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Wortassoziationstest nach Jung am Beispiel


Der Wortassoziationstest ist ein Testverfahren, welches der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung in den Jahren zwischen 1900 und 1905 einführte. Den Probanden werden nacheinander 100 Wörter vorgelegt, worauf sie mit dem erstbesten Wort reagieren, welches ihnen einfällt. Durch sogenannte Assoziation zwischen den Wörtern soll ein Zusammenhang hergestellt werden, welcher auf ein psychisches Leiden bzw. Störung hindeutet.

Die Entstehung des Wortassoziationstests nach Jung

C.G. Jung arbeitete – zwischen 1900 und 1905 – als Assistenzarzt an der Züricher Psychiatrie „Burghölzli“, als er den Test entwickelte. Jungs Vorgesetzter war Prof. Eugen Bleuler. Zu dieser Zeit behandelte die Klinik zwar psychisch Kranke, versprach aber kaum Heilung. Durch die Arbeit des Österreichers Sigmund Freuds und seiner Theorie der Psychoanalyse entstand, in dieser Zeit, eine Methodik, um das Leiden der Kranken zu erfahren und es dann auch zielgerichtet zu heilen.

Die Psychoanalyse steckte zu dieser Zeit noch in den Kinderschuhen und war keineswegs flächendeckend anerkannt. Dennoch war es ein Paradigmenwechsel. Denn bis dahin galt ein geistig Verwirrter als vorzeitig verblödet und somit als unheilbar. Bleuler und Jung hatten von Freuds Arbeit gehört und unternahmen bereits eigene Forschung an ihren Patienten.

Man muss sich mal vorstellen….
70 % der Langzeitpatienten, welche Bleuler behandelte, erhielten die Diagnose „Dementia praecox“, auf deutsch „vorzeitige Demenz“. Somit hatten über zwei Drittel aller Patienten eine ausweglose Diagnose, welche man einfach einer natürlichen Verkalkung der Gehirngefäße zusprach.

Später prägte Bleuler den Begriff der Schizophrenie, was wörtlich – gespaltener Geist – bedeutet. Heute verwendet man den Begriff als Persönlichkeitsspaltung oder Abspaltung einzelner Aspekte der Persönlichkeit.

Das Krankheitsbild zeigte sich durch zusammenhanglose Fantasien und Äußerungen, welche die Patienten vertraten. Der sogenannte „Irre“ galt als gestört, jedoch war es den Ärzten nicht möglich, diese Störung zu begreifen. Durch Freuds psychoanalytischer Pionierarbeit gab es nun allerdings drei Dimensionen der Psyche: „das Bewusste“, „das Unbewusste“ und das „Vorbewusste“.

Jung und Bleuler fanden heraus, dass nicht jeder Patient einfach nur an einer Demenz ohne Ausweg litt. Stattdessen hatte man – durch die Vorstellung einer unbewussten Dimension – die Schizophrenie als Krankheit gefunden, welche man tatsächlich heilen konnte.

Auf den ersten Blick schienen die Fantasien der Patienten völlig zusammenhanglos. Allerdings wurden diese Phänomene bisher lediglich unter dem Aspekt betrachtet, dass die Psyche nur einen bewussten Teil besitzt. Unter der Betrachtung der zweiten Dimension, des Unbewussten, konnte sich demnach ein Zusammenhang verbergen.

Aus Freuds Arbeit wussten Jung und Bleuler bereits, dass die unbewusste Psyche gewisse Abwehrmechanismen aufbaut, welche als Schranke dienen und den Zugang fast unmöglich machen. Es musste demnach eine Methode gefunden werden, welche den unbewussten Teil der Psyche ansteuern lässt.

Bleuler und Jung vertraten die Hypothese, dass bei den Schizophrenie-Patienten eine Lockerung der Assoziationsspannung vorliegt. Man muss sich dies wie bei einem Netz vorstellen. Jeder Gedanke, jedes Wort führt zu einem anderen Gedanken oder Wort. Alle sind miteinander feinmaschig verwoben, wodurch sich ein Kontext ergibt.

