3 Gründe, warum Menschen keine Hilfe annehmen
Menschen haben gern das Gefühl, gebraucht zu werden. Manche gehen regelrecht in ihrer Rolle als „guter Samariter“ auf und handeln so selbstlos, wie es nur eben geht. Doch auch die aufrichtigste Absicht, anderen etwas Gutes zu tun, kommt nicht zwingend immer gut beim Hilfeempfänger an.
Dieser kann bestimmte Formen der Hilfe sogar als lästig oder anmaßend empfinden und sie daraufhin ablehnen. Damit stößt die betreffende Person allerdings nicht nur dem Helfenden vor den Kopf, sondern erntet auch gleichzeitig von anderen Personen nur verständnisloses Kopfschütteln.
Doch warum empfinden wir gut gemeinte Hilfsangebote manchmal als unangemessen und aufdringlich, während wir sie ein anderes Mal dankend annehmen? Welche psychologischen Mechanismen ursächlich für dieses paradox erscheinende Verhalten sind und welche Funktion Machtbeziehungen, Gruppenzugehörigkeit und Art der angebotenen Hilfe dabei einnehmen, das sehen wir uns nun genauer an.
Inhalt
Was ist der Unterschied zwischen abhängigkeitsorientierter und autonomieorientierter Hilfe?
Zunächst einmal sollten wir zwei Arten von Hilfe unterscheiden. Denn diese beiden Arten werden vom Hilfeempfänger sehr unterschiedlich wahrgenommen. Dabei handelt es sich um die abhängigkeitsorientierte Hilfe auf der einen Seite und autonomieorientierte Hilfe auf der anderen Seite.
Bei der abhängigkeitsorientierten Hilfe bietet der Helfende eine bereits komplett vorgefertigte Lösung an. Damit möchte dieser in der Regel dem anderen eine Last nehmen und dessen Problem möglichst vollständig auflösen. Doch der Empfänger kann diese Absicht schnell missverstehen. Denn dieses „Komplett-Set“ zur Problemlösung impliziert, dass der Empfänger selbst offenbar nichts zur Selbigen beitragen kann. Der Hilfe empfangenden Person wird also ein Stück weit die Kompetenz abgesprochen, die Dinge selbst regeln zu können.
Das wiederum kann den Selbstwert schmälern und eine Abhängigkeit von dem Helfenden noch verstärken. Denn wenn der Empfänger stets eine vorgefertigte Lösung serviert bekommt, lernt er auch keine Strategien zur Lösung seiner Probleme. Stattdessen verlässt er sich zunehmend auf die Hilfe des Helfenden, wird passiver und von diesem abhängiger. Gerade Menschen, welche sich als „Macher“ verstehen – lehnen diese Hilfe ab.
Die autonomieorientierte Hilfe hingegen verfolgt eine andere Strategie. Statt dem Hilfeempfänger (unbewusst) eine gewisse Inkompetenz zur Problemlösung zur unterstellen und ihm deshalb gleich die ganze Lösung vorzusetzen, werden hier lediglich die Instrumente zur Problemlösung angeboten. Diese Form der Hilfe impliziert, dass der Empfänger sich sehr wohl selbst helfen kann, so lange er über die nötigen Instrumente und Mittel dazu verfügt. Dem Empfänger wird Kompetenz im Umgang mit seinen Problemen zugestanden. Das stärkt sowohl seinen Selbstwert als auch sein Bestreben, selbst nach Lösungsstrategien zu suchen und diese eigenständig umzusetzen.
Ein Beispiel: Helfen bedeutet Wegnehmen
Ein stark vereinfachtes Beispiel veranschaulicht diesen Effekt sehr schön.
Vielleicht kennst du es auch schon. Konfuzius soll gesagt haben, dass du den Hunger eines Mannes für einen Tag stillen könntest, wenn du ihm einen Fisch gibst. Wenn du ihn jedoch das Fischen lehrst, muss er sein Leben lang nicht mehr hungern.
