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Treppenstufen Modell des Terrorismus: Psychologische Ursachen bei Attentätern


Spätestens seit dem 11. September 2001 ist der Terrorismus ein präsenteres Thema in den Köpfen der Menschen. Seitdem folgten weitere Anschläge und damit auch die Frage, wie Menschen zu solchen Taten in der Lage sind. Was wollen Attentäter damit bezwecken, indem sie unschuldige Menschen und in vielen Fällen auch gleichzeitig sich selbst umbringen?

Hinter einem Attentat stehen häufig ganze Netzwerke von Verbündeten und Strippenziehern. Ein Attentäter handelt also selten allein. Wie in jeder Gruppe herrschen auch in terroristischen Vereinigungen bestimmte Gruppendynamiken vor, welche ihre Mitglieder beeinflussen. Im schlimmsten Fall führt das zum oben beschriebenen Szenario. Um die Entstehungsmechanismen zu erklären, entwickelte Moghaddam ein Treppenstufen-Modell. Dieses Konzept wollen wir in den folgenden Absätzen erläutern.

Was ist Terrorismus?

Wenn Gewalttaten politisch motiviert sind, ist von Terrorismus die Rede.

Beim Terrorismus wird das Ziel angestrebt, in der Bevölkerung Angst und Schrecken zu verbreiten. Dadurch soll Druck auf politische Entscheidungsträger der jeweiligen Gesellschaften ausgeübt werden, um diese in ihrem Handeln zu beeinflussen.

Doch wie entwickelt sich terroristisches Gedankengut überhaupt? Um diese Frage zu klären, sehen wir uns das sogenannte Treppenstufenmodell näher an.

Das Treppenstufen-Modell des Terrorismus

Der Psychologe Fathali Moghaddam beschreibt die Entstehung von terroristischer Gewalt als eine Abfolge von hierarchisch aufeinanderfolgenden Stufen.

Terrorismus findet dort einen Nährboden, wo die Lebensbedingungen nicht zufriedenstellend sind. Allerdings sind häufig eine Menge Menschen unter bestimmten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umständen nicht mit der Situation zufrieden. Warum werden dann nicht alle zu Terroristen?

In Wahrheit beginnt nur ein Bruchteil dieser Menschen sich zu radikalisieren. Die Gründe dafür versucht Moghaddam anhand seines Modells zu erklären. Zu Terroristen entwickelt sich nämlich nur eine kleine Minderheit, welche alle Stufen des Modells erklimmt. Dieses ist als mehrstöckiges Gebäude zu verstehen. Auf jeder Etage finden sich andere Bedingungen und psychologische Prozesse, welche entweder zum Verweilen im jeweilen Stockwerk führen oder zum „Weiterklettern“ animieren.

Erdgeschoss – fair oder unfair?

Auf dieser Ebene befinden sich alle Mitglieder einer Gesellschaft.

Jeder schätzt die jeweilige Lebenssituation ein und bewertet diese als fair oder unfair. Werden die Bedingungen als fair und gerecht empfunden, verbleibt eine Person im Erdgeschoss. Nimmt eine Person die Lebensbedingungen als ungerecht wahr, steigt sie in den ersten Stock bzw. Obergeschoss auf.

1. Obergeschoss – Welche Möglichkeiten haben wir?

Wer sich auf dieser Ebene befindet, nimmt eine Analyse der Optionen zur Verbesserung der Lage vor.

Dabei gibt es sowohl friedliche als auch gewaltvolle Lösungsstrategien. Entscheidet sich jemand für gewaltfreie Lösungen, bleibt er in diesem Stockwerk. Erscheinen einer Person die friedlichen Lösungsstrategien allerdings als nicht effektiv genug, so nimmt sie die Treppe und betritt das zweite Stockwerk.

2. Obergeschoss – Die Suche nach einem Sündenbock

Im zweiten Stock stellen sich Ärger und Frust ein.
Personen auf dieser Ebene nehmen ein gewisses Gefühl der Unmöglichkeit und Perspektivlosigkeit wahr. Sie glauben nicht, dass die aktuelle Situation verändert oder gar verbessert werden kann. Im gleichen Zug kommt es häufig zur Suche nach einem Sündenbock.

Der gemeinsame Feind wird hierbei zur Zielscheibe der Wut. Bei ihm kann es sich entweder um einen direkten Gegner handeln oder um einen unbeteiligten Dritten. Mit zunehmendem Ärger und dem Einschwören auf das Feindbild geht es weiter ins dritte Stockwerk.

