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Wissenschaftstheoretische Grundlage zu Freuds Psychoanalyse


Oftmals wird Freuds Psychoanalyse als philosophische Idee verstanden, ohne wissenschaftlichen Hintergrund. Dabei ist der wissenschaftliche Hintergrund genau das, weshalb Freud mit seiner Theorie berühmt wurde.

Denn schließlich gilt er nicht als Erfinder der Psychoanalyse und er führte auch nicht Begrifflichkeiten wie „Das Unbewusste“ oder „Das Ich“ in die Psychologie ein. Stattdessen gilt er als Begründer der Psychoanalyse, weil er es verstand – die Theorie in einen wissenschaftlichen Rahmen zu konzeptualisieren.

Ist Freuds Psychoanalyse eine Wissenschaft?

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erfuhr die Wissenschaft eine Revolution. Denn fortan wurden falsifizierbare Theorien entwickelt und deren Behauptungen mit Experimenten belegt oder widerlegt. Die Naturwissenschaft erhielt einen neuen Anstrich, wodurch der Erkenntnisgewinn auf eine neue Stufe gerückt wurde. Beste Aussichten hatte eine Theorie demnach, welche durch wissenschaftliche Evidenz (vollständige Einsicht) gestützt wurde.

Demzufolge wurden Experimente erdacht, welche landläufiges Wissen in Frage stellten, entkräften oder bestätigten. Bereits in der Antike beschäftigten sich Plato und Aristoteles mit einer Idee, was Wissenschaft ausmacht. Nun wurde aus dieser philosophischen Grundidee die wissenschaftliche Methode der „induktiven Philosophie“.

Noch war dieses Gebiet gänzlich neu und lediglich in einigen Fachartikeln angeführt, doch schon im Jahr 1870 wurde der erste Lehrstuhl für induktive Philosophie an der Universität von Zürich eingerichtet. Später ging daraus die Wissenschaftstheorie heraus vor, welche heute noch angewandt wird, um Theorien zu bilden, zu entkräften oder zu stützen.

Freud, welcher sein Studium 1873 an der Medizinischen Fakultät in Wien aufnahm, war somit ein Günstling seiner Zeit. Denn das breitgefächerte Studium der Humanmedizin bot genau die Methodik zur Untermauerung von wissenschaftlichen Theorien.

Später sollte Freud den Begriff, des „Unbewussten“ prägen. Jedoch ging dieser schon auf Schopenhauer zurück, welcher sich bereits 100 Jahre früher dem Thema annahm. Und bereits 1869 erschien das mehrbändige Werk „Philosophie des Unbewussten“ von Eduard von Hartmann.

Dieser nahm Schopenhauers Haltung zur Bedeutung des Unbewussten, der Rolle der Sexualität, Verdrängung, Sublimierung und die grundlegenden Gedanken zum Todestrieb auf und popularisierte diese in seinem Werk.

Alle diese Begrifflichkeiten sollten 50 Jahre später mit Sigmund Freud in Verbindung gebracht werden, obwohl diese bereits durch andere Philosophen eingeführt wurden.

Der Satz „Der Schlüssel zur Erkenntnis des bewussten Seelenlebens liegt im Unbewussten“ stammt von C.G. Carus, welcher 1846 das Buch „Psyche: Zur Entwicklungsgeschichte der Seele“ veröffentlichte. Dort entwickelte er den Begriff des „Unbewußtseins“ als göttliche Natur nach romantisch-spirituellen Motiv.

Das Unbewusste war demnach schon in aller Munde als Freud sich an der Universität immatrikulierte. Dennoch verstand es Freud später, den Begriff des „Unbewussten“ neu zu definieren, indem er die Theorie dazu konzeptualisierte. Durch sein erlangtes Wissen im Bereich der induktiven Philosophie, schaffte er eine Beweisführung für das „Unbewusste“ und konnte somit den wissenschaftlichen Rahmen liefern.

