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Sigmund Freuds Parisreise zur Salpêtrière & die Arbeit mit Charcot


Sigmund Freud wurde 1885 zum Privatdozenten an der Universität in Wien. Im Oktober erhielt er ein Reisestipendium, weshalb er eine halbjährige Parisreise antrat. Im Pariser Hospital „Salpêtrière“ arbeitete zur damaligen Zeit der Neurologe und Hypnotiseur Jean Martin Charcot. Die Zusammenarbeit mit Charcot sollte Freuds Karriere verändern.

Sigmund Freuds Parisreise

Seit 1882 hatte das Pariser Hospital de la Salpêtrière eine eigenständige neurologische Abteilung, welche von Charcot ins Leben gerufen und etabliert wurde. Diese Abteilung war die erste ihrer Art, weshalb die Anziehungskraft – welche Charcot in Wissenschaftskreisen genoss – dementsprechend groß war.

Als feststand, dass Freud nach Paris reisen durfte, schrieb er an seine Verlobte Martha Bernays (20.06.1885), dass er sie zuerst in Hamburg besuchen werde, dann in Paris ein großer Gelehrter werden und sie danach heiraten würde.

Doch die Realität sah zunächst ganz anders aus. Das Reisestipendium war auf 600 Gulden dotiert. Um am Pariser Leben teilhaben zu können, borgte sich Freud weiteres Geld von seinem Freund Josef Paneth. Dieser war Nachfolger Freuds im Brücke Institut gewesen, legte etwas Kapital an, welches Zinsen abwarf. Von diesen Zinserträgen sollte Freud nun die Fahrten nach Martha bezahlen und sein Pariser Leben finanzieren.

Nach mehrmonatigem Aufenthalt bei Martha in Hamburg-Wandsbek, reiste Freud weiter nach Paris. Dort nahm man den Wiener Mediziner anfänglich kaum wahr. Und auch die Weiterbildung bei Charcot lief müßig an. Freud verwendete seine Zeit darauf, Paris kennenzulernen. Er besuchte das Theater, durchstreifte stundenlang den Louvre und war beeindruckt von Notre-Dame.

Am 19. Oktober 1885 schrieb er Martha, dass Paris eine Welt wie ein Traum sei. Er berichtete ihr von seinen Eindrücken auf den Champs-Elysees, den Gärten der Tuilerien oder dem Friedhof Pere-Lachaise.

Martha zeigte sich etwas eifersüchtig, was Freud überhaupt nicht gefiel. Und so schrieb er zurück, dass er in Paris lediglich allein herumläuft, so viele Sehenswürdigkeiten auch wieder nicht anschaut und dass seine Mittel begrenzt sind, da sein Zimmer in der Impasse Royer-Collard bereits 55 Francs kosten würde.

Sigmund Freuds Lehre bei Jean Martin Charcot

Schließlich rückte Freud, durch ein Empfehlungsschreiben des Wiener Nervenarztes Moritz Benedikt, nun doch mehr in die Gunst von Charcot, welcher ihn bis dahin wenig beachtete. Außerdem gab Freud an, dass er die Vorlesungen des berühmten Franzosen ins Deutsche übersetzen würde, wodurch ihm endlich die Aufmerksamkeit zukam, welche er sich von Anfang an erhofft hatte.

Freud bewunderte Charcot und zu Martha schrieb er, dass Niemand bisher so auf ihn wirkte. Aus den Vorlesungen des Franzosen geht er heraus, wie nach einem Besuch des Louvre – so Freud. Er fühlte sich gesättigt, wie nach einem Theaterbesuch – so Freud weiter.

Jean Martin Charcot hatte bereits große Verdienste, auf dem Gebiet der Geisteskrankheiten zu verzeichnen. Seinen Ruf verdankte er aber auch seinen Erfolg bei der Heilung von Hysterie. Heute aus dem medizinischen Wortschatz verschwunden, war Hysterie im 19. Jahrhundert eine mystische Krankheit, welche man Frauen zusprach.

Hysterikerinnen litten an Lähmungen, Sprachstörungen oder Panikanfällen, wie der Bericht Freuds und Breuers zur Patientin Anna O. zeigen sollte. Lange Zeit glaubten Mediziner, dass die Hysterie (lat. Hystera: Gebärmutter) eine Störung der Gebärmutter sei. Demnach konnten auch nur Frauen daran erkranken, wenn ihnen der Beischlaf fehlte.

