Entstehungsgeschichte der Psychoanalyse als Theorie und Therapieform
Die Psychoanalyse ist eine Therapieform, welche zwischen 1883 und 1910 entstand. Außerdem ist es eine Theorie über die Beschaffenheit der Psyche und deren Erkrankungen, welche man vor allem mit Sigmund Freud (1856 – 1939) in Verbindung setzt.
Freud gilt als Begründer dieser Theorie und Methode, entwickelte diese aber keineswegs allein. Stattdessen hatte er zahlreiche Vorreiter, welche ihn inspirierten und welche ebenfalls einen wesentlichen Anteil an der ausformulierten Theorie der Psychoanalyse einnehmen.
In diesem Beitrag möchte ich dir die verschiedenen Vorläufer, Wegbereiter und die Entstehung der Psychoanalyse vorstellen.
Inhalt
- 1 Entdecker der Psychoanalyse war Josef Breuer
- 2 Vorläufer der Psychoanalyse
- 3 Carl Gustavs Carus Arbeit als weitere Inspiration zur Psychoanalyse
- 4 Weitere Einflüsse auf die Theorie der Psychoanalyse
- 5 Die naturwissenschaftliche Wurzel der Psychoanalyse
- 6 Wilhelm Fließ Beitrag zur Psychoanalyse
- 7 Die Psychologische Mittwochs-Gesellschaft als Antreiber der Psychoanalyse
Entdecker der Psychoanalyse war Josef Breuer
Josef Breuer war ein Wiener Arzt, welcher von 1842 bis 1925 lebte. In den Jahren 1880/1881 behandelte er eine Frau, namens Bertha Pappenheim. Wie damals üblich nannte man seine Patienten nicht bei richtigen Namen, sondern erfand Pseudonyme bzw. Fantasienamen.
Die gängigste Methode war es, die Anfangsbuchstaben des Namens im Alphabet nach vorne zu rücken und dann einen Fantasienamen zu kreieren. Und so wurde aus dem Namen Bertha Pappenheim, mit den Initialen B und P, das Pseudonym Anna O.
Bertha Pappenheim bzw. Anna O. litt an einer seelischen Überforderung. Diese ergab sich nachdem sie ihren kranken Vater gepflegt hatte und äußerte sich in multiplen Lähmungen, Essstörungen und einer Unfähigkeit ihre Muttersprache zu sprechen. Er fasste die Symptome unter den Begriff „Hysterie“ zusammen.
Schnell fand Breuer heraus, dass Anna O. körperlich gesund war und die Krankheitssymptome somit seelischer Natur sein mussten. Der Arzt gab sich nicht damit zufrieden, seine Patientin mit Beruhigungsmitteln zu behandeln und widmete sich stattdessen ihrer ganzen Aufmerksam. In langen Gesprächssitzungen, bei denen Anna O. über Tagträume redete, bemerkte Breuer, dass seine Patientin zeitweise komplett symptomlos war.
Breuer fand weiterhin heraus, dass Anna O. durch Hypnose und langen Gesprächssitzungen in Zustände des Erinnerns gebracht werden konnte, welche die Symptome gänzlich auflösen konnten. Dadurch wurde ihm bewusst, dass die Hysterie-Symptome an verdrängte Ereignisse aus Annas Vergangenheit/Kindheit geknüpft waren und sobald sie sich erinnern konnte, setzte Heilung ein.
Laut Annas Erzählungen soll sie am Bett ihres kranken Vaters gesessen haben, als ein Tagtraum sie überraschte. In diesem Traum kroch eine Schlange auf ihren Vater zu und Anna vermochte es nicht, diese zu vertreiben. Denn ihr rechter Arm, welcher über der Stuhllehne hing, war eingeschlafen. In ihrer Verzweiflung wollte sie ein Gebet sprechen, aber die Sprache entfiel ihr.
Nachdem Breuer, Annas Erinnerung an diesen Traum, wieder hervorgerufen hat, schien ihre Lähmung im Arm und auch die Unfähigkeit der Sprache verschwunden zu sein bzw. trat in geringerem Ausmaß auf.
Sigmund Freud schloss später aus den Berichten Breuers, dass die Symptome der Hysterie lediglich auf verschüttete Erinnerungen zurückzuführen sind. Die Symbole der traumatischen Erinnerung treten dann als Symptom bzw. Krankheitsbild in der Gegenwart auf.
Vorläufer der Psychoanalyse
Sigmund Freud gilt als Begründer der Psychoanalyse, obwohl Josef Breuer diese Therapieform zum ersten Mal angewendet hat. Denn Freud verstand es, diese neue Methode in eine geeignete Theorie zu gießen, so dass ein wissenschaftliches Fundament entstand, welches verteidigt werden konnte.
