Kognitive und geistige Entwicklung bei Erwachsenen
Nicht nur im Kindes- und Jugendalter finden verschiedene körperliche und psychische Entwicklungen statt. Auch im Erwachsenenalter passiert noch einiges in Körper und Geist. Der Körper erreicht mit Anfang bis Mitte Zwanzig seinen Höhepunkt in Sachen Leistungsfähigkeit. Danach gehen die physischen Fähigkeiten langsam, aber stetig zurück.
Im späten Erwachsenenalter beginnen sich diese deutlicher zu zeigen: Die Körperkraft lässt nach, das Hören wird schlechter, die Sehkraft nimmt ebenfalls ab. Allerdings stellt sich die Frage, ob nicht nur die körperlichen Fähigkeiten im Alter abnehmen. Ist es bei den geistigen Fähigkeiten auch so? Wie sieht es aus mit dem Gedächtnis oder der Intelligenz? Dieser Frage widmet sich dieser Artikel, in dem es um die kognitive Entwicklung im Erwachsenenalter geht.
Inhalt
- 1 Woran erinnern wir uns besonders gut
- 2 Die Zwanziger sind eine gute Zeit zum Erinnern
- 3 Wiedererkennen versus Erinnern
- 4 Im Jugend- und jungen Erwachsenenalter ist das prospektive Gedächtnis in Bestform
- 5 Die Art des Gedächtnisinhalts beeinflusst den Abruf
- 6 Wie steht es um die Intelligenz im Alter
- 7 Zusammenfassung
Woran erinnern wir uns besonders gut
Ältere Personen erinnern sich tendenziell bevorzugt an Dinge, die in einer bestimmten Phase ihres Lebens stattfanden.
„An welche wichtigen Ereignisse der letzten fünfzig Jahre erinnern Sie sich besonders gut?“. Auf diese Frage antworten die meisten mit Dingen, die sie in ihrer Teenagerzeit oder im jungen Erwachsenenalter erlebt haben. Genauer gesagt, in ihren Zwanzigern. Eine Ursache dafür ist, dass in diesem Lebensabschnitt viele persönlich bedeutsame Dinge zum ersten Mal passieren. Das können erste Verabredungen sein, die eigene Hochzeit, das erste Semester an der Uni, der erste Arbeitstag, das erste Treffen mit den Schwiegereltern, das erste Kind.
Die Zwanziger sind eine gute Zeit zum Erinnern
Fast zwei Drittel der Personen über vierzig Jahre empfinden ihr Gedächtnis als nicht mehr so gut wie noch mit dreißig.
Das Forscherteam Crook und West untersuchte 1990 das Erinnerungsvermögen in verschiedenen Altersgruppen. Sie baten ihre Studienteilnehmenden darum, sich einige Namen zu merken. Eine Videoaufnahme zeigt vierzehn Personen, die ihren Namen nannten und zusätzlich noch, wo sie beispielsweise wohnten. Das Video bot den Teilnehmenden also sowohl einen akustischen Reiz (die Stimme der Person) und einen visuellen (ein Gesicht), um den Namen daran anzuknüpfen.
Es zeigte sich, dass sich zwar alle Teilnehmenden die Namen nach dem zweiten oder dritten Durchlauf merken konnten. Doch die jüngeren Erwachsenen in der Versuchsgruppe erinnerten sich bei jeder Befragung an mehr Namen als die älteren. Ältere Erwachsene schnitten sichtlich schlechter ab.
Wiedererkennen versus Erinnern
Die Verbindung zwischen Alter und Erinnerung scheint an die Art des Gedächtnisabrufs geknüpft zu sein.
Zunächst einmal sollten wir vielleicht den Unterschied zwischen Wiedererkennen und Erinnern klären. Diese beiden Formen des Gedächtnisabrufs kommen beispielsweise bei unterschiedlichen Prüfungsformaten zum Einsatz. Eine Multiple-Choice-Klausur stellt verschiedene Antwortoptionen bereit. Hier geht es darum, die korrekten Informationen wiederzuerkennen. Dabei greifst du auf dein Gelerntes zurück und gleichst dieses mit den Antwortmöglichkeiten ab.
