Gewalt unter der Geburt: Was ist das? | Wie kommt es dazu? | Wie kann man sich schützen?
Die Geburt des eigenen Kindes soll der schönste Tag im Leben der Eltern werden. Umso schlimmer, wenn er gefüllt mit körperlicher Gewalt, Beleidigungen und Hilflosigkeit in Erinnerung bleibt. Manche Frauen sprechen sogar davon, dass sie sich wie vergewaltigt fühlen. Wie kann es sein, dass solche Zustände gerade in Kreißsälen, in denen es einfühlsam zugehen sollte, möglich sind?
Was man unter Gewalt unter der Geburt versteht, wie es dazu kommt, wie Frauen sich schützen können und was man tun kann, wenn man selbst betroffen ist – davon handelt dieser Artikel.
Inhalt
Was ist Gewalt unter der Geburt?
Gewalt unter der Geburt lässt sich nicht einheitlich definieren. Frauen, die unter der Geburt ihres Kindes Gewalt erlebt haben, beschreiben diese häufig sehr unterschiedlich, bzw. sehen gewalttätiges Handeln, wo andere keines sehen würden.
Es ist somit ein subjektives Thema und stark davon abhängig, wie erfahren und selbstsicher die Schwangere ist und wie einfühlsam sie vom Krankenhauspersonal behandelt wird. Auch ihr Wissensstand darüber, was bei einer Geburt passieren kann und was möglicherweise notwendig wird, kann dazu führen, dass sie Schritte, die ihre Hebamme als nötig erachtet, besser versteht und sie nicht zwingend als gewalttätiges Eingreifen in die Geburt betrachtet.
In erster Linie wird unter Gewalt meistens physische Gewalt verstanden. Da Frauen während einer Geburt in einer Ausnahmesituation sind, gibt es aber auch viele psychische Aspekte, die als Gewalt aufgenommen werden können.
Wie kommt es zu Gewalt unter der Geburt?
Oft sind bestimmte Maßnahmen während der Geburt unumgänglich und müssen schnell erfolgen. Diese Maßnahmen sind dann allerdings schmerzhaft und sollten mit den Eltern abgesprochen werden. Im Folgenden möchte ich dir 3 häufige Ursachen vorstellen, welche verantwortlich sein können – weshalb es überhaupt zu Gewalttaten unter der Geburt kommt.
1. Geburtsbeschleunigung kann als Gewalt unter der Geburt empfunden werden
Jede Geburt ist anders und spontane Geburten, also vaginale Geburten, sind extrem schlecht planbar. Daher kann das Krankenhauspersonal es als angemessen betrachten, die Geburt zu beschleunigen. Geschieht dies, ohne die Schwangere darüber aufzuklären oder sogar gegen ihren ausdrücklichen Willen, wird es von vielen Frauen als gewalttätiges Handeln empfunden.
Geburtsbeschleunigende Eingriffe sind beispielsweise:
- der Kristeller-Handgriff,
- die Eipollösung,
- ein Dammschnitt
- oder die Gabe wehenfördernder Mittel.
Beim Kristeller-Handgriff drückt ein Arzt oder die Hebamme während der Wehen mit viel Kraft auf den Bauch der Schwangeren, um die Geburt zu beschleunigen. Der Kristeller-Handgriff wird durchgeführt, wenn die Schwangere keine Kraft mehr hat, das Kind falsch liegt (zum Beispiel Beckenendlage) und sich dadurch die Geburt verzögert oder Herztöne oder Sauerstoffsättigung beim Kind absacken.
In solchen Fällen ist es mitunter nötig, die Geburt durch diesen mechanischen Druck von außen zu unterstützen. Der Kristeller-Handgriff ist dabei jedoch nicht ungefährlich. Er ist häufig mit Schmerzen für die Mutter verbunden. Auch Rippen können dabei brechen oder die Gebärmutter reißen. Ebenso birgt er Gefahren für das ungeborene Kind. Denn durch den heftigen Druck kann sich die Plazenta vorzeitig ablösen, sodass das Kind nicht mehr versorgt werden kann. Hirnschäden beim Baby, die auf das Durchführen des Kristeller-Handgriffes zurückzuführen sind, wurden ebenfalls beobachtet.
Aus diesen Gründen wird von dieser Art der Geburtsbeschleunigung häufig abgeraten. Möchte eine Frau unter allen Umständen einen Kaiserschnitt vermeiden, ist er aber möglicherweise die einzige Alternative.