Breuers Therapieform war lediglich ein Ansatz, um auf die tieferen Schichten der menschlichen Psyche zuzugreifen. Eine echte Theorie über die Beschaffenheit der Psyche und deren Ausuferungen war es keinesfalls. Denn eine Theorie beruht immer auf rationalen Gebilden, welche jede Einzeltheorie als in sich stimmig ausrichten muss. Der Zusammenhang zwischen dem psychischen Leiden von Anna O. und ihrer Erinnerung war lediglich empirisch, durch die Sinnesorgane des Therapeuten, sichtbar gemacht worden.
Erst durch Freuds Ausarbeitung erhielt die Psychologie der unbewussten Prozesse einen wissenschaftlichen Rahmen, welcher die Krankheitsphänomene erklärbar und weitestgehend behandelbar machten. Die 4 Ziele der wissenschaftlichen Psychologie waren damals und sind es heute immer noch:
- Beschreiben
- Erklären
- Vorhersagen
- Verändern
Um die Psychoanalyse als wissenschaftliche Methode erklärbar und anwendbar machen zu können, müssen diese 4 Ziele erfüllbar sein. Um sein Werk besser zu stützen, nahm Freud Bezug auf naturwissenschaftliche Modelle und Theorien anderer Wissenschaftler aus verschiedenen Bereichen.
Eine Theorie kann durch Messen, Beobachten oder Feststellen nachgewiesen werden. Aufgestellt werden Theorien aber immer, durch rationale Denkprozesse – welche sich in ein stimmiges Gesamtgebilde abbilden lassen. Erst daraus erfolgt ein Erkenntnisgewinn.
Leibniz Monadenlehre und deren Einfluss auf die Psychoanalyse
Wilhelm Leibniz stellte bereits 1714 eine Theorie über sogenannte Monaden auf. Demnach besteht die Wirklichkeit aus kleinsten geistig-seelischen Einheiten, welche er Monaden nannte. Diese Monaden unterscheiden sich untereinander durch ihren Zustand des Bewusstseins.
Zwei Grundannahmen sind von Bedeutung:
- nichts auf dieser Welt entsteht ohne unzureichenden Grund
- Gegensätze können nicht im selben Zustand existieren
Die Kausalstruktur der Welt besagt, dass ein Zustand nur existiert, da ein zureichender Grund existiert, welcher diesen Zustand ermöglicht. Das bedeutet, dass ein fliegender Tisch fliegen würde, wenn es einen zureichenden Grund dafür gäbe. Oder einfach gesagt: Falls ein Tisch leichter als Luft wäre, würde er auch fliegen.
Sobald sich der Grund ändert, verändert sich auch die Beschaffenheit eines Zustandes. Die Aussage zum Widerspruch besagt, dass eine Aussage nicht wahr und zugleich unwahr sein kann. Nimmt man diese beiden Grundannahmen an, kann man behaupten, dass alle Prozesse, welche auf der Welt stattfinden – einen Grund bzw. Ursprung haben müssen. Wenn man den Grund ändern würde, verändert sich alles.
Hier ein Beispiel…
Die Welt, in welcher wir leben, ist ganz fein abgestimmt. Der Grund warum wir atmen können, ist Fotosynthese der Pflanzen. Der Grund warum Photosynthese betrieben werden kann, liegt in der Atmosphäre (Lichtenergie, Kohlendioxid usw.). Der Grund warum die Atmosphäre so existiert – wie sie ist, liegt am Gewicht der Erde und an seiner Drehgeschwindigkeit usw.
Du siehst, es gibt für alles einen Grund. Und würde man den Grund für die Drehgeschwindigkeit der Erde ändern, würde sich die Atmosphäre, die Luftbeschaffenheit, die Pflanzen, die Atmung usw. ändern.
Die Gründe bewegen sich in ganz engen Bahnen, wie in einem zugespitzten Korridor. Die Ausmaße (Leben) am Ende des Korridors sind sehr vielfältig. Deshalb ist der Korridor am Ende auch sehr breit. Doch jeder fein abgestimmte Grund, wie zum Beispiel die Drehgeschwindigkeit bewirkt, dass der Korridor-Anfang immer spitzer wird.
Demnach muss es – laut Leibniz – einen Urgrund bzw. ein Bewusstsein geben, welcher dieses steuert. Die Monadentheorie besagt, dass es ein göttliches Bewusstsein gibt, welches einen bewussten Grund für die Schöpfung bot. Danach sind andere Bewusstseinszustände bzw. bewusste Gründe entstanden, welche auf Grundlage der Schöpfungsbewusstseins agieren.
Diese aus dem Schöpfungsbewusstsein entstanden Monaden wurden in ihrer Ausprägung immer breiter (wie im Korridor) und lieferten mehr Gründe für andere Zustände. Monaden sind demnach Zustände des Bewusstseins, welchen einen Grund für die Beschaffenheit einer anderen Monade liefern.