Dieses antike Bild der Krankheit hielt sich lange und war auch in den Köpfen einiger Mediziner im 19. Jahrhundert vornehmlich vertreten. Gleichzeitig glaubte man, dass Hysterie eher eine Simulation war, anstelle einer echten Krankheit. Die erkrankte Frau simuliert demnach ihre Symptome und fungiert als gute Schauspielerin. Somit wurde die Krankheit und auch die Patientinnen ziemlich entwürdigt und stiefmütterlich behandelt.

Charcot hatte damit begonnen, das Hospital de la Salpêtrière wieder aufzubauen. Einst war dies ein Arsenal für Salpeter gewesen, welches Ludwig XⅢ. erbauen ließ. Dann wurde es zu einem Armenhaus, in welchem Bettler, Prostituierte und Geisteskranke einzogen. Seit 1882 hatte Charcot damit begonnen das größte Armenhaus von Paris in das wichtigste neurologische Forschungszentrum Europas zu verwandeln.

Charcot, welcher im Aussehen, Gestik und Mimik an Napoleon Bonaparte erinnerte – befreite die hysterischen Frauen von ihrem Simulationsvorwurf, indem er ihr Leiden als echte Krankheit nachwies. Der „Napoleon der Neurose“, wie er auch genannt wurde – wies nach, dass traumatische Erlebnisse und Verletzungen des Nervensystems zu hysterischen Anfällen führen konnten.

Weiterhin war es ihm gelungen, die Krankheit in verschiedene Erscheinungsformen zu klassifizieren und zu beschreiben:

  • petit hysterie (kleine Hysterie): kleine Anfälle
  • grande hysterie (große Hysterie): große Anfälle, auch Kloßgefühle im Hals und brückenartige Beugung des Rückens

Durch den Einsatz von Hypnosen konnte Charcot die Leiden seiner Patienten, zu jedem Zeitpunkt, hervorrufen. Somit hatte er bewiesen, dass diese Krankheit nur in der Vorstellung des Patienten existieren würde. Sie war demnach eine vorrübergehende Beherrschung des Gehirns, als Folge einer Reaktion aufgrund gewisser Umstände.

Hypnose war zur damaligen Zeit keineswegs angewandte Praxis und stand im Verruf, lediglich ein Schauspiel zu sein. Denn der Arzt Franz Anton Mesmer vertrat am Ende des 18. Jahrhunderts eine Lehre des animalischen Magnetismus bzw. auch Mesmerismus genannt. Mesmer war als Wundertäter bekannt, aber auch als Scharlatan verschrien gewesen. Er erklärte die Macht der Hypnose damit, dass im Menschen eine elektromagnetische Kraft wirkt, welche man durch das Mesmerieren bzw. Magnetisieren hervorrufen kann.

Freud selbst hatte einmal eine Vorstellung des Magnetiseurs Carl Hansen besucht, war allerdings skeptisch gegenüber der Methode geblieben. Nun holte Charcot das Spektakel von der Schaustellerbühne ins Labor von Salpêtrière. Die Vorlesungen mit Vorführung wurden gut besucht. In Freud keimte ein Interesse an dieser Methode und an Charcots wissenschaftlichen Theorien auf, wenngleich die Behandlung anders aussah.

Denn nach außen hin als humane Behandlungsmethode bezeichnet, wurde die Magnetisierung lediglich vorgetragen, um die Krankheit nachzuweisen. Behandelt wurden Nervenkrankheiten genauso wie auch in Wien, auf der Psychiatrischen Station von Professor Meynert, auf welcher Freud zwischen 1882 und 1885 arbeitete. So gehörten Wasser- und Elektrotherapie, genauso dazu wie Folter und die Zwangsjacke.

Dennoch war Freud so begeistert, dass er die neue Lehre in Deutschland und Wien bekanntmachen wollte. In einem Brief an seine Verlobte schreibt Freud von einem Durchbruch und sieht sich seinen alten Lehrern (Nothnagel) überlegen. Er will sich fortan der Erforschung der Psychosen widmen und damit seinen wissenschaftlichen Durchbruch erzielen.

Um Werbung für sich und seine Privatpraxis zu machen, nahm er sich vor – einen Vortrag über die neuen Erkenntnisse in der Hysterie-Forschung zu halten. Gleichzeitig war dies der Abschlussvortrag seiner Parisreise, also Pflichtprogramm für seine Kollegen. Doch Freud wollte Charcots Auffassungen und Erkenntnisse bahnbrechend präsentieren, die Neuerungen herausstellen und somit das angestaubte Weltbild Wiens ins Wanken bringen. Aber sein Hysterie-Vortrag vom Oktober 1886 führte zu Empörung und Unverständnis in den Wissenschaftskreisen Wiens.


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