Intuition: Bedeutung, Entstehung, Funktionsweise und Grenzen
Wenn Menschen eine Entscheidung treffen müssen, greifen sie auf unterschiedliche Strategien zurück. Während manche zunächst sorgfältig und nach möglichst logischen Gesichtspunkte das Pro und Kontra einer Entscheidung abwägen, verlassen sich andere ganz auf ihre Intuition. Sie hören sozusagen auf ihr Bauchgefühl.
Die Intuition kommt vor allem in Situationen zum Einsatz, in denen für lange Überlegungen wenig Zeit ist oder die grundlegenden Informationen für eine Entscheidung fehlen.
Inhalt
- 1 Was ist Intuition und wie entsteht sie?
- 2 Liegen wir intuitiv automatisch richtig?
- 2.1 Das erste Ereignis, das uns einfällt, ist nicht gleichzeitig das wahrscheinlichste
- 2.2 Wie wird die Intuition beeinflusst?
- 2.3 Falsche Einschätzungen über uns selbst führen zu falschen Entscheidungen
- 2.4 Wenn der Darstellungsrahmen auch die Grenzen des Denkens bestimmt…
- 2.5 Informationen ausblenden, um am ursprünglichen Gedanken festzuhalten
- 3 Was sind die Vorteile der Intuition?
- 4 Zusammenfassung
Was ist Intuition und wie entsteht sie?
Intuition ist ein unbewusstes Phänomen, das bei unseren Entscheidungen eine wichtige Rolle spielt. Sie basiert weniger auf rationalen Überlegungen, sondern viel mehr auf automatischen Gefühlen und Gedanken. Diese kommen sehr schnell, plötzlich und ohne große Mühe auf und dienen uns daher als erste Entscheidungsgrundlage.
Mit diesem Vorgehen sind wir auch nicht allein. Denn selbst Entscheidungsträger in der Politik oder in der Geschäftswelt lassen sich meistens von einem intuitiven Gefühl leiten. Das ergab beispielsweise eine Interviewstudie des Sozialpsychologen Irving Janis im Jahre 1986.
Liegen wir intuitiv automatisch richtig?
Dem ist leider nicht (immer) so. Wenn wir auf unsere Intuition hören, lassen wir uns von verschiedenen psychologischen Prozessen leiten. Dazu zählen zum Beispiel die Verfügbarkeitsheuristik, eine systematische Selbstüberschätzung, Framing-Effekte sowie das Beharren auf unseren Überzeugungen.
Das erste Ereignis, das uns einfällt, ist nicht gleichzeitig das wahrscheinlichste
Mit der Verfügbarkeitsheuristik ist eine mentale Abkürzung gemeint. Sie kommen besonders dann zum Einsatz, wenn ein schnelles Handeln gefragt ist. In der Regel sind die daraus resultierenden Entscheidungen auch durchaus effektiv. Allerdings bestätigen Ausnahmen die Regel.
Und so kommt es, dass Heuristiken den Entscheider eben manchmal in die Irre führen. Die Ursache dafür liegt in der Funktionsweise der Verfügbarkeitsheuristik. Wir schätzen nämlich die Wahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Ereignis abhängig von der Verfügbarkeit an eine Erinnerung an ein ähnliches Ereignis ein.
Man könnte auch sagen: Der Mensch ist im Abschätzen von realistischen Wahrscheinlichkeiten ziemlich schlecht. Fallen uns bestimmte Erinnerungen schnell wieder ein, bedeutet das noch lange nicht, dass diese Ereignisse auch sehr wahrscheinlich sind. Sie treten also nicht häufiger auf, nur weil wir uns gut an sie erinnern. Unsere Erinnerung an ein Ereignis kann uns in der Hinsicht ziemlich an der Nase herumführen. Denn wir prägen uns Ereignisse besonders gut ein, wenn sie sehr schockierend oder spektakulär sind.
Ein Beispiel dafür ist der 11. September 2001. Terroranschläge wie dieser haben die Angst vor Terror in unseren Köpfen präsenter gemacht. Rein statistisch betrachtet ist jedoch der alltägliche Straßenverkehr viel gefährlicher. Doch die Bilder von beispielsweise Terroranschlägen brennen sich stärker in unser Gedächtnis ein und sind leichter wieder verfügbar.
Das führt zu der seltsamen Tatsache, dass wir etwa vorm Fliegen Angst haben, weil uns direkt Bilder eines Absturzunglücks aus den Nachrichten einfallen. Gleichzeitig machen wir uns allerdings kaum Gedanken über Gefahren, zu denen solche Bilder (noch) fehlen. Der Klimawandel beispielsweise geht derzeit noch eher langsam von statten und bisher fehlen entsprechende Bilder, die sich in unser Gedächtnis einbrennen könnten. Daher fürchten sich auch entsprechend wenige Menschen vor den Auswirkungen der globalen Erwärmung.
Wie wird die Intuition beeinflusst?
