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Sigmund Freuds Selbstanalyse und eigener Grundkonflikt


In den Jahren zwischen 1896 und 1899 unterzog sich Sigmund Freud einer Selbstanalyse. Diese legendäre Zeit bildet die Grundlage für Freuds Werk „Die Traumdeutung“.

Sigmund Freuds Selbstanalyse als Grundlage der Traumdeutung

Im Frühsommer 1896 erkrankte Sigmund Freuds Vater. Der Zustand von Jakob war kritisch und sein Sohn Sigmund wünschte ihm einen schnellen Tod. Dieser war ihm nicht vergönnt und so zog sich Jakobs Leidensweg über vier Monate hin, bis er verstarb.

Der Tod des Vaters löste in Freud eine psychische Krise aus. Er musste erkennen, dass seine Gefühle für den Vater äußerst gemischt gewesen waren. Auf der einen Seite war er dem Vater dankbar dafür, dass dieser seinen Werdegang immer unterstützt hat. Gleichzeitig empfand Freud seinen Vater immer als zu weich oder zu schwach, weshalb er ihm dies zum Vorwurf machte.

Freud, welcher schon als Kind gelegentliche seine Traumerlebnisse aufschrieb, begann nun heftig zu träumen. In diesen Träumen traten Erinnerungen an seinen Vater hervor. Diese waren entweder offensichtlich oder durch Symbole verzerrt oder versteckt.

Freud erkannte durch die Analyse seiner Träume, dass die Beziehung zum Vater doch nicht so eindeutig war, wie sie schien. So erkannte Freud, dass des Vaters Erfolglosigkeit ihn als Kind stark enttäuschte. In einem Traum kehrten Kindheitserinnerungen zurück, bei welchen der Vater durch einen Antisemiten gepeinigt wurde und dies stillschweigend hinnahm. Der Antisemit schlug Jakobs Fellmütze vom Kopf, worauf Freuds Vater diese nichtssagend aufhob und weiterging.

Ohne es bewusst zu wissen, hat sich Sigmund Freud damals geschworen, seinen Vater zu rächen. Und erst nach dessen Tod fiel ihm dieses Erlebnis in seiner Gänze wieder ein. Die Wut, welche er damals empfand, äußerte sich zuerst in seinem Ehrgeiz darin, der Welt etwas beweisen zu müssen und später den Vater unbedingt übertrumpfen zu müssen.

Sigmund Freud erkannte durch Selbstanalyse und eigener Traumdeutung, dass sein Vater eine klaffende Wunde in ihm hinterlassen hatte. Dessen unterwürfige Art verstand Freud als Feigheit. Seine Aufgabe war es ein Bild von sich zu hinterlassen, welches sich von Jakobs Mittelmäßigkeit abhob.

Freud Bindung zu seinem Vater beruhte scheinbar nicht nur auf Liebe, sondern war ein Gemisch aus Liebe, Mitleid und Hass. Durch des Vaters weichen Charakter suchte sich der junge Freud kindliche Vorbilder, welche Stärke und Autorität versprachen. Erst nach des Vaters Tod erkannte Sigmund Freud, dass seine kindliche Affinität für Militär, große Kriegsführer und Generäle lediglich eine Kompensation für seinen zu weichen Vater darstellten.

Während dieser Zeit unterhielt Sigmund Freud einen engen Kontakt zum Berliner HNO-Arzt Wilhelm Fließ. An diesen schrieb er 1897:

„Der Hauptpatient, der mich jetzt beschäftigt, bin ich selbst.“

Sigmund Freuds Selbstanalyse als Reaktion auf psychisches Leid

Ernest Jones, ebenfalls Psychoanalytiker und erster Freud Biograf, bescheinigte Sigmund Freud eine Psychose während dieser Zeit. Diese äußert sich in seinem Drang, etwas unbedingt erreichen zu wollen. Zu müssen, um jeden Preis. Die Briefe an Wilhelm Fließ, welche 1985 veröffentlicht wurden, geben ein Zeugnis dieser Zeit.

In diesen Briefen wird deutlich, wie stark Freud unter dem Drang etwas Besonderes sein zu wollen, gelitten haben muss. Wilhelm Fließ war Empfänger dieser Botschaften, welche sich um Aufmerksamkeit sehnend, von Leid klagend und um Mithilfe bittend verstehen.

Freud behandelte in dieser Zeit tagsüber seine Patienten und studierte bis tief in die Nacht an sich selbst und seinem Gedankengerüst. Die Erforschung der Hysterie, worauf sich die spätere Psychoanalyse, begründet – war unzureichend und die Methoden immer noch waghalsig.