Seine Affinität zur klassischen Literatur hat er es zu verdanken, dass er einen riesigen Wortschatz aufbauen konnte – um spielerisch mit den Fachausdrücken zu jonglieren, diese besser zu umschreiben und dadurch den Begriff „des Unbewussten“ auf eine neue fachlich, nachvollziehbare Stufe zu stellen.

Letztendlich war die Wahl des Studiums genau richtig, nicht um Arzt zu werden, sondern um wissenschaftliche Methoden zu entwickeln. Seine Grundhaltung zur Literatur und Philosophie hat er es zu verdanken, dass er letztendlich zum Erfolgsautor wurde. Schließlich haben sich seine Neigungen durchgesetzt.

Durch die Vorarbeit Josef Breuers (1842 – 1925), welcher in den Jahren 1880/81 bereits praktische Erkenntnisse zum Unbewussten gewann, wurde die Tür für Freud ein weiteres Mal geöffnet. Denn Breuers Hysterie-Forschungen bei seiner Patientin Anna O. ergaben bereits erste Erkenntnisse zur Dynamik des Unbewussten.

So erkannte Breuer bereits, dass psychische Störungen, in verdrängten Kindheitserlebnissen zu finden waren. Macht seine Patientin sich diese Erlebnisse wieder bewusst, findet Heilung statt.

Die Erkenntnisse Breuers nutzte Freud später um dessen Pionierarbeit weiter voranzutreiben und die freien Assoziationen als Brücke zum Unbewussten zu entwickeln. Die Psychoanalyse ist somit der wissenschaftliche Rahmen zur Erforschung des Unbewussten. Freud gilt nicht als Erfinder der Psyche, des Unbewussten oder der Psychoanalyse, sondern als dessen wissenschaftlicher Begründer.

Wie spiegelt sich die Wissenschaft in Freuds Psychoanalyse wieder?

Im Einklang mit dem vorherrschenden Weltbild der Physik, erklärte Freud die Zusammenhänge der hysterischen Symptome. Dabei ging er auf physiologische Prozesse als eine Ursache der Hysterie ein. In diesen Theorieentwurf flossen Erkenntnisse der Neuronentheorie ein– welche bereits als wissenschaftlich fundiert galt.

Das psychoanalytische Gesamtwerk Freuds ist durchtränkt mit wissenschaftlichen Theorien aus dem Bereich der Physik und der Biologie. Besonders in der Triebtheorie verwandte Freud Begrifflichkeiten, wie Quantitäten, Erregungssumme, schrieb von elektrischen Ladungen und Gleichniszuständen, welche angestrebt werden.

Die nötigen Erkenntnisse gewann er während seiner Arbeit im Brücke-Labor. Als studentischer Mitarbeiter bzw. Assistent lernte er dort Wissenschaftler aus den Bereichen der Physik, der Anatomie und Physiologie kennen. Zum Hauptartikel: „Sigmund Freuds Studium und erste Forschungsergebnisse.“

Durch die Verwendung bereits bestehender und als anerkannt geltender Theorien, konnte er seine eigenen Theorien untermauern. Dazu musste er lediglich den allgemeinen Forschungsstand aus verschiedenen Wissenschaften betrachten, diesen verstehen und in seine Theorie einfließen lassen. Letztendlich war es seinem universellen Genie zu verdanken, dass er diese Einzeltheorien in Zusammenhang setzen und konzeptualisieren konnte.

Psychoanalyse und Wissenschaftstheorie

Die Wissenschaftstheorie ist eine Perspektive, um von außen auf eine Wissenschaft zu schauen, diese zu beurteilen und zu hinterfragen. Dabei werden für jede einzelne Wissenschaft spezifisch unterschiedliche Methoden angewandt. Es werden somit die wissenschaftlichen Theorien auf ihre logische Schlüssigkeit, ihre Widerspruchsfreiheit und die Umstände ihrer Entstehung überprüft bzw. eingeschätzt.

