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Bindungsstil bei Kindern und Erwachsenen: Bedeutung & Ursachen | Psychologie


Der Bindungsstil, welchen Menschen in ihrer Mutter-Kind-Beziehung erfahren haben, äußert sich später auch in Beziehungen. Der Beziehungstyp wird demnach stark von der Vorstellung über eine korrekte Beziehung geprägt, welche in der Kindheit angelegt wurde. In der Psychologie gibt es Modelle und Methoden um den Bindungsstil zu erkennen und auch zu messen. Und so fanden Forscher beispielsweise heraus, dass Eifersucht ein Programm ist, welches wir in der Kindheit gelernt haben.

Hier ein Beispiel…
Kinder verhalten sich sehr unterschiedlich, wenn ihre Bezugsperson (in der Regel ihre Mutter) plötzlich den Raum verlässt. Einige schauen vielleicht kurz etwas verunsichert um sich, spielen dann jedoch unbeirrt weiter und freuen sich dann sichtlich über die Rückkehr der Mutter.
Andere hingegen zeigen ein komplett anderes Verhalten: Sie fangen an zu schreien und zu weinen, sobald ihre Bezugsperson außer Sichtweite ist.

Bei deren Rückkehr klammern sie sich entweder direkt an sie und beruhigen sich nur schwer, während andere nicht so recht zu wissen scheinen, was sie wollen. Sie klammern sich zwar in einem Moment ebenfalls an die Mutter, stoßen sie jedoch kurz darauf wieder von sich, sind ebenfalls weiterhin nicht zu beruhigen und fahren diese sich abwechselnden Verhaltensweisen eine Weile weiter ab.

Dann gibt es wiederum Kinder, denen das Weggehen und die Rückkehr der Mutter herzlich egal zu sein scheint. Sie zeigen keine Reaktion, wenn die Mutter den Raum verlässt. Auch bei ihrer Rückkehr scheinen sie diese kaum wahrzunehmen. Diese Reaktionen lassen sich gut im Fremde-Situations-Test beobachten, mit welchem die Bindungsstile der Kinder untersucht werden.

Doch wie entwickeln sich diese Bindungsstile in der Kindheit überhaupt und welchen Einfluss haben sie auf unsere Beziehungen im Erwachsenenalter?

Bindungstheorie – Das Fundament unserer Beziehungen

Wie bildet sich unser Bindungsstil aus?
In unserer Kindheit sind wir auf unsere Bezugsperson angewiesen. Der Mensch kommt hilflos zur Welt und braucht jemanden, der sich um ihn kümmert, ihn füttert und wärmt.

Mit der Versorgung der körperlichen Grundbedürfnisse ist es allerdings noch längst nicht getan. Denn auch unsere psychologische Entwicklung hängt sehr stark davon ab, auf welche Art und Weise unsere primäre Bezugsperson auf uns eingeht. Bei dieser handelt es sich in der Regel um einen Elternteil beziehungsweise meistens um die Mutter.

Als Menschen verfügen wir daher über eine angeborene Tendenz zum Aufbau von Beziehung. Dieser Punkt dient als Grundlage für die Bindungstheorie nach John Bowlby. Diese sieht eine sichere Bindung zwischen dem Kleinkind und der Bezugsperson als eine Art Fundament an. Denn hierauf bauen alle zukünftigen Beziehungen auf, die das Kind später im Erwachsenenalter führen wird.

Verhalten der Bezugsperson ist entscheidend

Sofern unsere Bezugsperson verfügbar ist und unsere Bedürfnisse befriedigt, so können wir eine sichere Bindung aufbauen.

Das beinhaltet, dass unsere Bezugsperson ausreichend oft in unserer Nähe und ansprechbar ist sowie sich uns gegenüber aufmerksam und ermutigend zeigt. Sicher gebundene Kinder wachsen mit Gefühlen von Liebe und Sicherheit auf. Sie entwickeln ein stabiles Selbstvertrauen und kennen den eigenen Wert. Das zeigt sich vor allem darin, dass diese Kinder häufiger lächeln, mehr spielen, ihre Umwelt unbeschwert erkunden und geselliger sind.

Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen entstehen demnach bereits im Kindesalter und die Beziehung zur Bezugsperson hat einen maßgeblichen Anteil daran.

Kümmert sich die Bezugsperson allerdings nicht angemessen um das Kind, so können sich zwei Haltungen im Kind auftun. Entweder Angst oder eine Form von Abwehr. Im Falle der Abwehr versucht das Kind zwar einerseits, die Nähe zur Bezugsperson aufzubauen. Andererseits wird ein zu enger Kontakt allerdings auch wiederum vermieden. Empfindet das Kind hingegen Angst, wird es allgemein sehr furchtsam, weint viel und lässt sich kaum mehr beruhigen.

Beim Aufbau der Bindung handelt es sich um einen dynamischen Prozess, bei dem das Kind immer wieder die Lage überprüft. Es beobachtet die Situation visuell, sucht den Blick der Mutter und sendet Signale für die Kontaktaufnahme auf (Weinen, Bitten, Rufen). Auch Bewegungen werden eingesetzt sowie das Klammern. Laufen diese Versuche der Kontaktaufnahme erneut ins Leere, so werden abwehrende oder ängstliche Muster beim Kind verstärkt.

Welche Arten von Bindungsstilen gibt es?

Die Stile sind von den Interaktionserfahrungen mit unseren primären Bezugspersonen abhängig.
Aus der Bindungstheorie gehen verschiedene Bindungsstile hervor, die das Kind meist auch im weiteren Verlauf seines Lebens beibehält. Ende der 1980er Jahre wurde bereits von Hazan und Shaver eine Einteilung von Bindungsstilen in drei Typen vorgenommen. Diese bestand aus den Stilen „sicher“, „vermeidend“ und „ängstlich-ambivalent“.

Der sichere Bindungsstil

Die Bezugsperson geht auf die Bedürfnisse des Kindes ein. Das Kind erfährt Unterstützung in Stresssituationen und entwickelt aufgrund dessen eine positive Sicht auf sich selbst und auf andere. Sie empfinden andere als vertrauenswürdig und hilfsbereit.

Der vermeidende Bindungsstil

Das Kind erfährt keine oder nur eine unzuverlässige Unterstützung durch die Bezugsperson. Es geht emotional auf Distanz und es mangelt ihm an Vertrauen. Sowohl in Bezug auf die eigene Person als auch gegenüber anderen.

Der Ängstlich-ambivalent Bindungsstil

Auch hier fehlte es an unterstützendem Verhalten seitens der Bezugsperson. Das Kind entwickelt ein mangelhaftes Selbstvertrauen und sorgt sich permanent um die Beziehung. Es klammert une sucht zwanghaft Nähe zu anderen. Das Gefühl der Vertrautheit wird unablässig gesucht.

Heutige Einteilung der Bindungsstile

Die aktuellen Bindungsstile orientieren sich an den Dimensionen Vertrautheit meiden und die Angst, verlassen zu werden.

Abweisende Bindungsstil

Hier findet eine hohe Vermeidung von Vertrautheit statt, während die Angst vor dem Verlassenwerden eher gering ist. Menschen mit einem abweisenden Bindungsstil fällt es sehr schwer, Vertrauen zu andern aufzubauen.

Ängstlicher Bindungsstil

Hier sind beide Dimensionen hoch ausgeprägt. Zwar mangelt es an Vertrauen, doch gleichzeitig besteht auch eine große Angst davor, verlassen zu werden. Das macht die Beziehungen dieser Menschen allgemein sehr kompliziert. Denn einerseits wollen sie emotionale Nähe, welche sie jedoch aufgrund der eignen Verschlossenheit nicht zulassen. Dennoch klammern sie sich an die Beziehung.

