Ernährung als Ausdruck der Persönlichkeit
Hast du dich schon einmal gefragt, ob deine Essgewohnheiten mit deiner Persönlichkeit zusammenhängen? Immerhin hat jeder seine ganz eigenen Vorlieben und Abneigungen gegenüber bestimmten Lebensmitteln.
Doch woran liegt das?
Die eigene Beziehung zum Essen ist nicht nur durch die Kultur, die eigene Familie oder andere Umweltfaktoren bestimmt. Auch deine individuellen Werte und Einstellungen spiegeln sich in dem wider, was du tagtäglich zu dir nimmst. Denn hinter der Ernährung steckt weit mehr als die bloße Aufnahme von Nahrung.
Welche psychischen, kulturellen und motivationalen Prozesse hinter deinem Essverhalten stecken, erfährst du im folgenden Text.
Inhalt
Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Ernährung
Essen ist ein Teil der Identitätsbildung.
Als Menschen sind wir auf der Suche nach Zugehörigkeit. Gleichzeitig streben wir nach Selbstverwirklichung und Individualität.
Nun könnte man sich fragen, ob das nicht ein Widerspruch in sich sei und was das mit der Ernährung zu tun hat. Ebenso wie die politische Orientierung oder die Wahl der Kleidung kann eine bestimmte Ernährungsweise ein Teil des Ausdrucks der eigenen Persönlichkeit sein.
Menschen drücken ihre Persönlichkeit durch verschiedenste Handlungen aus. So kann das Essen zum Beispiel deine Einstellung gegenüber Tieren ausdrücken, indem du auf Fleisch verzichtest. Durch diese Entscheidung hebst du dich von anderen ab, schließt dich aber gleichzeitig einer Gruppe Gleichgesinnter an. Du kommst also sowohl deinem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung und Individualität nach als auch deinem Bedürfnis nach Zugehörigkeit.
Psychische und kulturelle Einflüsse auf das Essverhalten
Deine Abneigungen und Vorlieben für bestimmte Nahrungsmittel werden durch verschiedene Faktoren bestimmt.
Denn einerseits sind deine Präferenzen (Vorlieben) gegenüber bestimmten Lebensmitteln und Gerichten erlernt. So verbindest du den Kartoffelbrei deiner Oma vielleicht mit liebgewonnenen Kindheitserinnerungen. Und andere Lebensmittel lösen ein Gefühl der Übelkeit in dir aus, wenn du sie nur siehst oder riechst.
Krass ist….
Hast du einmal etwas gegessen, von dem du dich übergeben musstest, merkt dein Gehirn sich das genauso wie die positiven Erlebnisse. Du verbindest ein Gefühl von Unwohlsein mit diesem bestimmten Lebensmittel und meidest es fortan.
Was motiviert dich zum Essen?
Doch nicht nur deine Lernerfahrungen, sondern auch deine Motive spielen eine Rolle.
Die Motivation hinter der Menge der Nahrungsaufnahme und der Wahl des Essens können sehr unterschiedlich sein.
Für die einen ist der Hunger entscheidend, für die anderen der Preis. Auch die Motive Gesundheit, soziale Normen oder Gewohnheit beeinflussen die Ernährung stark.
Ernährung beinhaltet auch eine soziale Komponente. Das Ritual des gemeinsamen Essens führt zu sozialer Interaktion. Auch dadurch kann das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt werden. Hier kommen auch die kulturellen Einflüsse der Ernährung zum Vorschein. Denn es gibt kulturspezifische Vorlieben und Abneigungen gegenüber verschiedenen Lebensmitteln. So sind zum Beispiel scharfe Gerichte in asiatischen Ländern beliebter als in Europa.
Auch Umweltfaktoren beeinflussen das Essverhalten. Und so kann die bewusste Gestaltung der Umwelt dazu führen, dass mehr oder weniger gegessen wird. Soll weniger gegessen werden, können kleinere Teller genutzt werden. Diese sorgen dafür, dass die Portion der Nahrung überschätzt und so auch weniger gegessen wird.
