Was macht die Psychologie zu einer Wissenschaft – Merkmale & Bedeutung
Wieso spricht man bei Psychologie von einer Wissenschaft, wenn man sich viele Verhaltensweisen auch mit „gesundem Menschenverstand“ erklären könnte? Alltagspsychologische Erklärungen sind leider sehr fehleranfällig und das macht sie unzuverlässig.
Die wissenschaftliche Psychologie hat stattdessen eine Vielzahl an Methoden, um die Psyche des Menschen zu untersuchen. Mit diesem „Werkzeugkoffer“ können zuverlässige Aussagen über das Erleben und Verhalten getroffen werden. Welche Methoden es gibt und was die Psychologie zu etwas Besonderem macht, erfährst du in diesem Text. Außerdem sollen folgende Fragen beantwortet werden:
- Womit beschäftigt sich die Wissenschaft der Psychologie
- Was für eine Wissenschaft ist Psychologie eigentlich
- Warum ist Psychologie eine empirische Wissenschaft
- Wie betreibt man Psychologie als empirische Wissenschaft
- Was und welche Merkmale macht die Psychologie zu einer Wissenschaft
Es wird also spannend…
Okay, legen wir los.
Inhalt
Welche Bedeutung hat die Psychologie als Wissenschaft?
Das Ziel der wissenschaftlichen Psychologie ist das Generieren zuverlässiger Erkenntnisse rund um das menschliche Verhalten und Erleben.
Um den Unterschied zwischen der Alltagspsychologie und der wissenschaftlichen Psychologie näher zu betrachten, stellt sie zunächst die Frage: Was ist eigentlich Wissenschaft? Das Ziel jeder wissenschaftlichen Disziplin ist es, mit verschiedenen Forschungsmethoden gültiges und beständiges Wissen zu generieren.
Bei der Psychologie als Wissenschaft verhält es sich nicht anders. Sie möchte Erkenntnisse zu ihrem Themenbereich schaffen und Fragen zum menschlichen Verhalten und Erleben beantworten.
Genau das unterscheidet sie auch von der Alltagspsychologie. Denn Alltagspsychologie umfasst Dinge, wie gesunden Menschenverstand, Vorurteile, Verallgemeinerungen oder Einzelschlussfolgerungen. Und dabei weist die Alltagspsychologie gleich mehrere Fallstricke auf. Die vermeintlichen Erkenntnisse der Alltagspsychologie basieren nämlich häufig auf Erlebnissen einzelner Personen. Das macht sie anfällig für Fehler.
Menschen erinnern sich nicht immer fehlerfrei an bestimmte Ereignisse. Hinzu kommt, dass jeder Mensch ein Ereignis ein wenig anders interpretiert. Das hängt mit den eigenen Einstellungen, dem vorliegenden Wissensstand oder auch mit den Emotionen zusammen, die der Beobachter in der jeweiligen Situation gerade erlebt hat. Die Wahrnehmung von Situationen variiert also von Person zu Person. Außerdem schleichen sich auch nicht selten Fehler beim logischen Denken und beim Umgang mit Wahrscheinlichkeiten ein.
Der Mensch sieht gerne Verbindungen, wo keine sind
Unser Gehirn mag keine Unstimmigkeiten.
Auch Unsicherheit ist etwas, das es sich gern selbst „weg erklärt“. Wir suchen ständig nach Zusammenhängen zwischen verschiedenen Ereignissen, um die Welt um uns herum interpretieren zu können. Das ist an sich auch nicht weiter schlimm. Schließlich hilft es uns erheblich dabei, uns in der Welt zurecht zu finden. Doch besonders wissenschaftlich ist diese Funktion unseres Gehirns nun einmal nicht.
Denn dieses Vorgehen ist fehleranfällig und von etlichen Einflussfaktoren abhängig. Wir berufen uns von Aussagen anderer oder wenden Beispiele auf Situationen an, die nicht passend sind. Um diese Fehler bei Erklärungsversuchen auszuschließen, nutzt die wissenschaftliche Psychologie Forschungsmethoden. Diese bauen nicht auf den Alltagserfahrungen von Einzelpersonen auf, sondern auf einem Regelsystem.
Wissenschaftliche Methoden starten bei einer Theorie. Aus der Theorie werden Forschungshypothesen abgeleitet, welche in weiteren Schritten präzisiert werden. Anschließend wird ein geeignetes Studiendesign zur Prüfung der Hypothesen gesucht. Nach der Durchführung der Studie werden die Daten analysiert und interpretiert. Die Ergebnisse weisen dann darauf hin, ob die Hypothese korrekt ist oder verworfen werden muss. Trifft die Hypothese zu, wird die Theorie gestärkt. Das war jetzt ein bisschen viel Theorie, daher kann dir folgendes Beispiel den ganzen Prozess vielleicht etwas verdeutlichen.
