagung jedes Einzelnen hat auch einen Einfluss auf dessen Denken und Fühlen. Man könnte auch sagen, auf seine Psyche. Allerdings ist es schwierig zu bestimmen, wie groß der genetische Einfluss ist und welche Rolle die Umwelt spielt. Immerhin werden wir auch in unserem Denken und Handeln durch unsere Erziehung und unsere Sozialisierung geprägt.

Ein interessanter Aspekt in der Frage, ob nun die Gene oder die Umwelt uns mehr beeinflussen, ist die Epigenetik. Dabei geht es darum, dass bestimmte Umweltfaktoren Auswirkungen auf die Aktivität von Genen haben können. Umwelteinflüsse aktivieren oder deaktivieren bestimmte Gene, die zum Beispiel für Krankheiten zuständig sind. Aber auch das Verhalten wird beeinflusst.

Erlernt oder geerbt?

Experimente mit Mäusen zeigten, dass sich die Verhaltensweisen der Mäusemutter auf die Jungen übertragen.

Und zwar auch dann, wenn keine genetische Verbindung vorliegt.
Untersucht wurden Mäuseweibchen, die sich wenig um ihre Jungen kümmerten und solche, die sehr intensiv für ihren Nachwuchs sorgten. Die Jungen gehen als erwachsene Tiere dann in gleicher Weise mit ihrem Nachwuchs um. Die Jungen der liebevollen Mütter sorgten sich also ebenso liebevoll um ihren eigenen Nachwuchs. Die Mäuse, die wenig Zuneigung von ihren Müttern erfahren haben, waren selbst auch nicht sehr liebevoll im Umgang mit ihren eigenen Jungen.

Die Forscher wollten herausfinden, ob diese Verhaltensweisen genetisch vererbt werden oder erlernt sind.
Dazu ließen sie die Jungen jeweils von einer fremden Mutter aufziehen, die sich genau gegenteilig zur leiblichen Mutter verhielt. Es zeigte sich, dass die Jungen jeweils die Verhaltensweisen der Adoptivmutter übernahmen und später auch dementsprechend mit ihren eigenen Nachkommen umgingen. Allerdings übertrugen sich zusammen mit dem liebevollerem Pflegeverhalten auch noch weitere Verhaltensweisen.

Mäusekinder mit liebevolleren (Adoptiv-)Müttern waren weniger stressanfällig und ängstlich sowie wesentlich neugieriger als die Jungen von Müttern, welche sie weniger umsorgten. Verantwortlich für ein höheres Stresslevel war die verringerte Ausbildung von bestimmten Rezeptoren im Gehirn der Jungen von weniger fürsorglichen Müttern.

An diese Rezeptoren bindet normalerweise ein Protein, das für den Abbau von Stresshormonen zuständig ist. Kann das Protein nicht an dem Rezeptor andocken, werden die Stresshormone folglich nicht abgebaut. Die Stresshormone bleiben daher länger im Blut, was sich in einem schreckhafteren Verhalten der Mäuse äußert.
Wie die Mäuse mit ihrem eigenen Nachwuchs umgehen, ist also nicht vererbt. Die Umwelteinflüsse bzw. das erlernte Verhalten waren hier ausschlaggebend.

Doch nicht nur beim Verhalten von Mäusen ist die Epigenetik relevant.
Ein Beispiel beim Menschen ist die Ausbildung von Allelen auf einem Gen, das für den Transport von Serotonin zuständig ist. Unter einem Allelen versteht man verschiedene Ausprägungsformen eines Gens.

Das besagte Gen liegt in Form von zwei Allelen vor und mildert normalerweise den negativen Effekt stressvoller Erfahrungen auf Depressionen ab. Bestimmte Umwelteinflüsse führen dazu, dass eins oder zwei der kurzen Allele kopiert werden. Bei Personen mit dieser Allelausprägung liegen mehr depressive Symptome und eine höhere Suizidalität vor, als bei Personen mit zwei Kopien des langen Allels.

Weiße Hai Mythos

Kulturelle Inhalte beeinflussen das Denken und Verhalten.
Der Film „Der Weiße Hai“ von Steven Spielberg löste bei vielen Zuschauern eine verstärkte Angst vor Haien aus.

Der Hai nimmt in diesem Film die Rolle eines menschenfressenden Monsters ein.
Er steht für das Böse. Damit wird eine Urangst im Menschen angesprochen. Der Mensch hat Angst vor dem Unbekannten. Man weiß immerhin nicht, was sich in der Dunkelheit der Wellen verbergen kann. Beim Gedanken an die schwarze Tiefe des Meeres stellt sich bei den meisten daher ein unbehagliches Gefühl ein.

