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3 Gründe, warum die Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg stattfanden


warum fanden die kriegsverbrecherprozesse in nürnberg statt

Die Kriegsverbrecher des Hauptprozesses: von links: Göring, Heß, von Ribbentrop, Keitel (vorne), Dönitz, Raeder, von Schirach und Sauckel (dahinter).

Obwohl nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der internationale Militärgerichtshof in Berlin eingerichtet wurde, fanden die Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg statt. Das hatte verschiedene Gründe, pragmatische, historische und symbolische.

  • Pragmatische, weil in Nürnberg der Justizpalast und das dazugehörige Gefängnis den Krieg unbeschadet überstanden hatten und die USA als Siegermacht die Kriegsverbrecherprozesse nicht in Berlin, sondern auf ihrem Territorium durchführen wollten.
  • Historische, weil in Nürnberg schon die Reichstage der römisch-deutschen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation abgehalten wurden und weil seit 1925 die NSDAP aus eben diesem Grund in Nürnberg ihre Reichsparteitage abhielt.
  • Symbolische, weil die Nationalsozialisten sich in Nürnberg pompös feierten und sie deshalb genau hier auf das reduziert wurden, was sie wirklich waren: Verbrecher.

Die Bedeutung Nürnbergs im Mittelalter

Im Jahr 1356 verpflichtet der römisch-deutsche Kaiser Karl IV. jeden seiner zukünftigen Nachfolger dazu, den jeweils ersten Hof- und Reichstag in Nürnberg abzuhalten. Dieses Gesetz wurde in der Goldenen Bulle festgehalten. Hierbei handelt es sich um das kaiserliche Gesetzbuch, eine Art Grundgesetz des Heiligen Römischen Reiches. Sie war bis zum Ende des Reiches in Kraft, konkret bis zur Niederlegung der Reichskrone und die eigenmächtige Auflösung des Reiches durch den römisch-deutschen und österreichischen Kaiser Franz II. im Jahr 1806. Heute gehört die Goldene Bulle zum Weltdokumentenerbe der UNESCO.

Die in der Goldenen Bulle festgehaltenen Hoftage waren Versammlungen, zu denen sich die Großen des Heiligen Römischen Reiches trafen, allen voran die Könige oder der Kaiser und die Kurfürsten. Es ging um Belange, die den Herrscher betrafen. Reichstage hingegen waren Treffen der Reichsstände als eine Art Gegengewicht zur kaiserlichen Zentralgewalt. Die Themen, über die hier beraten wurden, bezogen sich auf das Reich. Im Laufe der Zeit wurden die Hoftage mit den Reichstagen zusammengelegt, sodass es nur noch Reichstage gab, die aber weiterhin nur der Kaiser einberufen konnte.

Nürnberg war von 1424 bis 1801 zudem im Besitz der Reichsinsignien, den sogenannten Reichskleinodien. Der römisch-deutsche König Sigismund übergab sie der Stadt zur dauerhaften Aufbewahrung. Es handelte sich hierbei um die Herrschaftsinsignien der Könige und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, wie die Reichskrone, das Reichsschwert und die Heilige Lanze. Heute befindet sich der Kronschatz in der Wiener Hofburg, wohin er aus Sicherheitsgründen zum Schutz vor den Truppen Napoleons von Nürnberg aus überführt wurde. Es handelt sich um den einzigen, fast vollständig erhaltenen Kronschatz aus dem Mittelalter.

Nürnberg, Führerstadt und Stadt der Reichsparteitage

Die neuere Geschichte kennt die Stadt Nürnberg als „Stadt der Reichsparteitage“. Diesen „Ehrentitel“ trug die Stadt Nürnberg als Beinamen von 1936 bis 1945. Wenn heute von den Reichsparteitagen die Rede ist, sind damit immer die der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) gemeint. Sie wurden schon 1923 in München, 1926 in Weimar und 1927 und 1929 in Nürnberg abgehalten. Während die Reichsparteitage immer wieder aus finanziellen Gründen ausgesetzt wurden, fanden sie nach der Machtübernahme ab 1933 dann als riesige Propagandaveranstaltungen der Staatsführung um Adolf Hitler nur noch in Nürnberg statt. Dies hatte zunächst rein pragmatische Gründe:

  • Nürnberg lag recht zentral im Deutschen Reich.
  • Die Stadt hatte eine geeignete Versammlungsstätte für Großveranstaltungen (Luitpoldhain).
  • Die NSDAP war in Franken gut organisiert.
  • Die Nürnberger Polizei verhielt sich der Veranstaltungen gegenüber wohlwollend.