Hört ein Mensch vielleicht das Wort „Ampel“, so denkt er an Wörter, wie „Straßenverkehr“ oder „Autos“. Dieser Mensch assoziiert dann aufgrund seiner Erfahrungen und Erlebnisse neue sinnverwandte Wörter zum Ursprungswort.

Bei Jungs und Bleulers Patienten ergaben sich völlig andere Wörter. Das Wortnetz bzw. Assoziationsnetz war soweit gelockert, dass zwischen den verschiedenen Wortäußerungen kein Zusammenhang hergestellt werden konnte.

Beiden wurde klar, dass die Zusammenhänge im Unbewussten gefunden werden mussten. Die freie Assoziation bot – durch Freuds Vorarbeit – bereits Erkenntnisse darüber, dass dies der Weg zum unbewussten Teil der Psyche sein könne.

Jungs Assoziationstest bestand nun darin, ein Wort zu nennen, worauf der Patient mit dem ersten Wort antwortet, welches ihm einfällt. Dabei muss unterschieden werden:

  • Das Reizwort wird durch den Arzt bewusst gesprochen und durch den Patienten bewusst verstanden.
  • Das daraus resultierende Reaktionswort stammt dann aus dem unbewussten Teil der Psyche und lässt Einblicke zu.

Es ergibt sich demnach eine Brücke zwischen Reizwort und Reaktionswort, welche gleichzeitig eine Verbindung zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein bot.

Der ursprüngliche Wortassoziationstest begann mit zufälligen Reizwörtern, welche immer weiter verfeinert worden. Denn C.G. Jung erkannte, dass gewisse Wörter ganz bestimmte Reaktionen hervorrufen konnten. In manchen Patienten lösten bestimmte Worte ein spezielles Unbehagen aus, was darauf schließen ließ, dass die Schwelle zum Unbewussten durchbrochen wurde.

Im Laufe der Zeit wurden demnach nur noch Wörter verwendet, bei denen die Wahrscheinlichkeit auf unangenehme Folgen des Patienten am höchsten war. Diese Worte riefen sogenannte Komplexe hervor, welche es zu finden galt. Als Komplex verstand Jung ins Unbewusste verbannte Erfahrungen und Erlebnisse, welche dort ein Eigenleben entwickeln und beim Patienten ein gewisses Verhalten verursachen.

Ziel des Wortassoziationstest war es demnach, Komplexe aufzuspüren und zu begreifen.

Ablauf des Jung’schen Wortassoziationstest

Den Patienten bzw. Probanden werden 100 Wörter einzeln vorgetragen. Diese Reizworte rufen jeweils ein Reaktionswort hervor, welches der Proband laut aussprechen muss. Der Testleiter bzw. Arzt schreibt dieses Reaktionswort auf und registriert gleichzeitig gewisse Störungsphänomene.

Falls bei einem Wort keine Störungsphänomene auftreten, wurde demnach die Schranke zum Unbewussten zwar durchbrochen, jedoch kein Komplex gefunden. Treten allerdings Störungen, wie Unbehaglichkeiten oder sind die Reaktionen unangemessen, kann sich ein Komplex aufgetan haben.

Weiterhin lassen sich psychosomatische Phänomene beobachten. Denn die psychische Abwehrhaltung beim Reizwort ruft auch gewisse körperliche Reaktionen hervor. So lässt sich dies am Schweißausbruch, an der Lungenfunktion (mittels Pneumografen) oder der Herzfrequenz erkennen. Testleiter bzw. zuständiger Arzt messen demnach auch die körperliche Veränderung, welche am Patienten bzw. Probanden wahrgenommen wird.

