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Der Nabel der Welt in Religion, Kultur, Mythologie von damals bis heute


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Grabeskirche in Jerusalem als ein Nabel der Welt

Der Nabel der Welt ist eigentlich ein Ort, welcher das Zentrum der Zivilisation darstellt. Je nach Glauben, Vorstellung, Ideologie, Religion und Mythologie befand sich der Nabel der Welt – während der Menschheitsgeschichte – schon an vielen Orten. Die Idee vom Großreich, Weltstaat und Supermacht mit einem Zentrum, welches alles kontrolliert – existierte bereits in der Antike.

Im heutigen Katholizismus ist die Grabeskirche in Jerusalem der Nabel der Welt. Das Konzept des Weltennabels hielt auch Einzug in der Philosophie und Psychologie und beschreibt dort, das Weltbild eines Menschen, welcher sich selbst im Weltmittelpunkt sieht. In der Tiefenpsychologie, welche auf die Instanzen des Bewusstseins, Unbewusstsein und Vorbewusstsein aufbauen und aus dem Sigmund Freud das Strukturmodell der Psyche von dem Ich, dem Es und dem Überich formte, spielt der Nabel der Welt ein bedeutende Rolle.

Was bedeutet Nabel der Welt: Definition und Bedeutung

Das Wort „Nabel“ stammt vom althochdeutschen Wort „nabalo“ ab. Nabalo ist mit dem ebenfalls althochdeutschen Wort naba verwandt, das (Rad)nabe bedeutet. Die Verwandtschaft der beiden Wörter erklärt sich über ihre Herkunft. Denn das althochdeutsche nabalo lässt sich auf das germanische nab(u)lon zurückführen. Seine indogermanische Sprachwurzel lautet nobh- und bedeutet sowohl Nabel als auch Nabe. Ebenso verhält es sich mit „Omphalos“, dem griechischen Wort für Nabel. Seine indogermanische Wurzel ist ombh- und ebenso wie nobh- ist es sprachlich verwandt mit der (Rad)nabe.

Dass Menschen und auch Säugetiere, wenn sie zur Welt kommen, an einer Nabelschnur mit der Mutter bzw. der Plazenta verbunden sind, hat im Altertum dazu geführt, dass dem Bauchnabel eine besondere Bedeutung zugeschrieben wurde. Die Nabelschnur wird abgetrennt, zurück bleibt der Nabel. Er ist das Symbol der Verbundenheit mit der Mutter, ohne die es kein Leben geben würde. Die Nabelschnur hat eine nährende Funktion. Der Nabel wurde schon früh und in allen Kulturen zu einem Symbol der Verbundenheit des Lebens mit der nährenden Mutter Erde.

Der Nabel wurde künstlerisch nachgebildet. Er symbolisierte den Punkt, an dem sich die irdische mit der unter- und überirdischen Welt berührt. Durch den Nabel berührte sich die Welt der Geister und Götter mit der menschlichen und durch ihn hindurch mit der unterirdischen Welt der Verstorbenen. Natürliche Gegebenheiten wie etwa ein Berg, ein Fels oder ein Baum wurden als Nabel, als Weltachse oder als Nabe des Weltenrades betrachtet. Die Menschen errichteten an diesen besonderen Orten besondere Tempel oder heilige Areale. Es waren die sakralen Weltmittelpunkte.

Wo befindet sich der Nabel der Welt

Der Nabel der Welt ist nichts anderes als der Weltmittelpunkt, das Zentrum der Welt, wo alles begann und auf das sich alles Mythische konzentriert. Weltmittelpunkte gab es weltweit in allen Kulturen. Sie sind auch ein Ausdruck des Ethnozentrismus, dem Menschen unterliegen, wenn sie sich und ihre soziale Gruppe, der sie sich zugehörig fühlen, für den Mittelpunkt von allem halten. Aus diesem Grund gibt es nicht nur einen einzigen Weltmittelpunkt, sondern ziemlich viele. Der Islam beispielsweise sieht im „Schwarzen Stein“ der Kaaba sein Weltenzentrum. Das Christentum hat seinen Nabel der Welt im Katholikon der Grabeskirche in Jerusalem. Weitere Beispiele:

Der Nabel der Welt im antiken Griechenland

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Omphalos-Stein im archäologischen Museum in Delphi, Bildquelle: Michael Paschos / Shutterstock.com

