So hängen Sprache und Denken zusammen
Sprache und Denken beeinflussen sich gegenseitig, sind sogar voneinander abhängig. Allerdings ist davon auszugehen, dass das Denken vor der Sprache da war und diese erst ermöglichte.
Dennoch hat die Sprache einen Einfluss darauf, wie wir beispielsweise Zeit und Raum wahrnehmen. Unterschiedliche Sprachen handhaben diese Themen auf verschiedene Art und Weise. Das führt zu unterschiedlichen Denkweisen in bestimmten Bereichen, welche auf die sprachlichen Unterschiede zurückzuführen sind.
Sprache kann darüber hinaus als Verstärker für die kognitiven Fähigkeiten dienen. Allerdings sind Probleme mit der Sprache nicht gleichbedeutend mit einer geringen Intelligenz. Beim Erlernen einer neuen Sprache eröffnen sich uns gleichzeitig auch neue Denkweisen.
Inhalt
Zusammenhang zwischen Denken und Sprache
Es besteht eine untrennbare Verknüpfung zwischen der Sprache und dem Denken. Aufgrund dieser engen Verbindung könnte man sich die Frage stellen, was zuerst da war. Ähnlich wie bei der Henne und dem Ei.
- Brauchten wir die Sprache, um unser heutiges Denken entwickeln zu können?
- Oder können wir nur sprechen, weil unser Denken so ausgereift ist?
Die Hypothese des linguistischen Determinismus stammt aus der Mitte der 1950er Jahre. Ihr Begründer ist der Linguist Benjamin Lee Whorf, der die Sprache als Grundstoff des menschlichen Denkens begriff. Er behauptete, dass allein die Sprache das Denken formt.
Dass Whorfs Hypothese allerdings vermutlich nicht zutrifft, sehen wir häufig im Alltag: In manchen Situationen finden wir einfach nicht die richtigen Worte, um unsere Gedanken oder Gefühle treffend zu beschreiben oder zu benennen. Dennoch können wir über bestimmte Dinge nachdenken – auch ohne Worte dafür zu haben.
Allerdings hilft die Sprache ohne Frage beim Denken. Können wir einen Gedanken ausformulieren, erlaubt uns das ein gezielteres Nachdenken. Bestimmte Aufgaben können wir jedoch auch gänzlich ohne Sprache lösen. Ein Beispiel dafür ist die mentale Rotation. Wenn du dir eine geometrische Figur vorstellst und sie vor deinem geistigen Auge in verschiedene Richtungen drehst, funktioniert das auch ganz gut ohne Sprache. Häufig denken wir lediglich in Bildern und fassten diese nachträglich in Worte.
Die Sprache kann das Denken beeinflussen, doch in die andere Richtung geht es eben auch. So können erst durch das Denken neue Wörter entstehen, welche sich dann im allgemeinen Sprachgebrauch verfestigen. Auf diese Weise kann Sprache sich verändern. So können beide Gebiete sich gegenseitig bereichern. Das macht die menschlichen Fähigkeiten zur Anpassung und Weiterentwicklung nahezu unbegrenzt.
Zusammenhang zwischen Sprache, Wahrnehmung und Wirklichkeit
Sprache beeinflusst unsere Wahrnehmung von Zeit, Raum und Beziehungen.
So hat zum Beispiel die Schreibrichtung einen Einfluss auf unsere Vorstellung von Zeit. Das zeigte sich etwa in Experimenten, bei denen die Versuchspersonen Bilder in eine chronologische Reihenfolge bringen sollten.
Deutsch, englisch oder französisch sprechende Personen ordnen die Bilder dabei von links nach rechts. Bei arabisch oder hebräisch sprechenden Menschen hingegen verläuft die zeitliche Anordnung von rechts nach links.
Rund um den Globus werden etliche Sprachen gesprochen. Diese unterscheiden sich allerdings nicht nur in ihren Vokabeln und der Struktur eines Satzes. Sie formen auch das Denken auf unterschiedliche Weise.
Da beispielsweise das Volk der Pirahã keine Zahlenwörter besitzt, könntest du jemanden von ihnen im Rahmen einer Wegbeschreibung nicht nach einer Hausnummer fragen. Sie unterscheiden Mengen vor allem in „wenig“ und „viel“, haben für konkrete Zahlenangaben allerdings keine Bezeichnungen.
Sind die Himmelsrichtungen im alltäglichen Sprachgebrauch präsent, verbessert sich die Orientierung
Zur Orientierung im Raum nutzen Aborigines nicht die Worte wie „links“ oder „rechts“.
Stattdessen beschreiben sie die Position von Personen oder Objekten in Abhängigkeit von den Himmelsrichtungen.
