Attributionsfehler und -verzerrungen: Ursachen und Folgen
In unserem Alltag haben wir mit vielen anderen Menschen zu tun. Ihr Verhalten und unser eigenes kommt uns dabei manchmal schlüssig vor. Manchmal können wir es allerdings überhaupt nicht nachvollziehen und suchen nach den Ursachen, die hinter diesem Verhalten stecken könnten.
Die Ursachensuche, um uns menschliches Verhalten zu erklären, wird in der Sozialpsychologie als Attribution bezeichnet. Dieser Prozess schließt das Sammeln und Interpretieren von sozialen Informationen ein. Dadurch können wir uns besser in unserer Umwelt orientieren. Gleichzeitig gibt uns das vermeintliche Wissen über die Beweggründe der anderen Personen ein gewisses Gefühl von Sicherheit. Denn dadurch können wir einschätzen, warum sie sich so verhalten und können darauf basierend auf ihr zukünftiges Verhalten schließen. Zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit.
Allerdings kann es bei der Interpretation der im Attributionsprozess gesammelten Daten zu Verzerrungen kommen. Diese nennt man Attributionsfehler bzw. Attribuierungsverzerrungen.
Inhalt
- 1 Was sind Attributionsverzerrungen bzw. Attribuierungsfehler?
- 2 Welche Formen von Attributionsfehler gibt es?
- 3 1. Korrespondenzverzerrungen als Attributionsfehler
- 4 2. Attribuierungsfehler: Selbstwertdienliche Attributionsverzerrung
- 5 3. Attributionsfehler: Unterschiede zwischen Handelnden und Beobachter
- 6 Lassen sich Attributionsverzerrungen korrigieren?
Was sind Attributionsverzerrungen bzw. Attribuierungsfehler?
Unsere Datensammlung läuft nicht immer fehlerfrei ab.
Diese Fehler treten sowohl bei der Sammlung als auch bei der Interpretation von Hinweisen auf, die uns im sozialen Geschehen zur Verfügung stehen. Dabei handelt es sich um eine systematische Verzerrung hinsichtlich der Ursachen, die wir dem Verhalten zuschreiben.
Wie diese Fehler zustande kommen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. So können wir fälschlicherweise Persönlichkeitseigenschaften einer Person für deren Verhalten annehmen, obwohl das Verhalten durch die Situation hervorgerufen wurde.
Aber auch unsere Aufmerksamkeit spielt eine Rolle. Wenn unser Aufmerksamkeitsfokus auf der Handlung selbst liegt und nicht auf dem Handlungsergebnis, kann das unsere Attribution beeinflussen. Auch der eigene Selbstwert prägt unsere Ursachenzuschreibungen. Wie genau die verschiedenen Faktoren sich auf unsere Attributionen auswirken, sehen wir uns nun genauer an.
Welche Formen von Attributionsfehler gibt es?
Verschiedene Ursachen bewirken unterschiedliche Fehler.
Einigen Fehlertypen wollen wir uns hier widmen. Dazu zählen:
- Korrespondenzverzerrungen,
- selbstwertdienliche Verzerrungen
- und die Unterschiede zwischen Handelnden und Beobachtenden.
1. Korrespondenzverzerrungen als Attributionsfehler
Das Verhalten einer Person wird immer von ihrem Charakter bestimmt – oder nicht?
Das glauben wir zumindest in der Regel. Allerdings werden viele Verhaltensweisen nicht selten von situationalen Faktoren beeinflusst.
Bei der Korrespondenzverzerrung geht es allerdings genau um die Annahme, dass die Persönlichkeit die unmittelbare Ursache für das Verhalten eines Menschen darstellt. Die Gründe für diese Fehlannahme hängen sowohl mit den Eigenschaften der Situation selbst zusammen als auch mit unseren persönlichen Erfahrungen und Erwartungen.
