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Altruismus, Prosoziales Verhalten, Hilfeverhalten als Forschungsfeld in der Psychologie


Zu prosozialem Verhalten innerhalb der psychologischen Forschung gehören Schlagwörter wie Altruismus, Hilfeverhalten oder Empathie. Doch um ehrlich zu sein, sind diese Begriffe an und für sich doch etwas abstrakt. Denn obwohl wir im Grunde wissen, was hinter diesen Worten steckt, so könnte man sich dennoch fragen: Womit genau befasst sich die Forschung zu prosozialem Verhalten konkret?

Neben einer Fülle von Modellen, Theorien und Hypothesen zu den Fragen danach, warum Menschen selbstlos handeln, in Notsituationen eingreifen oder wie sie ihr Hilfeverhalten abwägen, so sind Studien doch etwas greifbarer als theoriebezogene Überlegungen.

Natürlich basieren die Untersuchungen auf eben diesen abstrakten Theorien und Modellen, doch veranschaulichen sie die Sachverhalte ein wenig besser. Daher wollen wir uns in diesem Artikel einigen Themen widmen, welche in der sozialpsychologischen Forschung in Bezug auf prosoziales Verhalten bereits näher betrachtet wurde. Dazu zählen neben den Gründen für langfristiges Hilfeverhalten auch der Zusammenhang von prosozialem Verhalten und Geschlechterrollen sowie das Eingreifen im Angesicht von Gewalttaten.

Wie kommt es zu langfristigem und wiederholtem Hilfeverhalten?

Regelmäßiges Blutspenden ist ein Beispiel für wiederholtes Hilfeverhalten.
Deshalb gibt es natürlich auch dazu ein theoretisches Modell. Dieses entstand auf Basis von Längsschnittstudien zu den Bedingungen und Konsequenzen, welche eine Person mit seiner Rolle als „Blutspender“ entwickelt. Im Rahmen einer Telefonumfrage nahmen die Befragten zu verschiedenen Punkten Stellung. Dazu zählten:

  1. Die Erwartungen anderer
  2. Vorbilder
  3. Empfangen von Hilfe in der Vergangenheit
  4. Persönliche Normen
  5. Verhalten in der Vergangenheit
  6. Rollenidentität
  7. Verhaltensabsicht

Dabei zeigte sich, dass sich die Absicht des Spendens durch verschiedene Aspekte vorhersagen lässt. Neben den persönlichen Werten und Normen spielen auch die wahrgenommenen Erwartungen an sich selbst eine Rolle. Hinzu kommt die Vorbildfunktion der Eltern. Spendeten diese regelmäßig Blut, taten ihre Kinder es ihnen im Erwachsenenalter mit hoher Wahrscheinlichkeit gleich. Doch auch die eigene Rollenidentität als Blutspender unterstützt die Aufrechterhaltung des langfristigen und wiederholten Spendens. Das geht mit dem Verhalten in der Vergangenheit einher. Hat jemand bereits mehrmals Blut gespendet, behält er dieses Verhalten häufiger bei.

Das Modell des Blutspendens lässt sich auch auf Freiwilligenarbeit und das Spenden von Geld für wohltätige Zwecke anwenden. Allerdings wirken sich die sieben Punkte aus der Telefonumfrage unterschiedlich stark auf die verschiedenen Arten von Hilfeverhalten aus. So hat das frühere Verhalten beim Blutspenden einen höheren Einfluss, während bei der Freiwilligenarbeit vor allem die Rollenidentität eine wichtige Rolle spielt.

Unsere Rollenidentität hat Auswirkungen auf unser Hilfeverhalten

Bei dem Erregung : Kosten – Belohnungs-Modell geht es um die Abwägung von Vor- und Nachteilen, die bei einem Hilfeverhalten auftreten würden.

Was heißt das?
Die Reaktion auf eine Notsituation geht mit einer unangenehmen Erregung beim Beobachter einher, welche dieser entweder durch Hilfe, das Flüchten aus der Situation oder die Neuinterpretation des Geschehenen zu verringern versucht. Doch auch hier hat die Rollenidentität des Beobachtenden noch einen entscheidenden Einfluss. Denn dieser geht auf die Annahmen der Identitätstheorie zurück.