Besitzergreifender Bindungsstil

Bei diesem Bindungsstil liegt eine starke Angst vor dem Verlassenwerden vor, jedoch eine geringe Vermeidung von Vertrautheit. Emotionale Nähe wird also zugelassen, doch sind diese Menschen stets aufmerksam gegenüber potenziellen Bedrohungen von außen. Viele (für andere Menschen banal erscheinende) Dinge werden als Gefahr für die Beziehung wahrgenommen, was sich zu einem Kontrollzwang entwickeln kann.

Unsichere Bindungstyp

Dieser Bindungsstil vereint im Prinzip alle drei vorherigen Stile in sich. Denn eine oder auch beide Dimensionen sind hier hoch ausgeprägt. Menschen wirken demnach in Beziehungen abweisend, besitzergreifend und sind eigentlich ängstlich.

Sichere Bindungsstil

Beide Dimensionen liegen beim sicheren Bindungsstil nur in einer schwachen Ausprägung vor. Vertrautheit wird zugelassen und auch die Angst vor dem Verlassenwerden ist gering. Personen mit diesem Bindungsstil führen im Allgemeinen die befriedigendsten Beziehungen.

Der eigene Bindungsstil kann zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden

Der in unserer frühen Kindheit erlernte Bindungsstil beeinflusst unser Verhalten und unsere Gefühle innerhalb von Beziehungen im Erwachsenenalter.

Sicher gebundene Menschen führen in der Regel befriedigendere Beziehungen. Nicht nur zum eigenen Partner, sondern auch in Bezug auf Freundschaften. Denn der Bindungsstil kann häufig zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden.

Unsicher gebundene Menschen wittern überall Gefahren für die Beziehung, sind kontrollierend, klammern oder lassen keine emotionale Nähe zu. Die Angst davor, vom Partner verlassen zu werden, ist allgegenwärtig und wirkt sich auf das Verhalten aus.

Dieses wird vom Beziehungspartner allerdings meist auf Dauer als sehr belastend empfunden, was sich wiederum in seinen Aussagen und Verhaltensweisen zeigt. Das befeuert die Ängste des anderen, dessen Verhalten sich noch verschärft. Zerbricht die Beziehung aufgrund einer ungünstigen Konstellation von Beziehungsstilen, so sieht der Partner mit dem unsicheren Bindungsstile seine Bedenken als gerechtfertigt an.

Das setzt sich daraufhin in späteren Beziehungen fort, welche durch die zuvor gemachten Erfahrungen und Erwartungen beeinflusst werden.

Dessen Angst vor dem Verlassenwerden wird zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung, da dieser Beziehungstypus überall potentielle Konkurrenz erkennt. Dies führt unweigerlich dazu, dass sein Partner sich von ihm abwendet, ihn unbewusst für schwach hält und tatsächlich potentielle Sexual- und Lebenspartner aufwertet.

Der Bindungsstil beeinflusst unseren Selbstwert und unser Hilfeverhalten

Hilfe ist in einer Beziehung nicht nur praktisch, sondern spiegelt uns auch die Wertschätzung des anderen wider.

Unser Bindungsstil hat einen Einfluss auf unsere Selbstwahrnehmung. Sehen wir uns selbst als minderwertig an, so sind wir es auch nicht „wert“, dass eine andere Person uns hilft. Zudem vertrauen wir andern auch nicht, dass sie uns überhaupt helfen würden. Schließlich haben wir diese Erfahrung bereits in unserer Kindheit gemacht.

Sahen wir selbst uns in einer bedrohlichen Situation und erhielten keine Hilfe durch unsere Bezugsperson, so scheinen wir diese ganz einfach nicht verdient zu haben. Dieser Glaubenssatz zieht sich auch durch das spätere Leben und ist nur schwer aufzulösen. Wir bitten dementsprechend weniger um Hilfe und tun uns auch schwer, angebotene Unterstützung anzunehmen.

Ist der Partner immer der „sichere Hafen“?