Bei der Frage „Wo liegen die Schlüssel?“ kommt daher nicht die Antwort „Links vom Telefon“. Die Frage würde etwa mit „Nordöstlich vom Telefon“ beantwortet werden. Sie können sich generell wesentlich besser im Raum orientieren als es bei Vertretern westlicher Kulturen der Fall ist. Oder könntest du von einem beliebigen Standpunkt aus (ohne groß nachzudenken) nach Südwesten zeigen? In dem oben genannten Experiment ordneten Aborigines die Bilder übrigens grundsätzlich von Osten nach Westen.
Manche Sprachen unterscheiden bei den Verwandtschaftsgraden genauer als unsere
Wenn wir in der deutschen Sprache von unserer Tante sprechen, weiß der Zuhörer nicht zwingend, wer gemeint ist.
Im Schwedischen etwa unterscheiden sich die Worte für „Tante“ und „Onkel“ danach, ob die betreffende Person zur mütterlichen oder zur väterlichen Verwandtschaft zählt. Die Schwester der Mutter wird als „moster“ bezeichnet, während die Schwester des Vaters „faster“ genannt wird. Beim Onkel wäre es dementsprechend „morbror“ und „farbror“. Diese Begriffe gelten allerdings auch für den Schwager beziehungsweise die Schwägerin eines Elternteils.
Es ist also nicht ersichtlich, ob es sich beim „farbror“ um den Bruder des Vaters handelt oder um den Mann seiner Schwester. Mandarin ist in dieser Hinsicht etwas spezifischer. Um hier Tante oder Onkel benennen zu können, muss man zuvor wissen: Ist diese Person ein Geschwisterteil der Mutter oder des Vaters? Ist sie blutsverwandt oder angeheiratet?
Ist Sprachtraining zugleich ein Intelligenztraining?
Intelligenz ist ein Konstrukt, das zu den Persönlichkeitsmerkmalen gehört.
Die allgemeine Intelligenz umfasst verschiedene Bereiche. Die Sprache deckt lediglich einen Teil davon ab. Selbst wenn jemand sprachliche Probleme aufweist, kann seine Intelligenz in anderen Teilgebieten uneingeschränkt sein.
Das Persönlichkeitskonstrukt der Intelligenz ist an die Rahmenbedingungen der Lebenswelt und des kulturellen Umfelds einer Person geknüpft. Um die Intelligenz von Angehörigen anderer Kulturkreise zu überprüfen, eignen sich die Intelligenztests hierzulande daher auch nur bedingt.
Es liegt eine sprachliche Barriere vor, durch welche diese Personen unweigerlich schlechtere Werte erzielen. Das spiegelt ihre wahre Intelligenz allerdings nicht korrekt wider. Daher sind in solchen Fällen kulturübergreifende Intelligenztests sinnvoll, die weniger stark auf die Sprachkomponente setzen. Allerdings kommen selbst „kulturfaire“ Tests nicht ohne ein Minimum an Sprache aus.
Sprachtraining kann die Intelligenz verbessern – jedoch nicht in allen Bereichen
Intelligenz bezieht sich nicht nur auf den verbalen Bereich, sondern umfasst auch eine Vielfalt nonverbaler kognitiver Fähigkeiten.
Dazu zählen unter anderem Aufmerksamkeit, Gedächtnis oder die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung. Wie intelligent eine Person letztendlich ist, hängt in vielen kognitiven Bereichen von einem Zusammenspiel aus Anlage und Umwelt ab. So kann es sein, dass jemand das genetische Potenzial für eine hohe Intelligenz in sich trägt. Durch ungünstige Umweltbedingungen kann dieses Potenzial allerdings nicht richtig entfaltet werden.
Einerseits kann die Intelligenz schon vor der Geburt beeinträchtigt werden, wie etwa durch starken Stress der Mutter während der Schwangerschaft. Auch mütterlicher Alkoholkonsum wirkt sich negativ auf die kognitive Entwicklung des Ungeborenen aus. Allerdings können auch Faktoren im späteren Leben des Kindes dessen Intelligenz mindern.
Zu den sogenannten psychosozialen Risikofaktoren zählen beispielsweise ein geringer sozio-ökonomischer Status der Eltern (wie ein geringer Bildungsstand oder ein niedriges Einkommen) oder kritische Lebensereignisse. Letztere können zum Beispiel Erkrankungen oder der Tod eines Elternteils sein.
Die Sprachintelligenz hat allerdings einen starken Einfluss auf weitere Intelligenzbereiche und den Bildungsverlauf einer Person. Ohne ein ausreichendes Sprachverständnis können Kinder dem Unterricht nicht folgen und bleiben hinter ihren eigenen Möglichkeiten und ihren Mitschülern zurück.
Sprachliche Fähigkeiten bleiben unausgereift und schränken die Kinder auch im weiteren Verlauf ihres Lebens und ihre allgemeinen Fähigkeiten ein.
