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Lateralisierung des Gehirns


Bei dem Gehirn liegt eine Lateralisierung bzw. Lateralisation (latein. lateralis = seitlich) vor. Dies bedeutet, dass beide Gehirnhälften unterschiedliche Funktionen haben, obwohl sie sich äußerlich stark ähneln.

Lateralisierung: Bedeutung

Linke und rechte Gehirnhälfte sind an unterschiedlichen Funktionen gebunden bzw. steuern den Bewegungsablauf des Menschen. So geht man davon aus, dass die Händigkeit, also ob jemand Rechts- oder Linkshänder ist, mit der Zweiteilung des Gehirns zusammenhängt. Weiterhin existiert, innerhalb des sogenannten Hemisphären-Modells, die Annahme, dass die linke Großhirn-Hälfte an der Sprachsteuerung beteiligt ist. Die rechte Hemisphäre dient der räumlichen Vorstellungskraft und Interaktion.

Schädigung der Gehirnhälften

Abhängig davon, welche Teile der rechten oder linken Hemisphäre durch einen Unfall oder Schlaganfall in Mitleidenschaft gezogen wurden, treten auch verschiedene Symptome auf.

Eine Schädigung der linken Hemisphäre kann beispielsweise das Sprechen und Schreiben beeinträchtigen sowie das mathematisch-logische Denken. Zwischen den beiden Hemisphären besteht eine Verbindung aus Nervenbahnen. Das Durchtrennen dieses Nervenbandes beeinflusst zwar nicht merklich das Denken, doch es wirkt sich auf das Handeln aus.

Da die Übermittlung der Informationen zwischen den Gehirnhälften nicht mehr funktioniert, versucht die eine Hälfte, sich das Handeln der anderen zu erklären.

Das Corpus callosum verbindet beide Hemisphären

Ein breites Band zur Datenübertragung liegt zwischen den Gehirnhälften. Bei dieser Verbindung zwischen den beiden Hemisphären (Gehirnhälften) handelt es sich um das Corpus callosum (Balken). Dieses besteht aus einer Vielzahl neuronaler Fasern, den sogenannten Axonen. Das breite Band aus Nervenbahnen verbindet die linke mit der rechten Hemisphäre. Dadurch können die beiden Hälften miteinander kommunizieren.

Zu Beginn der 1960er Jahre hatten die Neurochirurgen Vogel und Bogen die Idee, dass das Durchtrennen des Corpus callosums bei der Behandlung von Epilepsie hilfreich sein könnte. Sie vertraten die Hypothese, dass epileptische Anfälle auf einer zu starken Aktivität des Gehirns basieren. Hierbei springen zu viele Signale über das Corpus callosum von einer Gehirnhälfte zur anderen.

Als sie Menschen mit Epilepsie operierten und deren „Verbindungskabel“ zwischen den Hirnhälften kappten, gingen die Anfälle tatsächlich stark zurück oder traten gar nicht mehr auf. Intelligenz und Persönlichkeit der Betroffenen war hingegen nicht oder nur sehr gering von der Operation betroffen. Diese Patienten werden auch als Split-Brain-Patienten bezeichnet.

Bei Split-Brain-Patienten weiß die eine Hirnhälfte nicht, was die andere tut

Bei der visuellen Wahrnehmung muss man um die Ecke denken. Unser visuelles System ist über Kreuz angelegt. Signale aus der linken Hälfte des Sichtfeldes werden in der rechten Hälfte des Gehirns repräsentiert. Informationen in der rechten Sichtfeldhälfte finden sich hingegen in der linken Hemisphäre wieder. Die linke Gehirnhälfte ist allerdings auch für die Repräsentation der Sprache zuständig.

“HE“ oder „ART“?

Einige Jahre nach den erfolgreichen ersten Operationen durch Vogel und Bogen führte der Forscher Gazzaniga Versuche mit Split-Half-Patienten durch.

Er zeigte den Versuchsteilnehmern verschiedene Stimuli und „befragte“ anschließend die Hirnhälften einzeln. Dazu sollten die Probanden auf einen Bildschirm schauen, auf dem ein Punkt abgebildet war. Links und rechts von dem Punkt wurden die Teile eins Wortes eingeblendet. Links vom Punkt beziehungsweise im linken Sichtfeld des Probanden befanden sich die Buchstaben „HE“ und rechts „ART“. Bat Gazzaniga die Versuchsteilnehmer nun, das Gesehene zu nennen, sagten sie „ART“. Wenn sie allerdings auf Worttafeln mit der linken Hand auf das gesehene Wort zeigen sollten, zeigten sie nicht auf „ART“. Stattdessen zeigten sie auf „HE“. Darüber waren die Probanden selbst verwundert.

Diese Versuche machten deutlich: Die rechte Hirnhälfte (die die Bewegungen der linken Hand steuert) wusste durchaus, was sie gesehen hatte. Aber sie konnte es nicht sprachlich zum Ausdruck bringen, weil der für die Sprache zuständige Bereich sich auf der anderen Hemisphäre befindet.

