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Gewaltprävention & Aggressionsabbau: Psychologische Ansätze


Es gibt verschiedenste Annahmen und Theorien darüber, wie Gewalt zustande kommt. Aggression spielt hierbei natürlich die entscheidende Rolle. Es gibt empirisch bestätigt Theorien über den Zusammenhang von aggressivem Verhalten und den Hormonen.

So kann eine ungünstige Kombination aus hohen Testosteron- und geringen Cortisolwerten ein aggressives Handeln wahrscheinlicher machen. Auch ein feindseliger Attributionsstil kann die Gewaltbereitschaft steigern. Dahinter verbirgt sich eine Art der Ursachenzuschreibung, bei der man einer anderen Person grundsätzlich schlechte Absichten unterstellt. Es bestehen ebenso Beziehungen zwischen Aggressionen und bestimmten situationalen Faktoren. Dazu zählen beispielsweise Hitze oder Alkoholkonsum.

Ziel der Psychologie ist es allerdings nicht nur, die Gründe hinter dem Denken und Handeln der Menschen zu verstehen. Ein weiteres Bestreben ist das Verändern von eben diesem. Dazu zählen auch die Intervention und Prävention von aggressivem Verhalten und Gewalt. Doch welche Ansätze gibt es hierzu? Im Folgenden sehen wir uns eine Gegenüberstellung verschiedener Ansätze an und gehen auf deren Wirksamkeit ein.

Katharsis – Gewaltvermeidung durch symbolisches Ausleben?

Der Begriff der Katharsis geht auf die griechische Tragödie zurück. In diesen antiken Bühnenstücken sollte der Zuschauer durch das Betrachten eines dramatischen Konflikts selbst eine Art innere Reinigung erfahren. Furcht und Mitleid sollten aufgelöst werden, so dass es zu einem Abbau von inneren Spannungen kommt.

In der Psychologie steht die Katharsis für eine Hypothese zur Reduktion von inneren Konflikten. Das symbolische Ausleben von negativen Gefühlen soll zum Abbau aggressiver Spannungen beitragen. So ist die Annahme weit verbreitet, dass Aggressionen durch symbolische aggressive Ersatzhandlungen vermindert werden sollen.

Dieses „Dampfablassen“ soll in Form von sarkastischem Humor oder auch durch das Ausleben von Gewalt in Videospielen erzielt werden können.

Dampfablassen zum Abbau von Aggressionen

Schon Konrad Lorenz ging von einem aggressiven Trieb aus, mit dem Menschen und andere Lebewesen bereits geboren werden.

Diese Energie sammelt sich – seiner Auffassung nach – im Menschen an und muss von Zeit zu Zeit abgelassen werden. Daher ist bei dieser Hypothese auch die Rede vom „Dampfkessel-Modell“. Nachdem der Dampf abgelassen (also der aggressive Trieb ausgelebt) wurde, benötigt der Organismus eine bestimmte Zeit zum Wiederauffüllen dieser Energie. In dieser Zeit kommt es – der Hypothese nach – zu keiner weiteren gewalttätigen Handlung, da die aggressive Energie noch erschöpft ist.

Katharsis wirkt eher gegenteilig

Die Annahme der Katharsis (Dampfablassen) ist aus Sicht der psychologischen Forschung allerdings nicht haltbar. Durch eine Vielzahl von Studien konnte mittlerweile gezeigt werden, dass die Katharsis in Bezug auf die Aggressionsverringerung unwirksam ist. Das Gegenteil ist sogar der Fall: Die symbolische Aggression wirkt als aggressiver Hinweisreiz, der eine Reihe von feindseligen Gedanken und Gefühlen in Gang setzt. Diese bahnen den Weg für weitere aggressive Reaktionen und Gewalt.

