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Rückschaufehler und hindsight bias an Beispielen erklärt


Der Rückschaufehler (engl. Hindsight bias) ist eine kognitive Verzerrung, wonach zurückliegende Ereignisse und deren Eintrittswahrscheinlichkeit deutlich überschätzt werden.

Am Beispiel…
Wie oft hast du dich schon selbst bei einem Fehltritt erwischt und dir gedacht „Mensch, das hätte ich doch besser wissen müssen“? Das kommt häufiger vor? Kein Grund zu streng mit dir ins Gericht zu gehen. Denn wir beurteilen unsere Handlungen und andere Ereignisse vor dem Hintergrund unseres aktuellen Wissensstandes.

Doch was uns jetzt als vollkommen selbstverständlich erscheint, muss und kann noch vor Jahren, Tagen oder auch erst vor einigen Stunden noch nicht vorhersehbar gewesen sein. Diesem Fehlschluss erliegen wir alle. Es geht dabei um den sogenannten Rückschaufehler.

Was bedeutet Rückschaufehler?

Beim Rückschaufehler (oder auch Hindsight Bias) geht es um die Tendenz, die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses rückblickend zu überschätzen. Zum ersten Mal untersucht wurde dieses Phänomen bereits Mitte der 1970er Jahre von Baruch Fischhoff. Dieser Effekt des Rückschaufehlers tritt dann auf, wenn wir retrospektiv glauben, dass die Dinge doch bereits von Anfang an klar waren.

Diese Tendenz wird daher auch „I knew it all along effect“ („Ich wusste das doch schon längst“) genannt. Bei vielen Ereignissen denken wir uns schnell, dass man das auch mit dem „gesunden Menschenverstand“ hätte absehen können. Dieser ist allerdings nicht besonders verlässlich.

Rückschaufehler und das Problem mit dem „gesunden Menschenverstand“

Um diese Tendenz zu vermeiden, gehen Forscher nach gewissen methodischen Standards vor. Der „gesunde Menschenverstand“ hat nämlich so einige Schwächen, wenn es um die objektive Beurteilung von Sachverhalten geht. Einerseits spielen unsere persönlichen Einstellungen und Erwartungen dabei eine gewisse Rolle. Denn davon hängt maßgeblich ab, wie wir Situationen, Sachverhalte oder andere Menschen interpretieren.

Andererseits tendieren wir Menschen auch zur Überbewertung. Und dann wäre da noch der Rückschaufehler. Ironischerweise ist es gerade dieser Effekt, der uns häufig an der Sinnhaftigkeit von wissenschaftlicher Forschung zweifeln lässt. Lesen wir beispielsweise einen Artikel über ein bestimmtes Experiment und sind anschließend vom Ergebnis wenig überrascht, denken wir uns oft „Dafür werden Forschungsgelder verschwendet? Das war doch von Anfang an klar, dass so was dabei herauskommt“. Das ist allerdings nicht nur in der Forschung der Fall.

Der „gesunde Menschenverstand“ wird auch häufig als Argument vorgebracht, wenn es um historische Ereignisse geht. So kommen uns heute vielleicht einige Begebenheiten (oder eben auch Forschungsergebnisse) als selbstverständlich vor. Das liegt allerdings auch daran, dass wir jetzt Kenntnis von der Sache haben.

Zu gegebener Zeit lag diese bei den Menschen nicht vor und daher waren die Ergebnisse eben alles andere als selbstverständlich. Schließlich können wir die Zukunft nicht vorhersagen – so praktisch das auch wäre. Dennoch glauben wir nachdem Eintreten eines Ereignisses, dass man es ohne Probleme hätte vorhersagen können oder sogar müssen. Damit liegen wir jedoch in der Regel falsch.

Entstehung von Rückschaufehlern am Beispiel

Ein Beispiel für den Rückschaufehler sind Experimente, in denen die Probanden beispielsweise die Höhe eines bekannten Bauwerks schätzen sollen. Nachdem sie ihre Schätzung abgegeben haben, erhalten sie das korrekte Ergebnis. Werden sie einige Zeit später nach ihrer ersten Einschätzung gefragt, nennen sie jedoch nicht mehr dieselbe Zahl.