Du könntest die Theorie haben, dass das Wetter sich auf die Stimmung auswirkt. Das ist nämlich so eine typische Alltagspsychologische Theorie. Um die Gültigkeit deiner Theorie zu prüfen, leitest du eine Hypothese ab. Diese könnte lauten, dass Menschen bei Regenwetter unzufriedener sind als bei Sonnenschein.
Okay und dann?
Deine Hypothese testest du dann, indem du eine Telefonumfrage startest. Diese Umfrage ist dein Studiendesign. Du legst vorher fest, wie viele Menschen du anrufst und nach ihrer Zufriedenheit fragst. Bei dieser Anzahl handelt es sich um deine Stichprobe. Du könntest nun diese Menschen alle an einem verregneten Tag anrufen und dir notieren, wie viele zufrieden sind und wie viele unzufrieden.
Das Gleiche machst du dann noch einmal an einem sonnigen Tag. Nun hast du zwei Listen, auf denen die Zufriedenheit an einem sonnigen Tag und einem Regentag festgehalten sind. Diese Daten vergleichst du nun miteinander und wertest sie aus. Vielleicht stellt sich heraus, dass am sonnigen Tag wirklich mehr Personen zufriedener waren als am verregneten. Du könntest daraus schlussfolgern, dass deine Theorie korrekt ist.
Dieses Beispiel ist natürlich stark vereinfacht, doch vielleicht konnte es dir eine bessere Vorstellung über den wissenschaftlichen Forschungsablauf geben.
Psychologie als Schlüsselwissenschaft
Die Psychologie ist ein breites Feld und bietet Anknüpfpunkte zu verschiedensten Themengebieten.
Denn das menschliche Erleben und Verhalten hängt mit etlichen Faktoren zusammen. Unsere Wahrnehmung hängt von unseren Sinnesorganen ab, unsere Kultur hat einen Einfluss auf unsere Wertevorstellungen und selbst unsere Gesundheit wirkt sich auf unser Denken aus.
Dieser Umstand hat nicht nur dazu geführt, dass es in der Psychologie selbst unterschiedlichste Disziplinen gibt. Mit ihr ist es auch möglich, Querverbindungen zu anderen Wissenschaften herzustellen und deren Fragestellungen aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Die Pädagogik profitiert zum Beispiel von den psychologischen Erkenntnissen über die kognitive Entwicklung von Kindern. Die Medizin kann mithilfe der Psychologie Krankheiten besser erklären, für die es keine körperlichen Ursachen gibt. Selbst der Umweltschutz kann psychologische Forschungsergebnisse nutzen, um die Menschen zu einem umweltfreundlicheren Verhalten zu motivieren.
Doch auch die Psychologie selbst kann auf die Erkenntnisse anderer Wissenschaften zurückgreifen. Neue Entwicklungen in der Medizin und Technik erlauben es, bestimmte psychische Krankheiten besser zu erforschen. So können Hirnaktivitäten anhand von bildgebenden Verfahren sichtbar gemacht und neues Wissen generiert werden.
Forschungsfragen aus anderen Wissenschaften können der Psychologie als Inspiration dienen.
- Warum sind Menschen religiös?
- Braucht der Mensch einen Glauben?
- Welche Lebensmittel haben einen Einfluss auf unsere Stimmung?
Sowohl Religions- als auch Ernährungswissenschaften liefern Inhalte, an denen die Psychologie anknüpft. Doch auch Naturwissenschaften, wie Biologie oder Chemie tragen viel zur psychologischen Forschung bei. Durch deren Erkenntnisse über die biochemischen Abläufe im menschlichen Körper weiß die Psychologie, wie die Reizübertragung zwischen den einzelnen Nervenzellen im Gehirn funktioniert. Diese machen das Denken überhaupt erst möglich.
Die Psychologie ist daher eine Wissenschaft, welche sich mit etlichen anderen Forschungsgebieten verknüpfen lässt. Diese Verbindungen sorgen für eine stetige Weiterentwicklung innerhalb der einzelnen Wissenschaften und treiben die Forschung weiter voran. Die interdisziplinären Verzweigungen der wissenschaftlichen Psychologie sind somit sehr weitreichend.
Merkmale der wissenschaftlichen Psychologie
Bei der Psychologie handelt es sich um eine empirische Wissenschaft, die sich mit Fragen zum Erleben und Verhalten des Menschen befasst.
Doch was bedeutet „empirisch“?