Situationale Faktoren sind oftmals sehr subtil und nur schwer festzustellen. Wir nehmen einfach nicht alle Einzelheiten einer Situation wahr, die das Verhalten anderer beeinflussen könnte. Wenn wir jede denkbare Information aufnehmen würden, wäre unser Gehirn schlichtweg überlastet. Daher filtert es vorsorglich scheinbar Irrelevantes aus.
Unsere Erwartungen können die Attribution ebenfalls verzerren. Das zeigt sich vor allem im sogenannten Konsensusfehler. Dieser beschreibt die fälschliche Annahme, dass alle anderen Personen im Allgemeinen unsere Einstellungen und Überzeugungen teilen. Wir schließen also von uns auf andere. Wir beobachten eine bestimmte Handlung bei einer anderen Person und gehen davon aus, dass sie aus denselben Beweggründen handelt, wie wir es tun würden.
Korrigieren der Attributionsverzerrung oder bei der ursprünglichen Annahme bleiben?
Doch wie entsteht die Korrespondenzverzerrung überhaupt?
Hinter diesem Attributionsfehler wird ein Prozess angenommen, der unter Umständen auch die Korrektur der ersten Interpretation annimmt. Wenn wir eine Handlung beobachten, nehmen wir gleichzeitig auch verschiedene situationale Einflüsse war – jedoch eben nicht alle.
Diese hintergründigen Informationen, können das Verhalten ebenfalls beeinflussen, liegen allerdings außerhalb unserer Wahrnehmung. Somit bilden sie eine Ursache der Attributionsverzerrung. Das bedeutet, dass wir lediglich die Persönlichkeitseigenschaft des Anderen als Erklärungsursache heranziehen, anstatt die Situation – in welcher die Person steckt – ebenfalls zu Grunde zu legen.
Daneben nehmen wir nicht nur die Situation, sondern auch das Handeln an sich wahr. Dabei fließen unsere Erwartungen ein. Diese wiederum können zu einer dispositionalen Schlussfolgerung führen. Das bedeutet, dass wir einen persönlichkeitsbezogenen Ursprung der Handlung vermuten.
Anders gesagt…
Der Gegenüber handelt so, aufgrund seiner Persönlichkeit und nicht aufgrund der Situation.
Im Idealfall kommt es anschließend noch zu einer situationsbedingten Korrektur. Dabei werden erneut die situationalen Faktoren interpretiert, um die dispositionale Schlussfolgerung etwas zu entkräften. Dieser letzte Schritt ist allerdings kognitiv recht aufwändig, weshalb er auch oftmals ausbleibt. Das Fehlen dieser Korrektur führt schließlich zur Korrespondenzverzerrung. Wenn wir kognitiv ohnehin schon ausgelastet sind, verharren wir auf der dispositionalen Schlussfolgerung.
Die kognitive Auslastung verhindert eine Korrektur unserer Attributionsfehler
Das konnten auch Gilbert, Pelham und Krull 1988 in ihren Experimenten zeigen.
Sie teilten die Teilnehmer in Gruppen ein und ließen sie eine Videosequenz anschauen. In dem Video war eine nervös wirkende Frau, die sich mit einer anderen Person unterhielt. Die Gruppen sahen zwar das gleiche Video, doch die Untertitel unterschieden sich.
Während die Untertitel des einen Videos nahelegten, dass die Frau über Sex sprach, handelten die anderen Untertitel von den Einstellungen der Frau zur Gartenarbeit. Die Situation variierte demnach in den Videos: Ein heikles Thema stand einem neutralen Thema gegenüber. Das heikle Gesprächsthema diente als situationaler Faktor, durch den sich die Versuchsteilnehmer das nervöse Verhalten der Frau erklären konnten. Bei den Untertiteln zur Gartenarbeit schlossen sie auf eine nervöse und ängstliche Persönlichkeit der Frau.