Stattdessen gleicht sich die in der Antwort geschätzte Zahl zunehmend der korrekten Aussage an. Sagen wir, eine Versuchsperson gibt eine Schätzung mit dem Wert 92 Meter ab. Daraufhin bekommt sie die objektiv richtige Höhe genannt: 127 Meter. Am darauffolgenden Tag wird die Person gebeten, ihre ursprüngliche Schätzung zu wiederholen. Diese wird jetzt vielleicht bei 120 Meter liegen. Also weit über der Schätzung, die die Person bei der ersten Befragung abgegeben hat.

In dem Fall sind die Probanden zwar dazu motiviert, sich richtig zu erinnern. Allerdings wird ihre Erinnerung an ihre ursprünglich genannte Schätzung von der Zahl überlagert, die ihnen im Anschluss als die richtige mitgeteilt wurde. Allein daran siehst du bereits: Unser Gedächtnis ist nicht perfekt. Es kommt nur zu oft zu Gedächtnisverzerrungen und Fehlerinnerungen. Daher sind Aussagen, die allein auf unserem Erinnerungsvermögen basieren, leider häufig alles andere als zutreffend.

Was hat der Rückschaufehler mit Ankern zu tun?

Der Ankereffekt hat einen Einfluss auf den Rückschaufehler. Neben der falsch eingeschätzten Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses und der späteren Anpassung der eigenen Vorhersage in Richtung der korrekten Antwort kommt es jedoch zu einem weiteren Fehler. Bei der Überschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit unterschätzen wir gleichzeitig den bloßen Zufall.

Es hängt allerdings auch vom Anker ab, wie unser Rückschaufehler ausfällt. Der Anker ist eine Zahl, an der wir uns (meist unbewusst) orientieren. Im obigen Beispiel ist die korrekte Höhenangabe des Gebäudes der Anker, an dem sich das Gedächtnis der Probanden bei der wiederholten Nennung ihrer ursprünglichen Einschätzung orientiert.

Ein berühmtes Beispiel für den Rückschaufehler mit Ankereffekt ist das folgende Experiment: Probanden sollen im Rahmen eines Experiments die letzten zwei Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer nennen. Anschließend werden sie aufgefordert, den Preis einer Flasche Wein zu schätzen. Dabei zeigt sich meistens: Probanden mit niedrigen Endziffern schätzen den Preis der Flasche geringer ein als Versuchspersonen, deren letzten beiden Zahlen hoch sind.

Der Ankereffekt wird damit erklärt, dass unser Verstand bei der Urteilsbildung nach Vergleichswerten sucht. Wie das Beispiel mit der Versicherungsnummer und den Weinflaschen zeigt, müssen diese Werte nicht einmal etwas miteinander zu tun haben.

Übersteigertes Selbstvertrauen und die Suche nach Zusammenhängen als Folgen des Rückschaufehlers

Ein übersteigertes Selbstvertrauen in Bezug auf die eigene Prognosefähigkeit kann teuer werden. Unsere Anfälligkeit für Rückschaufehler lässt sich demnach auf unser wenig verlässliches Gedächtnis und unseren Wissensvorteil zurückführen, den wir nun einmal dadurch haben, dass das Ereignis bereits passiert ist.

Die Folgen aus dem Rückschaufehler zeigen sich häufig in diesen beiden Punkten: Ein übersteigertes Selbstvertrauen und unsere rigide Suche nach Zusammenhängen. Letzteres ist weiter oben bereits angeklungen: Wir unterschätzen den Zufall. Denn wir neigen dazu, in allem einen Zusammenhang sehen zu wollen.

Der Grund dafür ist, dass das menschliche Gehirn in Bildern und Zusammenhängen denkt. Werden uns zwei unterschiedliche Ereignisse, in einem Atemzug genannt, wird uns automatisch eine Geschichte dazu deutlich. Zum Beispiel könnte dir dein Freund erzählen, dass seine Eltern pleite sind. Dann werden dir sofort mögliche Gründe dafür einfallen. Und zwar abhängig von deinem Weltbild, deinen Erfahrungen und bisherigen Geschichten.

