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Wo lebte Otto der Große: Reisekönigtum anstelle einer Hauptstadt


wo wohnte und lebte otto der große

Die historische Altstadt von Merseburg (Sachsen-Anhalt) Der Ort ist einer von zahlreichen Stätten, in denen sich Otto der Große aufgehalten haben soll


Otto der Große oder Otto I. (912 – 973) gilt als Begründer des ersten deutschen Reichs. Mit seiner Wahl zum deutschen König und römischen Kaiser konnte er die politischen Strukturen schaffen, die in der Geschichtswissenschaft mit dem Begriff Heiliges Römisches Reich umschrieben werden. Otto I. vereinte die Titel des Herzog von Sachsen, König des Ostfrankenreiches und Italien und römisch-deutscher Kaiser. An diese Titel waren unterschiedliche Aufgaben und Funktionen gebunden, welche an unterschiedlichen Orten erfüllt werden mussten. Das Reisekönigtum des Mittelalters ist bis heute erhalten geblieben und bildet den Föderalismus in Deutschland. (Aufteilung in eigenständigen Bundesländern)

Das Otto-Reich ohne Hauptstadt

Das Heilige Römische Reich deutscher Nationen, welches Otto I. begründete, war ein neuer Staat mit neuer Staats- und Regierungsform. Und dieser neue „Staat“ bildete die Keimzelle von Herrschaften, die sich bis in die Gegenwart ziehen und deren Resultat die politische Gliederung Mitteleuropas der Gegenwart ist. Wenn wir vom Staat sprechen, haben wir aber auch bestimmte Bilder im Kopf: ein Staat hat Grenzen, hat bestimmte Symbole wie eine Hymne oder Fahne und natürlich auch eine Hauptstadt.

Dies sind jedoch moderne Vorstellungen. Im Mittelalter gab es diese Vorstellungen noch nicht ganz. Vor allem gab es sie nicht in Mitteleuropa, dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches, in dem Otto I. zum Römischen Kaiser geworden war.

Das Prinzip der Hauptstadt war natürlich bekannt. Rom war Hauptstadt des Römischen, später des Weströmischen Reiches. Und Konstantinopel war Hauptstadt von Ostrom und dem Byzantinischen Reich.

Es gab auch kleinere Hauptstädte, die nur vorübergehend bestimmt wurden. Trier war zeitweise unter Konstantin dem Großen die Hauptstadt des Römischen Reichs gewesen. Aber mit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches gab es in Mitteleuropa nur geringe Tendenzen zur Hauptstadtbildung.

Karl der Große hatte zwar Aachen zu seiner Residenz erkoren, aber von einer Hauptstadt kann man nur sehr bedingt sprechen. Daraus ergeben sich zwei Fragen: Warum gab es keine Hauptstadt oder zentrale Residenz, von der aus der Kaiser regierte? Und zweitens, wo lebte Otto I. denn dann, wenn es keine Hauptstadt gab? Beide Fragen sind miteinander verwoben.

Nicht der Kaiser regiert, sondern die Fürsten des Reichs

Mit der Kaiserkrönung 962 begründete Otto I. einen Herrschaftsanspruch der über den Ansprüchen der Fürsten und Herzöge jener Zeit lag. Mitteleuropa war jedoch zu jener Zeit bereits in zahlreiche Territorien, dem Ostfrankenreich, Italien, Sachsen, Thüringen etc. aufgespalten. Der Kaiser stand über diesen und damit auch das Reich.

Das Heilige Römische Reich war mehr eine Idee, die über allem stand als ein faktisch umrissenes Staatsgebiet. Die einzelnen Herrscher der Territorien regierten von ihren eigenen Residenzen. Sie hatten in ihren Territorien die Gewalt inne. Der Kaiser konnte jedoch durchaus in die Politik dieser Klein- und Kleinststaaten eingreifen. Deren Herrscher schworen ihm Lehnstreue und er sicherte ihnen Sicherheit und Unterstützung zu.