Gedimmtes Licht und leise Musik tragen zur Entspannung bei. Damit steigt die Zufriedenheit und die Nahrungsaufnahme sinkt. Dass die Atmosphäre in Fast Food Restaurants eine andere ist, soll die Gäste zu einer möglichst großen Bestellung animieren.
Essen als Statement für die eigene Persönlichkeit
Mit Hilfe des Essens können die eigenen Werte vertreten werden.
Eine vegane oder vegetarische Ernährungsweise ist an Tierliebe und Umweltbewusstsein gekoppelt, während eine ketogene Ernährung eher im Fitnessbereich zu verorten ist.
Überzeugte Fleischesser grenzen sich von der Gruppe der Nicht-Fleischesser ab. Sie lehnen sich gegen die „Gutmenschen“ auf oder interessieren sich einfach nicht weiter für die Umstände und Folgen der Massentierhaltung.
In Bezug auf Fleisch gibt es auch geschlechtsspezifische Unterschiede: Männer essen mehr Fleisch als Frauen. Sie sehen sich selbst häufig noch als Jäger und Sammler, dem das Fleisch zusteht.
Fleisch kann auch als Statussymbol dienen, welches früher nur den reicheren Menschen vorbehalten war. Nach dem Ende der Hungerkrise durch den Zweiten Weltkrieg kam es zu einem vermehrten Fleischkonsum. Als sich die Wirtschaft erholte, aßen die Menschen mehr von dem, was sie sich zuvor nicht mehr hatten leisten können: Fleisch. Damals gab es keine Vegetarier, weil es kein Statement sein konnte.
Auch in ärmeren Ländern dieser Welt gibt es kaum Vegetarier. Wieso? Weil es dort kaum Nahrung und somit auch keine Fleischnahrung gibt. Somit wird allgemein weniger Fleisch gegessen und der Vegetarier kann sich nicht von der Masse (welche es nicht gibt) abgrenzen.
In reicheren Ländern sind es hingegen die besser situierten, die sich wieder vom Fleischkonsum abwenden. Die Entscheidung für oder gegen den Fleischkonsum kann also nur in Zeiten des Wohlstands zur Identitätsbildung dienen. Ohne das übertriebene Vorhandensein von Fleisch, kann Vegetarismus oder Veganismus nur schwerlich als Statement genutzt werden.
Fleischkonsum geht mit einer moralischen Schuld einher, da Tiere für uns getötet werden. Werden wir uns dieser Tatsache bewusst, haben wir verschiedene Möglichkeiten mit der Schuld umzugehen. Entweder verdrängen wir sie, üben uns in Dankbarkeit und Wertschätzung für das Fleisch oder vermeiden die Schuld durch den Fleischverzicht.
Persönlichkeitsmerkmale bei Essstörungen
Essstörungen sind häufig das Ergebnis von gesellschaftlichen Werten.
Denn der Schlankheitswahn oder eine übertriebene Selbstkontrolle werden oftmals gesellschaftlich vorgeschrieben.
Und abhängig von bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen sind einige Menschen anfälliger für Essstörungen als andere. Grübelei, das Unterdrücken von Emotionen und eine fehlende Neubewertung von Stressoren gehören dazu. Diese Merkmale gehen mit einer mangelnden Regulation (Selbstkontrolle) der eigenen Emotionen einher. Daraus folgen nicht selten verschiedene Formen von Essstörungen.
Persönlichkeitsmerkmale bei Bulimie bzw. Bulimia nervosa
Diese Erkrankung bedeute wörtlich übersetzt „Bullenhunger“.
Das Krankheitsbild äußert sich ein unkontrollierten Essanfällen, bei denen es zu einer sehr großen Nahrungsaufnahme kommt.
Diese versuchen die Betroffenen im Anschluss wieder loszuwerden: Sie führen Erbrechen herbei, nehmen Abführmittel, Fasten oder nehmen stoffwechselanregende Medikamente zu sich.
Man spricht auch vom sogenannten Purging-Verhalten. Scham und Verheimlichung sind Begleiterscheinung der Erkrankung. Jedoch sind nicht immer gesellschaftliche Schönheitsideale die Auslöser. Auch organische Erkrankungen oder Schäden des Nervensystems können dieses Essverhalten begünstigen.
