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Unterschied Erklärungs- und verstehendes Forschungsparadigma


In der Wissenschaft gibt es verschiedene Ansätze, Forschung zu betreiben. Es geht dabei um die verwendete Methodik, also um die Frage, wie man in der Forschung zu Erkenntnissen gelangt, und auch darum, welche Erkenntnisse ein bestimmter Forschungsansatz – oder Forschungsparadigma – eigentlich überhaupt hervorbringen kann. Eine mögliche Unterteilung ist die in erklärende und verstehende Paradigmen.

Was ist ein Paradigma

Allgemein versteht man unter einem Paradigma etwas ganz Grundsätzliches oder Grundlegendes. Das Wort kommt in verschiedenen Bereichen der Wissenschaft vor und wird daher jeweils unterschiedlich gebraucht, ohne dabei seine wesentliche Bedeutung zu verlieren.

Beispielsweise versteht man in der Psychologie unter „Paradigma“ oder „Experimentalparadigma“ einen oft verwendeten, also grundsätzlichen, Aufbau für einen Versuch, mit dem eine ganz bestimmte Frage untersucht werden soll. In der Linguistik ist ein Paradigma das grundsätzliche Schema, nach dem in einer Sprache Wörter und Sätze gebildet werden. Besonders die Gesamtheit der Formen der Beugung eines Wortes wird als Paradigma bezeichnet. Aus der Linguistik abgeleitet, wird das Wort Paradigma in der EDV für den ganz grundsätzlichen Stil einer Programmierung verwendet.

Besonders in den Naturwissenschaften versteht man unter einem „Paradigma“ eine grundsätzliche Denkweise, ein Erklärungsmodell für die Welt, eine Weltsicht. Ludwig Wittgenstein erklärt, ein Paradigma sei ein Standard, mit dem eine Erfahrung beurteilt wird. Der amerikanische Wissenschaftstheoretiker Thomas Samuel Kuhn versteht unter einem Paradigma die zusammengefassten Grundauffassungen und theoretischen Prinzipien, die in einer bestimmten Zeit für eine bestimmte Wissenschaft gelten.

Diese Grundauffassungen bestimmen, welche Fragen innerhalb einer Wissenschaft gestellt werden können. Kennzeichnend ist, dass ein Paradigma zumindest für eine längere Zeit gültig ist. Ein Beispiel ist etwa die Ansicht, dass das Universum nicht ewig und unveränderlich existiert. Wird ein Paradigma durch ein neues ersetzt, wie es etwa beim Wechsel vom geozentrischen (ptolemäischen) zum heliozentrischen (kopernikanischen) Weltbild der Fall war, dann spricht man von einem „Paradigmenwechsel“.

Was ist Forschung

Einfacher zu definieren ist die Forschung. Diese ist die planvolle, systematische Suche nach neuen Erkenntnissen. Natürlich ist es auch möglich, durch einen Zufall zu neuem Wissen zu gelangen, dies ist aber keine Forschung in dem Sinn. Oft ergeben sich solche Zufälle allerdings im Rahmen der Forschung, und der Wissenschaftler entdeckt etwas Neues, nach dem er gar nicht gesucht hat.

Beispielsweise hat der amerikanische Astronom Edwin Hubble ursprünglich nur messen wollen, wie schnell Galaxien, deren Existenz er kurz zuvor selbst entdeckt hatte, sich bewegen. Seine Erkenntnis, dass sich alle Galaxien voneinander entfernen, war dabei ein glücklicher Zufall. Die weitere methodische Untersuchung dieser Erkenntnis, die schließlich zur modernen Urknalltheorie geführt hat, war wieder Forschung.

Forschungsparadigmen

Ein Forschungsparadigma bildet den Bezugsrahmen einer Wissenschaft, bestimmt also die Grundsätze und Überzeugungen der jeweils beteiligten Wissenschaftler, innerhalb derer und mit denen sie Forschung betreiben und versuchen, zu Erkenntnissen zu gelangen.

Bei der Unterteilung der Wissenschaft in die „erklärende“ und die „verstehende“ Forschung wird besonders deutlich, wie eine bestimmte Weltsicht die Art der Forschung beeinflusst.

Das erklärende Paradigma

Das erklärende Forschungsparadigma geht ganz grundsätzlich davon aus, dass der Mensch tatsächlich objektive Aussagen über die Welt treffen, dass er die Wirklichkeit erkennen kann. In dieser Vorstellung existiert die Welt so, wie sie ist und unabhängig von ihrem Betrachter. Sie ist außerindividuell. Daher lassen sich in der Forschung konkrete, messbare und vergleichbare Ergebnisse erzielen, die zudem für jeden Betrachter gleich und gleich gültig sind und mit denen sich allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten entdecken lassen, so sie denn vorhanden sind.