Eine empirische Wissenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie die schon oben erwähnten Theorien entwickelt und anhand von Forschungsmethoden systematisch überprüft. Die aus den Theorien abgeleiteten Hypothesen müssen so präzise formuliert sein, dass sie eindeutig als richtig oder falsch bezeichnet werden können. Die Annahmen der Alltagspsychologie sind häufig sehr schwammig und können daher auch selten oder gar nicht getestet werden.
Die wissenschaftliche Psychologie hat sich zur Aufgabe gemacht, das menschliche Erleben und Verhalten zu beschreiben, zu erklären, vorherzusagen und zu verändern. Um diese Aufgaben erfüllen zu können, sind Theorien und deren empirische Untersuchung notwendig. Da die menschliche Psyche allerdings ein sehr komplexes Konstrukt ist, müssen auch die Forschungsmethoden dementsprechend vielfältig sein.
Qualitativ oder quantitativ?
Abhängig von der jeweiligen psychologischen Disziplin werden quantitative oder qualitative Methoden genutzt.
Quantitative Methoden erlauben eine objektive Messung. Mit ihnen werden empirische Sachverhalte in Form von Zahlen bzw. Statistiken dargestellt. In dem obigen Beispiel hättest du etwa die Zufriedenheit des jeweiligen Studienteilnehmer anhand einer Skala von 1 bis 5 bewerten können. Am Ende hättest du die Zahlen verrechnet und wärst zu einem Wert für den sonnigen und einen für den regnerischen Tag gekommen.
Die qualitativen Methoden sind eher sinnverstehend. Sie sind häufiger in den Sozialwissenschaften vertreten, finden sich manchmal aber auch in der psychologischen Forschung. Du hättest deine Studienteilnehmer also stattdessen auch fragen können, wie es ihnen geht und hättest dir dann die Aussagen von ihnen notiert. Ihre Zufriedenheit hättest du dann zum Beispiel durch bestimmte Wörter aus ihren Äußerungen ableiten können. Wörter wie „niedergeschlagen“ oder „antriebslos“ wären dann eher bei Unzufriedenheit zu verorten, während „fröhlich“ oder „energiegeladen“ eher für Zufriedenheit sprechen.
Beides sind empirische Erhebungen.
Und eiese beiden Methodenausprägungen können separat voneinander, aber auch ergänzend genutzt werden. Zwar sind qualitative Forschungsmethoden anfälliger für bestimmte Fehler als quantitative. Dennoch können sie genutzt werden, um vorliegende quantitative Daten besser zu interpretieren. Die qualitativen und quantitativen Methoden werden sowohl in der Forschung als auch in der Datenerhebung und -analyse verwendet.
In der Forschung zählen zu den quantitativen Methoden etwa das Laborexperiment oder auch Korrelationsstudien, während es sich bei biografischen Methoden oder beschreibender Feldforschung um qualitative handelt. Zur quantitativen Erhebung gehört das Beobachten und Testen, zur qualitativen zählen Interviews oder Gruppendiskussionen. Die quantitative Analyse nutzt beschreibende oder schlussfolgernde Methoden, während die qualitative Analyse sich eher auf Inhalte und Diskurse bezieht.
Falls du mehr dazu erfahren willst, schau dir unsere Übersichtsseite zur Wissenschaftstheorie und Erkenntnisgewinn an.
Objektivität, Reliabilität und Validität
Ein weiteres Merkmal der wissenschaftlichen Psychologie sind die Gütekriterien.
Diese Kriterien geben Auskunft darüber, wie zuverlässig und präzise ein Test ist. Mit Tests können zum Beispiel bestimmte Persönlichkeitsmerkmale erfasst werden. Wie objektiv ein Test ist, hängt vom Grad der Unabhängigkeit der Ergebnisse von verschiedenen Faktoren ab.
Das Gütekriterium der Objektivität ist gegeben, wenn die Testergebnisse nicht durch den Testleiter oder den Auswerter der Daten beeinflusst wurden. Auch die Situationsmerkmale sind zu beachten. Wie eine Person auf die Fragen eines Tests antwortet, kann von der Temperatur, den Lichtverhältnissen oder auch der Geräuschkulisse beeinflusst werden. Daher sollte der Raum auch bei jeder Testperson genau gleich sein.
Bei dem Gütekriterium der Reliabilität geht es um den Grad der Genauigkeit, mit der ein Test ein bestimmtes Merkmal misst. Je mehr Messfehler sich einschleichen können, desto weniger reliabel ist der Test. Die Ergebnisse könnten durch Einflüsse verfälscht werden.
Wie genau sind die Messergebnisse?
Um das zu überprüfen, gibt es mehrere Möglichkeiten. Der Test kann mit einem anderen Test verglichen werden, welcher dasselbe Merkmal misst. Auch eine mehrfache Wiederholung des Tests kann zeigen, wie genau die Messergebnisse sind.