Die Eipollösung beschreibt ebenfalls ein mechanisches Verfahren zur Geburtsbeschleunigung. Dabei entfernt die Hebamme die Eihaut. Die Eihaut ist die äußere Haut der Fruchtblase und mit dem Gebärmutterhals verbunden. Eine Entfernung ist daher oftmals schmerzhaft. Führt die Hebamme die Eipollösung durch, ohne die Schwangere darauf hinzuweisen, wird diese von den plötzlichen Schmerzen überrumpelt und weiß möglicherweise gar nicht, ob die Hebamme einfach sehr grob untersucht hat, oder was genau gerade passiert ist. Dieses Unwissen, zusammen mit den herbeigeführten Schmerzen, wird von vielen Frauen als gewalttätiges Verhalten empfunden.
Dammschnitte werden heutzutage deutlich seltener durchgeführt. Man geht davon aus, dass ein Dammriss besser heilt und mit weniger Komplikationen verbunden ist, weswegen man diesen bevorzugt geschehen lässt. Mitunter ist ein Dammschnitt aber notwendig, wenn das Gewebe nicht von selbst reißt, aber durch seine Form die Geburt verzögert.
Einen Dammriss spürt die Gebärende häufig nicht, da das Gewebe bereits so gespannt ist, dass es kaum noch durchblutet wird. Der Schnitt kann allerdings schmerzhaft sein und sollte abgesprochen und mit Betäubung erfolgen.
Wehenfördernde Mittel werden eingesetzt, wenn die Geburt eingeleitet werden muss oder ins Stocken gerät. Die durch sie ausgelösten Wehen sind häufig schmerzhafter als natürliche Wehen und die Pausen zwischen ihnen können deutlich kürzer sein. Auch sogenannte Wehenstürme können ausgelöst werden. Dabei folgt einer Wehe sofort die nächste, während bei natürlichen Wehen zwischen jeder Wehe eine Pause von einer bis mehreren Minuten folgt, in denen die Frau schmerzfrei ist und sich erholen kann.
All diese Eingriffe in die Geburt können notwendig und zum Wohle des Kindes und der Mutter erfolgen. Was sie zu Gewalt machen ist die Art, wie sie durchgeführt werden. Die Schwangere sollte stets vorab darüber informiert werden, was der Arzt oder die Hebamme vorhat. Geschieht dies nicht, kann das Handeln des Krankenhauspersonals als Gewalt empfunden werden, da es gegen ihren Willen passiert oder sie nicht versteht, warum diese mitunter Schmerzen auslösenden Taten notwendig waren.
Aufklärung steht hierbei also an oberster Stelle. Dabei sind auch die werdenden Eltern gefragt. Sie sollten sich während der Schwangerschaft ausführlich informieren, um gut vorbereitet in die Geburt gehen zu können.
2. Personalmangel/überforderte Hebammen als Grund für Missstände im Kreißsaal
Der Beruf der Hebamme war in Deutschland lange Zeit kaum angesehen. Es wurde sogar darüber nachgedacht, ob eine Hebamme bei einer Geburt überhaupt notwendig ist. Die Arbeitsumstände sind unattraktiv (Schichtarbeit, Überstunden, körperliche Anstrengung) und darüber hinaus schlecht bezahlt. Das alles hat dazu geführt, dass es in den Krankenhäusern viel zu wenige Hebammen gibt.
Erst in jüngster Vergangenheit sollte durch die Akademisierung des Hebammenberufs dieser attraktiver gestaltet werden. Dadurch haben jedoch nur noch Menschen mit Abitur oder einem gleichwertigen Abschluss überhaupt die Möglichkeit, sich zur Hebamme oder zum Geburtshelfer ausbilden zu lassen, wodurch es denkbar ist, dass noch weniger Nachwuchs in diesem Beruf nachkommen wird.
Die wenigen Hebammen, die übrig sind, springen häufig von einem Kreißsaal in den nächsten und können eine Geburt gar nicht so betreuen, wie es nötig wäre. Frauen berichten davon, stundenlang alleine im Kreißsaal gewesen zu sein. Einige haben dadurch ihr Kind vollkommen alleine zur Welt gebracht, obwohl sie in einem Krankenhaus waren. Die Hebamme war währenddessen nur in einem anderen Kreißsaal beschäftigt.
Auch ernste Komplikationen können dadurch übersehen werden. Geburtsverletzungen bei der Mutter und dem Kind können nicht erfasst werden, weil die Hebamme keine Zeit hat, oder möglicherweise vermeidbare Kaiserschnitte werden nötig, da zur rechten Zeit kein ausgebildetes Personal vor Ort war, um die Situation zu entschärfen.