Der Omphalos-Stein von Delphi war Weltmittelpunkt im antiken Griechenland. Omphalos bedeutet ins Deutsche übersetzt „Nabel“. Dieser Stein, möglicherweise war es ein Meteorit, wurde im 7. Jhd. v. Chr. im Apollon-Tempel von Delphi aufgestellt und verehrt. Der Sage nach war es Zeus, der das Zentrum der Welt im Tempel von Delphi ermittelte. Zeus entsandte zwei Adler, die zur gleichen Zeit und mit gleicher Geschwindigkeit von den beiden Enden der Welt, vom äußersten Osten und äußersten Westen, starten und zum jeweils anderen Ende fliegen sollten. Über dem Areal des Delphi-Tempels begegneten sie sich auf ihren Flugbahnen und ließen einen Stein fallen. Genau hier platzierte Zeus den Omphalos-Stein als den Nabel der Welt.

Der Weltennabel im Römischen Reich

Umbilicus urbis nabel der welt

Umbilicus urbis ist eine Tempelanlage, welche sich inmitten von Rom befindet und einst Nabel des Imperium Romanum war

Der „Umbilicus urbis“ (deutsch: Nabel oder Mitte der Stadt) war ein kleiner Tempel auf dem Forum Romanum in Rom. Er galt als Nabel der Stadt und zugleich als Mittelpunkt des Römischen Reiches und – so die ethnozentristische Sicht – der zivilisierten Welt. Von hier aus wurden die Meilen der Heerstraßen gezählt. Hier befand sich, so Plutarch, die von Romulus bei der Gründung der Stadt Rom ausgehobene und Mundus (deutsch: Weltordnung oder Erde) genannte Grube. Deswegen wurde der Tempel auch schlicht Mundus genannt.

Die Grube war den Verstorbenen und Geistern der Unterwelt geweiht. Sie war bis auf wenige Tage im Jahr abgedeckt und verschlossen, denn hier berührten sich die Oberwelt und die Unterwelt. Hier opferten die Römer den Verstorbenen, den Geistern und Göttern der Unterwelt. Der Mundus war Gründungsgrube des Tempels und zugleich die der Stadt Rom. Die zukünftigen Siedler in Rom warfen, so wurde es von Plutarch überliefert, jeweils eine Handvoll Erde hinein, die sie aus ihrer Heimat mitgebracht hatten. Die Erde wurde vermischt und um sie herum wurde ein Kreis gezogen. Die Grube war der Nabel, der Kreis die Stadtgrenze.

Die Weltesche in der nordischen Mythologie

In der nordischen Mythologie der Germanen und Wikinger war Yggdrasil der Name eines Eschenbaums, unter dessen Wurzeln die ganze Welt verborgen lag. Diese Welt bestand aus 9 Reichen, zu denen Asgard als das Reich der Götter, Jötunheim als das Reich der Riesen, Helheim als das Totenreich – in welchem Hel regiert und Midgard als das Reich der Menschen gehörten.

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Der Weltenbaum Yggdrasil und die 9 Reiche

Der Weltenbaum ging aus dem Leichnam des Ymir hervor, einem Riesen – welcher von Odin und seinen Geschwistern erschlagen wurde und aus dem sie die Welt formten. Laut dieser Schöpfungsgeschichte sollen aus dem Blut des Riesen die Meere und aus dem Schädel des Riesen der Himmel entstanden sein.

Fortan galt der Weltenbaum Yggdrasil als Mittelpunkt der nordischen Glaubenswelt. Doch, laut den nordischen Sagas, führten die Götter einen Krieg untereinander. So standen sich das Göttergeschlecht der Asen und der Wanen gegenüber und kämpften um die Vorherrschaft der neun Reiche. Am Ende des Wanenkrieges wurden Gefangene ausgetauscht, um die Göttergeschlechter zu mischen und so zukünftige Kriege zu verhindern.

Odins treuer und kluger Berater, namens Mimir, wurde zu den Wanen geschickt und lebte fortan unter ihnen. Doch die Wanen töteten Mimir und schickten dessen Kopf an die Asen zurück. Der Göttervater Odin begrub Mimirs Kopf, welcher immer noch sprechen konnte, unter den Wurzeln des Weltenbaumes und dort entstand eine Wasserquelle, welche als Mimirs Brunnen bezeichnet wird.