Der Zusammenhang zwischen Bindungsstil und Hilfe war auch das Thema einer Studie von Simpson, Rholes und Nelligan zu Beginn der 1990er Jahre.

Sie ließen Paare einen Fragebogen ausfüllen, der ihre Bindungsstile erfasste. Zusätzlich gaben sie vor, dass der Frau im Laufe des Experiments eine unangenehme Aufgabe bevorstünde. Angeblich würde diese Aufgabe bei den meisten Menschen starke Stressreaktionen und Angst zeigen.

Somit wollten die Wissenschaftler erkennen, ob die Frau ihren Partner nach Hilfe fragt oder nicht. Gleichzeitig sollte das Experiment auch Aufschluss darüber geben, ob der Beziehungspartner dem hilfesuchenden Partner von sich aus Hilfe anbietet.

Als die Paare im Wartezimmer saßen, wurden ihre Reaktionen auf diese Nachricht per Videokamera aufgezeichnet. Dabei zeigte sich ein Zusammenhang zwischen hilfesuchendem Verhalten und dem Bindungsstil.

Lag ein sicherer Bindungsstil – laut Fragebogen – bei den Frauen vor, so zeigten sie vermehrt ein nach Unterstützung suchendes Verhalten gegenüber ihrem Partner. Da sie ihrem Partner vertrauten, verließen sie sich in dieser angstbesetzten Situation auch stärker auf ihn, als es bei einem unsicheren Bindungsstil der Fall war.

Unsicher gebundene Frauen betrachteten ihren Partner offenbar nicht als eine Quelle der Unterstützung und baten infolge dessen auch nicht um Hilfe. Auch das Angebot der Unterstützung war vom Bindungsstil beeinflusst. So boten sicher gebundene Männer ihren Partnerinnen mehr Hilfe an, wenn diese eine Angstreaktion zeigten. Bei einem unsicheren Bindungsstil seitens des Mannes ignorierte er die Stresssignale der Partnerin und bot keine Unterstützung an.

Der Bindungsstil kann die Bewältigung von stressigen Reaktionen demnach stark beeinflussen. Er hat einerseits eine Auswirkung darauf, ob wir um Unterstützung bitten. Andererseits hängt unsere Hilfsangebote ebenfalls von unserem Bindungsstil ab. Und dies wiederum sorgt für bessere oder schlechtere Beziehungen.

Zusammenfassung

  • Die Art und Weise, wie unsere primäre Bezugsperson auf unsere kleinkindlichen Bedürfnisse eingeht, prägt uns noch erheblich im weiteren Verlauf unseres Lebens.
  • Die Erfüllung dieser kindlichen Bedürfnisse führt zur Entwicklung eines sicheren Bindungsstils. Das Kind weiß, dass es in Stresssituationen auf seine Bezugsperson zählen kann. Dadurch bildet sich ein gefestigtes Selbstvertrauen aus. Auch ein Vertrauen in andere Menschen entwickelt sich.
  • Menschen mit einem sicheren Bindungsstil haben weniger Probleme in späteren Beziehungen und bitten mit einer größeren Selbstverständlichkeit um Hilfe als es bei unsicher gebundenen Personen der Fall ist.
  • Unsichere Bindungsstile gehen mit einem geringen Selbstwert und mangelndem Vertrauen einher. Doch auch kontrollierendes oder emotional distanziertes Verhalten in späteren Beziehungen sind mögliche Ausprägungen.
  • Solche Verhaltensweisen machen Beziehungen kompliziert, weshalb sich die Ängste vor dem Verlassen werden dieser Menschen häufig selbst verstärken.
  • Da sie durch ihr eigenes Verhalten eine Trennung heraufbeschwören, sehen sie ihre anfängliche Angst als bestätigt. Damit sinkt der Selbstwert noch weiter und ebenso das Vertrauen in andere Menschen sowie die Hoffnung auf eine funktionierende Beziehung.

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