Wo eine Wirkung ist, muss auch eine entsprechende Ursache sein. Allerdings passieren manche Dinge einfach, ohne dass sie sich zuvor großartig ankündigen oder ein kausales Ereignis darstellen. Manchmal stehen die Umstände also nicht mal in einer Beziehung zueinander. Dennoch neigen wir dazu, Zusammenhänge zu sehen, wo keine sind.

Hier setzen auch alle mögliche Verschwörungstheorien an. Große Ereignisse werden in einen willkürlichen Zusammenhang betrachtet, Pandemien einer bestimmten Ursache zugeordnet und Unglücke geschehen aus einem bestimmten Grund. Die Ursache-Wirkungs-Beziehung wird deutlich überschätzt und der Einfluss vom Zufall fällt deutlich klein aus.

Das übersteigerte Selbstvertrauen bezieht sich auf die vermeintliche Genauigkeit über unsere Urteile und Prognosen. Wir glauben in der Regel daran, dass unsere Einschätzungen korrekt sind. Sind sie es nicht, ändern wir sie unbewusst ab – das zeigt bereits das obige Beispiel mit dem Experiment, bei dem die Höhe eines Gebäudes geschätzt werden sollte.

Mit anderen Worten: Mit unserem aktuellen Wissensstand erinnern wir uns fälschlicherweise daran, dass wir das Ereignis richtig vorhergesehen hätten. Das führt häufig zu der ebenso falschen Annahme, dass wir auch zukünftige Dinge voraussagen könnten. Dass das ebenfalls nicht wirklich zutreffend ist, zeigen Aktienentwicklungen. Viele Anleger denken sich, dass sie den bisherigen Verlauf der Entwicklung des Aktienmarktes hätten vorhersehen können. Ihre Investitionen tätigen sie dann im Glauben, auch den weiteren Verlauf beurteilen zu können und liegen damit nicht selten total daneben.

Zusammenfassung

  • Der Rückschaufehler wird auch Hindsight-Bias oder „I knew it all along effect“ genannt.
  • Er beschreibt die Tendenz, dass wir die Eintrittswahrscheinlichkeit eines bereits stattgefundenen Ereignisses retrospektiv fälschlicherweise überschätzen.
  • Diese Überschätzung zeigt, dass der „gesunde Menschenverstand“ nicht besonders verlässlich ist.
  • Daher nutzt die Wissenschaft standardisierte Forschungsmethoden, um diesen Effekt zu unterbinden. Doch gerade bei Forschungsergebnissen greift häufig der Rückschaufehler. Wir denken uns bei vielen wissenschaftlichen Entdeckungen und anderen Ereignissen, dass man diese hätte vorhersehen können.
  • Dabei machen wir einen Denkfehler: Denn wir haben heute einen anderen Wissensstand als zu einem früheren Zeitpunkt.
  • Neben dem Wissensvorsprung kommt das Problem mit dem Gedächtnis: Es ist eben nicht perfekt. Erinnerungen können verzerrt sein und wir erinnern uns an bestimmte Dinge schlichtweg falsch.
  • Beim Rückschaufehler kann zudem der Ankereffekt eine Rolle spielen. Dieser Effekt zeigt sich darin, dass wir bei der Erinnerung an eine frühere Einschätzung beliebige Zahlenwerte nutzen. Diese Werte können völlig aus der Luft gegriffen sein und müssen überhaupt nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun haben. Dennoch nutzt unser Verstand sie als Orientierung. Damit verfälscht sich die Erinnerung an unsere ursprüngliche Einschätzung.
  • Mit dem Rückschaufehler geht unsere Suche nach Wirkungszusammenhängen einher. Wir suchen nach Zusammenhängen, wo keine sind. Außerdem kommt es häufig zu einem übersteigerten Selbstvertrauen in Bezug auf die Zuverlässigkeit unserer Einschätzungen.

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