Um später, den bevorstehenden Kampf gegen die Riesen (Ragnarök) zu überstehen, strebte Odin fortan nach Weisheit. Und um an Mimirs Weisheit zu erlangen, opferte Odin sein Auge und hing sich am Baum auf, überlegte sein Opfer und gründete Walhall – wo er gefallene Krieger durch die Walküren einholen ließ, um mit ihnen zu tafeln und sich gemeinsam auf die letzte Schlacht (Ragnarök) vorzubereiten.

Die Esche als immergrüner Baum wurde zum Symbol der Unsterblichkeit. Der Opferbaum war zugleich der Ort, an dessen Wurzeln, die Götter das Thing abhielten, sich berieten und Entscheidungen trafen. Er gilt als Wissensbaum und wurde, im Zuge der Christianisierung, zur Vorlage des heutigen Weihnachtsbaumes, an welchem Opfer (Christbaumschmuck) gehängt werden.

Der Nabel der Welt im Schamanismus

Der Weltenbaum, auch Baum des Lebens genannt, symbolisiert die Weltachse (lateinisch: axis mundi) und gilt in schamanischen Kulturen als der Nabel der Welt. Ein Baum wurzelt tief und ragt hoch hinauf. Er verbindet also Himmel, Erde und Unterwelt. An einem solchen Schnittpunkt dieser drei Ebenen kann sich aber auch ein heiliger Berg, ein Tempel oder eine heilige Stadt befinden. Hier ist immer der Mittelpunkt der Erde. Die Achse als Symbol geht weit zurück in die Zeit der Erfindung des Rads und der schnelldrehenden Töpferscheibe. Auch sie dreht sich um eine Achse. Auf ihr schuf beispielsweise der altägyptische Schöpfergott Chnum die Menschen aus Ton.

Der Nabel der Welt im Alten Ägypten

Der Urhügel ist der Ursprung der Welt im Alten Ägypten. Auf ihm wurde die Stadt Heliopolis gegründet, deren Hauptgott der Sonnengott Re war. Der Urhügel im Alten Ägypten war das Zentrum der Welt. Allerdings gab es viele Urhügel, auf denen Tempel gegründet wurden, die sich alle als den Mittelpunkt der Welt betrachteten. Es gibt entsprechend viele verschiedene altägyptische Schöpfungsmythen.

Die Alten Ägypter glaubten, dass auf dem Urhügel in Heliopolis (deutsch: Sonnenstadt) die Welt erschaffen wurde. Heliopolis ist heute ein Stadtteil bzw. Vorort von Kairo und befindet sich unweit der ehemaligen Tempelanlage, welche heute eine Ausgrabungsstätte ist.

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Baron Empain Palace von Heliopolis, Bildquelle: Baloncici / Shutterstock.com

Der Weltennabel in Mesopotamien, Nahen Osten und Indien

Von Menschen erschaffene Urhügel wie die Pyramiden wurden nicht nur im Alten Ägypten als Himmelsleitern für den Himmelsaufstieg der verstorbenen Könige betrachtet.

Auch die Zikkurats (Tempeltürme) in Mesopotamien oder der Weltenberg Meru in Indien dienten als Verbindungen von der irdischen zur überirdischen Welt.

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Zikkurat von Ur als Tempelturm der Sumer, erbaut vor 4000 Jahren

Israel beherbergte mehrere Weltenberge: den Berg Tabor, den „Nabel der Welt“ (das hebräische Wort tabbur bedeutet Nabel), den Berg Garizim mit dem Beinamen „tabbur eres“ (deutsch: Nabel der Erde) und der Hügel Golgota, auf dem Jesus gekreuzigt wurde und auf dem außerdem auch Adam der Überlieferung nach begraben liegt.

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Biblische Weltenberg Tabor in Israel

Ein buddhistischer Stupa symbolisiert ebenfalls den Weltenberg. Ein darin befindlicher zentraler Mast wird im tibetischen Buddhismus als Weltachse und zugleich als menschliche Wirbelsäule mit den fünf Chakren als Energiezentren betrachtet. Eine Treppe mit ihren Stufen, ob als Pyramide oder als Stupa, symbolisiert die Möglichkeit des geistigen Aufstiegs in eine höhere Bewusstseins- oder Daseinsebene.