Warum wir beispielsweise mehr Angst vor dem Fliegen als vor dem Autofahren haben, erklären Psychologen anhand verschiedener Faktoren. Zum einen sind unsere Ängste evolutionär bedingt. Der Mensch hat sich im Laufe seiner Entwicklungsgeschichte nicht nur eine Angst vor Spinnen oder Schlangen angeeignet. Auch Höhe oder Enge bereiten vielen Personen Unbehagen. Und genau diese Aspekte kommen bei der Flugangst zusammen.
Zum anderen fürchten wir uns vor Dingen und Situationen, die wir nicht kontrollieren können. Ein Auto steuern wir selbst. Beim Fliegen müssen wir uns auf die Fähigkeiten des Piloten verlassen. Des Weiteren haben wir häufig Angst vor dem, was uns unmittelbar bevorsteht. Start und Landung eines Fliegers sind zwei unmittelbare (und dazu noch recht seltene) Ereignisse, die uns mit Sorge erfüllen können.
Das Autofahren hingegen erscheint uns weniger gefährlich, weil wir daran gewöhnt sind. Außerdem trägt die bereits erwähnte Verfügbarkeitsheuristik dazu bei, dass wir uns eher an Bilder von Flugzeugabstürzen als an Autounfälle erinnern. Auf diese Weise erscheinen uns Flugzeugunglücke wahrscheinlicher und gleichzeitig gefährlicher.
Falsche Einschätzungen über uns selbst führen zu falschen Entscheidungen
Die systematische Selbstüberschätzung beruht auf einem zu großen Selbstvertrauen und dem Festhalten an falschen Überzeugungen. Dadurch kommt es zur Überschätzung unserer eigenen Einschätzungen. Wir verlassen uns also nur zu häufig auf unsere eigenen Überzeugungen, selbst wenn diese nicht zutreffend sind. Das hat viele, meist negative Konsequenzen.
In der Geschichte gab es etliche Führungspersonen, die an ihren (vermeintlich richtigen) Entscheidungen festhielten und sich dennoch irrten. Auch Schüler oder Studierende schätzen sich häufig zu positiv ein, wenn es um die eigenen Fähigkeiten bei der Fertigstellung von Hausarbeiten geht. Sie glauben, ihre Arbeit in kurzer Zeit erledigen zu können, brauchen dann allerdings doch doppelt so lang.
Weil wir nicht gut darin sind, unsere Fehler richtig einzuschätzen, investieren wir unser Geld falsch, geben zu viel aus oder nehmen zu viele Aufträge an. Und das nur, weil wir glauben, dass wir später mehr Geld oder Zeit hätten als jetzt.
Wenn der Darstellungsrahmen auch die Grenzen des Denkens bestimmt…
Unsere intuitiven Entscheidungen werden auch von der Darstellung eines bestimmten Sachverhalts beeinflusst. Dabei spricht man auch von Framing- oder Rahmeneffekt. Auf welche Art und Weise uns eine Information präsentiert wird, hat Auswirkungen auf unser Denken und damit auf unsere Entscheidungen und Urteile.
Ein Beispiel dafür…
Stelle dir zwei Ärzte vor, die dich über eine bestimmte Behandlungsmethode aufklären. Der eine Arzt sagt, dass diese Behandlung eine 90-prozentige Heilungschance verspricht. Der andere Arzt gibt zu bedenken, dass die Methode in 10 Prozent der Fälle keinerlei Wirkung erzielte. Die Information ist in beiden Fällen dieselbe. Wenn Leute danach gefragt werden, welche Aussage vielversprechender klingt, dann wählen die meisten die Aussage mit der 90-prozentigen Heilungschance.
Informationen ausblenden, um am ursprünglichen Gedanken festzuhalten
Intuition kann zu den richtigen Entscheidungen führen. Allerdings nicht immer und ein weiterer Grund dafür ist der, dass der Mensch nur zu gern an seinen Überzeugungen festhält. Das tun wir selbst dann, wenn sich diese zwischenzeitlich als falsch herausgestellt hat.
Wenn wir also eine Entscheidung treffen, die auf einer (wie sich herausstellt) falschen Information basiert, bleiben wir dennoch bei unserer ursprünglichen Entscheidung. Aus dieser Tendenz resultieren häufig soziale Konflikte. Hinzu kommt, dass wir häufig nur sehen, was wir sehen wollen. Wir ignorieren Informationen, die unsere Überzeugung als falsch belegen. Gleichzeitig legen wir einen stärkeren Fokus auf jene Hinweise, die unsere Annahmen stützen.
Was sind die Vorteile der Intuition?
Du hast nun eine Reihe von Stolpersteinen kennen gelernt, die uns bei intuitiven Entscheidungen ins Straucheln bringen könnten.
Doch sollten wir uns deswegen lieber von unserer Intuition abwenden?
Definitiv nicht. Denn obwohl sie nicht immer perfekt ist, birgt sie eine Vielzahl an Vorteilen in der alltäglichen Entscheidungsfindung.
