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Agieren


Unter Agieren versteht man einerseits das gefühlsbetonte Wiedererleben früherer und nicht mehr bewusster Verhaltensweisen. Anderseits bedeutet Agieren auch, dass verdrängte Fantasien und Gefühle ausgelebt werden. Mit dem Verb agieren hat man außerdem die Möglichkeit, drei Bedeutungsinhalte auszudrücken, welche auf ein Handlungsimpuls hinweisen sollen. Zahlreiche Synonyme dienen in der Alltagssprache als gleichwertiger Ersatz. In der Psychoanalyse wird unter einem Agieren ein Übertragungsphänomen verstanden.

Herkunft des Wortes

Das Wort agieren stammt vom lateinischen Verb agere ab, mit welchem ursprünglich folgende sechs Inhalte ausgedrückt wurden:

  • in Bewegung versetzen, antreiben von Zug- oder Lasttieren, von einer Menschenmenge oder von Fahrzeugen (Kutschen, Fuhrwerke)
  • tun, ausführen von Arbeiten, Tätigkeiten, Aktivitäten
  • benehmen, sich situativ richtig verhalten, sich anpassen bzw. sich dem Verhaltenskodex in der Gesellschaft unterordnen
  • verleben, verbringen von Zeit
  • verhandeln, besprechen im Zusammenhang mit einem Spiel oder einer Rechtssache bzw. bei Gericht
  • darstellen, vortragen von Theatervorführungen oder Reden

Vergangenheitsform (Perfekt):

Die Vergangenheitsform des lateinischen Verbs agere lautet actus, welches ebenso in vielen Ableitungen und Zusammensetzungen in der deutschen Sprache vorkommt. Beispiele: Akt, Akteur, aktiv, Aktie 

Bedeutung des Wortes:

Im deutschen Sprachgebrauch wird das Wort in folgenden drei Bedeutungsumfängen verwendet:

Handeln bzw. eine Tätigkeit ausführen

Beispiele: Ich agiere stets fair. Politiker agieren wortgewandt und aalglatt. Die Menschheit agiert ohne weise Voraussicht.

Gestikulieren bzw. dem Ausdruck mit Körpersprache

Beispiele: Ich agiere kühl und berechnend. Politiker versuchen, nicht nur durch Worte, sondern auch durch Mimik und Gestik zu agieren.

Eine Rolle spielen

Beispiele: In diesem Film agierten mehr als hundert Schauspieler. Der Regisseur lässt viele Komparsen im Hintergrund agieren.

Zusammensetzungen (Komposita):

Vorsicht: Das Wort agieren wird manchmal fälschlicherweise mit dem Wort reagieren gleichgesetzt und damit nicht richtig verwendet. Re-agieren ist eine Zusammensetzung des Verbs mit der Vorsilbe re-, welche „wieder, erneut“ ausdrückt. So bedeutet ein Reagieren die Folge auf ein früheres Agieren.

Beispiele: Ich reagiere auf dein Verhalten mit Eifersucht. Politiker reagieren auf diese Aggression mit neuen Verhandlungen. Die Menschheit reagiert nicht auf diese Warnungen.

Eine andere, häufig verwendete Zusammensetzung des Wortes agieren ist interagieren. Damit ist das gleichzeitige Agieren mehrerer Teilnehmer gemeint. Beispiele: Wir interagieren in einem System. In einem Ökosystem interagieren Lebewesen mit ihrer Umwelt.

Anwendung im Alltag:

Im täglichen Sprachgebrauch (Umgangssprache, Alltagssprache) wird ein „Agieren“ eher durch die nicht aus dem Lateinischen stammenden Verben handeln, machen, tun und wirken ausgedrückt. In der gehobenen Sprache (Hochsprache und Schriftsprache) findet es jedoch häufigere Verwendung.

Synonyme

Eine gleiche oder ähnliche Bedeutung wie agieren besitzen folgende Verben: operieren, tätig sein, verfahren, mimen, darstellen oder vorgehen.

Anwendung in der Psychoanalyse

Laut Sigmund Freud handelt es sich beim Agieren um ein Übertragungsphänomen. Das bedeutet, dass Klienten und Klientinnen ein Gefühl aus einer früheren Situation auf den Analytiker übertragen. Sie berichten aus Gründen, die zu entschlüsseln sind, NICHT von dem Ärger, der Trauer, der Angst, die sie in bestimmten Situationen empfanden. Im Gegensatz dazu übertragen sie diese auf den Analytiker und in die Therapiesitzung. Sie agieren also mit Ärger, Trauer oder Angst scheinbar ohne Anlass.

So geht Freud davon aus, dass Klienten ihrem Analytiker mehr nonverbale als verbale Informationen liefern. Nonverbal bedeutet, dass etwas nicht durch Worte (verbal) ausgedrückt wird, sondern vielmehr durch eine bestimmte Mimik, Gestik oder durch Körperreaktionen wie Schwitzen, Zittern u.a.

So muss ein Analytiker mehr darauf achten, was der Patient bewusst oder unbewusst verschweigt oder zu verschweigen versucht, als darauf, was er sagt.

In der modernen Psychoanalyse ist Agieren in allen Übertragungsphänomenen zu finden. Es geht dabei stets um eine Form des Ausdrucks ohne Worte in einer Übertragungssituation. Die Klienten haben beim Agieren jedoch keine bewusste Absicht, ihren Analytiker zu beeinflussen oder ihn (bewusst oder unbewusst) ihren Vorstellungen entsprechend zu gestalten.

Eine der ersten Formen von Gruppenpsychotherapie war das auch heute noch angewendete Psychodrama. In einer Art Schauspiel kann damit ein Patient sein psychotherapeutisches Thema mithilfe einer Gruppe und einer Psychodrama-Bühne aufarbeiten. Agieren im Psychodrama bedeutet ein Handeln, das mehr verbergen als offenbaren will. Der Hauptdarsteller (Patient) versucht durch Agieren, ein „Durchschaut-Werden“, ein echtes Erkannt-Werden durch seine Gruppe zu verhindern. So war und ist in der Psychoanalyse der Begriff Agieren hauptsächlich negativ besetzt.


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