Eine Studie der Psychologen Verona und Sullivan lieferte beispielsweise Hinweise auf die aggressionssteigernde Wirkung der Katharsis. Die Probanden des Experiments hatten die Möglichkeit, einer anderen Person einen negativen Reiz zu verabreichen. Dabei handelte es sich um einen unangenehmen Luftstoß, den sie per Tastendruck auslösen konnten.

Die Stärke der erlebten Katharsis wurde anhand der Herzfrequenz gemessen. Je stärker diese zurückging, desto höher war die erlebte Katharsis durch das Betätigen der Taste. In der zweiten Phase der Untersuchung wurde das Ausmaß an Aggression gemessen. Hierbei zeigte sich, dass die Probanden mit der stärksten Katharsis – verglichen mit den anderen Probanden – auch gleichzeitig das aggressivste Verhalten im Anschluss zeigten.

Die Abnahme der negativen Erregung führte also nicht zu einer Reduktion des aggressiven Handelns, sondern noch zu dessen Zunahme. Obwohl sich der Ansatz der Katharsis als Gewaltprävention als unwirksam erwiesen hat, hält sich diese Annahme vor allem im Alltagsverständnis der Menschen noch sehr präsent.

Ist Bestrafung eine effektive Form der Gewaltprävention?

Die Angst vor Strafe hält so manchen davon ab, etwas Unrechtes zu begehen. Doch wirkt Bestrafung auch aggressivem Verhalten entgegen? Tatsächlich kann Bestrafung als Abschreckung dienen, damit Gewalt keine Anwendung findet. Allerdings müssen dafür mehrere Bedingungen erfüllt sein.

  • Die Strafe muss hinreichend unangenehm sein. Eine lasche Strafe hält nicht vom aggressiven Verhalten ab.
  • Die Strafe muss mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit eintreten. Je unwahrscheinlicher das Eintreffen von strafenden Konsequenzen ist, desto eher wird aggressives Verhalten gezeigt.
  • Die negative Erregung einer Person darf nicht so stark sein, dass sie die Folgen ihres aggressiven Verhaltens nicht mehr beurteilen kann. Das bedeutet, dass eine Person nicht so sehr in Rage sein darf, dass sie einen Tunnelblick entwickelt. In dem Fall denkt sie nämlich schlicht und einfach nicht über negative Konsequenzen nach und eine potenzielle Strafe verfehlt ihre abschreckende Wirkung.
  • Es müssen attraktivere Verhaltensalternativen in der entsprechenden Situation gegeben sein, so dass Gewalt nicht als scheinbar einzige Lösung erscheint.
  • Die Bestrafung muss unmittelbar auf das Verhalten folgen, damit sie als Konsequenz der Handlung verstanden wird. Wenn die Strafe nicht direkt nach dem unerwünschten Verhalten eintritt, stellt die handelnde Person mit steigender Wahrscheinlichkeit keinen Zusammenhang mehr zwischen Strafe und Tat her.

Warum stellt Strafe keine probate Anti-Aggressions-Strategie dar?

Die oben genannten Bedingungen müssen alle gleichzeitig erfüllt werden, um zu wirken. Und das ist nur extrem selten der Fall. Daher gibt es auch eine Reihe von Kritikpunkten an dem Konzept der Bestrafung.

Wie wir bereits im Fall der Katharsis gesehen haben, lösen aggressive Hinweisreize weitere aggressive Verhaltensweisen aus. Strafe wird generell als negativ empfunden und kann dadurch selbst zu einem aggressiven Hinweisreiz werden. Dieser führt dann unter Umständen wiederum zu mehr Gewalt.

Weiterhin ist kritisch anzumerken, dass Strafe zu einer normativen Akzeptanz von Aggression führen kann. Da Strafe nun einmal eine Form von Aggression beinhaltet, kann sie aggressionsfördernd wirken. Gleichzeitig kann das aggressive Verhalten in Form von Strafe dann als angemessene Strategie in der Lösung von Konflikten angesehen werden.