Zusätzlich sollten einige Probanden sich die Untertitel merken, während andere sich die Sequenz einfach nur anschauten. Es zeigte sich, dass hohe kognitive Anforderung (das Merken der Untertitel) dazu führten, dass die Versuchspersonen die Frau in beiden Videos als ängstlich einstuften. Sie hatten keine kognitiven Kapazitäten mehr für die situationsbezogene Neubewertung zur Verfügung und kamen zu einer dispositionalen Schlussfolgerung, die sie anschließend nicht mehr korrigierten.
2. Attribuierungsfehler: Selbstwertdienliche Attributionsverzerrung
Um unseren Selbstwert zu schützen, verzerren wir unsere Wahrnehmung.
Deshalb….
Unter einer selbstwertdienlichen Attributionsverzerrung ist eine motivierte Verzerrung zu verstehen. Der Fehler wird zwar nicht bewusst gemacht, doch dient er der Erhaltung oder der Steigerung unseres Selbstwerts. Wir sehen uns selbst gern in einem guten Licht und das beeinflusst auch die Art und Weise, wie wir Ursachenzuschreibungen unternehmen.
Als Beispiel nehmen wir folgendes Experiment…
Die Probanden werden von der Versuchsleitung angewiesen, mittels einer neuen Lehrmethode Kindern das Multiplizieren beizubringen. Wenn die Kinder nun falsche Lösungen präsentieren, schließen die Probanden auf die Unfähigkeit der Kinder. Sie selbst haben sich schließlich an die Anweisungen des Versuchsleiters gehalten und alles gut und richtig erklärt. Geben die Kinder allerdings die korrekte Lösung an, attribuieren die Probanden den Erfolg der Kinder nicht auf deren Fähigkeiten. Stattdessen gehen sie von einer effektiven Lehrmethode aus, die sie zusätzlich gut vermitteln konnten.
Und dies geht noch weiter…
Denn der Mensch neigt dazu, dass alles Positive – welches er im Leben erfahren hat, sich selbst zuschreiben zu wollen. So sind Erfolg, Status, Geld usw. immer das Ergebnis harter Arbeit, Disziplin und persönlichen Charaktereigenschaften.
Im Gegensatz dazu sind Misserfolg, wie Armut, Versagen, Scheidung oder Krankheit – entweder situationsbedingt, willkürlich oder die Schuld von anderen Menschen.
Selbstwertdienliche Attribuierungsfehler sind somit Ursachenzuschreibungen, welche dazu dienen – den eigenen Selbstwert entweder zu schützen oder auszubauen.
Selbstwertdienliche Attributionen haben Grenzen
Denn dieser Effekt geht auf unser Bedürfnis zurück, unser Selbstwertgefühl aufrecht zu erhalten.
Und dabei handelt es sich dabei um einen schmalen Grat. Denn verschiedene Motivationen konkurrieren miteinander.
Einerseits wollen wir zwar unser Selbstwertgefühl fördern, indem wir zum Beispiel unsere Leistungen und Fähigkeiten zur Schau stellen. Andererseits wollen wir auch nicht als Angeber gelten oder arrogant wirken. Letzteres kann dazu führen, dass selbstwertdienliche Attributionen abgeschwächt werden. Dann denken die Probanden aus dem beispielhaften Experiment vielleicht, dass sie zwar gute Lehrer wären. Doch schreiben sie den Kindern auch eine gute Lernfähigkeit zu.
Das ist zumindest der Regelfall. Interessant ist, dass Menschen mit Depressionen einen anderen Attributionsstil aufweisen. Ihre Attributionen sind nicht selbstwertdienlich, sondern sie suchen die Schuld für Misserfolge allein bei sich. Das gilt selbst für Ereignisse, an denen sie nicht einmal selbst beteiligt waren.
3. Attributionsfehler: Unterschiede zwischen Handelnden und Beobachter
Wenn mir etwas misslingt, liegt es an der Situation – dein Misserfolg hängt mit deinem Charakter zusammen.
