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Was bedeutet Wahlverwandtschaften: Definition und Bedeutung


was bedeutet wahlverwandtschaften

Wahlverwandtschaften ist ein Roman des deutschen Autoren Johann Wolfgang von Goethe aus dem Jahr 1809. Sein Name stammt aus dem Verständnis der damaligen Chemie. Nach dem Verständnis der Zeit konnten sich zwei verbundene Stoffe auch wieder voneinander lösen und neu verbinden, wenn ein dritter Stoff ins Spiel kam, der eine stärkere Anziehungskraft ausübte als der, an den ein Stoff schon gebunden war. Wahlverwandtschaften sind aber gleichzeitig auch Verhältnisse zwischen nicht biologisch verwandten Menschen, die sich freiwillig nahe stehen. Sie entstehen manchmal aus Bekanntschaften, die sich im Leben zufällig ergeben. Es existiert jedoch auch der Verein Wahlverwandtschaften e.V., über den Menschen sich zu diesem Zweck kennen lernen können.

Die Goetheschen Wahlverwandtschaften

Der Roman von Johann Wolfgang von Goethe legte den Grundstein für das Konzept einer Wahlverwandtschaft. Es geht in diesem Roman um das Ehepaar Eduard und Charlotte, die sich nach dem Tod der ersten Ehepartner endlich heiraten konnten. Sie leben zurückgezogen auf seinem Landsitz und obwohl sie gegenseitig ihre Jugendliebe waren, ist ihre Beziehung eher von Vertrautheit und Sicherheit geprägt als von Liebe.

Die Sicherheit gerät ins Wanken, als Eduard beschließt, dass jeder einen Freund ins Haus aufnimmt. Mit der Zeit entsteht zwischen seiner Frau und seinem unverschuldet in Not geratenen Freund Otto ein Liebesverhältnis. Charlotte hat ihre eltern- und mittellose Nichte Ottilie eingeladen, die wiederum zu Eduard eine Beziehung aufbaut. Es endet – einfach ausgedrückt – damit, dass keiner sich für oder gegen den anderen entscheiden kann und die beiden Frauen letztlich alleine zurückbleiben.

Die Interpretation dieses Liebesdramas wirft Fragezeichen auf, das Werk gilt als eins der mysteriösesten aus der Feder Goethes. Lediglich die Namensgebung ist sicher geklärt. Die damalige Chemie ging davon aus, dass verbundene Stoffe sich schnell wieder lösen konnten, wenn ein Stoff mit stärkerer Anziehungskraft ins Spiel kam und das Verhältnis beendete. Diese Deutung macht im Kontext des heutigen Verständnisses einer Wahlverwandtschaft schon mehr Sinn.

Ist Blut dicker als Wasser

Eine Frage wirft der Goethe-Roman eindeutig auf: müssen wir wirklich mit Menschen verwandt sein und diese Verwandtschaft leben, wenn eine andere Person besser in diese Rolle passen würde? Diese Frage würden sich Menschen, die ihre Verwandten lieben und schätzen, wahrscheinlich nicht stellen. Sie brauchen allerdings auch gar keine Wahlverwandtschaften.

Leider heißt Verwandtschaft aber nicht immer, dass das Verhältnis wirklich von Liebe und Wertschätzung geprägt ist. So kann es durchaus sein, dass du im Leben einen Menschen hast oder noch kennen lernen wirst, der eher die Rolle eines Geschwisters, Elternteils oder der Großeltern einnimmt. Was spricht dagegen, sich auch wirklich entsprechend nahe zu stehen und dieses Verhältnis zu leben? Zwar werden die meisten Wahlverwandtschaften nie offiziell gemacht, es findet also keine Adoption statt. Aber dennoch werden sie gelebt, weil wir uns mit Menschen umgeben sollten, die uns gut tun.

Wahlverwandtschaften im echten Leben

Eine Wahlverwandtschaft klingt zu gut, um wahr zu sein. Tatsächlich aber leben viele Menschen ein inniges Verhältnis zu einer anderen Person, die eher die Rolle eines Verwandten ausfüllt. Nicht in allen Familien geht es liebevoll und wertschätzend zu, sodass zwar der Kontakt noch da sein kann – es werden aber nicht mehr als Höflichkeiten ausgetauscht.