Zu seinen Patienten zählte Freud zahlungskräftige Frauen und durch die Arbeit mit ihnen, erhielt er psychische Fährten, welchen er nachging. So langsam stellten sich Muster ein und Freud erkannte hinter den Analysen seiner Patientinnen gewisse Gemeinsamkeiten. Scheinbar hatten alle einen kindlichen Konflikt ausstehen müssen, welcher sich nun im Erwachsenalter äußert. Freud glaubte, dass dieser Konflikt ein sexueller wäre, bei denen es um kindlichen Missbrauch ginge.

Aus Drang nun endlich einen Erfolg zu haben, ging er diesen Missbrauchsfantasien nach. Egal was die Patientinnen ihm erzählten, überall sah er den Missbrauchskonflikt, welcher sich nun in Symbolen äußerte. Eine Patientin erzählte ihm, dass sie träumte, dass sie einen großen Hut getragen hätte und im Traum an Soldaten vorbeilief. Freud glaubte daraufhin, dass der Hut und die übergroßen Stülpen ein Symbol für einen Penis seien.

Wenn er seine Patienten mit den kindlichen Missbrauchstheorien konfrontierte, wurden diese entschieden zurückgewiesen. Freud glaubte dadurch, dass entweder die Patienten schuld seien und ihren eigenen Konflikt nicht sehen können. Oder er vermutete hinter der entschiedenen Ablehnung eine Spannung zu dem Thema, was seine Theorie zusätzlich verstärkte.

Egal wie die Patientinnen reagierten, alles war ein Anzeichen für den Missbrauchskonflikt. Freud machte sich somit immun gegen andere Standpunkte und verlief sich immer weiter in dieser Theorie. Er stellte dieses Konzept seinen Wiener Kollegen vor, welche dies als „wissenschaftliches Märchen“ abtaten.

Arroganz ist immer ein Abwehrversuch, um Erfolglosigkeit zu überspielen. Und so reagierte Freud ebenfalls überaus arrogant auf die Wiener Wissenschaftsgesellschaft. Er stellte sich über sie, indem er ihre Boykottversuche an seiner Theorie als Folge eines Mangels an Intelligenz beschrieb.

Der Wunsch nach Entsprechung und Glaubwürdigkeit seiner Theorie war so groß, dass Sigmund Freud zeitweise sogar selbst daran glaubte, dass sein Vater ihn sexuell missbraucht hätte. Wahrscheinlich wäre diese Vorstellung des kranken Egos besser gewesen, als irgendwann als gewöhnlicher Mensch und ohne bestehende Theorie dahinzuscheiden.

Angetrieben wurde Freud zusätzlich durch Wilhelm Fließ. Dieser glaubte, dass der menschliche Körper gewissen Zyklen unterliegt. Der weibliche Zyklus beträgt 28 Tage, entsprechend der Menstruation. Und der männliche Zyklus entspricht, laut Fließ, 23 Tage.

Anhand dieser Zyklen lassen sich menschliche Krisen, Krankheiten und das Todesdatum berechnen. Durch die Theorien von Fließ glaubte Freud, dass er selbst nur 51 Jahre alt werden würde. Seine größte Befürchtung war es, dass er bis dahin keinen geistigen Nachlass zustande bringen könnte.

Dieser zusätzliche Zeitdruck bestärkte ihn in seinem Handeln und sorgte dafür, dass er jede mögliche aber auch abnormaler Theorie folgte. Am Ende seiner Selbstanalyse musste Freud erkennen, dass seine Missbrauchs- bzw. Verführungstheorie nicht stimmig genug schien. Stattdessen glaubte er nun daran, dass jedes Kind eine Phase durchmacht, welcher er als ödipal beschrieb.

Diese Phase frühkindlicher Sexualität erzeugt im Kind ein Verlangen zum andersgeschlechtlichen Elternteil. Irgendwann stellt das Kind fest, dass es diesen andersgeschlechtlichen Elternteil nicht besitzen kann und dass dieser bereits vergeben ist. Dann kommen große Schuldgefühle beim Kind auf, wodurch der Inzestwunsch ins Unbewusste verdrängt wird. Im Erwachsenalter äußern sich die Wünsche wieder, tauchen allerdings als Symbole auf.

Bei einigen Hysterikern scheinen dann frühkindliche Missbrauchsideen (Symbol für verdrängten Inzestwunsch) zu keimen, welche Freud nun als ödipale Gedanken abspeiste.

Am Ende seiner Selbstanalyse (1900) standen drei große Theorien im Raum, wodurch die Psychoanalyse begründet schien:

  1. Traumdeutung
  2. freie Assoziation
  3. Ödipustheorie
  4. Diese drei Theorien wurden nie wieder verworfen, lediglich angepasst. Spätere Theorien zum Trieb, zum Strukturmodell und die infantile Sexualität bauen auf diesen drei Bausteinen auf. Mit der Traumdeutung lassen sich Symbole erkennen, welche in der freien Assoziation (Gesprächstherapie) zu verständlichen Mustern werden. Im ödipalen Konflikt sah Freud ein Grundthema der menschlichen Psyche, welche dessen Neurosen erklärbar macht.


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