Attributionstheorie an Beispielen erklärt
Im Grunde sind wir alle „Alltagspsychologen“. Ganz ohne Studium versuchen wir unbewusst, dem Verhalten unserer Mitmenschen eine Bedeutung zuzuschreiben. Wir formulieren Hypothesen über die Ursachen, die dem Verhalten anderer zugrunde liegen könnten. Wir ziehen Schlussfolgerungen über die Absichten und Persönlichkeiten anderer Menschen.
In der Sozialpsychologie spricht man bei der Zuordnung von Ursachen zu Verhaltensweisen von Attributionen. Diese Attributionsprozesse laufen automatisch ab. Die Attributionstheorie beschäftigt sich demnach mit unseren Erklärungen für spezifische Verhaltensweisen. Das gilt dabei sowohl für das Verhalten von anderen als auch für unser eigenes Handeln.
Inhalt
- 1 Attributionstheorie: Definition
- 2 Kausalattributionen und Selbstattribution
- 3 Die Theorie des korrespondierenden Schlussfolgerns
- 4 Ungewöhnliche Verhaltensweisen bringen uns ins Grübeln
- 5 Was sind Korrespondenzverzerrungen?
- 6 Was ist die Kovariationstheorie?
- 7 Kritik an Kelleys Kovariationstheorie
- 8 Fazit
Attributionstheorie: Definition
Die Attributionstheorie ist ein Ansatz, um menschliches Verhalten zu erklären. Laut diesem Modell hat ein Mensch gewisse Eigenschaften bzw. Persönlichkeitsmerkmale, welche ihn zu einer bestimmten Handlung drängen.
Zum Beispiel könnte jemand oft schreien und meckern. Demnach wären seine Attribute: jähzornig und ungehalten. Diese Attributzuordnung nimmt man in der wissenschaftliche Psychologie, aber auch Alltagspsychologie vor. Denn dadurch lassen sich Menschen in gewissen Muster abgrenzen, wie du gleich lesen wirst.
Kausalattributionen und Selbstattribution
Bei Kausalattributionen geht es darum, dass aufgrund des Verhaltens anderer auf dessen Ursachen geschlossen wird. Es wird also nach einem Grund gesucht, weshalb sich ein Mensch so verhält – wie er sich verhält. Der Beobachter – welcher Hobbypsychologe oder richtiger Psychologe sein kann – erklärt sich das Verhalten des Handelnden gegenüber anderen Menschen oder Objekten. Dabei entsteht immer ein Grund für die Handlung.
Falls du dein eigenes Verhalten untersucht und daraus schlussfolgerst, bezeichnet man dies als Selbstattribution.
Attributionstheorie nach Heider
Als Begründer der Attributionstheorie gilt der Psychologe Fritz Heider. Er nahm ein menschliches Streben nach dem Verständnis der Verhaltensursachen an. Menschen wollen somit die Verhaltensursachen kennen und verstehen. Diese Ursachen versuchen wir uns durch persönliche Merkmale der jeweiligen Person zu erklären, über deren Verhalten wir uns klar werden wollen.
Diese Form der Schlussfolgerung wird auch dispositionale Schlussfolgerung genannt und hat verschiedene Vorteile. Auf der einen Seite schaffen wir es dadurch, ansonsten unstrukturierte Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzufügen.
Und auf der anderen Seite sind Persönlichkeitsmerkmale durch eine gewisse Stabilität gekennzeichnet. Diese erlaubt es uns, auch das künftige Verhalten der betreffenden Person mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit vorherzusagen. Denn wenn das Verhalten durch ein Persönlichkeitsmerkmal bestimmt wird, ist dieses eine situationsübergreifende Ursache für das Verhalten.
Die Theorie des korrespondierenden Schlussfolgerns
Zu den genauen Abläufen dieser Schlussfolgerungsprozesse bestehen verschiedene Theorien.
Eine davon ist die Theorie des korrespondierenden Schlussfolgerns. Diese geht auf die Psychologen Davis und Jones zurück und stammt aus den 1960er Jahren.
Was ist das?
Hier liegt die Annahme vor, dass wir unter bestimmten Umständen von einem beobachteten Verhalten auf die dahinterstehende (korrespondierende) Absicht schließen. Genauer gesagt: Der Beobachter lernt am meisten über das Verhalten des Handelnden, wenn sein Verhalten Informationen über seine Persönlichkeit beinhaltet.