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Shanti-Stupa in der Stadt Leh (Indien)

Der Nabel der Welt in Südamerika

Cusco ist eine Großstadt in Peru. Der Name Cusco ist Quechua, was die Sprache der Andenvölker ist, und bedeutet Mitte der Welt bzw. Nabel der Welt. Die Stadtgründung geschah am Ende des 11. Jahrhunderts, während der Expansionszeit der Inkas.

Cusco wurde zur Hauptstadt des Inkareiches und in zwei Stadtteile geteilt. In Unter-Cusco bzw. Urin Qusqu regierten die ersten 5 Inkaherrscher, welche als Sinchi (Kriegsherr) bezeichnet wurden. Alle nachfolgenden Herrscher regierten von Ober-Cusco (Hanan Qusqu) aus und wurden mit dem Titel Sapa Inka angesprochen.

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historischer Stadtkern Qusqu (Cuscos) im Hochgebirge von Peru

Dass Cusco als Mittelpunkt der Welt angesehen wurde, sollte die Dominanz des Inkareiches steigern, indem Nachbarkulturen herabgesetzt und als Barbaren angesehen wurden. Ähnlich, wie die Römer in der Antike, glaubten die Inkas an die Überlegenheit der eigenen Kultur, expandierten von Cusco ausgehend und zerstörten Leistungsbeweise von Vorgängerkulturen, nahmen sich deren Wissen zwar an, aber etablierten dieses als eigene Schöpfung.

Letztlich wurden die Inkas durch die Spanier, unter Führung von Francisco Pizarro, im 16. Jahrhundert unterworfen, wodurch die Hochkultur der Inkas unterging.

Der Nabel der Welt auf der polynesischen Osterinsel

Die Osterinsel ist eine Insel im Pazifik, welche geografisch zu Polynesien gehört, allerdings von der Republik Chile verwaltet wird. Auf dieser Insel befindet sich ein kugelförmiger Stein, welcher wahrscheinlich natürlich entstanden ist. Um diesen Stein wurde eine zeremonielle Anlage erbaut, welche den Namen Te Pito o te Henua (deutsch: Der Nabel der Welt) trägt. Als Touristenattraktion wird diese Steinanlage von Esoterikern besucht, welche dem Ort übernatürliche Kräfte zusprechen.

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Die Anlage Te Pito o te Henua auf der Ostereinsel

Die Legende von der Besiedlung der Osterinseln geht auf den mythischen König Hotu Matua zurück, welcher aus dem Land Hiva aufbrach, um mit 200 anderen Reisenden die Insel zu besiedelt. Das Land Hiva ist ebenfalls legendär und entspricht dem Garten Eden in der Bibel.

Hotu Matua soll sich, der Legende nach, mit einem anderen König verstritten haben und musste deshalb seinen angestammten Wohnsitz verlassen. In einem Traum bereits er 7 Inseln, welche allerdings leer und vegetationslos waren. Die achte Insel war fruchtbar und diese wollte er mit seinen Mitstreitern besiedeln. Also verließen sie Hiva mit Proviant, Nutzpflanzen, Nutztieren und einer Statue – welche letztlich der runde Stein sein soll, welcher sich heute in der Anlage Te Pito o te Henua befindet.

Welche Bedeutung hat der Nabel der Welt im Egozentrismus und der Ich-Psychologie

Von Egozentrismus ist dann die Rede, wenn jemand sich selbst als Mittelpunkt allen Geschehens betrachtet. Ein egozentristischer Mensch bewertet alles von seiner eigenen Perspektive aus. Wie ein Kind meint ein solcher Mensch, selbst die Welt oder wenigstens der Nabel der Welt zu sein. Er betreibt ständig „Nabelschau“, ist also ständig – und sinnbildlich – auf seinen eigenen Bauchnabel fixiert und nimmt daher seine Umwelt nicht wahr. Sie existiert für ihn schlechthin nicht und falls doch, dann ist sie wenig bedeutend. Denn das Zentrum und der Mittelpunkt aller Dinge ist er selbst. Alles dreht sich um ihn. Egozentrismus ist übersteigerter Egoismus.