Belohnung statt Bestrafung zur Verhinderung von Gewalt

Mit dem Konzept von Bestrafung und Belohnung werden wir bereits in der frühen Kindheit konfrontiert. Wir lernen, dass unerwünschtes Verhalten bestraft wird. Handeln wir jedoch den Wünschen der anderen entsprechend, so werden wir belohnt.

Die obigen Ausführungen zeigen jedoch, dass Strafe selbst eine Form der Aggression ist und sich daher eher nicht zur Verminderung von Gewalt eignet. Wenn Strafe als aggressiver Hinweisreiz dient, ist Belohnung wahrscheinlich das sinnvollere Mittel zur Verhaltensregulation. Statt den Fokus auf die Bestrafung von unerwünschtem Verhalten zu legen, sollten eine verstärkte Belohnung des erwünschten Verhaltens erfolgen, damit erst gar keine aggressiven Hinweisreize gesetzt und gewalttätiges Verhalten möglichst früh unterbunden werden kann.

Deeskalation zur Gewaltverhinderung

Aggressive Gedanken und Gefühle führen häufig zu aggressivem Verhalten. Im Umkehrschluss können positive Gefühle und Gedanken aggressive Handlungen allerdings auch mindern. Dass das Auslösen positiver Gefühle und Gedanken ein effektiver Puffer auf die Wirkung von Frustration auf aggressives Verhalten darstellt, konnte bereits in mehreren Studien festgestellt werden.

Doch bevor ich auf diese eingehe, erkläre ich dir noch kurz den Zusammenhang zwischen Frustration und Aggression. Wenn wir frustrierende Erfahrungen machen, kommen zusammen damit meist auch aggressive Denkweisen und Gefühle auf. In der Forschung konnte hier ein Zusammenhang nachgewiesen werden.

Dennoch führt Frustration nicht immer zu Gewalt. Es spielen noch weitere Faktoren eine Rolle dabei, ob es wirklich zu aggressiven oder gewalttätigen Handlungen nach einer Frustration kommt. Nicht nur situative Faktoren sind hier relevant, sondern auch die Persönlichkeit eines Menschen.

Unter Alkoholeinfluss kann jemand schneller aggressiv auf eine Frustration reagieren. Das wäre die situative Komponente. Doch obwohl Alkohol die Hemmschwelle für aggressives Verhalten senkt, wird das Verhalten auch noch vom Charakter beeinflusst. Neigt eine Person ohnehin nicht zu Aggressionen, wird sie sich auch nach einigen Drinks noch nicht in die nächste Prügelei stürzen.

Wie können positive Gefühle ausgelöst werden?

Frustration bahnt weiteren negativen Emotionen den Weg und macht aggressives Verhalten wahrscheinlicher. Und um Frustrationen abzupuffern, können wir Einfluss auf unsere Denkmuster nehmen. Indem wir unsere negativen Gedanken bewusst durch positive ersetzen, sinkt das Aggressionspotenzial.

Doch wie können wir das umsetzen?
Weiter oben hast du gelesen, dass gewalthaltige Videospiele eine symbolische Form der Gewaltauslebung sind und dadurch eine Katharsis auslösen sollen. Allerdings ist die Katharsis kein wirksames Mittel zur Reduktion von Gewalt, da durch die aggressiven Inhalte der Videospiele weitere aggressive Gedanken freigesetzt werden. Diese machen ein aggressives Verhalten wahrscheinlicher, anstatt dessen Wahrscheinlichkeit zu senken.

Doch wie verhält es sich mit anderen Videospielen? Auch positive Videospiele setzen entsprechende Assoziationen in unserem Gehirn in Gang, wodurch wir unsere Stimmung aufhellen können.

Prosoziale Spiele senken aggressives Verhalten

Prosoziale Videospiele verschaffen uns prosoziale Kognitionen. In ihrer Studie zu diesem Thema teilten die Forscher Greitemeyer und Osswald (2009) ihre Probanden in zwei Gruppen ein. Die eine Gruppe spielte ein neutrales Videospiel (Tetris), die andere ein prosoziales (Lemmings). Anschließend wurden die Probanden gebeten, Geschichten zu vervollständigen.

