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Spracherwerb: Stadien der frühkindlichen Sprachentwicklung


Die Sprache des Menschen ist vielseitig einsetzbar und komplex. Sie folgt gewissen Regeln, welche wir im Laufe unseres frühen Lebens erlernen. Die Fähigkeit des Sprechens ist genetisch zwar in uns veranlagt und nimmt bereits vor der Geburt ihren Anfang. Doch während Babys in den ersten Lebensmonaten noch recht stumm in Bezug auf die Sprache sind, so durchleben sie in den folgenden Wochen und Monaten eine erstaunliche Entwicklung.

Gleichzeitig verfügen sie über Fähigkeiten, die sich jeder Erwachsene beim Erlernen einer Fremdsprache zurückwünschen würde. Über die einzelnen Schritte bei der kindlichen Sprachentwicklung wollen wir in den folgenden Abschnitten eingehen. Wie du sehen wirst, ist das Erlernen einer Sprache allerdings nicht nur auf das gesprochene Wort beschränkt.

Sprachentwicklung beginnt bereits während der Schwangerschaft

Zwischen dem ersten und etwa 18. Lebensjahr lernen wir im Schnitt 60.000 Wörter. Jedoch benutzen wir nicht alle Wörter, die wir kennen. Dennoch haben wir etwa ab dem 2. Lebensjahr täglich etwa 3.500 neue Wörter im Jahr gelernt. Das sind rund zehn pro Tag. Diese erlauben es uns, anderen unsere Gedanken und Gefühle dazulegen.

Wir können dadurch verbal kommunizieren, Ideen austauschen, uns Wissen aneignen und Wünsche äußern. Möglich ist das durch eine genetische Prädisposition.

Was heißt das?
Babys können zwar noch nicht sprechen, haben allerdings bereits die Voraussetzungen dafür in ihrem Erbgut. Diese haben sich im Laufe der menschlichen Evolution entwickelt und sind uns daher bereits in die Wiege gelegt. Außerdem beginnt die Sprachentwicklung bereits vor der Geburt. Denn während sich das Ungeborene noch im Mutterleib befindet, kann es die Satzmelodie der Umgebungssprache hören und abspeichern.

Zum Sprechen ist Schulbildung natürlich förderlich, jedoch keine Voraussetzung. Schließlich lernen wir bereits als Kleinkinder die Sprache durch unsere Eltern und können selbst bereits früh grammatikalisch richtige und sinnvolle Sätze bilden. Und das auch ohne die zugrundeliegenden Regeln der Grammatik im Deutschunterricht gepaukt zu haben.

Vom Lallen zu vollständigen Sätzen – Die Stadien der Sprachentwicklung

Das Sprechen an sich ist eine beachtliche Leistung des Gehirns. Einerseits wählt es während des Sprechens aus einer gigantischen Menge an Wörtern die passenden aus und bildet daraus korrekte Sätze. Dabei formulieren die wenigsten Personen die Sätze im Geiste, bevor sie sie aussprechen.

In der Regel geschieht die Satzbildung während des Aussprechens. Andererseits sind wir dazu in der Lage, unsere Sprache an die gegebenen Umstände anzugleichen. So passen wir unsere eigene Sprache an unser Gegenüber an. Zum Beispiel sprechen wir mit Kindern anders als mit Erwachsenen und mit Freunden anders als mit Kollegen.

Auch der Kontext spielt hier eine Rolle. Spricht man mit Menschen aus dem eigenen Berufszweig, dann verwendet man mit höherer Wahrscheinlichkeit Fachjargon als wenn man sich mit Freunden unterhält. Wenn wir mit jemandem sprechen, machen wir gleichzeitig Annahmen über den Wissenstand der Person und wählen unsere Sprechweise dementsprechend.

Wann lernt der Mensch zu sprechen?

Babys sind kleine Sprachkünstler. Obwohl Säuglinge noch „sprachlos“ zur Welt kommen, können sie bereits mit 4 Monaten verschiedene Laute in der Sprache voneinander unterscheiden. Darüber hinaus verfügen Babys noch über eine Form des Lippenlesens.

Wie?
Wenn jemand mit ihnen spricht, lenken Säuglinge ihren Blick auf Gesicht des Sprechenden. Dabei prägen sie sich ein, welcher Gesichtsausdruck beziehungsweise welche Lippenbewegung mit einem bestimmten Laut einhergeht. Darin liegen die Anfänge des individuellen Sprachverstehens. Babys lernen ab diesem Zeitpunkt also, was andere sagen. Etwa ab dem 7. Lebensmonat beginnt das Kind, das Gehörte in einzelne Worte zu zerlegen.

Wenn Babys die Fähigkeit zum Sprachverstehen erlernt haben, gehen sie selbst zur Sprachproduktion über. Allerdings ist es nicht so, dass Kleinkinder bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht sprechen und sich dann plötzlich in vollständigen Sätzen ausdrücken. Bevor sie richtige Wörter und Sätze formulieren können, durchlaufen sie verschiedene Phasen.