Denn damit kann der Beobachter sich erklären, warum diese Person so handelt. Dabei wird die Handlung mit vorherigen Handlungen der Person miteinander verglichen. Als Vergleichsgrundlage dienen die Konsequenzen der Handlungen. Wir vergleichen also das ausgeführte Verhalten anhand seiner Folgen mit anderen, nicht ausgeführten Alternativhandlungen und deren potenziellen Ergebnissen.
Die Theorie des korrespondierenden Schlussfolgerns am Beispiel erklärt
Stell dir vor, du möchtest ein Studium aufnehmen und bist auf der Suche nach einer für dich passenden Universität. Bei deiner Auswahl greifst du auf verschiedene Merkmale der zur Wahl stehenden Universitäten zurück: Wohngelegenheiten, Ruf, Freunde.
Universität A und Universität B unterscheiden sich hinsichtlich dieser Merkmale. Vielleicht ist Uni A von der Wohnlage her besser als B, doch wollen deine Freunde alle zur Uni B. In Bezug auf den Ruf unterscheiden beide Unis sich nicht.
Nehmen wir an, du entscheidest dich für Uni B, die mit den Freunden. Aus diesem Handeln könnte ein Betrachter nun schlussfolgern, dass dir das Merkmal Wohngelegenheiten weniger bedeutet als der Faktor Freunde. Da deine Freunde ebenfalls an diese Uni wollen, macht dieser Aspekt die nachteilige Wohnsituation wieder wett.
Das könnte auf verschiedene Merkmale deiner Persönlichkeit schließen lassen: Entweder ist dir die soziale Bindung zu deinen Freunden sehr wichtig oder du hast Angst, allein in einer neuen Umgebung zu sein. Es können selbstverständlich noch andere Ursachen dahinterstecken. Doch du merkst vermutlich schon, dass allein diese wenigen Informationen über das Handeln zu einer Schlussfolgerung bezüglich deiner Persönlichkeit führen.
Denn der beobachtende Mensch neigt dazu eine Schlussfolgerung zu ziehen. Und die Ursache für ein bestimmtes Handeln sucht er meistens in der Persönlichkeit des Beobachteten. Laut der Theorie des korrespondierenden Schlussfolgerns werden beide Folgen (mehr Freunde aber dafür schlechte Wohnlage) in ein stimmiges Persönlichkeitsbild gesetzt. Wenn du bereits öfter für Freundschaften entschieden hast, wird das Persönlichkeitsprofil verhärtet.
Ungewöhnliche Verhaltensweisen bringen uns ins Grübeln
Ein weiterer interessanter Punkt in der Attributions-Thematik ist der, dass Menschen sich lieber ungewöhnliche Ereignisse als gewöhnliche zu erklären versuchen.
Wir erklären uns diese ungewöhnlichen Handlungen oder Situationen dann durch einen Vergleich mit dem, was unserer Meinung nach im Normalfall hätte passieren müssen. Kennen wir das normale Verhalten von bestimmten Menschen, fällt uns ein Abweichen davon sofort auf und wir wollen es uns erklären.
Beispielsweise triffst du in der Stadt einen Freund, der dich normalerweise immer grüßt. Dieses Mal ist das allerdings nicht der Fall und dein Freund geht wortlos an dir vorbei. Sofort versuchst du eine Erklärung dafür zu finden. Hast du etwas getan, weshalb er sauer auf dich ist und dich deshalb ignoriert? Oder hat er dich ganz einfach nicht registriert, weil er in Eile war? Ist er kurzsichtig und hatte einfach seine Brille nicht auf?
Bleibt zu sagen…
Der Mensch sucht nach Ursachen für das Verhalten des Anderen. Treten dabei Abweichungen zum bisherigen Verhalten auf, wird sofort ein Erklärungsversuch unternommen.
Was sind Korrespondenzverzerrungen?
Bei dem Versuch, uns das Verhalten anderer zu erklären, kommt es immer wieder zu Korrespondenzverzerrungen.
Diese liegen der unserer Neigung zugrunde, beobachtetes Verhalten meist direkt auf das Verhalten des Handelnden zu attribuieren.
Selbst dann, wenn eigentlich situative Faktoren dessen Verhalten beeinflusst haben oder sogar die einzige Ursache dafür waren. Gut demonstriert wird diese Form der Verzerrung in der Studie von Jones und Harris aus dem Jahre 1967. Sie legten ihren Versuchspersonen einen Aufsatz vor, in welchem der Autor seine befürwortenden Ansichten hinsichtlich Castros Politik darlegte.