Die Validität ist der Grad der Gültigkeit des Tests. Hier stellt sich also die Frage, ob der Test wirklich das Merkmal misst, das er auch messen soll. Ausschlaggebend für die Gültigkeit ist die Antwort auf etwa die folgenden Fragen:
- Kann das Ergebnis von der Testsituation auch auf den Alltag übertragen werden?
- Kann das Ergebnis in die Theorie eingebettet werden?
Sinn und Schwächen von Forschungsmethoden
Der Sinn hinter den verschiedenen Methoden ist das Sichtbarmachen der Black Box.
Als „Black Box“ wird der Prozess verstanden, welcher zwischen Umweltreiz und einer bestimmten Reaktion vollzogen wird.
Bei unserem Wetterbeispiel sind es eben genau die Prozesse, welche dazu führen, dass Menschen bei schlechtem Wetter (Reiz) schlechte Laune haben (Reaktion).
Der Inhalt der „Black Box“ wurde erst durch die kognitive Wende interessant. Vorher beschränkte sich der Behaviorismus auf die Erforschung der Zusammenhänge von Reiz und Reaktion. Welche Prozesse im Inneren des Menschen abliefen, war für diese psychologische Strömung nicht weiter wichtig.
Welche Prozesse das nun sind, kann mit verschiedenen Forschungsmethoden untersucht werden. Dazu gehören Tests, Fragebögen, Interviews, Beobachtungen oder Experimente. Da jede menschliche Reaktion durch verschiedene Faktoren beeinflusst wird, sind auch die Ergebnisse der jeweiligen Methoden trotzdem immer zu hinterfragen.
Ein Beispiel für diese Einflussfaktoren auf das Ergebnis ist die Reaktivität.
Damit ist gemeint, dass die getestete oder interviewte Person selbst die Antworten beeinflusst. Die Daten können bewusst oder unbewusst verfälscht werden. So könnte allein das Wissen darüber, dass sie getestet wird, die Person zu einem bestimmten Verhalten veranlassen. Die Testperson bildet selbst Theorien darüber, was das Ziel der Untersuchung sein könnte. Sie glaubt zu wissen, welches Verhalten vom Forscher erwünscht sein könnte und passt ihr Verhalten dementsprechend an. Dabei spricht man auch von sozialer Erwünschtheit. Das eigentliche Merkmal kann dann nicht mehr korrekt gemessen werden, weil die Person nicht mehr ihr natürliches Verhalten zeigt.
Bei Befragungen mit Selbstauskünften kann es zusätzlich dazu kommen, dass die Selbsteinschätzung der Testperson von der Realität abweicht. Menschen neigen dazu sich selbst in einem positiven Licht darzustellen. Man spricht auch von einem Real- und einem Ideal-Selbst. Das Ideal-Selbst beinhaltet all das, was eine Person sich von sich selbst erhofft und wonach sie strebt.
Im Real-Selbst hingegen sind auch die Fehler und Schwächen der eigenen Person verortet, die man allerdings nur zu gern beiseiteschiebt. Bei der Beantwortung von Fragen zur eigenen Person, werden also gern die „negativen“ Persönlichkeitsaspekte verschwiegen.
Um diese und andere Störfaktoren zu verhindern, verfügt die wissenschaftliche Psychologie über einige Methoden. Zum Beispiel gibt es Möglichkeiten, die Reaktivität bei der Datenerhebung zu verringern. Der Testperson kann ein anderer Grund für die Forschung genannt werden, damit sie selbst keine Annahmen zum Untersuchungszweck bildet und ihr Verhalten nicht anpasst.
Reaktivität könnte auch komplett ausgeschlossen werden, wenn die Person nicht weiß, dass sie Teil einer Untersuchung ist. Allerdings ist bei jeder Untersuchung auch zu hinterfragen, ob die Methoden ethisch vertretbar sind. Die Psychologie hat daher verschiedene ethische Prinzipien für die Forschung entwickelt.
Warum ist die Psychologie nun eine Wissenschaft?
Die Psychologie ist eine Wissenschaft, weil sie konkrete Fragen erforscht, Theorien überprüft und sich dazu empirischer Forschungsmethoden bedient. Aus den Forschungsergebnissen können anschließend Schlüsse gezogen und Implikationen für die Praxis erstellt werden. So kann etwa der Einfluss bestimmter Faktoren auf das Erleben und Verhalten identifiziert werden.
Dieses Wissen wird anschließend etwa dafür genutzt, geeignete Behandlungsformen oder spezielle Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Da die Psychologie viele Schnittstellen mit anderen Wissenschaften aufweist, trägt sie zu einem besseren Verständnis des „großen Ganzen“ bei.