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Gewaltspiele und Psyche: Mediale Gewalt und deren Auswirkung


Als Mediale Gewalt bezeichnet man, in Psychologie und Sozialforschung, die Darstellung von Gewaltszenen im Film, Fernsehen oder auch in Videospielen. Welchen Einfluss diese Szenen auf Kinder ausüben, zu welche kurzzeitigen Reaktionen es kommt und welche Langzeitfolgen die Gewaltdarstellung in der Psyche auslöst, erfährst du in diesem Beitrag. Zum Schluss gehen wir der Frage nach, ob Videospiele wirklich aggressiv machen.

Mediale Gewalt und Gesellschaftliche Verantwortung

Nach jedem Amoklauf an einer Schule oder ähnlichen Gewalttaten rückt auch schnell die Frage nach der Ursache in den Fokus. Häufig wird in diesem Zusammenhang darüber diskutiert, welchen Anteil gewalthaltige Computerspiele an diesen Ereignissen haben. Nicht selten tendieren die Täter zu einem großen Konsum von medialer Gewalt, wie nun einmal auch brutale Videospiele.

Doch welchen Einfluss haben gewalthaltige Medien, wie Horrorfilme und Gewaltspiele, tatsächlich auf uns?
Klar ist, um unser Verhalten zu beeinflussen, müssen sich diese Inhalte ebenfalls auf unser Denken und Fühlen auswirken. Auf die dahintersteckenden Wirkmechanismen, die Untersuchung der Zusammenhänge und den derzeitigen Stand der Forschung wollen wir im Folgenden näher eingehen.

Wie wirkt mediale Gewalt auf uns?

Wenn wir gewalthaltige Medien konsumieren, kommt es zu kurz- und langfristigen Effekten.
Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Konsum gewalthaltiger Medien und dem eigenen Level an Aggression. Das hat verschiedene Ursachen. Zum einen werden durch das Anschauen gewalthaltiger Szenen sowie auch durch das Hören entsprechender Lieder oder das Lesen von Texten mit aggressiven Inhalten in uns aggressive Gedanken und Gefühle aktiviert.

Kurzfristig kommt es auch zu einem körperlichen Erregungszustand. Du bist vielleicht über das Gesehene entsetzt, angewidert oder vielleicht auch neugierig. Genau aus diesem Grund schauen Menschen Filme, hören Musik oder spielen Games.

Sehen wir in Filmen, dass Gewalt zu bestimmten Erfolgen führt, erlernen wir dadurch neue und gleichzeitig aggressive Reaktionsmuster. Diese arbeiten wir in unsere Skripte ein und führen sie in entsprechenden Situationen aus. Unter Skripten sind in der Sozialpsychologie, eine Art mentale Drehbücher zu verstehen. Wir haben im Laufe unseres Lebens gelernt, welche Reaktionen in sozialen Situationen vermeintlich angebracht sind und fahren dieses Programm ab – ohne groß darüber nachzudenken.

Ein harmloses Beispiel für ein Skript ist der Besuch eines Restaurants. Du hast gelernt, wie diese Situation abläuft und musst nicht viel darüber nachdenken. Du weißt, dass du erst nach Erhalt der Karte ein Gericht auswählen und bestellen kannst und wann die Zahlung fällig ist. Wenn du allerdings ein aggressives Skript entwickelt hast, laufen auch Konfliktsituationen automatisch ab. Wenn Gewalt in solchen Situationen in der Vergangenheit ein probates Mittel darstellte, wirst du diese auch bei künftigen Situationen dieser Art anwenden.

In einem Actionfilm könnte gezeigt werden, wie ein besonders gewalttätige Held seine Ziele erreicht und dafür die Gunst des anderen Geschlechts erhält. Dieser Held könnte, durch den Film, besonders anziehend und sexy wirken. Somit besteht eine Möglichkeit, dass Menschen – welchen diesen Film sehen – Gewalt, Aggression oder Ungehorsam als sexy empfinden.

Ein weiterer langfristiger Effekt ist der, dass es zu einer Gewöhnung kommt. Die Gewalt schockiert irgendwann nicht mehr, sondern findet eine Art normativer Akzeptanz. Dadurch kann sich auch der Attributionsstil ändern. Bei Attributionen handelt es sich um Ursachenzuschreibungen.