Hat die freie Wahl einen Einfluss auf unsere Attributionen?
Die Versuchspersonen wurden in zwei Gruppen eingeteilt.
Der einen Gruppe wurde gesagt, dass es sich bei den Äußerungen um die ehrlichen Ansichten des Autors handelte. Die andere Gruppe erhielt die Information, dass der Autor zu dem Inhalt des Aufsatzes aufgefordert wurde. In dieser Version handelte es sich also nicht um die freie Meinung des Autors.
Nach der Theorie des korrespondierenden Schlussfolgerns hätte die zweite Gruppe eigentlich aufgrund der Hintergrundinformation nicht darauf schließen sollen, dass die Haltung im Text der wahren Haltung des Autors entspricht. Das war allerdings nicht der Fall. Der situative Einfluss, dass der Autor zu diesen Aussagen gezwungen wurde, hatte kaum einen Einfluss auf die Attribution.
Dies bedeutet….
Ein Verhalten einer Person wird häufig – trotz der Information über situative Einflussfaktoren – auf die Persönlichkeit des Handelnden zurückgeführt. Der Mensch neigt automatisch dazu, die Ursache für eine bestimmte Handlung nicht in der Situation, in welcher sich der Handelnde befand zusehen, sondern in dessen Persönlichkeit.
Was ist die Kovariationstheorie?
Bei der Erklärung von Verhaltensursachen gehen wir allerdings nicht ausschließlich von feststehenden Persönlichkeitsmerkmalen aus.
Wir wägen auch verschiedene mögliche Ursachen gegeneinander ab und überlegen uns, warum eine bestimmte Person in einer bestimmten Situation auf eine bestimmte Weise auf einen Sachverhalt reagiert. Sollte sich eine Freundin von dir über einen Liebesfilm sehr abschätzig äußern, während eine andere Person anwesend ist, könntest du dich folgendes fragen:
- Reagiert sie immer so?
- Reagiert sie nur so, weil diese andere Person dabei ist?
- Mag sie Filme dieser Sorte generell nicht oder nur diesen einen Film nicht?
- Mag nur sie diesen Film nicht oder finden andere den Film auch schlecht?
Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, kann die Kovariationstheorie hinzugezogen werden.
Diese nimmt an, dass ein Beobachter auf eine ganz bestimmte Weise kausale Schlussfolgerungen über das Verhalten anderer zieht. Hierzu werden alle verfügbaren Daten über vergleichbare Situationen gesammelt und mit der Person, der Situation und dem Objekt oder Sachverhalt in Verbindung gebracht beziehungsweise kovariiert.
Aufgrund dieser Kovariation bildet sich der Beobachter dann eine Theorie über die Ursache des Verhaltens. Diese Theorie geht auf den Attributionstheoretiker Harold Kelley zurück und beschreibt, wie Menschen die unterschiedlichen Ursachen eines spezifischen Verhaltens gegeneinander abwägen.
In unserem Beispiel werden also Hinweisdaten herangezogen, welche auf früheres verhalten der Freundin hindeuten.
- Hat sie sich früher oft so verhalten?
- Hat sie erwähnt, dass sie keine Liebesfilme mag?
- Ist sie immer so, wenn die andere Freundin dabei ist?
Welche Hinweisarten finden sich in der Kovariationstheorie nach Kelley?
Kelley unterscheidet dabei drei Arten von Hinweisen: Distinktheits-, Konsistenz- und Konsensusinformation.
Bei der Distinktheitsinformation handelt es sich um die Information darüber, wie der Handelnde in einer ähnlichen Situation auf unterschiedliche Objekte reagiert. Ist deine Freundin nur von diesem einen Liebesfilm (hohe Distinktheit) gelangweilt oder von Liebesfilmen allgemein (geringe Distinktheit)?
Die Konsistenz gibt an, ob das Verhalten gegenüber des Objekts nur zu einem Zeitpunkt zutrifft oder den Regelfall darstellt. Äußert sich deine Freundin über den Liebesfilm nur so negativ, weil sie die andere Person beeindrucken will (geringe Konsistenz)? Immerhin weiß sie, dass diese den Film ebenfalls nicht leiden kann. Oder ist es egal, wer anwesend ist (hohe Konsistenz)?
