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Angst und die evolutionsgeschichtliche Bedeutung


Angst ist sicherlich kein besonders angenehmes Gefühl. Dennoch sollten wir sie wertschätzen. Doch warum? Weil sie einen großen Anteil dazu beigetragen hat, dass es uns heute überhaupt gibt.

Wieso?
Im Laufe der Evolution waren die Vorgänger des modernen Menschen mit einer Vielzahl lebensbedrohlicher Situationen konfrontiert. Hätten sie keine Angst beim Anblick eines auf sie zustürmenden Löwen bekommen, hätte die menschliche Spezies wohl kaum lange überlebt (Gleiches gilt natürlich auch für Tiere). Die Angst ist daher eine sehr nützliche und überlebenswichtige Funktion.

Dennoch kann sie uns im Alltag zum Nachteil werden. Schließlich sind wir heutzutage weniger gefährlichen Wildtieren als heranrückenden Deadlines ausgeliefert. Auf letztere reagieren wir dennoch unter Umständen mit Angst und unser Körper fährt ein automatisches Verhaltensprogramm ab, welches seit Jahrmillionen in unseren Genen eingespeichert ist.

Wie Angst im Gehirn entsteht, welche körperlichen Reaktion unser Organismus daraufhin zeigt und warum die eigene Angst sowie die der anderen einen evolutionären Vorteil bildet, zeigen die folgenden Abschnitte.

Warum haben wir Angst

Angst entsteht durch eine reale, aber auch durch eine eingebildete Bedrohung. Das Gehirn kann eine scheinbare nicht von einer wirklichen Gefahr unterscheiden. In beiden Fällen laufen Angst-Programme ab, welche in unseren Genen verankert sind. Dabei äußern diese sich auf der körperlichen, aber auch auf der psychischen Ebene.

  1. Es beginnt beim Thalamus, dem Teil des Gehirns, welcher auch als Tor zum Bewusstsein genannt wird. Die Gefahr muss dir also bewusst werden,bevor du Angst empfindest.
  2. Der Reiz, welcher vom Thalamus empfangen wird, wird dort interpretiert.
  3. Falls der Reiz eine Bedrohung darstellt, gehen Informationen an Cortex und den Hirnstamm.
  4. Im Cortex bzw. der Großhirnrinde wird das Signal zum Gefühl. Wir nehmen Angst als unbehagliche und bedrohliche Situation wahr.
  5. Der Hirnstamm fährt ebenfalls Defensivprogramme auf, welche auf körperlicher Ebene in Handlungen münden. zB. Flucht, Kampf, Erstarren oder Ohnmacht.

Was bedeutet Angst aus evolutionärer Sicht

Angst war überlebenswichtig. Denn durch diese eben geschilderten Programme wird uns automatisch und ohne Nachzudenken eine Handlung vorgegeben. Menschen und auch Tiere handeln demnach instinktiv bei Angst.

Ohnmacht und Starre bedeutet Totstellen. Und wilde Tiere, welche für den frühen Menschen eine echte Bedrohung waren, reagieren auf Bewegung. Und so ein wildes Tier würde demnach deinen ohnmächtigen oder in Schockstarre verfallenen Körper nicht mehr bemerken bzw. die visuelle Reizarmut nicht sehen.

Durch Herzrasen werden deine lebenswichtigen Organe besser durchblutet. Dadurch läufst du schneller, kämpfst besser und bist aufmerksamer. Auch dieses Programm ist in einer Bedrohung, welcher die Steinzeitmenschen ausgesetzt waren, überlebenswichtig.

Je nachdem wie stark die Angst oder Schock ist, beginnt der Körper auch mit Zittern. Wie beim Frieren auch wird dem äußeren System, insbesondere den Händen, dabei Blut entzogen. Das Blut wird dann benötigt, um die inneren Organe besser zu durchbluten, welche nun überlebenswichtig sind. Außerdem sorgt die geringere Blutzufuhr an den Gliedmaßen auch dafür, dass der Körper – im Falle einer Verletzung – nicht so stark blutet bzw. ausblutet.

Angst ist demnach ein Programm, welches losgetreten wird – sobald eine mögliche Bedrohung bewusst wird. Diese Gefahren bestanden früher einmal ausschließlich aus wilden Tieren oder verfeindeten Gruppenmitgliedern des eigenen oder fremden Stammes. Heutzutage werden aber auch bei Eifersucht, Kontrollverlust, Angst vor Armut – die gleichen Programme genutzt. Denn dem menschlichen Gehirn bzw. dem Thalamus ist die Art der Gefahr ziemlich egal und kann diese nicht anders verarbeiten.

Angst als evolutionärer Überlebensvorteil für die Gruppe

Wir profitieren von der Fähigkeit, die Mimik anderer interpretieren zu können.
Aus evolutionärer Perspektive ist das nicht nur aus sozialpsychologischer Sicht von Vorteil. Denn Emotionen spielen im menschlichen Miteinander eine bedeutende Rolle. Sehen wir beispielsweise ein trauriges Gesicht, verspüren wir Mitgefühl und wollen Trost spenden.

Ein wütendes Gesicht verrät uns, dass wir eher auf Abstand gehen sollten. Entdecken wir den Ausdruck von Ekel unseres Gegenübers, ist das vielleicht auf das vor ihm liegende, verdorbene Essen zurückzuführen. Die Emotion des Ekels bewahrt uns in der Hinsicht vor für uns schädlichen Substanzen und schützt uns vor Krankheitserregern.