Ein feindseliger Attributionsstil zeichnet sich dadurch aus, dass als Ursache des Verhaltens anderer Personen eine böswillige Absicht vermutet wird. Und dies ist in gewalthaltigen Filmen immerhin Regelfall. Denn schließlich ist – in Film und Fernsehen – der Bösewicht immer aufgrund seiner Persönlichkeit böse und niemals aufgrund der Umstände. Und dass es sich bei einem Unglück auch um ein Versehen handeln könnte, wird irgendwann nicht mehr in Betracht gezogen.

Wenn sich ein feindseliger Attributionsstil etabliert, steigt auch die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens. Schließlich wollen die anderen einem nur etwas Schlechtes und man muss sich schützen. Selbst aggressiv zu werden, erscheint dann nur logisch.

Wie wird der Effekt von medialer Gewalt untersucht?

Es gibt verschiedene Methoden zur Erforschung des Zusammenhangs zwischen medialer Gewalt und aggressivem Verhalten.

So kommen häufig Laborexperimente zum Einsatz. Hierbei können die Gefühle und Gedanken sowie das Verhalten der Versuchsteilnehmer untersucht werden, nachdem ihnen gewalthaltige Medien präsentiert wurden. Da im Labor weitere Einflüsse gut unter Kontrolle gebracht werden können, ist eine kausale Beziehung zwischen Ursache und Wirkung relativ gut zu erforschen.

Doch es werden auch Korrelationsstudien eingesetzt. Dabei handelt es sich meistens um Fragebogenstudien. Hier sollen die Befragten eine Selbstauskunft über ihren persönliches Konsumverhalten von gewalthaltigen Medien und ihre eigenen aggressiven Neigungen abgeben.

Zwar entfällt hierbei die künstlich geschaffene Atmosphäre eines Laborexperimentes. Doch Selbstauskünfte gehen immer mit einem gewissen Grad an Verzerrungen einher. So ist die soziale Erwünschtheit ein Problem, das es zu beachten gilt. Denn Menschen sind dazu geneigt, sich selbst möglich positiv darzustellen. Daher ist es wahrscheinlich, dass sie Fragen zu heiklen Themen nicht immer wahrheitsgemäß beantworten.

Mit Hilfe von Längsschnittstudien kann die Wirkung vom Konsum gewalthaltiger Medien auf das Verhalten über einen längeren Zeitraum hinweg bei denselben Personen beobachtet werden. Hier kann der individuelle Entwicklungsverlauf mit den Medien in Zusammenhang gebracht werden. Und das obwohl sich über einen langen Zeitraum viele andere Einflussfaktoren ergeben. Diese werden bei der statistischen Auswertung berücksichtigt.

Befundlage zum Zusammenhang von medialer Gewalt und Aggression

Oder anders gefragt…
Verursachen die gewalthaltigen Medien Aggressionen?

Studien zur Beziehung zwischen gewalthaltigen Medien und aggressivem Verhalten fanden zwar einen Zusammenhang. Das gilt ebenfalls für gewalttätigen Videospiele. Doch Kritiker werfen diesen Studien methodische Mängel vor. Sie bezweifeln, dass der Konsum medialer Gewalt zu aggressiven Gedanken und Gefühlen führt und gehen von einer Überschätzung des Effekts aus.

Diese Vermutung konnte allerdings widerlegt werden, indem Studien mit methodisch fragwürdigen Verfahren aus den Meta-Analysen ausgeschlossen wurden. Dazu wurden nur Studien in die Analyse einbezogen, die einen Vergleich von gewalthaltigen und gewaltfreien Spielen beinhalteten sowie eine Erfassung der Häufigkeit des Konsums dieser Spiele. Daraus ergab sich ein noch stärkerer Zusammenhang zwischen dem Konsum medialer Gewalt und dem aggressiven Verhalten.

Zusätzlich konnte ein negativer Zusammenhang zwischen der Nutzung von Gewaltspielen und prosozialem Verhalten festgestellt werden. Je mehr Zeit die Personen mit derartigen Spielen zubrachten, desto weniger hilfsbereit zeigten sie sich.

