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Carl Gustav Jungs Burghölzli Periode: Erkenntnisse und Hintergründe


Nach dem Abschluss des Medizinstudiums im Jahr 1900 begann Carl Gustav Jung eine Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie. Dazu nahm er eine Assistentenstelle in der Züricher Universitätsklinik Burghölzli an und unterstand Professor Eugen Bleuler, welcher zwischen 1898 und 1927 der Direktor der Klinik war.

Während der Burghölzli-Periode (1900 bis 1909) entwickelte Jung den Wortassoziationstest, entdeckte den affektbetonten Komplex, schrieb seine Dissertation über occulte Phänomene in der Psychologie, heiratete Emma Rauschenbach, führte Studien zur Schizophrenien durch, nahm Kontakt zu Sigmund Freud auf und stellte einen ersten Bezug zur Theorie des kollektiven Unbewussten her.

C. G. Jung, die Anfänge der Burghölzli-Periode und der Einfluss der Psychoanalyse

1971 schrieb Jung seine Autobiographie und betrachtete seine ersten Jahre am Burghölzli äußerst unbefriedigend. Dazu folgendes Zitat:

„Die Jahre am Burghölzli, der Psychiatrischen Universitätsklinik von Zürich, waren meine Lehrjahre. Im Vordergrund meines Interesses und meines Forschens stand die brennende Frage: Was geht in den Geisteskranken vor? Unter meinen Kollegen befand sich niemand, der sich um dieses Problem gekümmert hätte.“

Tatsächlich erhielten 70 % der eingelieferten Patienten am Burghölzli die Diagnose: Dementia praecox bzw. vorzeitige Demenz. Die Menschen wurden als vorzeitig verblödet eingestuft, ohne die Chance auf Heilung. Denn zur damaligen Zeit verstand die Psychiatrie, als sehr junge Wissenschaft, noch nichts von der Dynamik menschlicher Psyche. Stattdessen erhielten sämtliche Patienten die gleiche Diagnose, weil die zuständigen Ärzte es nicht besser wussten.

Die Theorien des Österreicher Sigmund Freuds – welche um 1900 ebenfalls entstand – revolutionieren die Psychotherapie und auch das Verständnis von Geisteskrankheit. Denn nach Freuds Theorie gab es drei Stufen bzw. Ebenen der Psyche: „das Bewusste“, „das Unbewusste“, „das Teilbewusste“. Die damaligen Ärzte am Burghölzli forschten nach den Ursachen der Geisteskrankheit lediglich im bewussten Teil ihrer Patienten und fanden dort keine Antworten. Durch die Ansichten Freuds sollten die Antworten, wohlmöglich im Unbewussten zu finden sein.

Jung war fasziniert von den Arbeiten Freuds und auch Bleuler wollte mehr zu den Vorgängen im Unbewussten erfahren. Deshalb hielt Jung Vorträge über Freuds Traumdeutung am Burghölzli und regt damit eine rege Diskussion unter seinen Kollegen an. Die Psychoanalyse nach Freud umfasst verschiedene Methoden, um an den unbewussten Teil der Psyche zu gelangen. Hauptsächlich vollzog Freud freie Assoziationen mit seinen Patienten, bei denen die Erkrankten frei reden konnten und der Arzt seine Gedanken dazu mitschrieb.

1902: C.G. Jungs Dissertation über die Erfahrungen am Burghölzli

Die ersten zwei Jahre am Burghölzli widmete sich Jung vornehmlich seiner eigenen Forschung. Diese bestand darin, okkulte Phänomene in der wissenschaftlichen Psychologie nachzuweisen. Die Erkenntnisse seiner Forschung gewann Jung bereits in seinen Studienjahren (1895 bis 1900), als er Experimente mit seiner Cousine Helene Preiswerk vollzog.

Dabei diente Helene als Medium, wurde in Trance-Zustände versetzt und nahm Kontakt zu Verstorbenen auf. Die Anfangszeit am Burghölzli nutzte Jung für seine Forschung auf diesem Gebiet und veröffentlichte 1902 seine Dissertation „Zur Psychologie und Pathologie sogenannter occulter Phänomene“.

ab 1902: Von der Dementia praecox zur Schizophrenie

Die Assoziation als Brücke zum Unbewussten, welche Freud in seiner Therapie anwandte, faszinierte auch Jung. Deshalb schuf er einen sogenannten Wortassoziationstest. Denn Bleuler und er erkannten, dass seine Patienten unter Fantasiegespinsten litten, scheinbar Sinnloses in einen Zusammenhang setzten und vermuteten dahinter eine zu geringe Assoziationsspannung.