Wir neigen dazu, die Ursachen für den Misserfolg anderer in deren Persönlichkeit zu vermuten. Hier kommen wir also schnell zu dispositionalen Schlussfolgerungen. Wenn uns selbst ein Fehler unterläuft, suchen wir die Ursache dafür in der Situation. Das hat auch wieder einen selbstwertdienlichen Hintergrund. Doch es gibt noch weitere Gründe für diese Form der Attributionsverzerrung.
Denn…
Wenn wir das Handeln eines anderen beobachten, haben wir normalerweise nicht so viele Informationen zu dessen Beweggründen wie der Handelnde selbst. Da uns diese Informationen fehlen nehmen wir sozusagen eine Abkürzung und gehen von einer persönlichkeitsbezogenen Ursache aus.
Doch auch unsere Aufmerksamkeit spielt eine Rolle. Wenn wir eine Handlung beobachten, liegt unser Fokus meist auf der Person und nicht auf der Situation. Daher nehmen wir situationale Faktoren auch seltener wahr. Der Handelnde selbst allerdings richtet seine Aufmerksamkeit auf die Handlung und somit nach außen. Die Ursachen für sein Verhalten sucht er daher eher in der Situation und schreibt sie nicht gleich seiner Persönlichkeit zu.
Lassen sich Attributionsverzerrungen korrigieren?
Wie nah sind unsere Attributionen an der Wirklichkeit?
Unsere Attributionen unterliegen einer Vielzahl von Faktoren, welche sie beeinflussen können. Letztendlich bleiben sie doch nur Vermutungen, die wir anstellen. Die wahren Ursachen hinter dem Verhalten anderer Menschen können wir daher nie mit völliger Sicherheit voraussagen.
Doch stellt sich im Hinblick auf die Formen von Attributionsverzerrungen die Frage, wie zuverlässig unsere Ursachensuche dann überhaupt ist. Bei Attributionen wenden wir kognitive Faustregeln an, die zwar einerseits zutreffende Schlussfolgerungen ermöglichen. Andererseits können sie uns allerdings auch in die Irre führen.
Dennoch wird angenommen, dass Attributionen häufiger zutreffen, als die Verzerrungen es vermuten lassen. Die wissenschaftlichen Studien zum Thema Attributionsverzerrung finden meist im Labor statt. Damit geht eine künstlich geschaffene Situation einher. Die daraus entstandenen Befunde können nicht immer zwingend auf die Realität angewendet werden.
Zwar existieren diese verzerrenden Faktoren, doch könnten sie in der realen Situation gewisse Vorteile mit sich bringen. Außerdem muss eine automatische dispositionale Schlussfolgerung nicht zwingend von Nachteil sein. Schließlich kann sie ja auch zutreffen.
Zusammenfassung
- Wir schreiben dem Verhalten unserer Mitmenschen bestimmte Ursachen zu. Meist vermuten wir die Gründe für ihr Verhalten automatisch in ihrer Persönlichkeit.
- Die Einflüsse der Situation auf ihr Verhalten nehmen wir häufig nicht wahr. Dadurch ergibt sich ein Attributionsfehler.
- Doch auch unser Bedürfnis nach einem positiven Selbstwertgefühl kann die Attributionen verzerren. Denn wir wollen unseren Selbstwert erhalten und nehmen Attributionen vor, die ihn unterstützen.
- Ebenso ist es von Bedeutung, ob wir Beobachter oder Handelnder sind. Je nach Perspektive verfügen wir über andere situative Informationen. Auch dieses Fehlen von Hintergrundwissen führt zu einer falschen bzw. fehlerhaften Attribution.
- Gleichzeitig ist unser Aufmerksamkeitsfokus je nach Rolle entweder auf die jeweils andere Person oder auf die Situation gerichtet. Wie zutreffend unsere Ursachenzuschreibungen letztendlich sind, ist nicht ganz klar.