Günstige Umweltbedingungen fördern die Sprachfähigkeit
Die Forschung zeigte, dass die Stabilität der verbalen Fähigkeiten genetisch und umweltbedingt sind.
Nonverbale Fähigkeiten hingegen sind vor allem auf die genetische Veranlagung zurückzuführen und nicht so stark durch die Umwelt beeinflussbar. Das bringt allerdings auch den Vorteil mit sich, dass die sprachlichen Kompetenzen stetig ausgebaut werden können.
Das muss sich nicht explizit auf Sprachtraining beschränken. Interessanterweise wirkt sich sogar Musikunterricht bei Kindern positiv auf das verbale Gedächtnis und die Sprachintelligenz aus. Sprach- und Intelligenztraining zeichnet sich sogar in der Beschaffenheit des Gehirns ab. Unser Gehirn ist zu einem gewissen Grad flexibel. Daher zeigen sich die Effekte des Trainings in der Dichte der grauen Substanz in den Teilen des Gehirns, die für die Sprachverarbeitung zuständig sind. Sprache kann zusammenfassend also als eine Art „Intelligenzverstärker“ wirken.
Wie kann die kognitive Fähigkeit über Sprache gefördert werden?
Beim Erlernen einer Sprache lernen wir nicht nur neue Wörter.
Es ist nicht so, dass nur die Sprache das Denken formt oder umgekehrt. Die Veränderungsprozesse laufen im Wechselspiel ab.
Die Sprache hat einen Einfluss auf das Denken und das Denken beeinflusst die Sprache. Durch das Erlernen einer neuen Sprache kann sich allerdings die Art zu denken verändern. Es gibt beispielsweise unterschiedliche Wörter für Farben in verschiedenen Sprachen.
Ein Beispiel für die Farbwahrnehmung ist die Sprache der Tarahumara. Sie unterscheiden sprachlich nicht zwischen Grün- und Blautönen. Dieser Umstand hat einen Einfluss auf die subjektive Empfindung der Abstufungen im blau-grünen Farbbereich.
Lernt jemand also eine neue Sprache und die damit verbundene Art der Farbunterscheidung, verändert sich diese Person auch in ihrer eigenen Unterscheidung von Farben. Durch das Erlernen einer Sprache mit einer anderen Zeitvorstellung, denkt man selbst anders über die Zeit nach.
Unterschiedliche Sprachen gehen mit unterschiedlichen Denkweisen einher. Das Sprechen mehrerer Sprachen kann auf diese Weise die kognitiven Fähigkeiten ausweiten. Dennoch hat die Sprache nicht auf sämtliche Bereiche der Intelligenz oder unserer kognitiven Fähigkeiten einen Einfluss. Bewegungsabläufe beispielsweise erlernen wir auch ohne Sprache.
So reicht die bildliche Vorstellung von motorischen Ausführungen bereits aus, um diese Bewegungen zu verbessern. Dieses mentale Training ist mittlerweile sogar zum Bestandteil des Trainings von vielen Profi-Sportlern geworden. Selbst bei Klausurergebnissen kann mentales Üben positive Ergebnisse erzielen. Eine bloße Ergebnissimulation ist jedoch nicht sehr zielführend.
Sich einfach die mit einer Eins benotete Klausur vorzustellen, reicht also nicht. Hier ist eine Prozesssimulation sinnvoller. Dabei stellt man sich am besten vor, wie man die Lerninhalte durchgeht, Notizen durchsieht und Ablenkungen beim Lernen vermeidet.
Studien mit Studierenden zeigten, dass diese Prozesssimulation zu einem früheren Beginn der Prüfungsvorbereitung führte und die Ausdauer beim Lernen steigerte. Als Resultat erzielten die Studierenden bessere Klausurnoten als die Studierenden aus der Kontrollgruppe (in welcher keine Prozesssimulation stattfand).
Zusammenfassung
- Das Denken funktioniert auch ohne Sprache. Denn der Mensch denkt auch häufig in Bildern.
- Doch die Sprache kann das Denken beeinflussen und die Wahrnehmung formen. So kann das Erlernen einer neuen Sprache auch neue Denkweisen mit sich bringen.
- Die Schreibrichtung einer Sprache hat Einfluss auf die Anordnung zeitlicher Ereignisse.
- Unterschiedliche Begriffe für Farben wirken sich auf die subjektive Farbwahrnehmung aus.
- Je nach Sprache werden zeitliche, räumliche und zwischenmenschliche Beziehungen mehr oder weniger spezifisch dargestellt.
- Die Sprachfähigkeit ist ein Teilaspekt der Intelligenz. Einige Bereiche funktionieren unabhängig von der Sprache, andere werden von den Sprachfähigkeiten beeinflusst. Daher kann ein gezieltes Sprachtraining sich auch positiv auf die Intelligenz auswirken.