Sie können es nicht benennen, jedoch erkennen

Auch bei Objekten zeigten die Patienten ein seltsames Verhalten. Wurde der rechten Hirnhälfte ein Bild eines Löffels gezeigt, so konnten die Probanden nicht in Worte fassen, was sie gesehen hatten. Wurden sie jedoch gebeten, den entsprechenden Gegenstand aus einem Haufen anderer Objekte zu identifizieren, nahmen sie mit der linken Hand einen Löffel heraus.

Die rechte Gehirnhälfte nimmt also Dinge wahr, über die die linke Hälfte nicht Bescheid weiß. Schließlich ist die Verbindung zwischen den beiden auch nicht mehr vorhanden und damit fehlt der Informationsfluss. Das kann auf Spilt-Brain-Patienten manchmal eine beunruhigende Wirkung haben. Denn die linke Hand wird von der rechten Hemisphäre gesteuert und scheint eine etwas unheimliche Unabhängigkeit entwickelt zu haben. So kann es sein, dass die linke Hand das Hemd wieder aufknöpft, welches die rechte Hand gerade zugemacht hatte.

Es ist sogar möglich, dass beide Hände gleichzeitig unterschiedliche Dinge ausführen, da sie jeweils von „eigenständigen“ Gehirnen gesteuert werden. Split-Brain-Patienten haben also so gesehen zwei Gehirne. Nur können diese beiden Gehirne sich nicht mehr absprechen. So können Patienten, deren Corpus callosum durchtrennt wurde, sogar zur gleichen Zeit zwei unterschiedliche Formen mit der rechten und linken Hand zeichnen. Und das ohne größere Probleme oder Anstrengungen. Für Menschen ohne durchtrennten Balken eine schier unlösbare Aufgabe.

Die sofortige Suche nach Erklärungen

Da die beiden Gehirnhälften nicht mehr miteinander kommunizieren können, versucht die jeweils andere Hemisphäre die Aktionen der gegenüberliegenden Hälfte zu erklären.

Bekommt die rechte Hemisphäre eine Split-Brain-Patienten die Anweisung zu gehen, hat die linke Hemisphäre keine Ahnung, warum der Patient plötzlich losläuft. Wird der Patient in so einer Situation allerdings danach gefragt, warum er losgegangen sei, antwortet er in der Regel nicht, dass er es nicht wisse. Stattdessen improvisiert die linke Hälfte des Gehirns und sucht nach einer Antwort auf diese Frage. Sie schiebt einen Grund vor, weshalb der Patient sich in Bewegung gesetzt hat. Zum Beispiel entgegnet dieser dann auf die Frage, dass er etwas Bestimmtes holen wollte und deshalb losgegangen sei.

Die bewusste linke Hälfte des Gehirns will demnach das Geschehene erklären und stellt sofort dementsprechende Theorien auf.

Zusammenfassung

  • Das menschliche Gehirn ist in zwei Hälften (Hemisphären) unterteilt. Diese sind durch das Corpus callosum (Balken) miteinander verbunden. Über diese Nervenverbindung findet ein ständiger Austausch von Informationen zwischen den beiden Hälften des Gehirns statt.
  • Bei epileptischen Anfällen wechseln zu starke Aktivitäten über den Balken von einer Hemisphäre zur anderen. Im Rahmen der Therapie kann das Corpus callosum der Betroffenen in einer Operation durchtrennt werden. In Folge dessen gehen die Anfälle zurück und Intellekt sowie Persönlichkeit nehmen in der Regel keinen Schaden.
  • Bei diesen sogenannten Split-Brain-Patienten weiß jedoch die eine Hirnhälfte nicht mehr, was die andere tut.
  • Die Hirnhälften haben jeweils unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche. So befindet sich beispielsweise der Bereich für die Sprache auf der linken Hemisphäre.
  • Was sich links in unserem Sichtfeld befindet, wird auf der rechten Hemisphäre repräsentiert und umgekehrt. Daher kommt bei der rechten Hemisphäre auch nicht an, was sich im rechten Bereich des Sichtfeldes abspielt.
  • Das führt zum Beispiel dazu, dass ein Patient einen Löffel nicht sprachlich benennen kann, wenn dieser nur der rechten Hemisphäre gezeigt wird. Doch mit der linken Hand wird nach dem Löffel gegriffen, wenn das gesehene Objekt unter anderen Gegenständen ausgesucht werden soll.
  • Split-Brain-Patienten können mit beiden Händen gleichzeitig unterschiedliche Dinge tun. Dass die linke Hand manchmal ein Eigenleben zu führen scheint, kann beunruhigend wirken. Gleichzeitig versucht die linke Hälfte des Gehirns das Verhalten zu erklären – obwohl es nicht weiß, was sich in der rechten Hemisphäre abspielt.

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