Skip to main content

Big Five: Das 5 Faktorenmodell der Persönlichkeit und dessen Grenzen


Die Big Five beziehungsweise das Fünf-Faktoren-Modell stellt einen beliebten Ansatz in der wissenschaftlichen Erforschung der Persönlichkeit dar. Hinter diesen Faktoren verbergen sich Neurotizismus, Offenheit für Erfahrungen, Extraversion, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit.

Mit Hilfe von Fragebögen, können die individuellen Ausprägungen der Persönlichkeit einer Person erfasst werden. Ein Fragebogen zur Selbstauskunft gibt dann beispielsweise für die befragte Person hohe Werte bei Extraversion aus und geringe Werte bei Gewissenhaftigkeit.

Demnach ist diese Person vielleicht sehr gesellig und gesprächig, vergisst allerdings auch den ein oder anderen Termin und nimmt es mit der Detailtreue bei der Bearbeitung von Aufgaben eventuell nicht so genau.

Diese fünf Faktoren sind jeweils nochmals in verschiedene Facetten unterteilt, welche die Persönlichkeit noch etwas umfassender auffächern. Die Ergebnisse dieser Messungen sind meist recht zutreffend und werden daher auch in der Praxis häufig genutzt.

Allerdings werden diese Faktoren nicht nur sprachlich erfasst, sondern wurden auch vor einem sprachlichen Hintergrund entwickelt. Welche Probleme das mit sich bringt, erfährst du im Folgenden.

Kritik an der Sedimentationshypothese des Fünf-Faktoren-Modells

Hinter diesem – etwas umständlichen Wort – steckt die Annahme, dass Unterschiede in der Persönlichkeit in der Sprache kodiert sind.

Daher beruht das Fünf-Faktoren-Modell auch auf einem lexikalischen Ansatz. Das bedeutet, dass die Entwicklung dieses Modells allein auf Sprache basiert. Es wurde eine große Anzahl von beschreibenden Wörtern zu Gruppen zusammengefasst und anhand von statistischen Analysen wurden die oben genannten Big Five herausgefiltert.

Das Problem daran ist nun allerdings, dass Menschen bei der Bearbeitung zu Fragebögen auf ihr Wissen über sich selbst zurückgreifen. Jeder hat ein bestimmtes Bild von sich selbst, welches sich aus verschiedenen Erfahrungen, Erinnerungen und auch den Bewertungen anderer zusammensetzt.

Unser Selbstbild entspricht nicht zwingend der Realität

So sehen wir uns selbst vielleicht als eher schüchterne Person oder als gründlichen und gewissenhaften Menschen.

Diese Einschätzungen stimmen allerdings nicht zwingend mit der Realität überein. Erinnerungen sind keine uneingeschränkt verlässliche Quelle, um Aussagen über die eigene Persönlichkeit zu treffen. Sie können von anderen beeinflusst, durch Emotionen verzerrt oder ganz einfach beim Abruf verfälscht worden sein.

Haben wir als Kind etwa ständig von unseren Eltern gesagt bekommen, dass wir zu aufgedreht seien, haben wir als Erwachsener vielleicht immer noch diese Auffassung von uns selbst – obwohl wir mittlerweile wesentlich ruhiger sind und andere Leute uns nie als aufgedrehtes Kind wahrgenommen haben.

Außerdem nehmen wir eine Situation nie hundertprozentig realistisch wahr. Dazu sind wir gar nicht im Stande. Denn unser Gehirn kann nicht alle Reize verarbeiten, die auf uns einprasseln. Zudem wird auch unsere Wahrnehmung von Erfahrungen und Einstellungen beeinflusst. Daher nehmen zwei Menschen eine Situation unter Umständen auch vollkommen unterschiedlich wahr.

Während beispielsweise die eine Person angesichts einer Prüfung in eine Stressreaktion verfällt, geht eine andere Person ganz gelassen an die Prüfungssituation heran. Andere Wahrnehmungen führen zu anderen Erfahrungen und diese wiederum zu anderen Erinnerungen. Und auf diese Erinnerungen stützen sich dann die Angaben, die wir über unsere Persönlichkeit beurteilen sollen.

Klingt nicht gerade noch einer verlässlichen Datengrundlage, oder?

Sprachliche Grenzen beeinträchtigen die Erfassung der Persönlichkeit

Erschwerend kommt noch hinzu, dass wir in unserer Sprache schnell an unsere Grenzen stoßen.

Wir können Erfahrungen und Verhaltensmuster nicht vollständig in Worte fassen. Daher ist es auch schwierig, die Persönlichkeit allein an den mentalen Konstrukten festmachen zu wollen. Schließlich unterliegen diese den sprachlichen Grenzen. Physiologische Daten, wie zum Beispiel die Herzrate oder der Blutdruck können wesentlich objektiver erfasst werden.

