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Psychische Folgen sexueller Gewalt


In Filmen wird uns häufig suggeriert, dass sexuelle Übergriffe nur im Dunkeln stattfinden und zwar durch einen psychisch gestörten Fremden, der sich an seinem Opfer vergreift. In der Realität sieht es allerdings anders aus. In den meisten Fällen kennen Täter und Opfer sich und stehen sich häufig sogar recht nahe.

Doch Missbräuche sind nur ein Aspekt von sexueller Gewalt. Was überhaupt unter sexuellen Aggressionen zu verstehen ist, welche Folgen Übergriffe solcher Art auf die Opfer haben und wieso wir die Schuld oft eher bei den Opfern als bei den Tätern suchen, beantworten wir in den folgenden Absätzen.

Was ist sexuelle Aggression bzw. Gewalt?

Unter sexueller Gewalt versteht man nicht nur Missbrauch. Sexuelle Aggression kann definiert werden als Androhung oder Einsatz von körperlicher Gewalt, um das Opfer zu sexuellen Handlungen zu zwingen. Dazu gehören allerdings auch verbaler Druck oder das Ausnutzen der Wehrlosigkeit des Opfers. Ebenso bildet ungewollte sexuelle Aufmerksamkeit eine Form von sexueller Aggression. Beispiele dafür sind sexuelle Belästigung, Stalking sowie auch Telefonanrufe oder Mails mit anzüglichen Inhalten.

Die Mehrheit der Taten gestaltet sich so, dass Männer als Täter agieren und sich weibliche Opfer suchen. Das zeigen sowohl Kriminalstatistiken als auch Opferbefragungen. Als Beispiel zeigt die polizeiliche Kriminalstatistik aus dem Jahr 2009 ein klares Bild: In 99% der angezeigten Fälle handelte es sich um männliche Täter. Auf der Seite der Opfer waren 96,1% weiblich und 3,9% männlich. Zwar gibt es auch eine (wenn auch geringe) Zahl an weiblichen Täterinnen. Doch die überwiegende Mehrheit sexueller Übergriffe wird durch männliche Täter verübt. Sowohl gegenüber weiblichen als auch männlichen Opfern.

Welche Risikofaktoren begünstigen sexuelle Gewalt?

Es gibt bestimmte Umstände, die das Risiko von sexuellen Übergriffen steigern. Auf der einen Seite spielt die eigene Biografie eine Rolle. Wurden in der Kindheit bereits Erfahrungen hinsichtlich sexueller Aggressionen gemacht, steigt die Wahrscheinlichkeit erneuter sexueller Gewalt im späteren Leben.

Einerseits entwickeln Betroffene manchmal selbst ein aggressives Verhalten und werden sexuell übergriffig. Andererseits haben sie als Kinder bestimmte Verhaltensmuster erlernt, die sich anfälliger für die Rolle des Opfers machen.

Doch auf der anderen Seite gibt es auch situationale Risikofaktoren. Unter Alkoholeinfluss steigt die Gefahr, Opfer eines sexuellen Übergriffs zu werden. Der Täter kann die Wehrlosigkeit des betrunkenen Opfers ausnutzen. Doch auch die Hemmschwelle der Täter sinkt mit steigendem Pegel, so dass sie schneller ein sexuell aggressives Verhalten zeigen.

Welche Folgen hat sexuelle Aggression für das Opfer?

Sexuelle Übergriffe ziehen nicht nur körperliche, sondern auch psychische Folgen nach sich. Opfer von sexuellen Angriffen oder von Übergriffen brauchen verständlicherweise lange, um diese Erlebnisse zu verarbeiten. Manche entwickeln in Folge dessen sogar eine Posttraumatische Belastungsstörung, kurz: PTBS.

Von PTBS betroffene Opfer durchleben die Tat vor ihrem inneren Auge immer wieder. Die wiederkehrenden Erinnerungen können sich in Form von Träumen oder Bildern zeigen. Sie treten in allen möglichen Situationen wieder auf und belasten die Betroffenen stark.

Durch das erneute gedankliche Durchleben des Vorfalls, kommen auch immer wieder die negativen Gefühle der Tat auf. Dazu können Angst, Wut, Scham oder Hilflosigkeit gehören. Doch zu der Symptomatik der PTBS gehört auch eine emotionale Taubheit und ebenso Versuche, bestimmte Hinweisreize zu vermeiden. Betroffene versuchen nämlich, sämtlichen Stimuli aus dem Weg zu gehen, die sie an den Vorfall erinnern. Das schränkt sie in ihrem Alltag ungemein ein.

Zusätzliche Belastung durch falsche Vorstellungen sexueller Gewalt

Neben den psychischen Folgen erschweren auch gesellschaftliche Aspekte die Verarbeitung der Erfahrung.
Viele haben eine falsche Vorstellung davon, was eine „echte“ Vergewaltigung ist. Wir denken an Filmszenen, in denen eine Frau nachts allein unterwegs ist, plötzlich von einem Fremden überfallen und in eine dunkle Gasse gezerrt wird.

Tatsächlich ist das allerdings eher selten der Fall. In Wahrheit finden die meisten Übergriffe durch Bekannte, Freunde oder sogar den eigenen Partner statt. Hinsichtlich der psychischen Folgen macht es auch keinen Unterschied, in welcher Beziehung Opfer und Täter standen. PTBS kann auch durch die sexuelle Gewalt einer bekannten Person ausgelöst werden. Anders als viele glauben, sind Übergriffe von Bekannten nämlich nicht weniger traumatisierend als die durch Fremde.