Im Rahmen der erklärenden Forschung stehen den Wissenschaftlern verschiedene Instrumente zur Verfügung. Dies können beispielsweise Experimente sein, die zudem möglichst standardisiert durchgeführt werden, und die quantitative Resultate erbringen. Bei der Durchführung der Forschung sollen die Forschenden selbst, da die Welt als vom Betrachter unabhängig angenommen wird, so wenig wie möglich, im Idealfall gar nicht, in Erscheinung treten.

Die Erkenntnisse, die in der Forschung gewonnen werden, müssen immer interpretiert werden. Im erklärenden Paradigma soll die Interpretation der Experimente auf die tatsächlichen Befunde beschränkt sein. Insbesondere sollen die Wissenschaftler sich hierbei nicht von ihren Wunschvorstellungen, von erwünschten Ergebnissen, leiten lassen.

Das verstehende Paradigma

Im verstehenden Ansatz entsteht die Realität erst im Denken des Menschen. Grundlage der Realitätsbildung sind seine Erfahrungen, Haltungen und Erwartungen, anhand derer er eine Interpretation des Wahrgenommenen vornimmt. Eine feste, unabhängig vom Betrachter existierende Realität gibt es nicht beziehungsweise sie ist nicht erfahrbar. Hieraus ergibt sich, dass jeder Betrachter eine andere, seine eigene Realität wahrnimmt.

Das heißt für die Wissenschaft, dass in der Forschung gewonnene Erkenntnisse immer subjektiv sind. Dies muss berücksichtigt werden. Dort, wo in der erklärenden Wissenschaft Erkenntnisse losgelöst vom Betrachter richtig und gültig sein sollen, wird in der verstehenden Wissenschaft die Person des Betrachters ganz bewusst mit einbezogen. Der in der erklärenden Forschung angestrebte Anspruch, zu konkreten, messbaren und vergleichbaren Ergebnissen zu kommen, die für alle Betrachter die gleiche Gültigkeit haben, besteht in der verstehenden Forschung nicht. Beispielsweise gibt es in der Literaturwissenschaft keine objektiven Kriterien dafür, zu beurteilen, ob ein Buch „gut“ oder „schlecht“ ist.

Auch in der Methodik gibt es Unterschiede. Dies kann daran liegen, dass bestimmte Instrumente der erklärenden Forschung in bestimmten Fachgebieten nicht zur Verfügung stehen (ein Literaturwissenschaftler kann keine Experimente durchführen), es kann aber auch in der Zielsetzung der Forschung begründet sein.

So kann etwa ein „verstehender“ Biologe einfach nur Ameisen bei ihren Tätigkeiten auf einer Wiese beobachten, während sein „erklärender“ Kollege im gleichen Fachbereich die Tiere im Labor kontrollierten Umweltbedingungen aussetzt und untersucht, wie sie auf Reize und Veränderungen reagieren. Grundsätzlich kommen in der verstehenden Forschung eher qualitative Methoden zur Anwendung, also etwa die Erhebung und Auswertung von nicht standardisierten Daten.

Bei der Interpretation der Erkenntnisse, die in der Forschung gewonnen werden, gilt im erklärenden Paradigma, dass die Person des Forschers keine Rolle spielen darf. Ganz im Gegenteil hierzu muss im verstehenden Ansatz der Forscher selbst bei der Interpretation berücksichtigt werden, da ohne ihn gar keine Interpretation möglich wäre und die Erkenntnisse sich nicht losgelöst von ihrem Betrachter beurteilen lassen.

Erklären oder verstehen – Welches Paradigma ist richtig

Die Frage, welches Welt- und Menschenbild das Richtigere ist, fällt in das Gebiet der Philosophie. Die Ontologie befasst sich mit dem Sein an sich und den Grundstrukturen der Wirklichkeit. Die Erkenntnistheorie (Epistemologie) untersucht, was der Mensch überhaupt wissen kann, was die Voraussetzungen zur Gewinnung von Erkenntnissen sind und wie Wissen entsteht.

Unabhängig von diesen philosophischen Betrachtungen lässt sich nicht sagen, ob der erklärende oder der verstehende Ansatz in der Wissenschaft der „Richtige“ ist. Dies kommt auf das Forschungsgebiet und auf die untersuchte Fragestellung an. So ist der erklärende Ansatz geeignet, eine bereits bestehende Theorie zu untersuchen und sie entweder zu bestätigen – nicht zu beweisen! – oder zu widerlegen. Der verstehende Ansatz hingegen eignet sich dazu, eine neue, noch nicht vorhandene Theorie erst zu entwickeln. Diese kann dann wiederum mit Methoden der erklärenden Forschung untersucht werden. Erklärende und verstehende Forschung widersprechen einander nicht. Sie gehen Hand in Hand und ergänzen und bedingen einander.


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