Und das nicht zu Unrecht, denn Haie können dem Menschen durchaus gefährlich werden.
Jedoch in die Wahrscheinlichkeit eines Haiangriffs ziemlich gering und in den meisten Fällen lassen Haie schnell wieder von ihren menschlichen Opfern ab. Da meistens Surfer zu den Opfern zählen, verwechseln die Haie vermutlich die Silhouette des Surfers mit der einer Robbe und schnappen zu. Allerdings bemerken sie scheinbar recht schnell den Irrtum. Menschen gehören eben nicht zur Beute von Haien.

Taucher berichten auch häufiger davon, dass sie von Weißen Haien beobachtet werden.
Die Haie reagieren nicht aggressiv auf die Taucher, sondern scheinen sie neugierig zu untersuchen. Zwar kommt es manchmal auch zu Angriffen auf Taucher, jedoch belaufen diese sich meistens nur auf ein Festhalten. Die Haie wenden nicht die tödlichen Bisse an, die bei ihrer Beute zum Einsatz kommt.

Das Bild vom blutrünstigen Weißen Hai hat sich dennoch stark in die Köpfe der Zuschauer des gleichnamigen Films von Spielberg eingebrannt. Und dieses Angstbild breitete sich erfolgreich aus. So nehmen Menschen, in der westlichen Welt, einen weißen Hai als den Inbegriff des Monsters wahr. Der Hai sieht für diese Menschen schon furchterregend, feindlich und monströs aus. Dabei sieht er eigentlich aus, wie jedes andere Tier.

Der Film hat allerdings das Bild des Haies in unserem Kopf sehr stark verändert.
Es liegt jetzt, aufgrund der negativen Erfahrungen (Film), ein anderes kognitives Schemata vor und dieses überlagert das eigentlich Äußere vom Hai. Und dieses schlechte Bild wird von Generation zu Generation weiter vererbt.

Einen Hinweis auf den kulturellen Ursprung vom Weißen Hai als Monster findet man zum Beispiel im Pazifikraum. Auf den Fidschi-Inseln genießt der Hai ein hohes Ansehen.

Das schlechte Image des Weißen Hais in der westlichen Welt führte leider nicht nur zu einer höheren Angst beim Menschen. Da die Menschen ihn nun verstärkt als Bedrohung ansahen, stieg auch die Zahl der der Menschen getöteten Haie. So machten sie nun im größeren Umfang Jagd auf die Tiere.

Wie verbreiten sich Kultur, Einstellungen, Moral und Werte in einer Gemeinschaft?

Kultur dient als Leitfaden für eine Gemeinschaft und entwickelt sich stetig weiter.
Die Weitergabe von kulturellen Einstellungen und Werten erfolgt sowohl zwischen den Generationen als auch innerhalb derselben Generation.

Kulturelle Inhalte werden nicht nur durch Medien und Kommunikation verbreitet, sondern auch in Gesetztestexten festgehalten. Daher gibt die Kultur ebenfalls vor, wie man sich in der Gemeinschaft zu verhalten hat. Die Entwicklung von Moral ist allerdings nicht nur an die kulturellen Einflüsse gekoppelt, sondern hängt auch stark mit der eigenen Entwicklung zusammen.

Was sollte Heinz tun?

Eine Theorie zur Moralentwicklung stammt vom Psychologen Lawrence Kohlberg.
In seinem Stufenmodell geht er davon aus, dass Moral sich im Zusammenhang mit den vorherrschenden Bedürfnissen in der jeweiligen Stufe ausbildet.

Auf der ersten Stufe der moralischen Entwicklung geht es lediglich um das Vermeiden von Bestrafungen.
Die darauffolgende Stufe beinhaltet eine Art Kosten-Nutzen-Kalkulation. Die Gründe für moralisches Verhalten sind hier also nicht mehr ausschließlich das Vermeiden von Strafe, sondern die Aussicht auf eine Belohnung.

Hinzu kommt noch eine Form von Gegenseitigkeit.
„Auge um Auge“ ist auf dieser Stufe ein Orientierungspunkt für das Empfinden von Gerechtigkeit. Die ersten beiden Stufen bestehen daher vor allem aus der Orientierung am eigenen Vorteil.

In den nächsten Stufen orientieren Kinder sich an den gesellschaftlichen Vorgaben.
Sie wollen brav sein, um akzeptiert zu werden. Sie befolgen Regeln, um keine Rüge von Autoritäten zu bekommen. All diese Entwicklungsschritte entwickeln sich bis zu einem Alter von ungefähr dreizehn Jahren.

Allerdings folgen noch weitere Stufen, die sich nicht mehr an Autoritäten orientieren, sondern an Werten und Prinzipien. Hier haben etwa Ethik und das Wohl der Gesellschaft einen bestimmenden Stellenwert.