Persönlichkeitsmerkmale bei Magersucht bzw. Anorexia nervosa
Magersucht entwickelt sich meist in der Pubertät.
Oft kommt es zum Wunsch nach der Kontrolle über die eigenen körperlichen Impulse. Es ist also nicht so, dass Betroffene keinen Hunger verspüren. Sie unterdrücken ihn. Es besteht eine große Angst vor einer Gewichtszunahme.
Doch auch ein Mindestgewicht wird verweigert. Oft weisen Betroffene eine Wahrnehmungsstörung bezüglich ihres eigenen Körpers auf und empfinden sich trotz starken Untergewichts noch als zu dick.
Aber es gibt auch familiäre Zusammenhänge: Ein idealisiertes Bild der perfekten Mutter kann zu einer übertrieben engen Bindung zwischen Mutter und Tochter führen. Die Tochter bleibt unselbstständig, will sich jedoch in der Pubertät abgrenzen und versucht eine gewisse Autonomie über ihre Nahrungsaufnahme zu erreichen – einem Bereich, über den sie allein die Kontrolle hat.
Binge-Eating
Hierbei geht es um unkontrollierte Essanfälle in einem kurzen Zeitfenster.
Meistens werden Lebensmittel mit hohem Kalorienanteil in großer Menge konsumiert, weil ein Kontrollverlust eintritt. Die Person kann nicht mehr aufhören zu essen. Die Symptomatik ähnelt der Bulimia nervosa, allerdings findet kein anschließendes Purging-Verhalten statt. Daher neigen die Betroffenen auch häufiger zu Übergewicht.
Persönlichkeitsmerkmale bei zwanghaft gesundem Essen bzw. Orthorexia nervosa
Diese Symptomatik umfasst den Zwang, sich ausschließlich gesund ernähren zu wollen.
Meist kommt es zu einer zwanghaften Fixierung auf gesunde Nahrung, die zu einer strikten Planung und Vorbereitung der Mahlzeiten führt. All dies hängt mit der zunehmenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung zusammen.
Aber…
Ernährungsempfehlungen passen sich immer den neuesten Forschungsergebnissen an, widersprechen sich zum Teil oder werden überspitzt dargestellt.
Der Wunsch nach Gesundheit und auch nach Erfüllung gesellschaftlicher Werte geht nicht selten mit einem gewissen Missionierungseifer einher. Betroffene versuchen dann nicht nur, andere von ihrer eigenen Ernährungsweise zu überzeugen. Stattdessen leiden sie häufig auch unter ihrem zwanghaften Grübeln über richtige Nahrung und können gesundheitliche Probleme, wie Nährstoffmangel durch eine zu einseitige Ernährung entwickeln. Im Gegensatz zu den anderen drei genannten Störungen handelt es sich bei Orthorexia nervosa um keine klinisch diagnostizierte Störung.
Essen als Belohnung der Psyche
„Das hast du gut gemacht, hier hast du einen Keks.“
Hier besteht ein entwicklungspsychologischer Hintergrund und Lernprozesse werden an Nahrung gekoppelt.
So kann das Ernährungsverhalten auf zwei Weisen geprägt werden:
- Die Wahl eines bestimmten Lebensmittels wird belohnt
- oder der Essensreiz wirkt als Verstärker.
Im ersten Fall würde ein Kind beispielsweise fernsehen dürfen, sobald es sein Gemüse aufgegessen hat. Das Kind knüpft eine positive Empfindung an das Gemüse und wird es mit größerer Wahrscheinlichkeit häufiger essen.
Die zweite Variante bestünde etwa darin, dass das Kind mit einem Eis für das aufgeräumte Zimmer belohnt wird. Hierbei findet ebenfalls eine Verknüpfung zwischen Handlung und Nahrung statt. Allerdings dient das Eis in diesem Beispiel als Verstärker, damit das Kind das gewünschte Verhalten häufiger zeigt. In diesem Fall wäre das, dass Aufräumen des eigenen Zimmers.