Später rückten diese pragmatischen Punkte in den Hintergrund und andere, die den Mythos der Stadt hervorhoben, wurden zur Erklärung der Wahl Nürnbergs als Veranstaltungsort herausgestellt:

  • In Nürnberg fanden im Mittelalter die Reichstage der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation statt.
  • Die Partei Adolf Hitlers stellte sich nachträglich in diese Tradition.

Ab 1934 wurden diese Partei-Veranstaltungen als Reichsparteitage des Deutschen Volkes bezeichnet und dauerten sieben, später dann acht Tage. Es waren zuletzt über eine halbe Million Besucher anwesend, die meisten davon waren Parteiangehörige, Angehörige der Wehrmacht und des Staates.

Neben Linz, der Geburtsstadt Hitlers, wurden München, Hamburg, Berlin und Nürnberg als Führerstädte bezeichnet und ausgezeichnet. Der Titel „Führerstadt“ wurde von Adolf Hitler persönlich verliehen. Ausgewählte Architekten, wie beispielsweise Albert Speer, wurden mit städtebaulichen Umgestaltungsmaßnahmen betraut.

Der Internationale Militärgerichtshof

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde im August 1945 von den Alliierten ein Internationaler Militärgerichtshof zur Verurteilung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen gegen den Frieden begründet. Als Tagungsort wurde der Justizpalast in Nürnberg gewählt. Die sogenannten Nürnberger Prozesse fanden zwischen dem 20. November 1945 und dem 14. April 1949 statt. Es gab den Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher und außerdem zwölf Nachfolgeprozesse.

Die Begründung eines Internationalen Militärtribunals, kurz IMT, war schon seit dem 1. November 1943, also noch während des Krieges, eine beschlossene Sache. Die USA, Großbritannien und die Sowjetunion bekräftigen damals in der sogenannten Moskauer „Erklärung über deutsche Gräueltaten im besetzten Europa“, auch Moskauer Deklaration genannt, dass die NS-Verbrecher zur Verantwortung gezogen werden. Das IMT wurde dann unter Einbeziehung Frankreichs am 8. August 1945 in London, auf Grundlage des sogenannten Londoner Viermächte-Abkommens geschaffen.

Damit besaß zum ersten Mal in der Geschichte ein internationales Gericht die Vollmacht, Führungsmitglieder (Politiker und Militärs) eines Staates persönlich für Verletzungen des Völkerrechts und für ihre individuelle Schuld zu verurteilen. Das IMT war das Vorbild und ermöglichte später die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshof im niederländischen Den Haag. Für das moderne Strafrecht war der erste Nürnberger Prozess ein Meilenstein.

Am 18. Oktober 1945 fand die Eröffnungssitzung des IMT in Berlin statt, wo das Militärtribunal auch tagen sollte. Doch auf Drängen der USA wurde der Sitz des Internationalen Militärgerichtshofs nach Nürnberg verlegt. Die Prozesse sollten in Süddeutschland, also in ihrer Besatzungszone stattfinden. Nürnberg bot sich an, weil der dortige Justizpalast mit seinen 80 Verhandlungssälen und seinen 530 Büros den Krieg fast unbeschädigt überstanden hatte. Er bot also genug Platz. Zudem befand sich nebenan ein unzerstörtes Gefängnis. Dies waren nach Robert H. Jackson, dem US-Hauptankläger, die offiziellen und ausschließlich pragmatischen Gründe, weshalb die Wahl auf Nürnberg fiel.

Die Nürnberger Prozesse

Im Hauptkriegsverbrecherprozess, dem ersten Nürnberger Prozess, klagten die alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs (USA, Großbritannien, Sowjetunion und Frankreich) insgesamt 24 Funktionäre und sechs Organisationen an. Letztendlich wurden gut 200 Nationalsozialisten angeklagt und 36 von ihnen zum Tod verurteilt. Es waren Personen aus der Politik, dem Militär, der Verwaltung und der Wirtschaft.

Die Einführungsrede des US-amerikanischen Hauptanklägers Robert H. Jackson beinhaltete folgende Worte, die noch heute große Bedeutung haben:
„Dass vier große Nationen, erfüllt von ihrem Siege und schmerzlich gepeinigt von dem geschehenen Unrecht, nicht Rache üben, sondern ihre gefangenen Feinde freiwillig dem Richtspruch der Gesetze übergeben, ist eines der bedeutsamsten Zugeständnisse, die die Macht jemals der Vernunft eingeräumt hat.“

Der Hauptprozess in Nürnberg

Am 20. November begann der Hauptprozess im Nürnberger Justizpalast. Es wurden 24 Personen angeklagt und 12 von ihnen zum Tode verurteilt. Adolf Hitler, Joseph Goebbels und Heinrich Himmler hatten zuvor schon Selbstmord begangen. Der Anklage nach Artikel 6a, b und c der IMT-Charta lautete:

