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Wie entsteht Aberglaube (Mythologie, Philosophie, Religion, Psychologie)


wie entsteht aberglaube

Ein weitverbreiteter Aberglaube ist, dass eine schwarze Katze ein Unglücksbote ist. Doch woher stammt dieser Aberglaube?


Was Aberglaube ist und wie er entsteht, lässt sich nicht allgemeingültig beantworten. Denn sowohl Definition als auch Erklärungsmodelle wandelten sich im Laufe der Zeit und sind von der jeweiligen Gesellschaft abhängig. Damit ist Aberglaube ein kulturelles Phänomen, zu dessen Untersuchung Religion, Philosophie und in neuester Zeit auch die Psychologie wichtige Beiträge geleistet haben.

Was ist Aberglaube

Aberglaube ist ein Irrglaube an die Wirkung übernatürlicher Kräfte. Was ein Irrglaube ist, wird dabei bestimmt durch das, was allgemein als der „richtige“ Glaube gilt. Da dies je nach Zeit und Kulturkreis unterschiedlich ist, gilt dies auch für den Aberglauben.

Kurze Geschichte des Aberglaubens

Wie das englische Wort superstition bezeugt, kann man die Vorstellung vom Aberglauben bis in römische Zeit zurückverfolgen. Dort meinte superstitio wörtlich „darüber stehen“. Gemeint war eine Form der Frömmigkeit, die über das allgemein übliche Maß hinausging. Obwohl der Glaube an die Götter und die Ausübung der damit verbundenen Riten im alten Rom staatstragende Funktion hatten, wurde eine übertriebene Frömmigkeit belächelt und als Zeichen des einfachen, ungebildeten Mannes gesehen.

Nach dem griechischen Philosophen Plutarch ist es das Motiv, das über Glaube und Irrglaube entscheidet: Soll die Frömmigkeit bloß Schaden und Unheil abwenden, ist das der falsche Weg. Das gilt auch für alle fremden Kulte.

Zu Anfang auch für das Christentum. Mit dessen Ausbreitung und letztlichem Aufschwung zur Staatsreligion drehten sich die Verhältnisse. Nun wurden die heidnischen Kulte zum Aberglauben. Viele der alten Riten hatten auch Eingang in den Alltag der frühen Christen gefunden. So wandte sich der Kirchenvater Augustinus Ende des 4./Anfang des 5. Jahrhunderts nicht nur gegen den Götzendienst an den heidnischen Göttern, die er als Dämonen betrachtete, sondern auch gegen abergläubische Praktiken wie den Amulettglauben, die eine Bedrohung der wahren Religion darstellten.

Noch Thomas von Aquin kämpfte im 13. Jahrhundert gegen dieselben Formen des Irrglaubens. Bereits das 12. Jahrhundert kennt den spätmittelhochdeutschen Begriff abergloube. Dieser setzte sich bis zum 16. Jahrhundert als Bezeichnung für all das, was gegen (aber) den richtigen (christlichen) Glauben geht, durch.

Das abfällige Urteil traf vor allem konkurrierende Strömungen innerhalb des Christentums und nahm insbesondere in der Ketzerverfolgung der Inquisition im 13. Jahrhundert sowie in der Gegenreformation zur von Luther im 16. Jahrhundert angestoßenen Reformation eine politische Dimension an.

Die größte Wende in der Auffassung vom Aberglauben brachte wohl die Aufklärung im 18. Jahrhundert mit dem Sieg der Vernunft und dem Aufstieg der Wissenschaften. So kritisierte der Philosoph Immanuel Kant den „Hang, in das, was als nicht natürlicher Weise zugehend vermeint wird, ein größeres Vertrauen zu setzen, als was sich nach Naturgesetzen erklären lässt – es sei im Physischen oder Moralischen.“

In Folge dieser Entwicklungen wurde schließlich nicht nur der Aberglaube, sondern sogar der Glaube an sich weitestgehend von der Wissenschaft verdrängt. In großen Teilen der Welt gilt heute nur als richtig, was wissenschaftlich bewiesen werden kann.

Erklärungsversuche: Wie entsteht Aberglaube

Wie die Auffassung vom Aberglauben hat sich auch die Ansicht darüber, wie und warum dieser entsteht im Laufe der Zeit verändert. Für die Antike bezeugt Plutarch bereits die Angst vor der Macht der Götter, den Menschen zu schaden, als Ursache für übertriebene Frömmigkeit. Auch ein Mangel an Bildung wurde schon zu dieser Zeit den Anhängern des Aberglaubens nachgesagt.