Doch was ist mit der Angst?
Auch diese Emotion übt eine evolutionäre Schutzfunktion aus. Erblickten unsere Ahnen eine angsterfüllte Mimik, so war mit ziemlicher Sicherheit ein gefährliches Tier in der Nähe. Angst im Gesicht eines anderen bedeutete also: Gefahr im Verzug – Flüchten!

Angst ist eine Basisemotion. Das bedeutet, dass jeder Mensch auf der ganzen Welt, egal welchem Kulturkreis er angehört – Angst spüren und in der Mimik anderer erkennen kann. Somit ist Angst und deren Programme in unserem Genpool verankert und sorgt dafür, dass sich Angstverhalten sehr schnell in der Menschheit ausbreiten können.

Bei einem Kriegsausbruch oder einer Viruspandemie würden demnach sehr schnell, sehr viele Menschen Angst bekommen. Denn die Angst wirkt aufgrund ihres Basis-Emotionscharakters ansteckend und dies sorgt für den Schutz des Einzelnen, aber auch für den Schutz aller.

Angst selbst ist evolutionär verankert – wovor wir uns fürchten, ist zum Teil sehr individuell

Doch nicht nur der ängstliche Gesichtsausdruck eines Anderen schütze unsere Vorfahren vor Gefahren.
Natürlich dient auch die eigene Angst zum Erkennen und Umgehen von Risiken. Würden wir vollkommen unbeeindruckt vor einem sich vor uns auftürmendem Bären stehen bleiben, wären unsere Überlebenschancen eher nicht besonders hoch einzuschätzen.

Angst kann somit unser Überleben sichern. Doch wovor genau wir uns ängstigen, ist recht individuell. Zwar jagen angriffslustige Tiere wahrscheinlich jedem Angst ein. Auch die Angst vor Spinnen und Schlagen kann durchaus vorteilhaft sein. Denn diese sind zwar kleiner als ein Bär, jedoch potenziell giftig und damit ebenfalls gefährlich.

Jedoch erlernen wir auch einen Teil unserer Ängste. Einige haben ihr Leben lang eine Spinnenphobie (was in unseren Breitengraden eher hinderlich als nützlich ist – immerhin gibt es hierzulande keine Spinnen, die dem Menschen wirklich gefährlich werden könnten), während andere sich panisch vor Prüfungen fürchten oder vor sozialen Kontakten. Die Liste potenzieller Ängste ist sehr lang.

Warum komplette Angstfreiheit nicht erstrebenswert ist

Hast du dir schon einmal gewünscht, dich nie wieder zu fürchten?
Dann solltest du diesen Wunsch besser nochmals überdenken. Angst hat nämlich nicht nur Vorteile für das Überleben, sondern auch im sozialen Miteinander. Verletzungen der Amygdala können zum Verlust von Angst führen. Doch auch Krankheiten können einen Angstverlust zum Ergebnis haben. Das sogenannte Urbach-Wiethe Syndrom geht mit einer in der Pubertät beginnenden Verkalkung der Amygdala.

Bei dieser seltenen Erbkrankheit ist nach Abschluss der Pubertät der Mandelkern nicht mehr vorhanden. Betroffene können sich in Folge dessen Furcht nicht einmal mehr vorstellen. Das führt zu gewissen Einschränkungen im Gefühls-, jedoch auch im Sozialleben. Emotionale Signale werden nicht mehr korrekt verarbeitet, was die Kommunikation deutlich erschwert. Soziale Ausgrenzung oder Diskriminierung können Folgen dieser krankheitsbedingten mangelnden Sozialkompetenz sein, wodurch es zu Einsamkeit und Isolation kommen kann.

Die Auswirkungen dieses Syndroms zeigt folgendes Beispiel. Eine Patientin wurde mit der Aufgabe konfrontiert, Gesichter mit verschiedenen emotionalen Ausdrücken zu zeichnen. Die Darstellung von Freude, Trauer und der anderen Basisemotionen bereiteten ihr keine Probleme. Doch bei der Angst wusste sie nicht weiter. Sie konnte sich diese Emotion schlichtweg nicht vorstellen und brach die Untersuchung an diesem Punkt vorerst ab.

Schließlich führte sie die Gesichterreihe dann doch fort und stellte die Furcht anhand eines Sprichwortes dar: Sie zeichnete eine Person, der „die Haare zu Berge standen“. Das Erkennen von Emotionen an der Mimik anderer fällt diesen Patienten ebenfalls schwer. Genauer gesagt das Erkennen von ängstlichen Gesichtern. Werden ihnen Fotos von Menschen mit verschiedenen Gesichtsausdrücken gezeigt, können sie relativ problemlos bestimmen, welche Gesichter fröhlich, traurig oder wütend aussehen. Bei einem Foto eines verängstigten Gesichts müssen sie meistens passen.

Zusammenfassung

  • Die Angst kann lästig sein, birgt jedoch einen großen evolutionären Vorteil. Ohne Angst wären unsere Vorfahren nicht vor gefährlichen Tieren geflüchtet und hätten nicht lange überlebt. Damit wäre es ohne diese Emotion unwahrscheinlich, dass es unsere Spezies noch geben würde.
  • Doch auch im sozialen Miteinander ist es wichtig, mit dieser Emotion vertraut zu sein. Wenn wir die Angst anderer nicht verstehen können, machen wir uns unbeliebt. Das zeigt das Beispiel des Urbach-Wiethe-Syndroms.
  • Überhaupt ist es interessant, welche körperlichen Programme sich im Laufe der Evolution entwickelt haben. Wenn wir uns fürchten sorgt das sympathische Nervensystem dafür, dass wir optimal auf eine Flucht oder einen Kampf vorbereitet sind. Sobald die Gefahr vorbei ist, entspannen wir uns dank des parasympathischen Nervensystems wieder.

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