Außerdem misst der Testleiter die Reaktionszeit, da diese Hinweise auf Ehrlichkeit enthält. Denn es kann natürlich vorkommen, dass Patienten nicht das erste Reaktionswort verkünden und stattdessen weitersuchen. Ist die Reaktionszeit relativ groß, kann dies ein Anzeichen dafür sein, dass der Patient das Testergebnis absichtlich verfälscht, wodurch sich die Frage eines dahinterstehenden Komplexes ebenfalls ergibt.

Hier nochmal der Durchlauf:

  • Dem Patienten werden nacheinander 100 Reizworte vorgelegt, worauf er ein Reaktionswort laut verkündet.
  • Der Testleiter, Psychiater oder Psychologe misst die Reaktionszeit, wie schnell das Reaktionswort verkündet wurde und protokolliert dies.
  • Weiterhin werden körperliche und seelische Veränderungen wahrgenommen und protokolliert.
  • In der Auswertung fließen die gewählten Reaktionswörter, die Reaktionszeit und wahrgenommene Veränderungen mit ein.
  • Hinter Auffälligkeiten können möglicherweise Komplexe stecken, welche dann genauer untersucht werden können.

Wortassoziationstest am Beispiel

Überliefert ist ein Test, welchen Jung an einem männlichen Probanden durchführte. Es handelte sich dabei, um einen 70-jährigen Juristen, welcher das Testverfahren stark anzweifelte. Dennoch war er bereit, am Testverfahren teilzunehmen und sich von dessen Wirksamkeit überzeugen zu lassen.

Dem Mann sollten die 100 Wörter vorgelegt werden. Doch bereits nach 15 Reizwörtern brach der Jurist den Test ab. Er bestritt, dass diese Methode etwas bringe und dass Jung, etwas herausfinden könnte. Trotz des vorzeitigen Abbruchs reichten allerdings die ersten 15 Wortpaarungen aus, um eine auffällige Störung festzustellen. Insgesamt 4 der 15 Paarungen waren dabei besonders auffällig.

  1. Reizwort: Geld, Reaktionswort: wenig
  2. Reizwort: Tod, Reaktionswort: sterben
  3. Reizwort: küssen, Reaktionswort: schön
  4. Reizwort: zahlen, Reaktionswort: la semeuse

Jung verkündete daraufhin seine Diagnose, wonach der Jurist finanzielle Probleme habe und Angst vor Sterben hat. Die Ursache dieser Komplexe sah er in einer alten französischen Liebesgeschichte des Juristen, welche er noch nicht überwunden hatte.

Daraufhin soll der Mann wutentbrannt auf den Tisch geschlagen, die Methode als „Teufelswerk“ bezeichnet und dann das Zimmer eilig verlassen haben.

Bedeutung des Wortassoziationstest heutzutage

Jung wandte sich später vom Assoziationstest ab und nutzte ihn nur noch in Experimenten. Da er an den Wertgehalt von Experimenten selbst kaum glaubte, kam diese Methode nur noch gelegentlich zum Einsatz.

Zitat von Jung 1926:

„Wer die menschliche Seele kennen lernen will, der wird von der experimentellen Psychologie soviel wie nichts darüber erfahren.“

Gemeint ist die Tatsache, dass Experimente lediglich Theorien bestätigen, diese untermauern oder festigen. Allerdings können Experimente kaum oder nur wenig neue Sachverhalte und Erkenntnisse hervorbringen.

Trotz seiner Abwanderungen vom Wortassoziationstest wurde dieser dennoch geschätzt und vielfältig angewandt. 1909 wird Jung von der amerikanischen Clark Universität mit der Ehrendoktorwürde ausgestattet, aufgrund seiner Pionierarbeit und der Einführung des Wortassoziationstestes.

Die Weiterentwicklung des Testverfahrens und psychosomatische Messung über Schweißdrüsen und Herzschlag führte dann zum Lügendetektortest, welcher in den USA bei kriminologischen Befragungen von Verdächtigen zum Einsatz kommt.


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