Die Schuld wird vom Täter auf das Opfer gelenkt

Die stereotype Vorstellung über den Ablauf einer „echten“ Vergewaltigung wird häufig zum Nachteil für die Opfer.
Dieser Glaube ist nämlich der Grund dafür, dass Opfern häufig eine Mitschuld an der Tat gegeben wird. Wenn die Frau beispielsweise Alkohol getrunken hatte, wird ihr in der Regel die Verantwortung für die Tat zugeschoben. Schließlich hätte sie ja nichts trinken müssen und dann wäre das alles nicht passiert.

Paradoxerweise verhält es sich in Bezug auf den Täter genau umgekehrt. Wenn dieser unter Alkoholeinfluss stand, heißt es oft „So betrunken wie er war, konnte er sich selbst einfach nicht mehr kontrollieren“. Dem Opfer wird also unter denselben situationalen Gegebenheiten die Schuld auferlegt, während dem Täter Unzurechnungsfähigkeit unterstellt wird. Ihn trifft in dem Fall keine Schuld, da er schließlich nicht im vollen Besitz seiner Fähigkeiten war.

Eine gerechte Welt wiegt uns in scheinbarer Sicherheit

Wird dem Opfer eine Mitschuld an der Tat zugesprochen und dem Täter die Verantwortung abgesprochen, so spricht man von Victim Blaming.

Dazu kommt es unter anderem, weil wir uns in der Welt sicher fühlen wollen. Wir glauben, dass uns so etwas nicht passieren könnte und versuchen uns vom Opfer abzugrenzen. Irgendetwas muss dieses also an sich haben, was es von uns unterscheidet. Dieses Etwas muss die Tat provoziert haben, sonst wäre dem Opfer so etwas nicht zugestoßen. Wir gehen davon aus, dass jeder letztendlich bekommt, was er oder sie verdient. Dieser Gedankengang wird auch als Gerechte-Welt-Glaube bezeichnet.

Wann kommt es nach sexueller Gewalt zum Victim Blaming?

Victim Blaming ist ein gesellschaftliches Problem. Zwar bezieht sich dieses Phänomen nicht allein auf Missbräuche und Übergriffe, doch ist es im Kontext sexueller Gewalt sehr stark verbreitet. Es gibt verschiedene Merkmale des Opfers, welche die Wahrscheinlichkeit von Victim Blaming erhöhen. So ist das Verhalten des Opfers vor der Tat häufig entscheidend dafür, ob diesem eine Mitschuld angelastet wird oder nicht.

Stelle dir zwei Szenarien vor. Im ersten Szenario trifft eine Frau sich mit Freundinnen in einem Club. Sie ist geschminkt und trägt ein enges Kleid, tanzt ausgelassen zur Musik und teilt sich mit ihren Freundinnen einige Drinks. Dabei bemerkt sie, wie ein Mann sie ansieht. Sie lächelt kurz, wendet sich aber wieder ab. Sie ist nicht an ihm interessiert, sondern will den Abend mit ihren Freundinnen genießen.

Als sie später auf ein Taxi wartet, begegnet der Mann ihr wieder. Dieser versucht weiterhin Kontakt aufzunehmen, welchen sie allerdings abblockt. Daraufhin wird der Mann übergriffig.

Im zweiten Szenario kommt dieselbe Frau von der Spätschicht nach Hause. Sie ist ungeschminkt und trägt ihre Arbeitskleidung. Sie ist müde, bemerkt Schritte hinter sich und will einfach nur schnell heim. Dann wird sie von einem Mann angegriffen. Na? Bei welchem Szenario denkst du eher „Also sie hat es ja irgendwie selbst provoziert“?

Ist das Opfer selbst schuld?

Die Kleidung des Opfers, der Alkoholkonsum und das Verhalten wecken Assoziationen in uns, die uns dazu verleiten, dem Opfer die Schuld zu geben.

Doch auch der soziale Status des Opfers sowie die Verletzung weiblicher Rollenvorschriften machen eine Schuldzuweisung wahrscheinlicher. So herrscht etwa das Stereotyp vor, dass eine „gute“ Frau möglichst wenig Sexualpartner hatte. Hatte ein weibliches Opfer vor einer Vergewaltigung bereits mehrere Beziehungen und diverse Sexualpartner, wird ihr häufiger eine Mitschuld an dem Übergriff gegeben. Schnell drängt sich der Gedanke auf, dass sie ja ohnehin leicht zu haben sei und sie dem Täter sicher genau das suggeriert hätte.

Wie Stereotype unser Urteil trüben

Diese stereotypen Vorstellungen herrschen in den Köpfen der meisten Menschen vor. Auch Richter oder Jury-Mitglieder bilden da keine Ausnahme. Daher stellt Victim Blaming auch eine wesentliche Ursache für die geringe Verurteilungsquote bei Vergewaltigungen dar.

Doch einen wichtigen Punkt vergessen viele in ihren Überlegungen zur Schuldfrage: Egal, ob das Opfer getrunken hat oder einen kurzen Rock trug – die Schuld liegt immer beim Täter allein. Denn dieser führt die Tat aus. Nicht das Opfer. Daher ist es wichtig, die Prozesse hinter dem Phänomen des Victim Blamings zu verstehen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Ansonsten zeigen Opfer die Tat nicht an, da sie sich vor Schuldzuweisungen durch andere fürchten.

Außerdem haben auch die Opfer sexueller Übergriffe dieses Skript einer „echten“ Vergewaltigung. So zweifeln sie manchmal selbst daran, dass sie überhaupt vergewaltigt wurden und suchen bei sich selbst die Schuld.


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