Der Test bestand darin, dass dem Patienten ein Wort vorgesagt wurde, worauf er mit einem anderen Wort reagieren musste. Wurde dem Patienten das Wort „Geld“ gesagt, antworteten diese mit dem nächsten Wort, welches sie damit assoziierten. Dadurch sollte erkannt werden, ob die Patienten in der Lage seien, zusammenhängende Wortpaare zu finden oder nicht.

Während einiger Tests fiel Jung auf, dass gewisse Worte ein regelrechtes Unbehagen im Patienten auslösten. Diese Reizworte konnten scheinbar von den Erkrankten nicht oder nur unter enormer Anspannung verarbeitet werden. Aus Freuds Werken wusste Jung bereits, dass die Assoziation eine Brücke zum Unbewussten beinhaltete. Die Reizworte, welche ein Unbehagen auslösten, mussten demnach auf einen unbewussten Konflikt hindeuten, welchen der Patient innerlich austrug.

Jung vermutete dahinter einen sogenannten Komplex. Laut ihm sind Komplexe verdrängte Erinnerungen und Erfahrungen, welche aus dem Bewusstsein entfernt und ins Unbewusste verbannt worden. Dem Patienten ist dabei nicht bewusst, dass er an dieser schmerzhaften Erinnerung leidet. Doch sobald bestimmte Reize in der Umgebung auftauchen, welche das gleiche Themengebiet – wie die abgespaltene Erinnerung – bedienen, reagiert der Patient komplexhaft. Dies äußert sich in einer Überreaktion des Patienten.

Durch die Entdeckung der gefühlsbetonten Komplexe erhielt das Krankheitsbild seiner Patienten eine völlig neue Deutung. Denn Jung verstand den Komplex nicht nur als abgetrennte Erinnerung. Stattdessen vermutete er dahinter ein Energiezentrum, welches ins Unbewusste verschoben wurde. Die Patienten, welche am Komplex litten und nun in der Gegenwart einer Situation ausgesetzt waren, welche das Themenfeld des Komplexes bediente – reagierten über. Die Energie, welche im Unbewussten eingeschlossen war, entlud sich ruckweise, was zur Überreaktion führte.

Laut Jung führt die verdrängte energiegeladene Erinnerung außerdem ein Eigenleben im Unbewussten weiter. Es handelt sich somit nicht nur um eine abgespaltene Erfahrung, sondern vielmehr um eine Teilchenpersönlichkeit.

Durch die Gespräche mit seinen Patienten erhärtete sich diese Theorie immer weiter. Bleuler und Jung erkannten, dass ein Teil seiner Patienten unter so starken Persönlichkeitsabspaltungen litten, dass sie die Diagnose Schizophrenie einführten. Dies ist Lateinisch und bedeutet gespaltener Geist. Die Entdecker der Persönlichkeitsspaltung waren demnach Bleuler und Jung.

Die Patienten, welche unter einer Schizophrenie litten, wechselten demnach ihre Teilpersönlichkeiten. Dies geschieht unbewusst und ist oftmals die Folge einer Reizreaktion, ähnlich wie beim Komplex. Die Grundkonflikte, welche der Patient austrägt, verbergen sich – laut Jung – in einer weiteren Unbewusstseinsebene, dem kollektiven Unbewussten. Somit entwickelte er Freuds Grundidee zu den unbewussten Prozessen konkret weiter und erweiterte die Dimension des Unbewussten in ein kollektives und ein individuelles Unbewusstsein.

Diese These wurde, Jahre später, zu einem zentralen Streitpunkt mit Freud. In Burghölzli wurde Jungs Theorie vom kollektiven Unbewussten nur geboren, jedoch noch nicht konzeptualisiert. Rückblickend auf die Zeit an der Universitätsklinik erkannte Jung dann, anhand der Erfahrungen dort, dass es diese zweite Unbewusste Ebene geben muss.