Demnach besteht unser Selbst aus der Summe verschiedenster Rollen, welche unser Verhalten beeinflussen und umgekehrt auch durch unser Verhalten beeinflusst werden. Die Annahme besteht darin, dass die eine starke Ausprägung der Rolle als Hilfeleistender auch die Wahrscheinlichkeit des gezeigten Hilfeverhaltens erhöht. Denn je stärker eine Rolle ist, desto größer ist deren Auswirkung auf bestimmte Verhaltensweisen.

Oder anders gesagt…
Sehen wir uns selbst in der Rolle des Helfers, ist die Wahrscheinlichkeit größer- dass wir in Notsituationen helfen.

Zwar kann die Freiwilligenarbeit zum Teil mit dem oben genannten Modell des Blutspendens erklärt werden. Dennoch wurde zusätzlich noch ein eigenes Modell entwickelt. Allgemein wird Freiwilligenarbeit definiert als die Entscheidung zu Engagement verbunden mit der Suche, Ausübung und schließlich auch der Beendigung einer freiwilligen Tätigkeit. Das Modell beinhaltet drei Komponenten, welche sich auf die Bereitschaft zur Freiwilligenarbeit auswirken. Das sind antezedente Bedingungen sowie Erfahrungen und Konsequenzen.

Antezedente Bedingungen umfassen die Lebensumstände des Helfenden, dessen Persönlichkeitsfaktoren und seine Motive. Erfahrungen können die Bereitschaft zur Freiwilligenarbeit unterstützen, wenn sich bei früheren Tätigkeiten ein Gefühl von Verbundenheit zwischen dem Helfenden und den Klienten einstellte. Dabei ist es möglich, dass eine gegenseitige Einbindung in das jeweilige soziale Netzwerk von Helfendem und Klienten zustande kommt. Zu den Konsequenzen aus der Freiwilligenarbeit zählen beispielsweise das Rekrutieren weiterer Freiwilliger sowie eine höhere Bereitschaft zu anderen Formen von prosozialen Handlungen.

Sind diese drei Bedingungen erfüllt, steigt die Wahrscheinlichkeit zur Freiwilligenarbeit und Ehrenamt.

Die Persönlichkeitseigenschaften Empathie und Hilfsbereitschaft hängen mit Hilfeverhalten zusammen

Auch können bestimmte Persönlichkeitsmerkmale dazu beitragen, das künftige Hilfeverhalten vorauszusagen.
Eine prosoziale Persönlichkeit ist definiert als eine überdauernde Neigung, sich um das Wohl und die Rechte anderer Gedanken zu machen.

Anteilnahme und Empathie gehören zu dieser Persönlichkeit, ebenso wie ein für andere nützliches Handeln. Erfasst wird diese Persönlichkeitsausprägung zum Beispiel mittels „Prosocial Personality Battery“. Hierin enthalten sind Fragen zu den Themen soziale Verantwortung, moralisches Denken gegenüber anderen Menschen sowie an gemeinsamen Problemen orientiertes moralisches Denken, empathische Anteilnahme und Perspektivübernahme.

In Untersuchungen zeigte sich, dass Empathie und Hilfsbereitschaft mit einer schnelleren Reaktionsgeschwindigkeit in simulierten Notsituationen zusammenhängt und auch mit dem Hilfeverhalten im Alltag. Letzteres bezieht sich auf die Unterstützung von beispielsweise Kollegen oder der Bereitschaft zur Organspende.

Helfen Männer anders als Frauen? Der Einfluss von Geschlechterrollen auf das Hilfeverhalten

Die Langfristigkeit des Hilfeverhaltens ist ein Forschungsaspekt – ein weiterer ist der Einfluss von Geschlechterrollen.
Nachdem wir uns im vorherigen Abschnitt doch noch einmal mit einigen Modellen beschäftigt haben, schauen wir uns jetzt einige Studien an. Wirft man einen Blick auf ältere Studien, so kann der Eindruck entstehen, dass Männer häufiger Hilfeverhalten zeigen als Frauen.