3. Obergeschoss – Hier greifen die psychologischen Tricks von Terror-Gruppen

Mit der Anzahl der genommenen Treppenstufen steigt auch die Gewaltbereitschaft.
Diese Tatsache wiederum wird gern von terroristischen Vereinigungen ausgenutzt. Die Gewalt gegen den Feind wird moralisch gerechtfertigt und sogar als eine Notwendigkeit dargestellt.

Hinzu kommt, dass die neuen Mitglieder einer Terror-Vereinigung eine Form der psychologischen Unterstützung erfahren: Sie erhalten eine neue soziale Identität in einer exklusiven Gruppe, welche ihr Denken und ihr Vorhaben befürwortet. Das geht mit einer Steigerung des Selbstwertes einher.

Und so beginnen sie zu glauben, dass diese Gruppe für Gerechtigkeit in der Welt sorgen will und setzen sich zunehmend für die Vereinigung ein.

4. Obergeschoss – Distanzierung und der zunehmende Sog des Terrorismus

Hier wird das strikte Denken in Kategorien gefördert.
Es findet eine Festigung des Denkansatzes „Wir gegen die anderen“ statt. Neue Mitglieder werden von ihrer Familie und ihren Freunden isoliert. Diese Abschottung sorgt dafür, dass sie sich mehr und mehr abkapseln und sich immer tiefer in der Ideologie der terroristischen Vereinigung verlieren.

Auch wird häufig eine strenge Schweigepflicht auferlegt, die den Mitgliedern das Sprechen über die Organisation mit Außenstehenden verbietet. Sie sind mittlerweile fest von der Legitimität der Gruppe überzeugt. Selbst wenn zu diesem Zeitpunkt doch noch Zweifel an den Absichten der Vereinigung auftreten, ist es nun in der Regel zu spät. Ein Ausstieg ist quasi unmöglich und mit einer Gefahr für das eigene Leben verbunden. Die Sanktionen durch die Gruppe werden zunehmend extremer, wenn Personen sich von ihr abwenden wollen. Ein Aufstieg in den fünften Stock ist für viele nun nicht mehr abzuwenden.

5. Obergeschoss – Keine Hemmungen mehr

Die letzte Stufe zum Terror.
Das fünfte und letzte Stockwerk zeichnet sich durch das systematische Ausschalten von Hemmungen aus. Die Mechanismen der Kategorisierung und der Isolation beziehungsweise Distanzierung der Gruppenmitglieder von der Gesellschaft ist mittlerweile so weit vorangeschritten, dass diese selbst zu drastischen Mitteln greifen. Ihre Hemmungen in Bezug auf Gewalt sind so gut wie vollkommen ausgeschaltet. Das führt dazu, dass sich sowohl ihr eigenes Leben opfern als auch das von unschuldigen Personen.

Selbstmordattentate und die Ermordung anderer Menschen werden hier als praktische Instrumente zur Zielerreichung gesehen und sind über jeglichen moralischen Zweifel erhaben. Zivile Opfer sind daher nicht nur ein „notwendiges Übel“, sondern werden beabsichtigt. Nur so ist die Verbreitung von Angst und damit das Erreichen der eigenen Ziele in den Augen der Terroristen umsetzbar.

Wie kann das Erklimmen der Stufen gestoppt werden?

Wir haben nun gesehen, dass niemand von heute auf morgen zum Terroristen wird.
Dahinter steckt ein langwieriger Prozess, bei welchem die betreffende Person verschiedene psychologische Stadien durchlebt. Terroristische Vereinigung legen ihre Fänge immer enger um ihre Mitglieder. Daher ergibt es Moghaddams Ansicht nach auch wenig Sinn, die potenziellen Attentäter zu identifizieren und einfach aus den Vereinigungen abzuziehen. Sofern das der Fall ist, rücken in kurzer Zeit neue Mitglieder an deren Stelle.

Um die Entwicklung terroristischer Gewalt zu unterbinden, müssen die Gegenmaßnahmen im „Erdgeschoss“ ansetzen. Nur wenn sich hier die Lebensbedingungen für alle Mitglieder einer Gesellschaft verbessern, gibt es keinen Anlass mehr für die Mitgliedschaft in einer Terror-Gruppe.


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