Bei den frühen Christen war Aberglaube die Folge einer Verhaftung in heidnischen Vorstellungen und Traditionen. Viele konnten oder wollten den Widerspruch zum wahren Glauben nicht erkennen und sich von magischen Praktiken distanzieren.

Mit dem Aufkommen konkurrierender Glaubensauffassungen im Christentum verlagerte sich der Unterschied zwischen richtigem Glauben und Aberglauben auf innerchristliche Auseinandersetzungen. Anders als bei den Kirchenvätern wird die Wurzel des Aberglaubens hier nicht im Alten und einer rückständigen Geisteshaltung aufgefasst, sondern gerade den Neuerern zugeschrieben, die mit ihrem revolutionären Gedankengut die bestehende Ordnung bedrohen. Der Kampf gegen den Aberglauben verließ das Feld rein religiöser Überlegungen und wurde von machtpolitischen Interessen getrieben.

Mit der Aufklärung schließlich wurden die Naturgesetze zum Maßstab, an dem die Welt und deren richtige Wahrnehmung gemessen wurden. Aberglaube, so zeigte Kant, besteht in einer Weigerung oder Unfähigkeit, diesen Naturgesetzen nachzuspüren und als Erklärung für die Vorgänge der Welt den Vorzug zu geben. Hier ist die Ursache des Aberglaubens wieder in einer nicht zeitgemäßen Haltung zu suchen, die zum Teil dem historischen Zeitpunkt am Umbruch von der Herrschaft des Glaubens zur Herrschaft des Wissens geschuldet ist, zum anderen einem Mangel an Vernunft und Bildung unter den einfachen Menschen.

Die heutige Wissenschaft hingegen geht mit den ihr eigenen wissenschaftlichen Methoden noch einen Schritt weiter. Statt einer bloßen Abgrenzung des Alten vom Neuen und der Betrachtung von historischen und persönlichen Umständen, die Aberglauben entstehen lassen, konnte die Psychologie aufzeigen, welche Prozesse genau dabei ablaufen. In einem Versuch mit Tauben konnte der amerikanische Psychologe B. F. Skinner um die Mitte des 20. Jahrhunderts nachweisen, wie Dingen, die eigentlich voneinander unabhängig sind, durch Wiederholung die Beziehung von Ursache und Wirkung zugeschrieben wird.

So hatten Tauben mehrfach Verhaltensweisen wie z. B. Kopfnicken gezeigt, kurz bevor sie – davon unabhängig – gefüttert wurden. Mit der Zeit gingen die Tiere davon aus, dass es diese Verhaltensweisen waren, die zur Fütterung führten. Skinner nannte dies operative Konditionierung. Ähnliche Prozesse wirken auch, wenn zum Beispiel das Tragen des „Glückstrikots“ mehrfach mit dem Sieg der eigenen Mannschaft zusammengefallen ist.

Dabei reicht eine geringe Zahl von zufälligen Zusammentreffen, um den Aberglauben zu festigen. Umgekehrt kann auch eine große Zahl von abweichenden Ergebnissen, wo die Mannschaft trotz Tragen des Trikots verliert, einen erstmal festgesetzten Aberglauben nur noch schwer entkräften.

Bemerkenswert ist auch, dass trotz oder vielleicht gerade des absoluten Anspruchs der Wissenschaft seit den 1960er Jahren vermehrt eine Suche nach nicht wissenschaftlichen Erklärungen zu bemerken ist und eine Hinwendung zu Formen dessen, was heute als Aberglauben definiert wird: Von Astrologie bis alternative Medizin gewinnen Erklärungsmodelle an Attraktivität, die sich nicht wissenschaftlich beweisen lassen.

Es wird vermutet, dass darin das kulturelle Erbe vergangener Zeiten ebenso mitschwingt wie die Frustration über eine immer komplexer werdende Welt, die trotz wissenschaftlicher Erklärungen für den Laien kaum mehr verständlich ist. In der Regel harmlos, kann der Aberglaube besonders dort, wo er alleinige Entscheidungshilfe ist, zur Gefahr werden.


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