In anderen Fällen ist ein wichtiger Verwandter leider bereits verstorben und seine einstige Rolle wurde von einer anderen lieben Person ausgefüllt, mit der aber keine Blutsverwandtschaft besteht. Häufig hat diese Person auch jemanden verloren oder wünscht sich einfach jemanden in dieser Rolle, die im Leben fehlt. Wie genau entstehen Wahlverwandtschaften, wie kannst du sie suchen und was sind sie nicht?

Zufällige Wahlverwandtschaften

Häufig entsteht eine Wahlverwandtschaft aus dem Zufall heraus. Ein junges Paar mit Kindern zieht ins Haus neben der alten Dame, die keinen Kontakt mehr mit ihren Enkeln hat. Sie bietet ihre Unterstützung an und mit der Zeit entsteht ein Verhältnis wie zu einer echten Großmutter. Ein vernachlässigtes Kind fällt dem Paar im mittleren Alter auf, das im gleichen Mietshaus wohnt, und sie bauen ein freundschaftliches Verhältnis auf. Es entsteht ein Verhältnis wie zwischen Eltern und Kind.

Viele Wahlverwandtschaften werden nie als solche bezeichnet und müssen auch nicht für immer halten. Sie entstehen daraus, dass die beteiligten Personen zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind und beide ineinander etwas sehen, was sie brauchen und wollen – ähnlich wie mit einer Freundschaft. Der Definition nach handelt es sich auch um eine Freundschaft, denn die Wahlverwandtschaft wird meistens nicht amtlich gemacht, etwa im Rahmen einer Adoption. Jedoch freunden sich hier keine gleichaltrigen Personen oder Menschen an, bei denen man üblicherweise von Freundschaft sprechen würde. Das Verhältnis an sich gleicht auch eher einer Verwandtschaft, da die Beteiligten freiwillig Dinge füreinander tun, die eher unter Verwandten zu erwarten wären.

Adoption als Wahlverwandtschaft

Die Adoption ist eine besondere Form der Wahlverwandtschaft. Wenn sich Menschen ein Kind wünschen, aber keins bekommen können oder wollen, besteht die Möglichkeit der Adoption. Je nach Staat kann das sehr einfach gehen oder ein schwieriges Unterfangen werden. Die juristische Elternschaft mit allen Rechten und Pflichten wird dabei auf die Wahl-Eltern des Kindes übertragen.

Das Adoptivkind hat ebenfalls Rechte und Pflichten seinen Adoptiveltern gegenüber. Volljährige müssen einer Adoption daher natürlich erst zustimmen, Minderjährige ab einem gewissen Alter werden zu ihrer Haltung gefragt. Ein Neugeborenes hingegen kann natürlich ohne sein Einverständnis adoptiert werden. Adoptionen sind in der Regel nur im Kindes- und Jugendalter üblich, bei Erwachsenen ergibt die Adoption wenig Sinn. Sie würde lediglich Rechte und Pflichten regeln, hat aber darüber hinaus keine Auswirkungen mehr.

Eine Ausnahme sind Adoptionen in den Adel, damit das (erwachsene) Adoptivkind den Namen bekommt. Manche Adelige adoptieren gegen Geld, sichern sich aber gleichzeitig dagegen ab, dass ihre Adoptivkinder Rechte an ihrem Besitz und Vermögen bekommen. Auch das ist eine Wahlverwandtschaft, wenn auch mit anderem Hintergrund.

Gewollte Wahlverwandtschaften

Manche Wahlverwandtschaften sind von den Beteiligten so gewollt, die Personen haben sich gesucht und gefunden. Bekanntschaft erlangte das Prinzip durch die „Leihomi“, seltener gab es auch geliehene Großväter. Junge Paare mit Kindern, aber ohne eigene Großeltern suchten nach kinderlieben älteren Leuten, die bereit waren, ihre Familie zu erweitern. Vorrangig ging es dabei ums Babysitten, aber auch darum, den Kindern das Gefühl zu geben, echte Großeltern zu haben und die unvergesslichen Erinnerungen mitzunehmen, die nur liebende Großeltern geben können.

Je kleiner die Kinder, desto weniger werden sie hinterfragen, wer die nette alte Dame wirklich ist, die alle Oma nennen. Wahlverwandtschaften sind aber nicht nur auf Kinder und Großeltern beschränkt. Manchen fehlt ein Geschwisterteil, anderen fehlen die Eltern und wieder anderen das (erwachsene) Kind, dessen Leben sie begleiten dürfen. Auch diese Wahlverwandtschaften können aktiv gesucht und aufgebaut werden, sei es alleine auf eigene Faust oder mithilfe eines unterstützenden Vereins.