Der Nabel der Welt hat als Redewendung und in Bezug auf den Charakter eines Menschen eine durch und durch negative Konnotation. Sie ist ein Ausdruck für jemanden, der an Selbstüberschätzung leidet. Ursprünglich handelte es sich bei dem Weltennabel um einen realen, identitätsstiftenden Ort. Ortsfremde opferten beispielsweise am Mundus und wurden zu Römern. Menschen pilgerten nach Delphi, Heliopolis oder zu einem buddhistischen Stupa, vollzogen bestimmte Rituale und waren Teil des Mysteriums.

Der Egozentrismus schließt Gemeinsamkeit aus. Es geht gerade nicht um ein gemeinschaftliches Erleben. Wer sich für den Nabel der Welt hält, braucht niemanden um sich herum, der ihm diesen „Titel“ streitig machen könnte. Es ist ein Erleben, das sich nur einzeln ergibt. Es kann keine zwei Nabel der Welt geben – und schon gar nicht gleichzeitig. Dies würde der Idee des „Zentrums“ völlig widersprechen.

Wenn das eigene Selbst zur Ideologie wird, bleibt die Selbsterkenntnis auf der Strecke. Leider wird diese Tatsache häufig missverstanden. Die, die nur „gut zu sich selbst“ sein wollen und sich ausschließlich mit ihren eigenen Bedürfnissen beschäftigen, ertragen keinen Spiegel, in dem sie sich erkennen könnten. Eine Entnabelung von sich selbst wäre die notwendige Konsequenz.

Die Nabel der Welt in den Weltreligion sind nachträglich geschaffene Weltmittelpunkte

Am Beispiel von drei großen Weltreligionen lässt sich erkennen, welch immense Bedeutung ein „Nabel der Welt“ für die Gläubigen hat. Obwohl praktisch alle bekannten heiligen Stätten auf ältere, heidnische Kultstätten zurückzuführen sind und die Nabel der Welt ganz offensichtlich nachträglich als solche „installiert“ wurden, sind die jeweiligen Gläubigen überzeugt von der Idee, dass sich die Welt um ihre Religion dreht und es ihre Religion ist, die die Welt in kontrollierter Bewegung hält.

Der Weltennabel im Christentum

Der Nabel der Welt des Christentums befindet sich heute in Jerusalem, genauer gesagt im Katholikon der Grabeskirche. Die Grabeskirche befindet sich, der Überlieferung nach, an der Kreuzigungs- und letzten Ruhestätte Jesu. Hier befindet sich nicht nur der Golgota-Felsen, auf dem das Kreuz errichtet war, sondern auch das vermutliche Grab Jesu. Ursprünglich bestand das Bauwerk aus einer Rotunde rund um das Grab. Das Mittelschiff der Grabeskirche wird als Katholikon bezeichnet. Unter seiner Kuppel befindet sich ein Gefäß aus Marmor, das seit 629 n. Chr. als Nabel der Welt bezeichnet wird.

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Der Nabel der Welt im Katholikon der Grabeskirche in Jerusalem, Bildnachweis: DyziO / Shutterstock.com

Aber auch der Golgota-Felsen wird als die Mitte der Welt betrachtet, und zwar schon seit dem 4. Jahrhundert.

Heute haben insgesamt sechs christliche Konfessionen Anteil an der Grabeskirche: die griechisch-orthodoxe, die römisch-katholische, die armenisch-apostolische, die syrisch-orthodoxe, die äthiopisch-orthodoxe und die koptische Kirche. Sie streiten sich nicht nur um die verwaltungstechnische Vorherrschaft oder um Besitzrechte an der Kirchenanlage, sondern auch über nicht eingehaltene Gebetszeiten. Die Grabeskirche und die Schutzherrschaft über sie waren in der Geschichte mehrfach Kriegsauslöser, angefangen bei den mittelalterlichen Kreuzzügen bis zum Krimkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts.

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Die Golgothaer Hügel in Jerusalem sind eine mögliche Stätte der Kreuzigung Christi. Der Golgota-Felsen mit 3 Kruzifixen gilt als Nabel der Welt

Der Nabel der Welt im Islam

Im islamischen Glauben war es Adam, der die Kaaba im heutigen Mekka erbaute. Sie gilt als Ursprung und Ausgangspunkt der Schöpfung. Die Kaaba gilt als erstes Haus der Menschen, das auf das Wasser gesetzt wurde. Danach breitete sich darunter die Erde aus. Es existierte also schon vor der Erschaffung der Welt.