Hierbei ergeben sich klare Zahlenwerte. Diese sind objektiv und nicht durch falsche Erinnerungen verzerrt. Doch bei unserer Psyche sieht es nun einmal anders aus. Wir können nur jene Gefühle, Verhaltensweisen und Gedanken benennen, für die wir auch entsprechende Worte haben. So können offensichtliche Verhaltensweisen zwar benannt werden.

Doch was ist mit der Wahrnehmung und den psychologischen Phänomenen, die hinter dem Konstrukt der Persönlichkeit stecken? Wir bilden bestimmte Vorstellungen und mentale Konstrukte über bestimmte Sachverhalte und können diese anderen über die Sprache mitteilen. Diese Konstrukte über uns selbst und die Welt helfen uns im Alltag.

Mit ihnen können wir uns Sachverhalte in unserer Umwelt erklären und auch Vorhersagen über Zukünftiges machen. Wenn eine Person sich in einer bestimmten Situation mehrfach auf dieselbe Weise verhalten hat, so wird sie das vermutlich in Zukunft in ähnlicher Weise tun.

Zu verschiedenen Konstrukten hat jeder eine bestimmte Vorstellung

Doch wir können nie wissen, ob unser Gegenüber unter bestimmten Konstrukten dasselbe versteht wie wir.

Daher kann es auch sein, dass die Befragten verschiedene Fragen und Aussagen in den Fragebögen zur Persönlichkeitserfassung vollkommen unterschiedlich interpretieren. Unter abstrakten Begriffen wie „Freundlichkeit“ oder „Hoffnung“ verstehen zwar alle Menschen in etwa das Gleiche. Würde man verschiedene Personen jedoch nach einer genauen Definition dieser Wörter fragen, so würden sich zum Teil sehr verschiedene Beschreibungen ergeben.

Verschiedene Vorstellungen haben unterschiedliche Ursachen

Das liegt an verschiedenen Umständen.
So können die Ursachen in den Personen selbst liegen: Alter, Bildungsniveaus oder die individuelle Lebensgeschichte beeinflussen die Beschreibung.

Doch auch die jeweilige Situation kann sich auf eine Schilderung auswirken. Dazu zählen etwa die aktuelle Stimmung oder die gerade vorherrschenden Ziele und Motive einer Person. Die Gruppenzugehörigkeit nimmt ebenso Einfluss auf unsere Vorstellung bezüglich verschiedener Sachverhalte.

Wir werden von unserem Elternhaus im Denken beeinflusst, allerdings auch von Peer Groups. Auch die Kultur und die momentane Zeitepoche haben einen Einfluss auf unser Denken. Die schon erwähnte Sprache ist ebenfalls ein Punkt, der Grenzen setzt und hängt mit dem kulturellen Hintergrund zusammen.

Manche Sprachen haben Bezeichnungen für Phänomene, die in anderen Sprachen fehlen. So gibt es zum Beispiel in unserer Sprache Zahlen, um Mengen zu bezeichnen, während ein indigenes Volk im Amazonasgebiet lediglich zwischen „eins“, „zwei“ und „viele“ unterscheidet.

Persönlichkeitserfassung für Verhaltensvorhersagen

Ein Ziel von Persönlichkeitstests ist nicht nur die Erfassung, sondern auch die Vorhersage von zukünftigem Verhalten.

Doch diese Vorhersagen basieren auf den eigenen, fehleranfälligen mentalen Konstrukten. Gemäß der Sedimentationshypothese soll die Persönlichkeit anhand von früherem Verhalten erfasst werden.

Zukünftiges Verhalten soll demnach im Grunde mit Verhalten erklärt werden und eher weniger mit den dem Verhalten zugrunde liegenden Persönlichkeitseigenschaften. Schließlich werden diese erst mit Hilfe des vergangenen Verhaltens ermittelt. Demnach ergibt sich ein gewisser Zirkelschluss: Verhalten soll mit Verhalten erklärt werden.

Dass es da zu Fehlern in der Schlussfolgerung über die Persönlichkeit kommt, liegt doch schon irgendwie nahe. Doch wie kann die Persönlichkeit sonst erfasst werden? Sprache ist zwar ein optimales Hilfsmittel zur Kommunikation und aus dem Alltag nicht wegzudenken.

Doch bildet sie keine psychischen Prozesse ab, welche an der Persönlichkeit beteiligt sind. Die mit ihr erfassten Persönlichkeitsfaktoren, wie etwa die Big Five, sind allerdings dennoch von hohem Wert für die Psychologie. Nur bilden sie nicht das gesamte Konstrukt der Persönlichkeit ab. Als Ergänzung können Persönlichkeitsmuster anhand von Verhaltensbeobachtungen erfasst werden.