Auf die beiden Hilfeformen bezogen bedeutet dieses alte Sprichwort, dass du dem Mann mit dem Fisch eine abhängigkeitsorientierte Hilfe anbietest. Schließlich hat er am nächsten Tag wieder Hunger, verfügt jedoch nicht über Angelkenntnisse und ist auf den Fisch von dir angewiesen. In diesem Sinne ist er also von dir abhängig. Durch das Lehren des Fischens wird ihm allerdings das Instrument zur Problemlösung an die Hand gegeben. Er weiß nun, wie er sich in Zukunft selbst Nahrung beschaffen kann und ist nicht mehr von anderen abhängig. Mit der autonomieorientierten Hilfe schenkst du ihm daher ein Stück Selbstständigkeit.
Übertragen wir dieses Beispiel auf den alltäglichen Umgang, so kann man sagen:
„Menschen lehnen Hilfe ab, weil sie selbstständig bleiben wollen. Autonomes selbstständiges Handeln spielt bei diesen Menschen eine große Rolle und diese Fähigkeit wollen sie sich nicht vom Helfenden wegnehmen lassen.“
Auch wenn diese Menschen ganz klar hilfsbedürftig sind, lässt ihr Charakter und ihre eigene Rolleneinschätzung das Annehmen von Hilfe nicht zu. Beispiele gibt es in Pflege von Kranken und Alten. Aber auch bei alternden Familienangehörigen, welche sich selbst in der Rolle des Familienoberhauptes sehen, kann Hilfe abgelehnt werden. Ein weiterer Faktor ist Macht und Entmachtung, welcher nicht nur auf zwischenmenschlicher Basis stattfindet, sondern auch bei Gruppen, Lebensgemeinschaften, Sozialverbänden und Staaten zu finden ist.
Staatshilfe: Der Zusammenhang zwischen Machtbeziehungen und Hilfe
Neben der Form der Hilfe können auch Machtverhältnisse über die Annahme oder das Ablehnen von Hilfe entscheiden.
Machtbeziehungen werden nicht nur durch Diskriminierung oder Feindseligkeiten aufrechterhalten, sondern ironischerweise auch durch Hilfsangebote.
Dazu solltest du wissen…
Macht geht immer mit einem Ungleichgewicht in Bezug auf Ressourcenverteilung und Bedürftigkeit einher. Daher ist Hilfeverhalten per se auch einhergehend mit einem Ungleichgewicht von Macht: Der Helfende ist „mächtig“, da er über die Ressourcen verfügt, welche dem bedürftigen Empfänger der Hilfe fehlen. Das auf Seiten des „mächtigen“ Helfenden durchaus von aufrichtigen Beweggründen motivierte Hilfeverhalten wird vom Empfänger unter Umständen sehr negativ aufgefasst. Denn durch den Akt des Helfens wird dieser an seine eigene Schwäche und die Abhängigkeit von anderen erinnert. Das hat eine beeinträchtigende Wirkung auf den Selbstwert, was ein Ablehnen der Hilfe zur Folge haben kann.
Mit einfachen Worten…
„Hilfe anzunehmen bedeutet für diesen Menschen, dass er entmachtet wird. Der Helfende stellt sich somit über ihn, steigt im Status auf und der Hilfsbedürftige wird zum Bittsteller.“
Solche Wirkmechanismen konnten zum Beispiel in der Forschung zu den Konflikten zwischen Israel und Palästina identifiziert werden. Palästinensische Gruppen lehnten in der Vergangenheit mehrfach Hilfsangebote der israelischen Regierung ab.
Was auf den ersten Blick zunächst nicht nachvollziehbar erscheint, wird mit dem Wissen um bestimmte psychologische Prozesse verständlicher. Durch das Annehmen der Hilfsangebote hätte sich die Abhängigkeit zu Israel weiter verfestigt, was sich sowohl auf das kollektive als auch auf das individuelle Selbstwertgefühl der Palästinenser ausgewirkt hätte. Vor allem wird Hilfe dann als anmaßend empfunden, wenn der potenzielle Empfänger nicht einmal danach gefragt hat. Und aufgrund dessen bestimmte Hilfsangebote bekommt, die nicht einmal auf die Bedürfnisse zugeschnitten (oder überhaupt nicht nötig) sind.
Ähnliche Demonstrationen von Macht und Diskriminierung finden sich im Jahr 2020 während der Coronakrise. Länder, wie Italien lehnen Hilfe ab. Wieso? Weil die Regierungschef glauben, dass sie dadurch machtlos wirken und nur noch als Bittsteller auftreten.