3. Zu hohe Erwartungen und schlechte Behandlung
Eine Geburt wird durch die Medien stark verzerrt dargestellt. Die Art, wie ein Kind zur Welt kommt, ist häufig romantisiert und weicht von der Realität ab. Dass eine Geburt sich über Tage hinziehen kann, die Gebärende unter extremen Schmerzen laut schreien wird und auch unwillkürlicher Stuhlabgang möglich ist, wird öffentlich kaum behandelt.
Daher haben viele werdenden Eltern falsche Vorstellungen davon, wie die Geburt ihres Kindes ablaufen wird. Dadurch kann es dazu kommen, dass sie sich nicht ernst genommen fühlen oder plötzlich mit der Geburt überfordert und kaum noch handlungsfähig sind. Die Geburt ihres Kindes wird zur Geburt des Krankenhauses, heißt es dann häufig. Was dabei passiert, liegt nicht mehr in ihren Händen, sondern in denen des Krankenhauspersonals, welches eventuell durch Stress falsch auf die Bedürfnisse der werdenden Eltern reagiert.
Sicherlich gibt es in diesem Berufsfeld auch Personen, die schlicht ungeeignet sind und nicht einfühlsam genug reagieren, ganz egal wie entspannt die Situation ist. Diese dürften aber deutlich in der Unterzahl sein und dürfen keinesfalls für die Gesamtheit der Hebammen sprechen.
Unter der Geburt sind Frauen häufig nicht in der Lage, ihre Wünsche klar zu äußern. Sie sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, konzentrieren sich auf die Wehen oder schlafen sogar zwischen den Wehen kurz ein. Geschieht in dieser Zeit, in der sie ihre Umwelt kaum wahrnehmen können, etwas, das mit ihnen zu tun hat (Medikamentengabe, Untersuchungen,…) wird dies negativ wahrgenommen, da sie in diese Entscheidung nicht einbezogen wurden.
Kommt es während der Geburt zu Geburtsverletzungen wie Dammrissen, kann es danach nötig sein, diese Verletzungen zu nähen. Dafür wird normalerweise eine örtliche Betäubung gespritzt oder der Bereich anderweitig schmerzunempfindlich gemacht. Reicht diese Betäubung nicht aus, trauen manche Frauen sich nicht, um eine weitere Gabe zu bitten, sondern ertragen den Schmerz stattdessen. Auch von unangebrachten Äußerungen des Arztes ist hierbei die Rede. Die Aussage, dass sie doch gerade ein Kind zur Welt gebracht habe und sich jetzt nicht so anstellen solle, fällt in diesem Zusammenhang gelegentlich.
Allgemein ist eine respektvolle Behandlung während der Geburt sehr wichtig. So können manche Frauen es schon als gewalttätiges Eindringen in ihre Privatsphäre betrachten, wenn eine Person den Kreißsaal betritt und sich nicht bei ihnen vorstellt. Die daraus entstehenden Folgen sind natürlich bei weitem nicht so schlimm wie unaufmerksames Personal, das lebensgefährliche Verletzungen nicht bemerkt, aber auch solches Verhalten wird von Gebärenden negativ aufgenommen, da sie sich nicht als vollwertiges Mitglied der Geburt wahrgenommen fühlen.
Extremfälle und Erfahrungen
Vorab sei gesagt, dass es sich hierbei um sehr traurige Einzelfälle handelt, die passiert sind, aber absolut nicht den Alltag in Kreißsälen widerspiegeln.
Gerade in letzter Zeit wenden sich immer mehr Betroffene an die Öffentlichkeit, weil sie sich dadurch mehr Aufmerksamkeit und Hilfe in ihrem Fall erhoffen. So gibt es Fälle, in denen Kaiserschnitte durchgeführt wurden, ohne die Spinalanästhesie abzuwarten. Die Frau spürte also den Eingriff, konnte sich aber nicht bewegen.
Ebenso ist ein Fall bekannt, bei dem eine Gebärende auf dem Bett festgebunden wurde. Die Hebamme verließ daraufhin den Kreißsaal und die Frau war gezwungen, in Rückenlage und alleine ihr Kind zur Welt zu bringen, ohne die Möglichkeit, eine angenehmere Haltung einzunehmen.