Weiterhin werden Daten – durch Befragungen, Interviews oder Experimente, gesammelt – um eine bestehende Theorie zu erhärten oder zu widerlegen. Dabei zeigt sich oftmals, dass die unterschiedlichen Methoden einen Einfluss auf das Ergebnis haben. Somit sind die Methoden, beispielsweise eine Befragung, nicht immer einwandfrei. Denn die Befragten können Ergebnisse verfälschen, indem sie bewusst falsche Antworten geben.

Außerdem ändern sich Methoden ständig, wonach eine Theorie damals schlüssig war, heute allerdings neue Ergebnisse liefert. Weiterhin kommt es zu Wahrnehmungsverzerrungen der Forscher, da auch selbst bei Wissenschaftlern unterschiedliche Verständnisse zu einem Sachverhalt existieren.

Um dies zu vermeiden, muss das gleiche Verständnis für einen Begriff vorliegen. Man spricht hier von einer Operationalisierung der Begrifflichkeiten. Diese legt dann fest, wie ein Begriff zu verstehen ist, ein Phänomen gemessen oder beobachtet wird.

Bestimmte psychoanalytische Begriffe wurden bereits operationalisiert. Zum Beispiel der Arbeitskreis bzw. Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD). Es handelt sich dabei um ein Diagnoseverfahren, welches von Psychoanalytikern aufgestellt wurde. Dazu wurden fünf Achsen definiert:

  1. Krankheitserleben
  2. Beziehung
  3. Konflikt
  4. Struktur
  5. Störungen

Anhand dieser 5 Achsen soll die Diagnose durchlaufen werden. Und durch die Operationalisierung sollen psychodynamische Theorien messbar gemacht werden. Denn anhand der Messung und Datenauswertung lässt sich dann logische Schlüssigkeit und Widerspruchsfreiheit feststellen. Dies wiederum würde, unter wissenschaftstheoretischer Sicht, die psychoanalytische Einzeltheorien erhärten und Therapiechancen verbessern.

Hier ein Beispiel…
Eine Patientin meldet sich beim Tiefenpsychologe bzw. Psychoanalytiker.

  • Erste Achse (Krankheit): Wie erlebt sie ihre Krankheit?, Welche Symptome werden deutlich?
  • Zweite Achse (Beziehung): Wie erlebt sich der Patient selbst und wie erleben ihn andere (auch der Therapeut)?
  • Dritte Achse (Konflikt): Welcher Konflikt liegt vor? Schuldkonflikt, Minderwertigkeitskonflikt, Ödipaler Konflikt
  • Vierte Achse (Struktur): Selbstwahrnehmung, Selbstregulierung, Kommunikation nach innen und außen
  • Fünfte Achse (Störungen): Körperlich, Psychische oder Persönlichkeitsstörungen

Anhand eines Fragebogens kann der Therapeut die Daten der Patientin aufnehmen, später immer wieder nachmessen und den Therapieerfolg vergleichen. Gleichzeitig stützt diese Datenerhebung und Auswertung die Einzeltheorien der Psychoanalyse. Denn es kann beispielsweise ein Zusammenhang zwischen Krankheit und Grundkonflikt ausgemacht werden. Tritt dieser häufiger auf, erhärtet dies die Theorie.

Psychoanalytiker nutzen dann – während ihrer Therapie – immer wieder Experimente, um den Ersteindruck zu bestätigen. Einige Therapeuten nutzen allerdings einen Fallbericht, welchen auch schon Freud verwendete. Dabei wird der Eindruck äußerst bildhaft, anschaulich und lebendig beschrieben.

Einordnung der Psychoanalyse als Wissenschaft

Aus wissenschaftstheoretischer Sichtweise ist die Einordnung sehr kompliziert. Der Psychoanalytiker Hartmann (1927) ordnete die Psychoanalyse als Naturwissenschaft ein. So verstand er die Verdrängung als physiologischen Prozess, welcher die Ursache von Neurosen ist. Das Aufheben dieser Verdrängung würde andere physiologische Kräfte freisetzen, wodurch die Neurose aufgelöst werden würde.