Gleichzeitig gibt es sogenannte Monadenhierarchien. Die oberste Ebene sind das göttliche Bewusstsein bzw. Urmonade als Gott. Daraus bilden sich dann weitere Monaden für sämtliche Bestandteile der Welt: zB. Partikelmonaden, Mineralmonaden, Pflanzenmonaden, Tiermonaden oder Menschenmonaden.
Damit diese in sich funktionieren können, müssen diese sich über ihren Grund bewusst sein. Demnach besitzt ein Stein ein Bewusstsein, da er einen Grund liefern muss – welchen die Welt zusammenhält. Es existiert demnach ein Triebbegehren nach höheren Bewusstseinszuständen. Und die höchsten Zustände eines wachen Bewusstseins haben derzeit Tiere und Menschen, da sie sich selbst bewusst sind und über Erinnerungen verfügen.
Den Teil des Bewusstseins und der Erinnerung nahm Freud in seine Lehre auf. Die Methodik zur Herangehensweise, um die Monadenlehre als Theorie auszuzeichnen, schaute er sich ebenfalls bei Leibniz an. Demnach ist die Vorstellung des Unbewussten und auch der wissenschaftliche Rahmen der Monadentheorie auch in Freuds Theorie über die Psychoanalyse zu finden.
Weiterhin ist die Vorstellung eines Grundes, welcher ursprünglich ganz woanders liegt (Kindheit), als Ursache für heutige Krankheitszustände, maßgeblich für Freuds Psychoanalyse.
Carl Gustavs Carus Arbeit als weitere Inspiration zur Psychoanalyse
Carl Gustav Carus (1789-1869) stellte fest, dass das unbewusste Seelenleben über Gefühle, als psychische Programme oder auch über Träume, als unbewusste Ausdrucksform, zugänglich ist. In Carus Arbeit, der sogenannten „Vorlesung zur Psychologie“, von 1831, fand Freud weitere Inspiration und Erkenntnisse für seine Theorie.
Diese Erkenntnisse nutzte Freud, um von der Hypnose abweichen zu können. Denn seine Patienten gehörten zur bürgerlichen Elite und waren oftmals nicht bereit, sich hypnotisieren zu lassen. Deshalb benötigte er andere Methoden, um auf die tieferen Ebenen der Psyche vorzudringen.
Außerdem erkannte Freud auch, dass der hypnotische Prozess gewisse Probleme aufwarf. Denn seine Patienten konnten sich oftmals nicht an den Zustand der Hypnose erinnern. Und somit wussten sie auch nicht mehr, welche verschütteten Erinnerungen sie während der Hypnose hatten. Die Grundlage der Psychoanalyse besteht allerdings darin, verborgene Erinnerungen sichtbar zu machen. Denn erst dann setzt die Heilung ein.
Durch die Arbeit von Carl Gustav Carus bekam Freud neue Erkenntnisse über das Seelenbefinden. Denn Gefühle und Träume sind Ausdruckform des Innenlebens. Freud wählte daraufhin lange Gespräche, freie Assoziationen als neue Methodik, um das verborgene Seelenleben seiner Patienten sichtbar zu machen.
Weitere Einflüsse auf die Theorie der Psychoanalyse
1869 erschien das Werk „Philosophie des Unbewussten“ des Autors Eduard von Hartmann. Auch dessen Erkenntnisse und Methodik nutzte Freud, um seine Theorie weiter voranzubringen.
Im Jahr 1828/29 erschien das Werk „Allgemeine Metaphysik“ vom Pädagogen Johann Friedrich Herbarth. In diesem Werk gab es eine längere Abhandlung über Triebe und Triebverhalten, sowie der Verdrängung dieser Triebe.
Freuds Theorie geht davon aus, dass der angeborene Trieb der Ursprung bzw. zureichende Grund (Leibniz) für jede psychische Energie darstellt. Diese Energie nutzt der Säugling, um seiner angeborenen Lust nachzugehen. Diese Lust wird später durch Instanzen des Ichs kontrolliert und eingedämmt. Um diese Zurückdrängung zu verwirklichen, bedient sich die psychische Kontrollinstanz (Ich) gewisser Abwehrmechanismen, welche der Grund für Neurosen, Hysterien, Angst oder Ähnliches sind.
Die Triebtheorie, welche bereits in ihren Grundzügen von Herbarth erschlossen wurde, bot einen wesentlichen Bestandteil der philosophischen Psychoanalyse.