Insgesamt ist der Effekt vom Zusammenhang zwischen Gewaltspielen und Aggression nur von mittlerer Stärke. Denn im Ganzen können weniger als 10% des aggressiven Verhaltens durch den Konsum medialer Gewalt erklärt werden. Eine Vielzahl anderer Faktoren, wie die genetische Veranlagung, situationale Umstände, Persönlichkeitseigenschaften oder Lernerfahrungen bilden weitere Ursachenfaktoren. Allerdings ist das noch immer ein beachtlicher Anteil in der Varianz.

So gelten gewalthaltige Videospiele neben der Mitgliedschaft in einer Gang und einer gestörten Eltern-Kind-Beziehung zu den drei Hauptrisikofaktoren im Bezug auf gewalttätiges Verhalten. Erst danach folgt der allgemeine Konsum gewalthaltiger Medien (Filme, TV-Serien) sowie ein niedriger IQ, eine zerrüttete Familie und elterlicher Missbrauch.

Welche Mechanismen bewirken den Effekt von medialer Gewalt auf Aggressionen?

Es gibt gewisse Mechanismen, welche einen Zusammenhang zwischen Gewaltszenen in Medien und einem daraus resultierenden Aggressionspotential darstellen.

Oder anders gesagt…
Es gibt Auslöser, welche irgendwann in die menschliche Psyche eingreifen und Aggressionsverhalten hervorrufen können.

  1. Abrufbarkeit
  2. Soziale Lernprozesse
  3. Körperliche Reaktionen
  4. Attributionsstil bzw. Persönlichkeitsmerkmale

Diese möchte ich dir jetzt vorstellen.

Abrufbarkeit

Gewalttätige Inhalte erleichtern die Abrufbarkeit aggressiver Gedanken.
Das zeigten zum Beispiel Studien, in denen die Probanden entweder ein gewaltfreies Video sahen oder eines mit gewalthaltigen Inhalten.

Anschließend wurden die Studienteilnehmer gebeten, ihre Gedanken und Gefühle aufzuschreiben. Hatten sie zuvor das gewalthaltige Video gesehen, fanden sich in den Texten der Probanden weit mehr aggressive Äußerungen als nach dem Anschauen des neutralen Videos.

Soziale Lernprozesse

Menschen neigen zur Nachahmung.
In gewalthaltigen Filmen ist es nicht selten, dass aggressives Verhalten belohnt oder zumindest nicht bestraft wird. Das Lernen am Modell ist besonders dann sehr wahrscheinlich, wenn die Zuschauer sich mit dem aggressiven Protagonisten identifizieren können.

Handelt es sich bei dem gewaltausführenden Charakter also um eine attraktive und interessante Persönlichkeit, lassen wir uns leichter zur Nachahmung des aggressiven Verhaltens hinreißen.

Affekte und körperliche Reaktionen

Gewalthaltige Medien haben sowohl einen kurz- als auch einen langfristigen Effekt.
Zu den kurzfristigen Effekten zählt die gesteigerte körperliche Erregung, welche wir häufig als Ärger interpretieren. Auch die Feindseligkeit steigt, denn die Gewalt in Filmen oder Videospielen ist häufig dadurch begründet, dass das Gegenüber dem Protagonisten schaden will.

Auf lange Sicht kommt es allerdings zu einer Abstumpfung. Das gilt sowohl für die körperlichen als auch für die emotionalen Reaktionen auf das Gesehene. Durch die wiederholte Darbietung nimmt die Erregung ab, die ein bestimmter Reiz ursprünglich auslöste.

Dieser Prozess wird auch als Habituation bezeichnet. Die körperliche Erregung bleibt zwar in gewisser Weise bestehen. Doch nimmt die Angst beim Anblick von Gewaltdarstellungen ab, während die positive Erregung an ihre Stelle tritt. Das Mitgefühl für das Opfer sinkt gleichzeitig. Dieser Effekt der Habituation konnte bisher nur bei gewalthaltigen Medien festgestellt werden. Bei lustigen Filmszenen tritt dieses Phänomen nicht auf.