Wie sich in kognitionspsychologischen Experimenten zeigte, kann die Intuition uns sogar zu besseren Entscheidungen führen als das gründliche und rationale Nachdenken. Das widerspricht der Annahme der meisten Menschen. Denn in der Regel glauben die meisten, dass man komplexe Entscheidungen eben nicht nur auf Grundlage der Intuition treffen sollte, sondern rein rational.
So zeigte eine niederländische Forschergruppe im Jahr 2010, dass unser Gehirn ganz ohne unser bewusstes Zutun an Problemen und Entscheidungen arbeitet. Die Forscher führten Experimente mit drei verschiedenen Gruppen durch. Diese Gruppen bekamen umfangreiche Informationen zu vier verschiedenen Themenbereichen.
Die erste Gruppe sollte ihre Präferenzen direkt nach dem Lesen der Informationen angeben.
Etwas mehr Zeit hatte die zweite Gruppe. Die Mitglieder dieser Gruppe sollten sich einige Minuten lang mit den Informationen vertraut machen. Nachdem sie diese analysiert hatten, trafen sie ihre Entscheidung – und zwar etwas besser als die Teilnehmer in Gruppe eins.
Gruppe Nummer drei war nach dem Lesen der Informationen mit einer anderen Aufgabe abgelenkt worden. Im Anschluss trafen sie allerdings sie klügste Entscheidung. Ihre Gehirne hatten Zeit zur unbewussten Verarbeitung der Informationen gehabt.
Wie lässt sich Intuition trainieren
Ohne Frage gehört bewusstes Nachdenken auch zur Problemlösung und Entscheidungsfindung dazu. Allerdings kann es hilfreich sein, sich nach dem Sammeln von Informationen eine Weile nicht mit dem Thema zu beschäftigen. Gib deinem Gehirn also Zeit, selbst ein bisschen an der Sache zu knabbern und schalte dich erst später wieder in die Entscheidungsfindung ein. Es heißt also nicht umsonst, dass man eine wichtige Entscheidung erst einmal überschlafen sollte.
Unsere Intuition passt sich außerdem der Situation an. So können wir aufgrund von Heuristiken schnell reagieren. Und das ist häufig sehr nützlich. Wenn uns ein Fremder begegnet, könnte uns dieser an jemanden aus unserer Vergangenheit erinnern. Falls uns diese frühere Person bedroht hat, sind wir vielleicht einfach besser beraten, wenn unser Bauchgefühl uns auf das Wechseln der Straßenseite aufmerksam macht. Wir wissen zwar nicht, ob die fremde Person uns gefährlich werden könnte. Doch du kannst auch nicht mit Sicherheit wissen, dass sie ungefährlich ist.
Unsere Erfahrung formt unsere Intuition. Wenn du in einem bestimmten Bereich sehr viel Expertise hast, siehst du auf den ersten Blick, wenn etwas nicht stimmt. Dabei gehst du nicht bewusst erst einmal verschiedene Möglichkeiten durch. Du weißt einfach sofort, was los ist – nur ohne zu wissen, warum du es weißt. So erkennen Krankenschwestern mit viel Berufserfahrung schnell, was einem Patienten fehlt. Schachmeister erkennen auf den ersten Blick mögliche Züge. Handlungsabläufe oder Handgriffe haben sich einfach so sehr automatisiert, dass jemand direkt weiß, was er tun muss. Und das, ohne lange darüber nachzudenken.
Intuition ist also mehr als nur ein vages Bauchgefühl. Denn sie lässt sich trainieren.
Was ist nun also von der Intuition zu halten? Wie alles hat sie ihre Vor- und Nachteile. Wenn wir uns zu sehr auf unser Gefühl verlassen und das Denken vernachlässigen, kann das problematisch werden. Vor allem dann, wenn diese Gefühle auf falschen Annahmen oder Vorurteilen beruhen. Andererseits verhilft uns unsere Intuition auch häufig zu klugen und schnellen Entscheidungen. Wir sollten uns daher nicht allein auf das Denken oder das Bauchgefühl verlassen, sondern fahren mit einer gesunden Mischung aus beidem am besten.
Zusammenfassung
- Intuition basiert auf schnellen und automatischen Gedanken und Gefühlen.
- Viele Entscheidungen werden allein auf der Basis von Gefühlen getroffen – selbst in der Politik.
- Die Intuition kann uns zu effektiven Entscheidungen verhelfen, uns jedoch auch in die Irre führen.
- Vermeintlich sichere Annahmen können trügen. Heuristiken, systematische Selbstüberschätzung, das Festhalten an Überzeugungen und Framing-Effekte sind eine schlechte Basis für intuitive Entscheidungen.
- Vorteilhaft ist die Anpassungsfähigkeit der Intuition. Diese lässt sich auf verschiedene Situationen anwenden und wächst mit zunehmender Expertise in einem Bereich.
- Eine Kombination aus intuitivem und rationalem Denken ist im Normalfall von Vorteil. Der Einbezug beider Bereiche in die Entscheidungsfindung ist sehr nützlich.