Persönlichkeitserfassung in der Gegenwart durch Beobachtungen

Der Abruf von Erinnerungen an die Vergangenheit findet in der Gegenwart statt.

Durch fehlerhafte Erinnerungen wird jedoch kein sehr realitätsnahes Bild der Persönlichkeit gezeichnet, mit welchem das zukünftige Verhalten prognostiziert werden könnte. Anstatt auf Erinnerungen zurückzugreifen, die sich auf die Vergangenheit beziehen und in der Gegenwart (sprich im Moment, da der Fragebogen ausgefüllt wird) abgerufen werden, um eine zukünftige Prognose zu erstellen, könnte alternativ nur die Gegenwart genutzt werden. Und zwar soll im gegenwärtigen Moment eine Beobachtung des Verhaltens stattfinden. Diese Beobachtung findet über verschiedene Zeitpunkte und eine gewisse Dauer hinweg statt, um damit bestimmte Persönlichkeitsmuster ausfindig zu machen.

Das Verhalten soll Aufschluss über die Persönlichkeit geben

So könnte ein verhaltensauffälliges Kind im Unterricht von einer geschulten Person beispielsweise über einen Zeitraum von 3 Wochen beobachtet werden.

Dabei würde das gezeigte Verhalten genau dokumentiert und anschließend eine Prognose über das zukünftige Verhalten angestellt werden. So würde kein verzerrtes, auf Erinnerungen beruhendes Selbstkonzept das Ergebnis eines Fragebogens verzerren.

Die Persönlichkeit würde stattdessen auf das gezeigte Verhalten zurückgeführt. Anders als bei Fragebögen sind bei Beobachtungen auch Handlungen erkennbar, die sich dem beobachteten Individuum entziehen. Wie bereits erwähnt, nehmen wir nicht jedes Detail einer Situation wahr. Die Lücken in unserer Wahrnehmung ersetzen wir erst nach und nach, damit wir rückblickend eine zusammenhängende Geschichte haben.

Bei der Selbstauskunft können wir nur auf Erinnerungen zurückgreifen, die in unserem Bewusstsein zugänglich sind. Doch bestimmen auch unbewusste Prozesse unser Handeln und Denken. Auf unser Unterbewusstsein haben wir allerdings bekanntermaßen keinen Zugriff. Diese unbewussten Phänomene werden zwar nicht in der Beobachtung sichtbar, doch zeigt sich ihr Einfluss im Verhalten.

Auch der Beobachtung sind Grenzen gesetzt

Allerdings ist auch diese Methode nicht fehlerfrei.
Schließlich kann ein Beobachter ebenso nicht alle Informationen aufnehmen, die eventuell wichtig wären.

Auch müssen die Umstände berücksichtigt werden, unter denen das Verhalten beobachtet wird. Je nach Situation gibt es verschiedene Einflüsse, die sich auf die Handlungen einer Person auswirken können.

Manche Verhaltensauffälligkeiten könnten weniger mit der Persönlichkeit des Kindes zusammenhängen als mit aktuellen Problemen im Elternhaus. Die äußeren Umstände sind sehr wichtig, um die Ergebnisse der Beobachtung richtig zu interpretieren.

Zusammenfassung

  • Du siehst also, es ist gar nicht so leicht die Persönlichkeit zu erfassen.
  • Selbstauskünfte sind aufgrund verschiedenster Einflüsse teilweise unzuverlässig.
  • Fragen werden unter Umständen missverstanden, die aktuelle Stimmung kann die Selbsteinschätzung und damit die Antworten beeinflussen oder Erinnerungen haben eine verzerrende Wirkung auf die Wahrnehmung unseres Selbst.
  • Auch kann die Sprache uns in gewisser Weise einschränken, da wir bestimmte Gedanken oder Gefühle nicht benennen können.
  • Manchmal gibt es einfach keine passenden Worte in unserer Sprache dafür. Die systematische Beobachtung des Verhaltens kann als Alternative oder Ergänzung zu Fragebögen genutzt werden.
  • Durch Verhaltensbeobachtungen kann vom gegenwärtigen Handeln auf die Persönlichkeit geschlossen und damit auch Prognosen über zukünftiges Verhalten gestellt werden. Wichtig ist allerdings auch hierbei, verschiedene Einflussmöglichkeiten im Hinterkopf zu behalten.

Über den Autor

wissen
Folge Sciodoo und bleibe stets auf dem Laufenden. Schließ dich uns an und abonniere unseren Instagram-Kanal ein. Wir stellen täglich neue Artikel für dich rein.
Weiter zum Kanal>>>
     

Ähnliche Beiträge