Laut dem späteren Jung litten die Patienten in Burghölzli an einer Verdichtung von sämtlichen menschlichen Erfahrungen, welche jemals gemacht wurden. Somit war die Abspaltung, der Komplex bzw. das Energiezentrum, welches das menschliche Leiden bestimmte – eine kollektiv gemachte Erfahrung, welche sich in jedem einzelnen Menschen energetisch verdichtet.

In seiner Autobiographie schreibt Jung 1971:

„Durch die Beschäftigung mit den Patienten war mir klar geworden, dass die Verfolgungsideen und Halluzinationen einen Sinnkern enthalten. Eine Persönlichkeit steht dahinter, eine Lebensgeschichte, ein Hoffen und Wünschen… Es wurde mir zum ersten Mal deutlich, dass in der Psychose eine allgemeine Persönlichkeitspsychologie verborgen liegt, dass sich auch hier die alten Menschheitskonflikte wiederfinden. Auch in Patienten, die stumpf und verblödet wirken, geht mehr und Sinnvolleres vor, als es den Anschein hat. Im Grunde genommen entdecken wir im Geisteskranken nichts Neues und Unbekanntes, sondern wir begegnen dem Untergrund unseres eigenen Wesens. Diese Einsicht war für mich damals ein mächtiges Gefühlerlebnis.“

1903: C.G. Jungs Heirat mit Emma Rauschenberg

Am 14. Februar 1903 heirate Jung die Unternehmertochter Emma Rauschenberg. Emmas Vater war ein angesehener Unternehmer und führte das Schweizer Uhrenwerk IWC. Ab 1910 analysierte C.G. Jung seine Frau regelmäßig und Emma arbeitete ab 1930 selbst als Psychoanalytikerin.

Zusammen hatten beide 4 Töchter und 1 Sohn. Emma förderte die Arbeit ihres Mannes, war außerdem Kritikerin seiner Arbeit und übernahm Schreibarbeiten. Weiterhin brachte die Ehe einen wirtschaftlichen Erfolg für Jung, da Emma selbst ein großes Vermögen ihres Vaters miteinbrachte.

Durch das Interesse seiner Frau an seiner Arbeit, die verrichtete Schreibarbeit und die finanzielle Sicherheit erhielt Jung die nötige Freiheit, um sich ganz seiner Arbeit als Forscher zu widmen. Ohne die Ehe mit Emma Rauschenberg wäre ihm wahrscheinlich niemals dieser Durchbruch gelungen.

Jung und das Ende der Burghölzli-Periode

1905 habilitierte sich Jung mit einer Forschungsreihe zu Diagnostischen Assoziationsstudien. Ebenfalls 1905 stieg er zum Oberarzt in der Universitätsklinik Burghölzli auf. 1906 wurde seine Habilitationsarbeit veröffentlich, wodurch er internationalen Ruhm erlangte.

Im letzten Teil seiner Habilitationsarbeit beschrieb Jung eine Zwangsneurose, welche er durch Psychoanalyse erfolgreich behandeln konnte. Da C.G. Jung seit dem Jahr 1900 bereits mehrere Vorträge über Freuds Psychoanalyse an der Klinik gehalten hat, war er ein großer Anhänger dessen Arbeit geworden. Und da er den Erfolg von Freuds Theorien in seiner Habilitationsschrift bereits verkündet hat, schickte Jung dem Österreicher eine Abschrift zu.

Freud dankte dem 19-Jahre jüngeren Jung für die Zusendung und schickte eine Sammlung zur Neurosenlehre zurück. Seit April 1906 entstand ein regelmäßiger Briefwechsel zwischen Jung und Freud, welcher 7 Jahren andauern sollte. 1907 kam es zu einem ersten Treffen zwischen Beiden und im selben Jahr veröffentlichte Jung seine Arbeit über die Psychologie der Dementia praecox.

1909 kam es zum Streit mit Bleuler, welcher damit endete, dass Jung seine Oberarztstelle in Burghölzli aufgab. Stattdessen eröffnete er dann eine Privatpraxis in seinem Haus am Zürichsee. Die Ehe mit Emma Rauschenberg ermöglichte ihm diese Ungebundenheit.

Die Burghölzli-Periode bot Jung die nötige Erfahrung, verschaffte ihm internationales Ansehen, so dass er ab dem Jahr 1915 seine eigenen Theorien der Tiefenpsychologie aufstellte und als analytischen Psychologie begründen und ausbauen konnte.


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