Eine Klausur mit einem offenen Antwortformat verlangt dem Prüfling etwas anderes ab. Hier geht es nicht um das Wiedererkennen von Informationen, sondern um das aktive Erinnern der Antworten auf bestimmte Fragen. Es gibt also keine Antwortvorgaben. Die Antworten müssen selbst generiert werden und das geschieht durch das Erinnern an das Gelernte.
Zusammenhänge zwischen dem Alter und dem Wiedererkennen
Studien zeigten, dass es beim Wiedererkennen keine nennenswerten Altersunterschiede gibt.
In einem anderen Experiment wurde Personen im Alter von zwanzig und sechzig Jahren eine Liste mit 24 Namen vorgelegt. Diese Namen sollten sie sich einprägen. Später wurde ihnen wieder eine Liste vorgelegt und sie sollten angeben, an welche der Namen sie sich erinnerten beziehungsweise, welche davon sie wiedererkannten. Bei dieser Aufgabe waren alle Altersgruppen etwa auf dem gleichen Level in Bezug auf ihre Erinnerung. Jeder erkannte etwa 20 bis 22 Namen wieder.
Der direkte Abruf von Erinnerungen dauert im Alter länger
Anders sah es aus, wenn die Versuchsteilnehmenden die gemerkten Namen aktiv abrufen sollten.
Es lag dabei also keine erneute Liste vor, sondern die Namen sollten direkt aus dem Gedächtnis abgerufen werden. Es ging hier um die Reproduktion der gelernten Inhalte (wie in einer Klausur mit offenen Fragen). Dabei zeigte sich ein deutlicher Unterschied. Je älter die Teilnehmenden waren, desto schlechter gelang es ihnen. Während Zwanzigjährige im Schnitt noch rund 14 Namen abrufen konnten, erinnerten sich Vierzigjährige bereits nur noch an etwa 10 Namen. Bei Personen im Alter von sechzig Jahren waren es nur noch um die acht Namen, an die sie sich erinnern konnten. Diese Form der Erinnerung nimmt demnach mit dem Alter ab.
Im Jugend- und jungen Erwachsenenalter ist das prospektive Gedächtnis in Bestform
Was ist das prospektive Gedächtnis?
Dabei geht es darum, sich Dinge zu merken, die in der Zukunft zu erledigen sind. Jugendlichen und jungen Erwachsenen fällt es in der Regel sehr leicht an künftige Aufgaben und Termine zu denken. Menschen im späteren Erwachsenenalter haben damit schon eher ihre Probleme. Sich bestimmte Termine für Meetings oder die Uhrzeiten für ihre Medikamenteneinnahme zu merken, kann irgendwann zu einer Herausforderung werden.
Kleine alltägliche Hilfsmaßnahmen können hier von Vorteil sein. Eine klare zeitliche Strukturierung des Tagesablaufs etwa. Auch der Einsatz von Hinweisreizen ist sinnvoll. Das können zum Beispiel Notizzettel sein, die als Gedächtnishilfen dienen sollen.
Mehr Vielfalt im Alter
Menschen driften in ihren kognitiven Fähigkeiten mit dem Alter weiter auseinander.
So ist der Unterschied im Erinnerungs- und Lernvermögen zwischen Personen im Alter von zwanzig Jahren kleiner als der zwischen Menschen um die Siebzig. Manche Personen liegen in ihren Siebzigern mit ihren kognitiven Fähigkeiten weit unter denen von Zwanzigjährigen. Andere Siebzigjährige hingegen kommen auf das gleiche Niveau, auf dem sich Menschen im Alter von 20 Jahren befinden. Einige können sich auch über dem Level von Zwanzigjährigen liegen.
Die Art des Gedächtnisinhalts beeinflusst den Abruf
Die Gedächtnisleistung funktioniert je nach Information unterschiedlich gut.