1. Stadium der Sprachentwicklung: Lallen

Im Alter von vier Monaten erreichen Säuglinge das sogenannte Lallstadium. In dieser Phase bringt das Kind vor allem Laute wie da-da, ta-ta oder ma-ma hervor. Damit imitieren sie jedoch nicht die Umgebungssprache. Denn sie geben auch Laute von sich, die nicht in der Muttersprache enthalten sind. Es geht sozusagen um das Üben der Sprache im Allgemeinen.

Mit zehn Monaten beginnt das Kind, vornehmlich Laute der Umgebungssprache zu lallen. Ab diesem Alter verlieren sich die Laute, die nicht in der Muttersprache vorkommen. Nun kann zunehmend herausgehört werden, welche Sprache von den Eltern gesprochen wird.

2. Stadium des Spracherwerbs: Das Einwortstadium

Das Einwortstadium erreichen Kinder in der Regel mit dem ersten Jahr. Das Kind weiß mittlerweile, dass hinter jedem Wort eine Bedeutung steckt. Wenn es das Wort „Hund“ hört, verbindet es dieses mit dem Bild eines Hundes. Das Kind lernt demnach hauptsächlich bildhaft.

Gleichzeitig geben sie bestimmten Silben auch selbst eine Bedeutung. So kann der Lieblingsteddy einfach mit „ti“ betitelt werden und die Mutter weiß direkt, was das Kleinkind damit sagen möchte. Die Familie lernt also schnell, was das Kind meint und die Sprache des Kindes passt sich gleichzeitig langsam der Umgebungssprache an.

Aber…
Noch äußern Kinder sich in einzelnen Worten. In diesem Einwortstadium kann ein Wort daher für einen kompletten Satz stehen. „Ti“ (oder mittlerweile auch „Teddy“) kann demnach bedeuten „Ich möchte meinen Teddy haben“. Ab dem 18. Monat steigt die Lerngeschwindigkeit stark an. Während die Kinder zunächst nur ein Wort pro Woche lernen, ist es bald bereits ein Wort pro Tag. Mit 18 Monaten kommt es zur Wortschatzexplosion, in der die Kinder sehr viele Worte in kurzer Zeit lernen.

3. Stadium des Spracherwerbs: Zweiwortstadium bzw. Telegrammstil

Mit 24 Monaten folgt das Zweiwortstadium. Die Kinder bilden nun nicht mehr Sätze aus nur einem, sondern aus zwei Wörtern. Dann heißt es nicht mehr nur „Teddy“, sondern „will Teddy“. Die Sätze bestehen in der Regel aus Verb und Substantiv. Daher wird für dieses Stadium auch oft der Begriff „Telegrammstil“ verwendet.

Bei Kindern ab zwei Jahren entwickelt sich die Sprache zunehmend schneller und bald sind sie zur Bildung ganzer Sätze in der Lage. Wenn das Kind in die Grundschule kommt, versteht es komplexere Sätze und auch Wortspiele.

Welche Erklärungsmodelle zur Sprachentwicklung gibt es?

Nach Noam Chomsky haben alle ca. 7.000 Sprachen auf der Welt einen gemeinsamen Kern. Er geht von einer Art Universalgrammatik aus, da jede Sprache über gleiche Bausteine verfügt. Dazu zählen beispielsweise Verben, Adjektive und Nomen.

Zudem habe der Mensch ein angeborenes Verständnis für Grammatik. Das Üben der grammatikalischen Regeln ist trotzdem von Vorteil. Dennoch kann im Prinzip jeder Mensch eine beliebige Sprache erlernen, egal wo er geboren wurde. Das bedeutet, nur weil du zum Beispiel in Deutschland geboren wurdest, bist du nicht auf die deutsche Sprache festgelegt. Interessanterweise sind die ersten gesprochenen Wörter von Kindern auch meistens Nomen – unabhängig von der Muttersprache.

Spracherwerb und statistisches Lernen

Der Mensch hat somit die Fähigkeit zum Spracherwerb und der Entwicklung jeder Art von Sprache fest in seinem genetischen Code verankert. Und Babys sind ihren Eltern in Sachen Sprache sogar um einiges voraus.

Zumindest was das Hören oder Heraushören von Wörtern in anderen Sprachen angeht. Denn während Erwachsene beim Hören einer Fremdsprache nur ein unverständliches Gemisch aus Lauten hören und sie keine einzelnen Wörter in diesem Chaos ausmachen können, geht es Säuglingen ganz anders. Babys im Alter von sieben Monaten können allerdings nicht nur das, sondern sie erkennen sogar die Satzstruktur einer Fremdsprache.

Die kritische Phase der Sprachentwicklung

Kritisch bedeutet im Zusammenhang mit der Sprachentwicklung, dass die Kindheit eine sensible Phase des Spracherwerbs ist. Denn Kinder sind besonders aufnahmefähig, was Sprachen angeht und lernen diese mit Leichtigkeit. Allerdings handelt es sich dabei um ein begrenztes Zeitfenster.