Die Macht des Kaisers kam aus zwei Quellen: Einerseits auf den germanischen Vorstellungen vom Königsheil, das Otto I. als deutschen König legitimierte. Und zudem aus dem römischen Recht, das den Römischen Kaiser als absoluten weltlichen Herrscher definierte. Diese Macht war individuell. Die Könige und Kaiser wurden gewählt und ihre persönliche Macht definierte sich ausschließlich daraus, wie stark sie im Herrschaftsalltag waren. Mit Otto I. war ein sächsischer Herrscher gewählt worden, der auf große Ländereien in den sächsischen Gebieten zurückgreifen konnte.

Das Heilige Römische Reich ist ein Konstrukt

Dieser Dualismus zwischen Lokalherrschern und Kaiser führte dazu, dass sich in Mitteleuropa für lange Zeit keine Hauptstadt ausbildete. Schon die Nachfolger Karls des Großen hatten Aachen wieder verlassen und eigene Residenzen gebildet. Die Kleinstaaten des Heiligen Römischen Reiches besaßen zwar selber Residenzen, nämlich den jeweiligen Sitz des Herrschers, aber es gab keinen Zentralort, von dem der Kaiser aus regieren konnte. In den mittelalterlichen Vorstellungen des Reichs konnte dies nicht existieren.

Zudem war die Urbanisierung seit dem Ende des Römischen Reichs stark zurückgegangen. In Mitteleuropa waren sowieso nur die ehemals römischen Gebiete mit Städten versehen, in den germanischen Gebieten hatte es kaum Ansätze zu Städten gegeben. Um aber seine Herrschaft auszuüben, musste der Kaiser natürlich von einem Ort aus agieren, aber es musste nicht immer derselbe Ort sein.

Otto I. und auch seine Nachfolger zogen mit ihrem Hofstaat durch das Reich und ließen sich in Königs- und Kaiserpfalzen nieder. Berühmte Pfalzen sind in Magdeburg, in Goslar und in Paderborn zu sehen. Der Kaiser reiste dabei von Pfalz zu Pfalz. Auf diese Weise konnte er direkt auf die Gebiete seiner Lehnsleute Einfluss nehmen. Der Aufenthalt in einer Pfalz wurde politisch bestimmt: Die Kaiser, auch Otto I., suchten ihre Lehnsleute direkt an sich zu binden und sie so in seinen Herrschaftsbereich zu integrieren.

Keine Hauptstadt bedeute Frieden im Reich

Diese Machtausübung durch Reisen deckt sich mit den Vorstellungen des Mittelalters über den Staat bzw. das Reich. Das Kaiserreich war eben nur eine übergeordnete Idee oder Instanz. Der Kaiser konnte seine direkte Herrschaft nur aus den Aufenthalten in den Pfalzen, die ja in den unterschiedlichen Territorien der Lehnsträger lagen, ausüben.

Eine feste Hauptstadt hätte dagegen dem Prinzip des individuellen Wahlkönigtums (und damit der Kaiserwürde) widersprochen. Hätte Otto I. zum Beispiel Aachen als Hauptstadt erwählt, hätte er damit die Franken gestärkt (die ja faktisch seine Gegner gewesen waren). Bei der Wahl des nächsten Königs wäre vielleicht ein anderes Adelsgeschlecht erkoren worden und die Hauptstadt Aachen hätte dann in „feindlichem“ Gebiet gelegen oder hätte umziehen müssen.

Die Interessen der Lehensträger, also der Herzöge und Fürsten der unterschiedlichen Kleinstaaten, waren dagegen. Warum sollte ein Luxemburger zum Beispiel Aachen als Hauptstadt unterstützen? Oder ein Franke eine Hauptstadt im sächsischem Gebiet? Das Reisen des Kaisers von Pfalz zu Pfalz führte zu einer Gleichbehandlung. Dieses Prinzip wurde im Mittelalter beibehalten.

Erst unter den Habsburgern bildete sich mit Wien eine Art Hofstadt und damit Hauptstadt heraus. Auch unter den Luxemburgern war Prag im 14. Jahrhundert bereits über längere Zeit Residenz gewesen, wenn auch keine wirkliche Hauptstadt.

Wo lebte und wohnte Otto I.