  • Gemeinsamer Plan oder Verschwörung
  • Verbrechen gegen den Frieden
  • Kriegsverbrechen
  • Verbrechen gegen die Menschlichkeit

In den Nachfolgeprozessen wurden weitere 177 Personen angeklagt. Von diesen wurden 24 zum Tode verurteilt, aber nur 13 Todesurteile wurden vollstreckt. Zwanzig Personen wurden zu lebenslanger Haft und 98 zu teilweise langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, von denen aber in den 1950er-Jahren unter Konrad Adenauer viele vorzeitig aus der Haft entlassen wurden. 25 Personen wurden freigesprochen.

Beispielhafte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

Die Alliierten zeigten in den Prozessen, dass sie nicht dem deutschen Volk, sondern Einzelnen die Schuld für die Verbrechen während der Nazi-Zeit zuschrieben. Den Deutschen sollte nach dem Ende des Dritten Reichs vor Augen geführt werden, wie ein Rechtsstaat und Demokratie funktionieren.

Der Nürnberger Prozess war ein „Dokumentenprozess“, in dem auch filmische Beweismittel verwendet wurden und eine große Rolle spielten. Beim Vormarsch der alliierten Siegermächte waren Filmteams dabei, die die Zustände in den Konzentrations- und Vernichtungslagern festhielten.

„Reeducation“

Die Nürnberger Prozesse wurden von den US-Amerikanern auch als Umerziehungsmaßnahme angesehen („Umerziehung durch Recht“). Den Deutschen sollte vor Augen geführt werden, welche Gräueltaten die Nazis begangen haben. In der Stadt der großen Propaganda-Veranstaltungen der NSDAP während der Hitler-Diktatur hatte die „Reeducation“ auch einen immens symbolischen Charakter. Die Nürnberger Prozesse waren auch Aufklärungsarbeit. Journalisten aus der ganzen Welt waren bei den Prozessen anwesend und berichteten über die Verbrechen der Nationalsozialisten.

Offensichtlich hatten die Deutschen zu dieser Zeit kein Interesse an Aufklärung. Denn es waren in den darauffolgenden Jahren nicht nur die politischen Parteien in Deutschland, die eine Politik der Amnestie verfolgten. Es waren auch die beiden großen christlichen Kirchen, die gegen eine Entnazifizierung und gegen eine Strafverfolgung der Nationalsozialen agierten. Sie riefen zum Teil sogar zum passiven Widerstand gegen die Entnazifizierung auf.

Täter sahen sich als Opfer

In Deutschland gab es Kritik gegen die Nürnberger Prozesse und gegen den Internationalen Militärgerichtshof. Nicht nur die Angeklagt sahen sich als Opfer einer „Siegerjustiz“, auch das deutsche Volk fühlte sich grundlos verurteilt:

  • die Kriegsverbrechen der Alliierten würden nicht thematisiert
  • die Alliierten als Siegermächte hätten keine Legitimation, die Strafverfolgung hätte durch die eigene Justiz geschehen sollen. Die Urteile wären deswegen ungerecht.
  • die anglo-amerikanische Rechtstradition könnte nicht Grundlage einer Rechtsprechung in Deutschland sein. Angeklagte und Verteidiger würden dadurch unfair benachteiligt.
  • den Siegermächten ginge es in ihren inszenierten „Stellvertreterprozessen“ lediglich um den Beweis einer „Kollektivschuld“ der Deutschen

Dass diese Prozesse in Nürnberg, der ehemaligen Führerstadt und Stadt der Reichsparteitage stattfanden, trug sicher zu einem Gefühl der Demütigung durch die Siegermächte bei.

Aus der Stadt, in die noch wenige Jahre zuvor Hunderttausende reisten, wenn die Hitler-Partei sich wieder einmal groß und machtvoll inszenierte, wurden Bilder der deutschen Führungselite gesendet, wie sie auf der Anklagebank sitzt und auf ihre Verurteilung durch die Sieger wartete. Statt großer Selbstdarstellung eines sich als überlegen fühlenden Volkes nun Bilder eines Häufchen Elends, das sich über Jahre hinweg vorführen lassen musste. Die Nürnberger Prozesse nagten am Selbstbewusstsein der Deutschen. Das war auch der Grund dafür, weshalb sich die CDU mit der SPD und die Katholische mit der Evangelischen Kirche wie selten einig waren, die Verurteilungen und Maßnahmen der Siegermächte schon in den 1950er-Jahren wieder rückgängig zu machen und zu unterlaufen.


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