Kohlberg nutzte das sogenannte Heinz-Dilemma, um die aktuelle moralische Stufe seiner Versuchsteilnehmer zu bestimmen. Dabei handelt es sich um die Geschichte eines Mannes namens Heinz, dessen Frau schwer erkrankt ist. Ein Apotheker hat zwar ein Heilmittel entwickelt, will es aber nur zu einem viel zu hohen Preis verkaufen. Heinz will seiner Frau das Leben retten, kann aber nicht genug Geld für das Mittel auftreiben.

Die Versuchsteilnehmer sollen die Frage beantworten, ob Heinz das Mittel stehlen sollte, um seine Frau zu retten. Die Antworten unterscheiden sich dann danach, auf welcher moralischen Stufe eine Person steht. Ist der Diebstahl immer noch moralisch verwerflich, wenn dadurch ein Leben gerettet wird?

Wodurch wird unser Moralempfinden beeinflusst?

Sowohl Kultur als auch unsere eigenen Erfahrungen spielen eine Rolle.
Das Konzept von Kohlberg ist schwer an Altersangaben festzumachen, da nicht alle Menschen auch sämtliche Stufen durchlaufen. Außerdem ist das moralische Urteil zusätzlich kulturell geprägt.

So zeigt sich in Studien zur Hilfeleistung ein Unterschied zwischen westlichen und östlichen Kulturen. Westliche Kulturen sind eher individualistisch ausgelegt. Das Individuum steht hier also im Mittelpunkt. Bei kollektivistisch geprägten Kulturen hingegen hat die Gemeinschaft den Vorrang. Diese Form findet sich eher im östlichen Raum.

Untersuchungen zeigten, dass Hilfsbereitschaft in den individualistisch geprägten USA weniger stark gezeigt wird als in einem eher kollektivistischen Land, wie zum Beispiel Indien.

Doch nicht nur die Kultur beeinflusst das moralische Empfinden.
Auch die eigene Vergangenheit spielt eine Rolle. Das zeigte eine Studie von Posada & Wainryb im Jahr 2008. Sie befragten Kinder und Jugendliche, die mit Gewalt aufgewachsen waren, in Bezug auf moralische Urteile.

Bei allgemein formulierten Fragen gaben sie Antworten, die gesellschaftlich akzeptiert sind.
So befanden sie zum Beispiel das Stehlen prinzipiell für falsch. Doch sobald eine Frage einen Hinweis auf Rache beinhaltete, hielten sie den Diebstahl für gerechtfertigt.

Gibt es so etwas wie ein Kulturgen, welches von Erwachsenen auf Kinder vererbt wird?

Ein spezielles Gen, welches eine bestimmte Kultur weitervererbt, ist zumindest im biologischen Sinne eher unwahrscheinlich. Allerdings gibt es die sogenannte Memtheorie.

Meme werden vom Evolutionsbiologen Richard Dawkins mit Genen verglichen.
Das heißt, ein Mem könnte als eine Art Kulturgen verstanden werden.

Aber was sind Meme?
Dawkins bezeichnet zum Beispiel Ideen oder Melodien, aber auch Modetrends und Gedanken als Meme. Aufgrund der angeblich ähnlichen Funktionen von Memen und Genen, bezeichnet Dawkins Meme als Replikatoren. Das bedeutet, dass diese sich immer weiter verbreiten. Allerdings anders als Gene das tun.

Gene vermehren sich innerhalb eines Genpools mittels der biologischen Fortpflanzung.
Ein Gen wird von einer Generation an die nächste weitergegeben. Die Gene der Eltern werden also auf deren Kinder übertragen. Meme allerdings vermehren sich schneller. Sie springen von einem Gehirn zum nächsten und werden nicht durch die biologische Fortpflanzung weitergetragen. Stattdessen vermehren sie sich durch Bücher, Vorlesungen oder Gespräche.

Da sich Meme wie Gene verhalten, unterliegen sich laut Dawkings ebenfalls Selektions- und Evolutionsprozessen. Werden zum Beispiel Ideen durch eine Person verändert, findet eine Art Mutation statt. Die „mutierte“ Idee wird dann in diesem veränderten Zustand an eine andere Person weitergegeben.

Die Memtheorie ist allerdings sehr umstritten.
Besonders die Psychologie, Sozial- und Kulturwissenschaften bemängeln, dass die Begriffe nicht klar genug definiert sind. Eine klare Definition ist allerdings wichtig, um eine Theorie überprüfen zu können. Sind theoretische Konzepte nur sehr vage gehalten, ist es nicht möglich sie zu untermauern oder zu widerlegen. Außerdem werden Ergebnisse aus der psychologischen und sozialwissenschaftlichen Forschung in der Memtheorie nicht berücksichtigt und ein Erkenntnisgewinn wird angezweifelt.


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