Da Otto I. keine eigene Hauptstadt hatte und in seinem Reich umher reiste, ist die Frage, wo er gelebt hat, nicht einfach zu beantworten. Wie alle Fürsten des Reiches war Otto I. auch ein Lokalherrscher. Er stammte aus dem Geschlecht der Sachsen. Die Sachsen siedelten vom westfälischen Gebiet, über die niedersächsischen Gebiete bis in die Region des modernen Sachsen.

Ottos Familie hatte Kernbesitzungen in Magdeburg und Quedlinburg. Hier lebte er, bevor er König und Kaiser wurde, aber auch später noch in seiner Funktion als Herzog. Natürlich regierte er auch von hier aus als Kaiser. Aber wichtige Treffen mit den anderen Herrschern und Lehnsträgern seines Reiches wurden auf Reichstagen vorgenommen, deren Ort ausgehandelt wurde.

Der Aufenthalt in einer Pfalz konnte aber durchaus einige Jahre dauern. Wir wissen, dass Otto I. in der Pfalz Quedlinburg residierte, dann später Magdeburg ausbaute, wo er sich die meiste Zeit aufhielt. Er ist auch in Merseburg und Memleben nachgewiesen, alles sächsische Territorien, in denen er persönlich sicher war, da sie, unabhängig von seiner Macht als König und Kaiser, ihm unterstanden.

Schon im Mittelalter lebte man international

Otto I. war nicht der erste Herrscher, der in seinem Reich umher reiste. Aber mit der Gründung des Heiligen Römischen Reichs war ein „Staatenbund“ entstanden, der viele Territorien umfasste und zu groß war, um es von einer Stelle aus zu verwalten. So hielt sich Otto I. in den großen Städten, den Überresten römischer Zivilisation, auf: Aachen, Mainz, Augsburg und Worms. Ingelheim besuchte er mehrmals. Und Augsburg war Ausgangspunkt mehrerer Italienreisen, bei denen er seine Macht in Italien festigen konnte und schließlich die Kaiserkrone erhielt.

In Italien residierte er vor allem in Ravenna und hielt sich auch in Rom auf. Erst im Alter bevorzugte er Magdeburg und hielt sich vermehrt hier auf. Die Aufenthalte in den unterschiedlichen Territorien band die Lehnsfürsten an ihn. Er konnte freundschaftliche Beziehungen fördern oder Feinde direkt unterdrücken. Die Reisen des Kaisers führten zu einer mehr oder minder stabilen Balance innerhalb des Reichs. Otto konnte es sich nicht leisten, bestimmte Gebiete zu bevorzugen (außer seinen eigenen Besitzungen) und musste deswegen nach einiger Zeit immer wieder seine Residenz wechseln. Otto I. lebte also an vielen Orten und prägte damit seine Rolle als deutscher König und römischer Kaiser.

Das Reiskönigtum als Ursprung des deutschen Föderalismus

Dass die mittelalterlichen Herrscher reisten und oft keine permanente Hauptstadt hatten, war nicht neu. Jeder neue Herrscher folgte dieser Tradition und konnte so individuell Politik betreiben. Der Mangel einer zentralen Hauptstadt führte jedoch dazu, dass in der deutschen Geschichte keine zentrale Macht, keine zentrale Autorität und später auch kein Zentralstaat entstand. Die Deutschen besitzen deswegen bis heute eine föderale Struktur.

Es konnte sich aber auch keine höfische Kultur durchsetzen. Der Hofstaat war immer individuell und von der Lokalität geprägt, in der er sich gerade aufhielt.

Otto I. konnte lediglich durch individuelle Schenkungen und Bauvorhaben, vor allem in seinen eigenen sächsischen Territorien, eine Art Mode inspirieren. So sind die Dombauten in Quedlinburg und Magdeburg, aber auch andere Bauvorhaben, typisch für seine Zeit. Sie konnten sich aber nicht reichsweit durchsetzen. Die gesamte mittelalterliche Geschichte ist geprägt von diesen Gegensätzen und sie erklären auch viele Phänomene der neuzeitlichen Geschichte Deutschlands.


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