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Aberglaube und Glaube: Unterschiede und Gemeinsamkeiten


Das Wort „Aberglaube“ ist seit etwa dem 12. Jahrhundert, also seit dem Mittelalter, bekannt. Damals schrieb es sich „Abergloube“. Hierbei bedeutet das spätmittelhochdeutsche Wort „Aber“ so viel wie „verkehrt“, „falsch“ oder „gegen“ und kommt etwa auch im „Aberwitz“ oder in „abartig“ vor. In seiner ursprünglichen Wortbedeutung ist der Aberglaube also etwas gegen den Glauben gerichtetes oder ein falscher Glaube.

Aberglaube als Kampfbegriff für falschen Glauben

Ab dem 16. Jahrhundert, also bereits in der Neuzeit, fand das Wort Aberglaube dann weite Verbreitung. Es wurde zum Kampfbegriff der Kirche bei der Abwehr von der christlichen Lehre abweichender Glaubensinhalte und -formen, aber auch von altem Volksglauben (Heidentum) und neuen Auslegungen christlichen Glaubens in der Zeit vor der Reformation (Ketzer).

Aber was ist mit Aberglaube gemeint?
Die Vorstellung von „Aberglaube“ ist älter als das Wort selbst. Ein Blick weiter zurück ist deshalb erforderlich. Denn in der vorchristlichen griechischen Antike war mit „Superstitio“ – der Begriff hat sich als „superstition“ in der englischen Sprache als Entsprechung für Aberglaube gehalten – eine übertriebene Angst und Vorsicht im Zusammenhang mit religiösen Dingen gemeint.

Der Philosoph Plutarch erklärte alles, was man nur aus Furcht vor eigenem Schaden für die Götter tue, sei Superstitio oder Aberglaube, ebenso wie übertriebener religiöser Eifer. Für die Römer – das Wort Superstitio ist lateinisch – war diese Superstitio jeder Glaube an nichtrömische Götter, Kulte oder Praktiken.

Hier knüpften die frühen Christen an. Für sie war Religion nur die Verehrung des einen und wahren, also des christlichen, Gottes, und jeder Glaube an andere oder viele Götter wurde als Superstitio verurteilt. So hat es der Kirchenvater Lactantius gesehen, und Augustinus, wohl einer der wichtigsten Kirchenväter, hat das so übernommen. Alle nichtchristlichen Religionen sind Superstitio.

Augustinus hatte in seiner Umgebung besonders mit dem Glauben an die Wirkung von Amuletten zu tun, den er besonders verwerflich fand. Der Glaube an Magie war für ihn ein Überbleibsel der vorchristlichen Zeit und somit Aberglaube. Dämonen waren, nach seiner Auffassung, irdische Erscheinungen vorchristlicher Götter und somit ebenfalls Aberglaube. Thomas von Aquin wiederum befand, auch in der an sich richtigen Verehrung des christlichen Gottes gebe es falsche Formen, und auch die seien abergläubisch und sündhaft.

Im Zeitalter der Aufklärung stellte man dem Aberglauben erstmals das von der Vernunft bestimmte Denken auf der Basis von Logik und naturwissenschaftlichen Gesetzen gegenüber. Für die Aufklärer war Aberglaube eine Abweichung von der Vernunft. Immanuel Kant etwa stellte fest:

„Aberglaube sei der Hang, in das, was als nicht natürlicher Weise zugehend vermeint wird, ein größeres Vertrauen zu setzen, als was sich nach Naturgesetzen erklären lässt“.

Vom Aberglauben zum Volksglauben

Aberglaube waren Glaubenssätze und Handlungen, die wissenschaftlich nicht begründbar waren und nicht im Einklang mit dem erreichten Kenntnisstand einer Gesellschaft standen. In der Romantik und der im 19. Jahrhundert aus ihr hervorgegangenen Volkskunde hat der Aberglaube wiederum eine Aufwertung erfahren. Her wurde der Aberglaube als die traditionelle, überlieferte Vorstellungswelt der einfachen Leute verstanden, als „Volksglaube“.

Heute versteht man unter Aberglaube den – vor allem nicht religiösen – Glauben an das Wirken übernatürlicher Kräfte in der natürlichen Welt. Je nach Vorstellung können diese Kräfte von Dingen ausgehen, wie etwa von schwarzen Katzen, zerbrochenen Spiegeln oder vierblättrigen Kleeblättern, aber auch von Göttern, Geistern und Dämonen. Ebenso zählt zum Aberglauben der Glaube, man könne durch bestimmte Praktiken Kontrolle über diese übernatürlichen Kräfte erlangen und sie für sich nutzen.

Die Liste von Handlungen, die man begehen oder vermeiden, von Worten, die man sagen oder nicht sagen sollte, um Glück herbeizuführen oder Unglück abzuwenden, ist endlos. Der Glaube an Symbole, Amulette und Talismane zählt ebenso zum Aberglauben wie eine angenommene, nicht wissenschaftlich begründbare Verbindung eigentlich nicht verbundener Ereignisse (Vollmond führt zu schlechtem Schlaf, aber bei Vollmond geputzte Schuhe werden sauberer).

Was hier bisher über den Aberglauben im christlichen Europa gesagt wurde, lässt sich natürlich auch auf andere Weltgegenden und Kulturen übertragen. So ist etwa in Asien der Glaube an die Wirkung von Amuletten weit verbreitet, obwohl er im Buddhismus keine Begründung findet. Für den Buddha war jeder Glaube an die Wirksamkeit von Riten und Ritualen ein Hindernis auf dem Weg zur Erleuchtung, also quasi ein Aberglaube. Ganz im Sinne der Aufklärung. In Teilen Asiens sind auch magische Praktiken mit den Körpern Verstorbener (Nekromantie) häufig, obwohl sie den eigentlich geltenden Glaubenssätzen widersprechen. Sie stammen aus der Zeit des Animismus, in der Geister verehrt wurden.

Aberglaube und Glaube sind abhängig von Kultur, Wissensstand und Standpunkt

Der Begriff „Aberglaube“ ist im Prinzip immer abwertend gemeint. Vor allem ist er aber nicht konkret definiert. Was für den einen „Glaube“ ist, ist für den anderen „Aberglaube“. Die Bedeutung des Wortes hängt von den Vorstellungen der jeweils vorherrschenden Welt- und Glaubenssicht ab, aber auch von persönlichen Standpunkten und Überzeugungen. So mag für die meisten Menschen die Vorstellung, die 13 sei eine Unglückszahl, ein Aberglaube sein. Aber für ebenfalls viele Menschen gehört diese Vorstellung fest zu ihrem Glaubenssystem, von dessen Richtigkeit sie genauso überzeugt sind wie auf der anderen Seite naturwissenschaftlich geprägte Menschen, die nicht naturwissenschaftliche Erklärungen für Phänomene nicht gelten lassen.

Und aus der Sicht eines Atheisten ist jede Religion, die an die Wirkung eines oder mehrerer Götter in der Welt glaubt, Aberglaube. Denn was, wenn nicht übernatürlich, wäre denn das Handeln eines solchen Gottes? Die Erschaffung der Welt durch einen Gott ist für einen Christen genauso selbstverständlich, wie sie für einen Atheisten Aberglaube ist. Glaube oder Aberglaube ist demnach eine Frage des Standpunktes und der Sichtweise, die sich nicht objektiv beantworten lässt.


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