Auch die Amazonas-Hilfe, welche Brasilien im Rahmen des G7 Gipfels erhalten sollte, wurde abgelehnt. Auch hier will der Staat vermutlich nicht als Bittsteller auftreten und in Abhängigkeit verfallen. Angemessener wäre es, dass man Ländern wie Italien oder Brasilien zeigen würde, wie sie sich aus ihrer gegenwärtigen Situation befreien könnten und somit wieder Teil-Autonomie erlangen könnten.
Wirtschafts- und Krisenhilfe: Was sind die Gründe für das Annehmen oder das Ablehnen von Hilfe?
Mit dieser Frage beschäftigt sich das Intergroup Helping as Status Relation Modell von Nadler.
Beziehungen zwischen Gruppen können harmonisch verlaufen oder in Konflikte ausufern. Hilfeverhalten kann zu beiden Ergebnissen beitragen.
Einen Einfluss auf den Ausgang der Intergruppenbeziehungen hat beispielsweise der Status der jeweilen Gruppe. Wenn die Beziehung zwischen zwei Gruppen mit unterschiedlichem Status stabil ist und als legitim empfunden wird, dann neigt die Gruppe mit dem geringen Status zum Annehmen von abhängigkeitsorientierten Hilfsangeboten durch die statushöhere Gruppe. Scheinbar ist dies bei Hilfsangeboten für Amazonas und Corona nicht der Fall.
Nimmt die Gruppe mit dem geringen Status die Beziehung allerdings als instabil und illegitim wahr, dann kommt es zu Spannungen zwischen den Gruppen. Gleichzeitig tendieren statushöhere Gruppen dazu, eher eine abhängigkeitsorientierte als eine autonomieorientierte Hilfeform anzubieten. Denn durch letztere würde die andere Gruppe aufgrund der steigenden Autonomie an Status gewinnen, was wiederum die dominante Position der Gruppe mit dem anfänglich hohen Status gefährden würde. Aus diesem Grund bietet diese eher eine defensive Form des Helfens an, damit die Gruppe mit geringem Status sich über die Zeit hinweg nicht zu einer Bedrohung entwickeln kann.
Prinzipiell streben Gruppen mit einem geringen Status daher verständlicherweise eher nach einer Hilfeform, die ihre Autonomie stärkt und die Abhängigkeit zur anderen Gruppe nicht auch noch fördert. Zumindest ist das der Fall, wenn sie die derzeitige Ungleichheit der Machtverhältnisse als ungerechtfertigt ansehen und die Beziehung zwischen den Gruppen nicht stabil ist. Da sie ihre Abhängigkeit nicht noch vergrößern wollen, lehnen sie die Hilfe der statushöheren Gruppe häufig ab.
Was oberflächlich betrachtet von Außenstehenden häufig als undankbar und irrational empfunden wird, dient allerdings dem Schutz des Selbstwertes. Denn die Annahme der abhängigkeitsorientierten Hilfe würde die angeschlagene Selbstwirksamkeit zunehmend untergraben. Mit Selbstwirksamkeit ist die Überzeugung gemeint, sich aus eigener Kraft aus einer misslichen Lage befreien zu können. Die kompetenzabsprechende Färbung der abhängigkeitsorientierten Hilfe hält diese Überzeugung logischerweise zurück.
Zusammenfassung
- Das Ablehnen von Hilfsangeboten hat wenig mit Undankbarkeit zu tun. Vielmehr geht es um den Erhalt des eigenen Selbstwerts und die Überzeugung, sich selbst helfen zu können.
- Während diese Selbstwirksamkeit von einer autonomieorientierten Form der Hilfe unterstützt wird, schränkt die abhängigkeitsorientierte Hilfe diese Überzeugung ein.
- Machtverhältnisse zwischen Gruppen beeinflussen die Wahl der Form von Hilfsangeboten.
- Gruppen in der mächtigeren Position wollen ihre Stellung bewahren, indem sie den Gruppen mit geringerem Status autonomieorientierte Hilfeleistungen vorenthalten. Denn wenn diese Gruppe ihren Status durch ihre wachsenden Kompetenzen erhöhen würde, könnte sie zur Bedrohung für die mächtigere Gruppe werden.