Auch von gewaltsamen vaginalen Untersuchungen hört man. In einem Fall untersuchte nicht nur die Hebamme, sondern direkt im Anschluss eine Ärztin und ein noch lernender Assistenzarzt ohne die Zustimmung der Schwangeren den Muttermund, was vollkommen unnütz ist. Die deutliche Schmerzäußerung der Gebärenden wurde von dem Krankenhauspersonal ignoriert.
Manche Frauen sind sich im Nachhinein nicht sicher, ob ihr Kaiserschnitt wirklich notwendig war. Sie fühlen sich schlecht beraten und zu dem Eingriff überredet und fragen sich, ob eine spontane Geburt nicht doch noch geklappt hätte.
Nochmals, diese Fälle zeigen nicht, wie es täglich in deutschen Kreißsälen zugeht. Sie dürfen aber gleichzeitig keinesfalls verschwiegen werden.
Wie können Frauen sich Gewalttaten während der Geburt schützen?
Bei der Auswahl des Krankenhauses sollte die werdende Mutter kritisch sein. Gerne sollte sie mehrere Krankenhäuser vorab besuchen, Kreißsaalführungen machen und sich über das Angebot des Hauses informieren. So weiß sie, was möglicherweise auf sie zukommen und was sie erwarten kann. Auch Kaiserschnittraten und Rezensionen im Internet können bei der Wahl hilfreich sein.
Entscheidet die Frau sich dafür, eine Begleitperson mit in den Kreißsaal zu nehmen, sollte sie diese über all ihre Wünsche informieren, da sie unter der Geburt möglicherweise nicht mehr dazu in der Lage sein wird, diese so zu äußern, dass sie auch ernst genommen werden. Die Begleitperson kann sich als Sprachrohr der Gebärenden verstehen, die Fragen stellt und dafür sorgt, dass das passiert, was die Gebärende möchte, sofern dies möglich ist.
Gibt es während der Geburt Situationen, die unangenehm erscheinen, aber in diesem Moment nicht besprochen werden können, sollte danach das Gespräch gesucht werden. Vieles klärt sich dadurch im Nachinein noch auf und wird somit als notwendig und nicht mehr als Gewalt wahrgenommen.
Sicherlich wird der Punkt kommen, an dem auch die Gebärende Abstriche machen muss. Die bevorzugte Gebärposition funktioniert nicht, für ein Bad bleibt keine Zeit mehr, sie muss sich vielleicht doch eingestehen, dass sie Schmerzmittel braucht, um mit den Wehen fertig zu werden. All das ist in Ordnung, denn eine Geburt ist einfach nicht planbar. An diesen Gedanken sollte sich die werdende Mutter vorab schon gewöhnen und ihr Geburtserlebnis nicht davon abhängig machen, sondern vielmehr davon, dass sie respektvoll behandelt wird, eine gute ärztliche Betreuung erhält und möglichst komplikationslos ihr Kind zur Welt bringt.
Was kann man tun, wenn von einer gewalttätigen Geburt betroffen ist?
Die rechtliche Lage ist schwierig. Als Patient ist man in der Beweispflicht, was für traumatisierte Eltern eine zusätzliche Belastung darstellt.
Viele leben lange Zeit in dem Glauben, dass sie mit ihren Erlebnissen völlig alleine sind und ihnen niemand zuhören wird. Andere sind überzeugt, dass die Gewalt, die ihnen angetan wurde, nun mal zu einer Geburt dazugehört und keinen Grund für eine Anzeige darstellt.
Mittlerweile gibt es Selbsthilfegruppen für Betroffene, in denen sie das Erlebte verarbeiten können und sich miteinander austauschen. Auch speziell für die Väter gibt es Hilfe, die während einer Geburt häufig vergessen werden. Therapeutische Hilfe kann für beide Elternteile wichtig sein, um das Erlebte zu verarbeiten.
Es gibt auch Anwälte, die zum Teil ehrenamtlich Fälle übernehmen und Eltern vor Gericht unterstützen.
Roses Revolution als Mahnmal für die gewalttätige Geburt
Der 25. November gilt seit 2013 als Tag gegen Gewalt in der Geburtshilfe. Er wird auch Roses Revolution genannt. Dabei legen betroffene Eltern eine Rose vor dem Kreißsaal oder dem Krankenhaus nieder, in dem sie Gewalt erfahren haben. Manche legen auch einen Brief dazu, indem sie ihre Erlebnisse schildern. Dadurch soll das Thema mehr Aufmerksamkeit erhalten und ernster genommen werden.