Ein Beispiel dafür ist eine Untersuchung von Borofsky und Kollegen aus dem Jahr 1971. Die Versuchspersonen wurden mit vermeintlichen Übergriffen konfrontiert. So erfolgte entweder ein Angriff durch eine Person auf jemandem mit einem anderen Geschlecht (Mann greift Frau an vs. Frau greift Mann an) oder auf das gleiche (Mann greift Mann an vs. Frau greift Frau an).

Handelte es sich beim Angreifer um einen Mann und bei der angegriffenen Person um eine Frau, so griffen männliche Versuchspersonen am seltensten ein. In den anderen Konstellationen zeigten sie hingegen wahrscheinlicher ein Hilfeverhalten. Frauen griffen generell sehr selten ein – unabhängig von der Angreifer-Opfer-Konstellation, während zumindest ungefähr die Hälfte der Männer aktiv wurde.

Frauen helfen nicht weniger, sondern auf eine andere Weise als Männer

Generell erwecken vor allem ältere Studien den Anschein, dass Frauen zu weniger Hilfeverhalten neigen.
Allerdings das eher mit dem experimentellen Design zusammenzuhängen als mit einer tatsächlich mangelnden Hilfsbereitschaft des weiblichen Geschlechts.

In der Forschung lag der Fokus für eine lange Zeit auf das Hilfeverhalten in Notsituationen Fremden gegenüber. Unter diesen Umständen greifen Männer tatsächlich häufiger ein. Denn hier werden Verhaltensweisen angesprochen, welche eher mit einem männlichen Rollenbild einhergehen: Die Handlung ist spontan, riskant und dient der akuten Rettung einer anderen Person.

Diese zum männlichen Rollenverständnis passenden Umstände verzerren die Befunde zum Hilfeverhalten zu Gunsten der Männer. Das Rollenbild der Frau hingegen beinhaltet eher Verhaltensweisen, welche sich auf ein routiniertes Hilfeverhalten beziehen und hauptsächlich in engeren Beziehungen gezeigt wird. Frauen kümmern sich häufiger um persönliche und emotionale Bedürfnisse von Angehörigen als spontan in einer akuten Notsituation mit fremden Beteiligten einzugreifen. Zu dieser Form des Hilfeverhaltens gibt es in der aktuellen Forschungsliteratur allerdings bisher noch wenig Befunde. Daher ist die Untersuchung des (bisher ausgeblendeten) Bereichs der langfristigen Hilfeleistung noch ausbaufähig.

Wie helfen Menschen in Notsituationen, welche Gewalt beinhalten?

Das Problem mit der Untersuchung des tatsächlichen Hilfeverhalten ist, dass sich Notsituationen mit gewalttätigem Inhalt schlecht im Labor untersuchen lassen. Daher werden solche Untersuchungen vor allem im Feld vorgenommen. Feld bedeutet in diesem Zusammenhang einfach nur, dass das Experiment nicht im Labor stattfindet.

In den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts untersuchte der Psychologe Schreiber das Hilfeverhalten seiner Studierenden auf eine sehr fragwürdige Art und Weise. Im Laufe seiner Vorlesungen ließ er einen vermeintlichen Amokläufer in den Hörsaal kommen und beobachtete die Reaktion der Studierenden.

Dieses Experiment führte er über sechs Jahre hinweg immer wieder mit neuen Kohorten von Studierenden durch und es griffen im Laufe dieses Zeitraums gerade einmal zwei Personen in das Geschehen ein. Und diese hatten berufsbedingt Erfahrung im Umgang mit gewalttätigen Menschen. Allerdings zeigten 14 andere Studierende ein indirektes Hilfeverhalten, indem sie den Hörsaal verließen und Hilfe holten.

Aufgrund der enormen psychischen Belastung, die eine solche (wenn auch fingierte) Situation für die Studierenden mit sich bringt, würde diese Art Experiment heutzutage von keiner Ethikkommission mehr genehmigt werden.