Die Geschichtenanfänge hatten das Potenzial entweder einen aggressiven oder einen nicht-aggressiven Verlauf zu nehmen. Zum Beispiel beinhaltete ein Anfang die Aussage, dass ein Freund eine halbe Stunde zu spät zu eurem Treffen auftaucht und sich nicht für die Verspätung entschuldigt.

Die Probanden sollten überlegen, wie sich der Hauptcharakter in dieser Geschichte wohl fühlt, was er denkt oder wie er handelt. Dabei zeigte sich, dass die Spieler des prosozialen Videospiels (Lemmings) weit weniger aggressive Geschichtenverläufe hervorbrachten als die andere Gruppe. Die Forscher schlossen daraus, dass die Beschäftigung mit prosozialen Inhalten die Anzahl an aggressiven Gedanken verringern kann.

Musik gegen aggressives Verhalten

Angenehme Musik kann ebenfalls als Auslöser positiver Gefühle dienen und so Aggressionen senken. Diese Erkenntnisse gehen beispielsweise aus einer Studie von Krahé und Bieneck (2012) hervor. In ihrer Untersuchung setzten sie ihre Probanden entweder als angenehm bewerteter oder unangenehmer Musik aus.

Zur ersten Variante gehörten klassische Musikstücke, während die zweite Bedingung beispielsweise Techno beinhaltete. Einige Probanden hörten keine Musik und dienten damit als Kontrollgruppe. Nach dem Hören der jeweiligen Musik wurden die Probanden vom Versuchsleiter provoziert und anschließend widmeten sie sich einer lexikalischen Entscheidungsaufgabe.

Dabei soll der Proband per Tastendruck bestimmen, ob es sich bei auf einem Bildschirm präsentierten Wort um ein echtes Wort handelt oder nicht. Die Reaktionszeit zeigt dabei an, wie zugänglich die jeweiligen Wörter bei dem Probanden gerade sind. Es handelte sich bei den echten Wörtern um neutrale, aggressive und nicht-aggressive Wörter.

Je mehr Zeit zwischen dem Erscheinen des Wortes und der Entscheidung beziehungsweise dem Betätigen der Taste liegt, desto unzugänglicher ist das Wort. Es zeigte sich, dass die Probanden der Experimentalgruppe mit der angenehmen Musik eine längere Reaktionszeit bei der lexikalischen Entscheidungsaufgabe aufwiesen, wenn es sich um ein aggressives Wort handelte.

Die Versuchsteilnehmer der anderen Gruppe (unangenehme Musik) und der Kontrollgruppe (keine Musik) reagierten schneller auf die aggressiven Wörter. Angenehme Musik kann also die Zugänglichkeit zu aggressiven Kognitionen verringern.

Zusammenfassung

  • Zur Gewaltprävention liegen verschiedene Ansätze vor. Einige davon sind wissenschaftlich haltbar, andere weniger.
  • So führt der Ansatz der Katharsis bzw. des Dampfablassens eher zu mehr Aggressionen, anstatt sie zu mindern.
  • Auch das Konzept der Bestrafung ist tückisch. Es müssen viele Bedingungen eingehalten werden, damit Strafe effektiv ist. Diese Einhaltung ist allerdings nur in den wenigsten Ausnahmen der Fall. Viel mehr kann auch Strafe aggressionsfördernd sein, da sie selbst als aggressiver Hinweisreiz dient.
  • Am sinnvollsten ist eine Deeskalationsstrategie. Dabei kann durch das Auslösen positiver Gefühle und Gedanken das Aggressionspotenzial reduziert werden. Um das zu erreichen, eigenen sich zum Beispiel die Beschäftigung mit prosozialen Inhalten sowie angenehme Musik.

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