Der Punkt des Konsensus bezieht sich darauf, ob nur deine Freundin den Film nicht mag (geringer Konsensus) oder ob sehr viele Personen ihrer Meinung sind (hoher Konsensus). Im zweiten Fall würde der Film sich allgemein keiner besonders großen Beliebtheit erfreuen.
Laut Kelleys Kovariationstheorie führen Hinweisarten zu Mustern
Aus diesen Hinweisarten leitete Kelley vier Muster ab, aus welchen sich jeweils unterschiedliche Implikationen ergeben.
Liegt ein geringer Konsensus (mag Film nicht) sowie eine geringe Distinktheit (mag keine Liebesfilme) und eine hohe Konsistenz (egal wer da ist) vor, so folgt eine Personenattribution. Dass deine Freundin den Film nicht mag, liegt also an ihr und nicht an der Situation oder dem Film selbst.
Sind hingegen Konsensus und Konsistenz gering, doch Distinktheit hoch, so liegt eine Kontextattribution vor. Es liegt also an der Situation (beziehungsweise an der anderen Person), dass deine Freundin sich negativ äußert.
Besteht ein hoher Konsensus, hohe Konsistenz und hohe Distinktheit, so kommt es zu einer Entitäts- beziehungsweise Objektattribution. Es liegt dann also weder an der Persönlichkeit deiner Freundin noch an der Anwesenheit der anderen Person, dass sie so eine Meinung zum besagten Film vertritt. Der Film scheint einfach nicht sehenswert zu sein.
Sofern eine hohe Distinktheit und eine hohe Konsistenz zusammen mit einem niedrigen Konsensus auftreten, kommt es zu einer Interaktion zwischen der Person und dem Objekt. Hier liegen die Ursachen zur abschätzigen Äußerung in deiner Freundin selbst und gleichzeitig im Film.
In der Regel trifft dieses Modell zwar zu, doch spielt auch die Beziehung zwischen Beobachtendem und Handelndem eine entscheidende Rolle. Daher wäre es interessant zu erfahren, wie sich deine Freundin in Gegenwart noch einer weiteren Person verhalten würde. Wollte sie die erste Person nur beeindrucken? Und wenn ja: Wie würde sie sich gegenüber einer Person äußern, die ihr egal ist?
Kritik an Kelleys Kovariationstheorie
Das Modell von Kelley ist in sich zwar schlüssig und oft auch zutreffend.
Dennoch ist es nicht gänzlich frei von Kritik. So kann man anmerken, dass dieses komplexe Vorgehen nicht wirklich vorstellbar ist. Es stellt sich daher die berechtigte Frage, ob Menschen bei der Suche nach Ursachen wirklich immer systematisch alle verfügbaren Daten sammeln und anschließend mit Hilfe aufwändiger gedanklicher Prozesse auswerten.
Häufig ist es so, dass wir auf fehlende Informationen mit dem Einfügen eigener Vorstellungen reagieren. Diese sogenannten kausalen Schemata sind Wissensstrukturen, welche unsere Attributionen zusätzlich steuern. Entweder haben wir abstrakte Vorstellungen über kausale Zusammenhänge oder greifen auf bereichsspezifische Erfahrungen hinsichtlich Ursache und Wirkung zurück.
Fazit
Wie wir uns das Verhalten anderer erklären, hängt von vielen Faktoren ab. Wir vermuten die Ursachen meistens in der Persönlichkeit und unterschätzen situative Faktoren. Gleichzeitig sammeln wir allerdings auch eine Menge Daten rund um die Person selbst, die Situation und das Objekt oder der Person, auf welches oder welche das Verhalten des Handelnden abzielt.
Es gibt verschiedene Arten von Hinweisen, auf denen wir unsere Schlussfolgerungen stützen. Doch auch unsere Erfahrungen und unser Verständnis von kausalen Zusammenhängen beeinflusst unsere Ursachensuche in Bezug auf ein bestimmtes Verhalten.
Zusammenfassung
- Attribute sind Persönlichkeitseigenschaften, wonach wir andere Menschen beurteilen.
- Laut Attributionstheorie nach Heider neigt jeder Mensch dazu, menschliches Verhalten nach seiner Persönlichkeit zu beurteilen.
- Dabei findet ein automatischer Prozess statt, welcher als korrespondierenden Schlussfolgerung benannt wurde.
- Um Korrespondenzverzerrungen und Attributionsfehler zu vermeiden, kann die Kovariationstheorie nach Kelley herangezogen werden. Durch diese werden Daten über früheres Verhalten gesammelt und abgeglichen.