Das Problem, welches dabei für die Kinder entsteht, äußert sich erst später. Denn sobald sie selbst ihre Nahrung kontrollieren und bestimmen können – neigen sie dazu, sich selbst zu belohnen. Und so werden am Abend, nach einem anstrengenden Tag, Chips oder Schokolade gegessen. Schließlich hat man sich die Extraportion Fette und Zucker verdient. Dieses Fehlverhalten dann wieder aus den Köpfen der Erwachsenen zu bekommen, ist extrem schwierig.
Essen als Bestrafung der Psyche
Essen kann auch Belohnung und Bestrafung in einem sein.
Ein Beispiel ist hier das emotionale Essen. Denn Emotionen können zu verschiedenen Verhaltensweisen in Bezug auf die Ernährung führen.
Zum einen können intensive negative Emotionen die Nahrungsaufnahme komplett unterdrücken. Du kennst vermutlich Situationen, in denen du sehr nervös warst und aufgrund dessen keinen Bissen hinunter bekommen hast.
Und zum anderen können moderate negative Gefühle zu einem erhöhten Konsum von sehr zucker- und fetthaltigen Lebensmitteln kommen. Aus Frust hat vermutlich schon so ziemlich jeder hin und wieder zur Chipstüte oder zum Schokoriegel gegriffen.
Grund dafür ist der, dass in der Vergangenheit Essen zum Trostspender wurde. Verletzt ein Kind sich, bekommt es vielleicht eine Süßigkeit, damit es sich wieder beruhigt. Dieses beruhigende Gefühl wird auch noch im Erwachsenenalter gesucht, kann aber durch Nahrungsaufnahme nicht erreicht werden.
Kontrolle versus Kontrollverlust
Ein weiteres Beispiel ist das gezügelte Essverhalten.
Auch hierbei handelt es sich nicht um eine klinische Störung. Dennoch geht dieses Verhalten mit Angst und Stress einher.
Die betroffenen Personen halten dauerhaft eine Diät und beschäftigen sich gedanklich übermäßig stark mit dem Thema Nahrung. Sie achten penibel auf die aufgenommenen Kalorien und legen sich selbst sehr strenge Regeln in Bezug auf das Essen auf.
Dadurch entsteht ein Teufelskreis….
Denn ihre strengen Ernährungsvorschriften führen zu vermehrtem Hunger und es kommt zu Heißhunger. Dieser hat unkontrollierte Essattacken zur Folge. Anschließend steigt die Angst vor einer Gewichtszunahme und die Essensregeln werden noch einmal verschärft, um sich selbst zu bestrafen. Die andauernde Selbstkontrolle erschöpft irgendwann, es kommt wieder zu Essanfällen und Stress sowie Angst stellen sich erneut ein.
Was aber viel nachteiliger wirkt, ist die Tatsache – dass durch Diäten und Essensverzicht immer wieder der Stoffwechsel ausgesetzt bzw. heruntergefahren wird. Denn jedes Mal in der Verzichtphase stellt sich der Körper auf weniger Nahrung ein und reduziert seinen Energieverbrauch. Somit wird der berühmte Hüftspeck nicht abgebaut, sondern der Körper schafft es diesen zu halten. Dies macht er, weil er die Betroffenen vor dem Sterben schützen will.
Denn Nahrungsverzicht und Hunger ist für den menschlichen Körper eine lebensbedrohliche Situation, auf welche er sich sofort einstellt und reagiert. Um sich zu schützen, werden Energiereserven in den Fettpolstern gehalten und nicht aufgebraucht.
Wenn dann die Hungerphase vorbei ist, reagiert der Stoffwechsel immer noch sehr verhalten. Denn der menschliche Körper achtet präzise darauf bzw. testet aus, ob die lebensbedrohliche Maßnahme nur vorübergehend vorbei ist oder doch gänzlich. Wenn dann übermäßig viel gegessen wird, kann der Stoffwechsel diese Energien nicht verbrennen und lagert diese in Fettpolstern ein.
Als Folge nehmen die Betroffenen viel schneller zu, als vor der Diät bzw. des Nahrungsverzichts.
Man spricht hier vom Jojo Effekt des Abnehmens. Das psychologische Problem dabei ist, dass Betroffene glauben – dass ihr Übergewicht eine Strafe für die Fressattacken war. Stattdessen handelt es sich einfach um körperliche Prozesse, welche aufgrund der Diät entstanden sind.