Wahlverwandtschaften suchen

Je nachdem, was du dir unter einer Wahlverwandtschaft vorstellst, gibt es mehrere Möglichkeiten, sie mithilfe des Internets oder auch außerhalb zu finden. Eine Möglichkeit ist natürlich die klassische Annonce, beispielsweise in einer Kleinanzeigenbörse. Ob aber jemand danach sucht, ist fraglich, was bedeutet, dass die Anzeige vielleicht gar nicht erst gefunden wird und der Zulauf gering ist. Um auf der Suche nach Wahlverwandtschaften zu unterstützen, gibt es Vereine, städtische Anlaufstellen und ähnliche Angebote, die Menschen zusammenführen, die sich unter einer Wahlverwandtschaft etwas vorstellen können.

Wahlverwandtschaften e.V.

Am bekanntesten ist sicherlich der Verein Wahlverwandtschaften e.V. aus Münster, der Menschen auf der Suche nach ihrer ausgesuchten Familie hilft. Mithilfe dieses Vereins kannst du von der großen Schwester über den Vaterersatz bis hin zur lieben Großmutter jede Rolle im Leben finden, die dir fehlt. Der Verein hat klare Vorgaben, was er ist und was er nicht ist.

So geht es hier beispielsweise nicht darum, lediglich Menschen zu finden, die dir gelegentlich einen Gefallen tun oder auf deine Kinder aufpassen. Der Fokus liegt darauf, Menschen kennen zu lernen, die wirklich verwandtschaftsähnliche Verhältnisse miteinander aufbauen wollen und auch bereit sind, die Zeit gegenseitig ineinander zu investieren.

Außerdem ist es in diesem Verein sehr wichtig, dass keine sexuellen Verhältnisse gesucht werden. Deswegen ist Wahlverwandtschaften e.V. eine gute Anlaufstelle für alle, die ernsthaft auf der Suche nach einer Wahlfamilie sind und sich dabei Hilfe und Unterstützung wünschen. So organisiert der Verein beispielsweise auch Treffen und gibt praktische Hilfestellungen dazu, wie eine solche Beziehung aufgebaut werden kann.

Leihoma-Börsen

Besonders häufig wird ein Ersatz für die Großeltern der eigenen Kinder gesucht, der gerne auch zu einem selbst ein enges Verhältnis haben darf. Diese Rolle übernimmt auch Babysitter-Aufgaben gegen Bezahlung, aber eben nicht hauptsächlich. Manche geliehenen Großeltern verzichten auf die Bezahlung, wenn sie dafür ins Familienleben eingebunden werden wie ein echter Verwandter und auch erwarten können, dass ihnen geholfen wird, wenn sie die Unterstützung einer Familie brauchen. Wie genau das Verhältnis aussehen soll, ist Gegenstand einer individuellen Vereinbarung. Suchen und finden kann man sich am besten online auf Börsen für Leihgroßeltern.

Städtische Angebote

Manche Städte unterstützen gewisse Formen der Wahlverwandtschaften, am häufigsten geliehene Großeltern. Sie vermitteln den Kontakt zwischen Senioren und jungen Familien, denen eine lebenserfahrene Person im Familienleben fehlt. Die Senioren wiederum erfahren Inklusion und können eine Familie mit ihrer Erfahrung und Zeit unterstützen, die das gut gebrauchen kann. Wenn die Stadtverwaltung kein solches Angebot hat, gibt es vielleicht einen Verein oder ein ehrenamtliches Institut am Wohnort, welches Kontakt herstellen und die Beziehung begleiten kann.

Zusammenfassung

  • Verwandtschaft ohne Blutsverwandtschaft ist möglich: Wahlverwandtschaften schaffen Verbindungen, die gebraucht werden.
  • Schon seit Jahrzehnten gibt es das Modell der Leihomi oder des Leihopis, die Kindern die wertvolle Zeit mit den Großeltern geben, wenn die biologischen Großeltern das nicht mehr können oder wollen.
  • Mithilfe von Vereinen oder Online-Börsen können sich Menschen finden, denen ein liebevoller Verwandter im Leben fehlt und die einem anderen Menschen das Gefühl von Verwandtschaft geben wollen.
  • Eine besondere Form der Wahlverwandtschaft ist die Adoption, bei der auch rechtlich jemand in die Familie aufgenommen wird.

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