Mit dem Alter steigt die Fehlerwahrscheinlichkeit, wenn wir sinnfreie Dinge lernen und erinnern sollen. Das gilt zum Beispiel für eine Liste sinnfreier Silben. Auch unwichtige Ereignisse werden schneller vergessen. Besonders wertvolle Inhalte werden allerdings gut erinnert. Das hängt damit zusammen, dass wir mit dem Alter ein immer größer werdendes Netzwerk an Vorwissen aufbauen.
Allerdings dauert der Abruf dieser Informationen in der Regel länger, je älter man wird. Wenn es um schnelles Nachdenken geht, sind jüngere Erwachsene im Vorteil. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass Gewinner von Quizsendungen sich meistens im jungen oder mittleren Erwachsenenalter befinden. Sie sind noch schneller beim Abruf des vorhandenen Wissens.
Die Fähigkeit, sich Worte zu merken nimmt mit dem Alter im Übrigen nicht so stark ab wie das Erlernen und Erinnern neuer Fertigkeiten.
Wie steht es um die Intelligenz im Alter
Das Alter allein ist für die Intelligenz nicht so aussagekräftig.
Der Zeitpunkt des Todes sagt mehr über die mentalen Fähigkeiten einer Person aus. Allerdings ist dieser nicht vorhersehbar. Würde die Information vorliegen, ob sich jemand einige Monate oder noch knapp zehn Jahre vor seinem letzten Atemzug befindet, gäbe sie mehr Informationen zur Intelligenz als die Angabe des Alters.
Studien zufolge findet ein sich beschleunigender Abbau der kognitiven Fähigkeiten in den letzten drei bis vier Jahren vor dem Tod statt. Dieses Phänomen wird in der Forschung auch als Terminal Decline bezeichnet. Damit einher gehen typischerweise nicht nur ein Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeiten. Andere Merkmale sind der Rückgang allgemeiner Aktivitäten und eine Verschlechterung des psychischen Befindens im Allgemeinen.
Zusammenfassung
- Mit dem Alter nimmt die körperliche Leistungsfähigkeit ab. Das Gleiche trifft auch bedingt auf die kognitiven Fähigkeiten zu.
- Besonders gut erinnern Menschen sich an Dinge, die sich in ihrer Jugend oder im jungen Erwachsenenalter ereignet haben.
- Viele Vierzigjährige geben an, dass ihr Gedächtnis nicht mehr so zuverlässig ist wie noch im Alter von dreißig Jahren.
- Das Gedächtnis älterer Erwachsener ist nicht mehr so leistungsstark, wenn es um das aktive Erinnern von neuen Informationen geht wie das jüngerer Erwachsener. Beim Wiedererkennen dieser Inhalte zeigt sich jedoch kein Unterschied zwischen den Altersgruppen.
- Der Abruf von Informationen dauert bei älteren Erwachsenen länger als bei jüngeren. Allerdings haben Ältere ein größeres Netzwerk an Vorwissen, auf welches sie zurückgreifen können.
- Die Fähigkeit des prospektiven Gedächtnisses nimmt im Alter ab. Jüngere Erwachsene und Jugendliche können sich in der Zukunft liegende Ereignisse und Aufgaben besser merken als ältere Erwachsene. Kleine Hilfsmittelchen im Alltag, wie zum Beispiel Notizzettel, können hilfreich sein.
- Mit den Jahren werden Menschen in ihren kognitiven Leistungen vielfältiger. Die Leistung der mentalen Fähigkeiten von Siebzigjährigen kann die von Zwanzigjährigen unter- oder überschreiten. Sie können auch gleich auf sein. Die Unterschiede innerhalb der Gruppe von Zwanzigjährigen sind wesentlich geringer.
- Im späteren Erwachsenenalter kommt es auf die Art der Information an. Wichtige Inhalte werden besser erinnert als belanglose Dinge.
Das Alter allein sagt weniger über die kognitiven Fähigkeiten im späten Erwachsenenalter aus als der Zeitpunkt des Todes. - Etwa drei bis vier Jahre vor dem Sterbedatum kommt es zu einem beschleunigten Verfall der kognitiven Leistung.