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Kaaba in Mekka (Saudi-Arabien) ist Wallfahrtsort aller Moslems

In der Kaaba gibt es den „Schwarzen Stein“, der als Kultstein an der östlichen Ecke eingemauert ist. Die Gläubigen küssen und berühren ihn, bevor sie die rituelle Umkreisung des Heiligtums beginnen und danach bei jedem vollendeten Rundgang. Vermutlich handelt es sich bei dem „Schwarzen Stein“ um einen Meteoriten, allerdings wurde er noch nicht wissenschaftlich untersucht.

Die Verehrung des Steins geht auf einen altarabischen Steinkult zurück. Erst im Zuge der Islamisierung wurde dem Stein und den Ritualen um ihn herum eine übernatürliche Herkunft zugeschrieben. Gott selbst schickte Adam auf die Erde und ließ den Stein zu ihm hinab. Adam brachte ihn dann an der Kaaba an.

Die Überlieferungen besagen, dass Gott Adam bei seiner Vertreibung aus dem Paradies ursprünglich befahl, den Stein mitzunehmen. Der Stein wird also ein Teil des Paradieses betrachtet und gilt als Symbol eines Vertrags zwischen Gott und Adam als Stellvertreter für die Menschen. Für die Muslime bedeutet der „Schwarze Stein“ der Nabel der Welt. In seine Richtung verbeugen sie sich beim Gebet tagtäglich seit Jahrhunderten überall auf der Welt.

Der Weltennabel im Judentum

Das Judentum hat seinen Nabel der Welt in Jerusalem selbst. Hier befand sich das Allerheiligste, nämlich der Tempel als Mittelpunkt, Nabel und als Grundstein der Welt. Im 4. Buch Mose beschreibt der Psalm 122 (nach einer rabbinischen Überlieferung) Folgendes: „So wie der Nabel (tabbur) in der Mitte des Menschen ist, so befindet sich das Land Israel in der Mitte der Welt, (…) und so ist auch Jerusalem in der Mitte des Landes Israel, und das Heiligtum befindet sich in der Mitte Jerusalems, und der Tempel in der Mitte des Heiligtums, und die Bundeslade mit den Gesetzestafeln in der Mitte des Tempels, und vom Grundstein vor dieser Lade ging die Gründung der ganzen Welt aus“.

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Modell des 2. Jerusalemer Tempels, erbaut von Herodes dem Großen, vor seiner Zerstörung im Jahr 70 n. Chr. durch die Römer, Bildnachweis: Mikhail Semenov / Shutterstock.com

Zwar ist der Tempelberg nicht mehr der geografische Mittelpunkt der Weltkarten, wie dies noch im Mittelalter der Fall war. Er bleibt für die Juden aber der spirituelle Anziehungspunkt und in dieser Konsequenz auch einer der weltweit größten politischen Streitpunkte.

Der heutige Nabel der Welt

Der jüdische Nabel der Welt ist ebenso wie alle anderen Weltmittelpunkte nicht nur ein religiöses Symbol, sondern auch ein konkreter, identitätsstiftender Ort. Als zum Nabel der Welt zugehörig sehen sich aber nicht nur Glaubensgemeinschaften, sondern auch bestimmte Berufsgruppen, Hauptstädter oder ganze Nationen. Politiker, Manager und Bänker sehen sich gerne am Nabel der Macht oder am Nabel der Zeit.

Hauptstädte, in denen mächtige Regierungen residieren, werden als Nabel eines Landes oder eines Kontinents bezeichnet, vom antiken Rom bis zum gegenwärtigen Berlin. Der Kulturraum China mit der Volksrepublik China im Zentrum sieht sich als Ganzes und schon seit Jahrhunderten als Reich der Mitte und Mittelpunkt der zivilisierten Welt.

Vom Ethnozentrismus einer Gemeinschaft zum Egozentrismus eines Anführers ist es häufig kein großer Schritt. Es finden sich unzählige Beispiele in der Geschichte, wie ein Anführer daraus einen Anspruch auf die Weltherrschaft oder wenigsten auf die Herrschaft über ein Großreich formuliert – und die Umsetzung geht immer mit Krieg einher.


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