Mitte der 1980er Jahre inszenierten Harari und Kollegen im Zuge ihres Feldexperiments einen sexuellen Übergriff auf dem Campusgelände ihrer Universität. Die teilnehmenden Versuchspersonen gingen in der einen Bedingung entweder allein spazieren, während sich der fingierte Vorfall ereignete oder waren in einer anderen Bedingung in einer Gruppe unterwegs.

Waren die Probanden in einer Gruppe, griffen sie zu 85 Prozent direkt ein, allein immerhin noch 65 Prozent. In 80 Prozent der Fälle fand zudem ein indirektes Hilfeverhalten statt, indem die Versuchsteilnehmer den Sicherheitsdienst verständigten.

Das falsche Kategoriedenken kann Hilfeverhalten aushebeln

Das Hilfeverhalten in einer Gewaltsituation wird allerdings nicht nur durch das Geschlecht des Beobachtenden, eine berufsbedingte Erfahrung im Umgang mit Gewalt oder die Tatsache beeinflusst, ob man allein oder mit mehreren den Vorfall bemerkt.

Auch das Konzept der Familie kann Hilfeleistung unterbinden. Das zeigte der tragische Fall des James Bulger. Der Zweijährige wurde 1993 in Liverpool von zwei zehn Jahre alten Jungen entführt, gequält und schließlich ermordet. Angeblich haben 38 Zeugen beobachtet, wie das körperlich verletzte Kleinkind mit den anderen beiden Jungen unterwegs war, kamen Bulger allerdings nicht zu Hilfe.

Einige Zeugen sprachen die beiden Jungen auf die Verletzungen und das Weinen des Kleinkindes an. Doch diese antworteten ihnen, dass der Zweijährige ihr kleiner Bruder sei, woraufhin die Zeugen sich nicht weiter um die Angelegenheit kümmerten und das Geschehen als ungefährlich einstuften.

Das daraufhin folgende Unterlassen von Hilfe erklärte Levine damit, dass die Kategorie Familie die Hilfe unterbunden hätte. Es besteht gemeinhin die Norm, sich nicht in die Angelegenheiten fremder Familien einzumischen. Durch die Antwort, dass Bulger der Bruder der beiden anderen sei, teilten sie die Beobachter und sich in die Gruppe „Familie“ und „Nicht-Familie“ ein.

Laut Levine wäre ein Hilfeverhalten wahrscheinlicher eingetreten, wenn die Zeugen sich gedanklich in der Kategorie „Erwachsene und Kinder“ befunden hätten. Denn es besteht die Norm, dass Erwachsene für das Wohl von Kindern verantwortlich sind. Ohne den Zusatz, dass es sich angeblich um eine familiäre Angelegenheit gehandelt hätte, wäre das Verantwortungsgefühl der Zeugen präsenter gewesen und Bulger wäre vermutlich gerettet worden.

Zusammenfassung

  • Die Forschung zu prosozialem Verhalten befasst sich beispielsweise mit Themen wie dem Einfluss von Geschlechterrollen auf helfendes Eingreifen, Hilfeverhalten in Bezug auf Gewalttaten und langfristiges Hilfeverhalten.
  • Dabei fand man heraus, dass das Eingreifen in Gewaltsituationen von den situationalen Umständen abhängt sowie von den Merkmalen der Beobachter und auch vom Kategorie- und Rollendenken.
  • Geschlechterrollen bestimmten über die Form des gezeigten Hilfeverhaltens. Während Männer häufiger in akuten Notsituationen mit fremden Beteiligten eingreifen, leisten Frauen eher langfristige Hilfe in Bezug auf emotionale und persönliche Angelegenheiten bei bekannten Personen.
  • Langfristiges und wiederholtes Hilfeverhalten hängt ebenfalls von verschiedenen Faktoren ab.
  • Denn ob jemand sich für wohltätige Zwecke engagiert, Blut oder Geld spendet, hängt mit dessen eigener Rollenidentität sowie elterlichen Vorbildern oder den Erwartungen anderer zusammen.

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