Normative Akzeptanz und feindseliger Attributionsstil

Der Konsum gewalthaltiger Medien wirkt auch indirekt auf unser Verhalten.
Je häufiger wir mit medialer Gewalt konfrontiert werden, desto eher wird Gewalt normativ akzeptiert. Die Gewalt wird im Laufe der Zeit ein Teil der Normalität. Auch der feindliche Attributionsstil nimmt zu.

In Experimenten mit Schülern konnte dieser Zusammenhang nachgewiesen werden. Sie waren angehalten einen Monat lang ein gewalthaltiges Videospiel zu spielen. Anschließend zeigten sie eine gesteigerte normative Akzeptanz in Bezug auf Aggressionen. Des Weiteren gaben sie in Selbstberichten an, eine größere Neigung zu körperlicher Aggressivität sowie einen stärker ausgeprägten Attributionsstil und eine feindseligere Weltsicht im Allgemeinen entwickelt zu haben.

Sind Videospiele ein Auslöser von Gewalt?

Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten.
Die obigen Ausführungen weisen deutlich darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Konsum medialer Gewalt und aggressivem Verhalten gibt. Laborexperimente haben allerdings den Nachteil, dass ihre Ergebnisse nicht zwangsläufig für Situationen außerhalb des Labors ebenfalls zutreffend sind.

Zudem stehen sich zwei Hypothesen gegenüber. Die Sozialisationshypothese geht davon aus, dass Mediengewalt die Konsumenten aggressiver macht. Allerdings wäre es ebenso möglich, dass aggressivere Personen eher von gewalthaltigen Medien angezogen werden als weniger aggressive Menschen. Das nimmt zumindest die Selektionshypothese an.

Langzeitstudien konnten allerdings nachweisen, dass besonders der Konsum gewalthaltiger Medien in der Kindheit einen langfristigen Effekt mit sich bringt. Es konnten Zusammenhänge zwischen dem Konsum und Gewaltverbrechen im Erwachsenenalter festgestellt werden. Zwar ist dieser Zusammenhang kein besonders großer und bei Langzeitstudien tun sich noch etliche andere Einflussfaktoren auf. Dennoch ist die Beziehung zwischen medialer Gewalt in der Kindheit und das aggressive Verhalten im weiteren Verlauf des Lebens gegeben.

Das Geschlecht scheint in Bezug auf die generelle mediale Gewalt keine Rolle zu spielen. Zumindest ist die Befundlage hier recht uneindeutig. Einige Studien fanden einen stärkeren Effekt bei Jungen, andere wiederum stellten bei beiden Geschlechtern einen Einfluss von Mediengewaltkonsum auf das spätere Verhalten fest. Allerdings scheint der negative Effekt von gewalthaltigen Videospielen auf Aggressionen bei Jungen stärker ausgeprägt zu sein als bei Mädchen.

Zusammenfassung

  • Der Konsum gewalthaltiger Medien hat einen Einfluss auf die Psyche.
  • Denn durch Gewaltdarstellung erlernen wir aggressive Reaktionsmuster, entwickeln eine negativere Sicht auf die Welt und vermuten hinter den Handlungen anderer schnell eine böswillige Absicht.
  • Das Gesehene sorgt dafür, dass wir einen besseren Zugriff auf aggressive Gedanken und Gefühle haben. Die Aggression wird also auch in uns dadurch präsenter.
  • Je mehr medialer Gewalt wir ausgesetzt sind, desto normaler erscheint uns diese Form der Aggression. Wir eignen uns dieses Verhalten unter Umständen selbst an, indem wir das Gesehene nachahmen.
  • Verschiedene Studien konnten sowohl einen Einfluss von medialer Gewalt allgemein auf unser Verhalten ausmachen als auch speziell in Bezug auf gewalthaltige Videospiele.
  • Die Langzeiteffekte sind am größten, wenn wir in unserer Kindheit mit medialer Gewalt konfrontiert wurden. Gerade bei Jungen scheint der Zusammenhang zwischen Gewaltspielen und aggressivem Verhalten gegeben zu sein.
  • Doch auch wenn der Konsum von medialer Gewalt einen Risikofaktor darstellt, so müssen auch weitere Ursachen von aggressivem Verhalten beachtet werden. Nur aufgrund eines Videospiels werden die wenigsten auch selbst gewalttätig.

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