Kritisch ist diese Phase also insofern, als dass in diesem Zeitraum alle nötigen Aspekte einer Sprache gelernt werden müssen. Denn schließt sich das Fenster erst einmal, fällt uns das Lernen einer Sprache nicht mehr so leicht. Das kann wohl jeder Erwachsene bestätigen, der beim Lernen einer Fremdsprache an den unbekannten grammatikalischen Regeln verzweifelt ist. Es heißt, dass Kinder mehrere Sprachen grammatikalisch fehlerfrei und akzentfrei lernen können. Zumindest sofern sie vor Eintritt der Pubertät mit diesen Sprachen zu tun hatten.

Spracherwerb über eine Gebärdensprache

Gehörlose verständigen sich mit Gebärdensprache. Allerdings zeigte sich, dass es auch bei deren Erlernen kritische Phasen gibt. Denn wenn Kinder bis zum Alter von sieben Jahren weder eine Laut- noch eine Gebärdensprache gelernt haben, wird es für sie unwahrscheinlicher, überhaupt noch eine Sprache zu beherrschen.

Die Mehrheit der gehörlosen Kinder hat Eltern, die hören können. Diese können in der Regel keine Gebärdensprache. Doch wenn diese Kinder zu Hause keine Gebärdensprache erfahren, fällt ihnen das Erlernen dieser auch später wesentlich schwerer. So haben von Geburt an gehörlose Kinder mehr Probleme beim Lernen der Gebärdensprache als Kinder, die erst im Alter von etwa neun Jahren ihre Hörfähigkeit verloren. Zumindest dann, wenn die gehörlos Geborenen erst mit neun Jahren die Gebärdensprache lernen.

Auch Kinder, welche Störungen oder Verzögerungen in ihrer sprachlichen Entwicklung haben, lernen eine Art Gebärdensprache. Denn jeder Laut, welcher gebildet wird, verlangt sehr viele Muskelkoordinationen im Mundbereich. Lautbildung ist für Erwachsene einfach und leicht umzusetzen, aber Kinder, welche die verschiedenen Muskelbewegungen und Stellungen des Mundes nicht gelernt haben – fällt das deutliche Sprechen schwer.

Logopäden arbeiten deshalb mit einem Lautlexikon. Sämtliche Anlaute werden mit einer Handbewegung im Mundbereich verstärkt. Kinder lernen durch die Bewegung, welche sie ebenfalls machen müssen, die Lautbildung mit einer Bewegung zu verknüpfen – wodurch ihnen das Einprägen der Anlaute deutlich leichter fällt.

Bedeutet der Verlust des Gehörs den Verlust der Sprache?

Beim Erlernen von Gebärdensprache ist es wie mit der Lautsprache: Lernen Erwachsene die Gebärden, können sie diese zwar verstehen und Sätze daraus bilden. Doch die sind in der Sprache bei Weitem nicht so sicher wie Gebärden-„Muttersprachler“. Schließlich handelt es sich bei der Gebärdensprache ebenfalls um eine Sprache mit eigenen Regeln in Bezug auf Grammatik, Satzbau und Vokabular.

Daher ist die Frage berechtigt, ob es sich bei der Gehörlosigkeit überhaupt um eine Behinderung handelt. Denn wenn Gehörlose von Geburt an mit der Gebärdensprache aufgewachsen sind, sind sie im sprachlichen Sinne nicht behindert. Hinzu kommt, dass sich die Sinne in gewisser Weise verschieben. So haben gehörlose Menschen häufig ein stärker ausgeprägtes Sehvermögen. Der Teil des Gehirns, der normalerweise für das Hören zuständig ist, wendet sich anderen Sinneseindrücken zu. Er wird daher sensibler für visuelle Reize oder auch in Bezug auf den Tastsinn.

Zusammenfassung

  • Sprache ist ein Instrument zur Kommunikation.
  • Ab dem Alter von zwei Jahren lernt ein Kind täglich rund 3.500 neue Wörter. Die meisten Wörter kommen bei der sogenannten Wortschatzexplosion hinzu. Diese findet mit etwa 18 Monaten statt.
  • Das Gehirn leistet viel beim Sprechen. Denn wir bilden nicht nur komplexe Sätze und wählen in Sekundenschnelle die richtigen Wörter aus, sondern passen unsere Sprache auch an unseren Gesprächspartner an.
  • Sprache ist dem Menschen angeboren und der Erwerb findet in mehreren Schritten statt.
  • Die Stadien des Spracherwerbs gehen vom Lallen über das Ein- und Zweiwortstadium bis hin zum Bilden ganzer Sätze.
  • Es gibt kritische Phasen des Spracherwerbs. Kindern fällt das Erlernen einer Sprache noch sehr leicht. Sie können auch mehrere Sprachen ohne Probleme und akzentfrei lernen. Je älter wir werden, desto schwerer fällt es uns allerdings.
  • Nach Chomsky besitzt die menschliche Sprache eine Universalgrammatik. Alle Sprachen der Welt haben einen gemeinsamen Kern, denn sie bestehen aus den gleichen Bausteinen.
  • Gehörlose haben mit der Gebärdensprache eine eigene Sprache. Diese weist – ebenso wie Lautsprachen – grammatikalische Regeln auf. Sie wird ebenfalls im Kindesalter am leichtesten erlernt.

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