Der Philosoph Paul Ricoeur (1969) ordnete in seinem Werk „Die Interpretation: Ein Versuch über Freud“ die Psychoanalyse als hermeneutische Wissenschaft ein. Demnach dient die Analyse lediglich dem Erklären und der Interpretation des menschlichen Erlebens, Verhaltens und Handeln. Andere sehen in ihr eine reine Erlebniswissenschaft, welche sich auf Beobachtungen stützt, wie der deutsche Psychoanalytiker Alfred Lorenzer.

Die Psychoanalyse verfügt dennoch über eine Forschungsmethode, verschiedene Theorien und Modelle, eine Krankheitslehre und eine Behandlungstechnik. Da sie sich ausschließlich mit dem Menschen befasst, kann sie ebenfalls der Humanwissenschaften zugeordnet werden.

Die Psychoanalyse als hermeneutische Wissenschaft

Ein Modell zum Erklären wissenschaftlicher Zusammenhänge liefert das Heppel-Oppenheim-Schema bzw. auch als deduktiv-nomologisches Modell bezeichnet. Demnach kann ein kausaler Zusammenhang zwischen zwei Phänomenen, mittels natürlicher Sprache, hergestellt werden.

Das Modell besteht aus zwei Teilen, dem Explanans und dem Explanandum. Ersteres ist die Erklärung und letzteres ist der erklärende Satz. Hier ein Beispiel.

  • Gesetzmäßigkeit (Explanans): Ein Faden reißt, wenn man ein Gewicht von „x“ anhängt.
  • Bedingung (Explanans): Der Faden hat eine bestimmte Stärke. Und es existiert ein Mindestgewicht „x“, damit es überhaupt zum Riss kommt.
  • Explanandum: der Faden reißt

Die Frage, warum der Faden reißt – kann demnach auch anders gestellt werden: Nach welchen Gesetzen und aufgrund welcher Bedingungen, reißt der Faden. Es ergibt sich eine interne Logik, zu Gesetzen, Vorbedingungen und Zusammenhängen, welche formal beschrieben werden können.

So lassen sich physikalische Zusammenhänge, chemische Vorgänge ganz einfach in Bedingung, Gesetz und Zusammenhang gliedern. Dieses Verständnis von Wissenschaft war lange verbreitet, hat aber ganz klare Grenzen. Selbst in der Quantenmechanik, einem gesonderten Gebiet der Physik, weiß man heute – dass Quanten (unwillkürlich als Welle oder als Teilchen) komplett unterschiedlich auftreten.

Auch in der Biologie gibt es ähnliche Phänomene. Eine Mutation, als Evolutionsfaktor, tritt unkontrolliert und zufällig auf. Selbst in der Pharmazie führt die Einnahme eines bestimmten Medikaments nicht immer zum gleichen Ergebnis.

Und in der Psychoanalyse?
Jemand leidet an Neurose. Dann müsste das Gesetz lauten, dass unbewusste Prozesse zur Neurose führten, welche auf ganz bestimmte Sachverhalte (Bedingung) zurückzuführen sind. Und diese Sachverhalte als Grundbedingung müssen zwangsläufig immer zu einer Neurose führen.

Ist dem so?
Wahrscheinlich nicht. Dennoch ergibt die Neurose einen Sinn, welcher allerdings auf keine allgemeinen Gesetze aufbaut. Denn es spielen verschiedene Variablen in die Psyche ein, welche nicht umfassend erfasst werden können. Und nicht alle Variablen führen zwangsweise zum gleichen Ergebnis.

Stattdessen bleibt dem Psychoanalytiker nur die Hermeneutik, als Lehre von Interpretation und Auslegung. Demzufolge wird die Psychoanalyse überwiegend als hermeneutische Wissenschaft betrachtet, welche mit Traumdeutung und Assoziationen arbeitet. Der Psychoanalytiker Alfred Lorenzers gilt als Begründer der Tiefenhermeneutik, welcher eine Kulturtheorie mit der Psychoanalyse verband.


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