Die naturwissenschaftliche Wurzel der Psychoanalyse
Freud lebte von 1856 bis 1939. Im Jahr 1873 begann er sein Studium der Medizin in Wien. In dieser Zeit kam er in Berührung mit der Evolutionslehre (1859) und den Mendelschen Gesetzen (1866) – welche die Grundlage der heutigen Genetik bildet. Weiterhin erfuhr er eine Ausbildung in Anatomie und Physiologie. Dadurch war es ihm möglich, die Psychoanalyse auf einen naturwissenschaftlichen Standpunkt zu rücken.
Auch Begriffe, wie „Erregungssumme“, „Abfuhr von Quantitäten“, „Widerstand“, „Besetzung“ sind aus der Physik bereits anerkannte Fachausdrücke gewesen und flossen in Freuds Werk mit ein. Dadurch sicherte er sich eine umfassend wissenschaftliche Grundlage für die Psychoanalyse und die dementsprechende Aufmerksamkeit in Forschungskreisen.
Wilhelm Fließ Beitrag zur Psychoanalyse
Wilhelm Fließ lebte von 1858 bis 1928 und gehörte somit zur selben Generation wie Freud. Er promovierte 1883 und war danach als Hals-Nasen-Ohrenarzt tätig. Zwischen 1887 bis 1904 entstand ein reger Briefwechsel zwischen ihm und Freud. Durch diesen Dialog entstanden die wichtigsten Grundsätze zur Psychoanalyse.
Zusammen mit Fließ klärte Freud:
- Den Ursprung von Neurosen als Abwehrmechanismus bzw. Abwehrneurosen
- Paranoia, Angstzustände als Trauma
- Hysterie-Erklärung
Beide entfremdeten sich und trafen sich 1903 zum letzten Mal. Fließ stellte im Jahr 1904 seine Biorhyhtmus-Theorie auf, wonach die Leistungsfähigkeit des Menschen gewissen Wellen und Schwankungen unterliegt.
Die Psychologische Mittwochs-Gesellschaft als Antreiber der Psychoanalyse
In den Jahren zwischen 1902 und 1908 traf sich Freud jeden Mittwoch mit wissbegierigen anderen Gelehrten, um sich über Thesen, Erkenntnissen und Fortschritten auf dem Gebiet der Psyche auszutauschen. Freud, welcher seit 1881 als Arzt tätig war, leitet bereits eine Praxis in der Berggasse 19 im 9. Wiener Bezirk. Dies war der Treffpunkt des wöchentlichen Arbeitskreises, welchen sich immer mehr Wissbegierige anschlossen.
Wie schon erwähnt, hatte Freud selbst wenig Erfolg auf dem Gebiet der Hypnose, da er eher reichere Bürger behandelte, welche sich kaum oder nur schwerlich hypnotisieren ließen. Deshalb musste er auf andere Methoden zurückreifen, um die unbewussten Seelenschichten seiner Patienten anzusteuern. Der Arbeitskreis half ihm dabei, Sichtweisen und auch Methoden zu entwickeln, um das tiefere Seelenleben seiner Patienten zu erforschen.
Zu den Mitgliedern gehörten:
- Otto Rank: „Das Trauma der Geburt“
- Alfred Adler: “Neurosenlehre“
- Wilhelm Stekel: „Abstinenztheorien und Nervositätsforschung“
- Karl Abraham: Ergänzung von Freuds infantiler Sexualtheorie um weitere Subphasen
Freud fungierte dort als Moderator, wobei er gewisse Themen aufwarf, über die sich die Gruppe unterhielt. Bestimmte Aspekte gingen sie nach, andere wurden wieder verworfen. Es fand somit ein reger Austausch zwischen den Mitgliedern statt, welche ebenfalls einen Anteil an der Begründung der Psychoanalyse haben.
Zusammenfassung
- Die Psychoanalye entstand in den Jahren zwischen 1883 und 1910.
- Demnach ist sie eine Sammlung verschiedener Erkenntnisse, Krankheitsberichte und Erfahrungen.
- Die Entstehungsgeschichte der Psychoanalyse ist ein Gemeinschaftswerk von mehreren Ärzten und Wissenschaftlern.
- Bereits vor Freud fand der Wiener Arzt Josef Breuer heraus, dass Krankheiten durch das Verdrängen von Konflikten entstehen.
- Das Sichtbarmachen und erneute Durchleben dieser verdrängten Erinnerungsstücke sorgt dann für eine Heilung des Patienten.
- In Freuds Psychoanalyse fließen zudem Teile aus Leibniz Monadenlehre, Hartmanns Philosophie des Unbewussten, sowie der Metaphysik-Theorien von Herbarth ein.
- Die Traumdeutung, welche neben der Assoziation, ein wichtiger Bestandteil der psychoanalytischen Therapie ist, entnahm Freud den Vorlesungen des Carl Gustav Carus.
- Die Entstehungsgeschichte der Psychoanalyse wird außerdem durch die sogenannte Mittwochs-Gesellschaft vorangetrieben, welche in Freuds Arztpraxis tagte.