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Konstruktivismus und Wahrnehmungspsychologie: Ist Realität subjektiv?


Hast du dich schon einmal gefragt, ob das, was du siehst, die Realität ist?
Was jetzt vielleicht erst einmal nach einer Frage aus einem Science-Fiction Film klingt, ist in der Psychologie und der Philosophie ebenfalls berechtigt.

Mit dem Konstruktivismus geht der Leitgedanke einher, dass die nicht alle gleich auf unsere Umwelt reagieren. Abhängig von unserer Persönlichkeit und unseren bisher gemachten Erfahrungen nehmen wir Ereignisse unter Umständen vollkommen anders wahr als eine andere Person. Unsere individuelle Prägung formt sozusagen unsere ganz eigene Wirklichkeit.

Doch sind es vor allem unsere Sinnesorgane, welche einen erheblichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung von der Realität haben. Auch in Bezug auf das Lernen ist die Konstruktion von Belang. Schließlich nehmen Schüler zwar alle die gleichen Informationen vom Gesagten ihres Lehrers auf. Doch verarbeiten sie es unterschiedlich. Und zwar abhängig von ihrem bestehenden Wissen, ihren Interessen, der aktuellen Aufmerksamkeit und Stimmung sowie ihren kognitiven Fähigkeiten.

Im Rahmen konstruktivistischer Lerntheorien spielen beim Generieren von Wissen drei konstruktivistische Prozesse eine Rolle. Doch was genau steckt hinter dem Konstruktivismus?

Was ist der Konstruktivismus

Unter Konstruktivismus versteht man in der Psychologie verschiedene erkenntnistheoretische Konzepte.
Diesen Konzepten liegt die Annahme zugrunde, dass wir mit unserer Wahrnehmung die Welt nicht einfach – und vor allem nicht detailgetreu – abbilden. Wir sehen also nicht die Realität, sondern konstruieren diese erst in unserem Geist.

Die Ursprünge dieses Ansatzes finden sich in der Philosophie. Unterschieden werden kann in den Erlanger Konstruktivismus, den Sozialen Konstruktivismus und den Radikalen Konstruktivismus. Während es beim Erlanger Konstruktivismus vornehmlich um den Aufbau einer Wissenschaftssprache geht, beschäftigen sich Vertreter des Sozialen oder Interaktionistischen Konstruktivismus mit Prozessen in der Gesellschaft. So geht es hier beispielsweise um soziale Ordnungen und die Rolle der Sprache beim Aufbau von kollektiven Wirklichkeiten.

Der Radikale Konstruktivismus basiert auf der Neurobiologie und der Kognitionspsychologie. Kognitive Prozesse gelten hier als die Grundlage der Wahrnehmung. Zum Feld der Kognitionspsychologie gehören neben der Sprache auch Phänomene wie Entscheidungsfindung, Problemlösung oder auch Gedächtnisprozesse und Intelligenz. Die kognitiven Prozesse ermöglichen die Aufnahme und Interpretation von Umweltreizen und so die individuelle Konstruktion der Wirklichkeit.

Laut Die Konstruktivismus bleibt uns die Realität verschlossen

Die Wirklichkeit gilt hier so gesehen als bloße „Erfindung“.
Wir können die Welt nicht objektiv wahrnehmen, weil unsere Erkenntnis subjektiv ist. Das soll heißen: Jeder ist in seiner Wahrnehmung anders.

Das liegt zum einen an biologischen Unterschieden. Nehmen wir als Beispiel den Bereich an Tönen, den ein Mensch über seinen Gehörsinn wahrnehmen kann. Dieser ist zwar im Schnitt bei allen Menschen gleich, weicht jedoch individuell zu einem gewissen Maß ab.

Schwerhörige Menschen nehmen ihre Welt – zumindest akustisch – ganz anders wahr als Menschen mit einem intakten Gehör. Hier ist es auch eine Frage der Sensibilität. Manche Personen reagieren auf bestimmte Reize (zum Beispiel, Lärm, Hitze, helles Licht) wesentlich intensiver als andere.

Individuelle Ausprägungen sind allerdings auch bei den anderen Sinnesorganen vorhanden. Menschen mit einer Rot-Grün-Sehschwäche sehen die Welt in gänzlich anderen Farben als Leute, die nicht davon betroffen sind. Bei einer Achromasie liegt sogar eine totale Farbenblindheit vor.

Betroffene sehen überhaupt keine Farben – ihre Welt besteht aus Schwarz, Weiß und Graustufen. Der Radikale Konstruktivismus geht daher davon aus, dass wir keinen direkten Zugang zur Welt haben. Wir nehmen lediglich wahr und erkennen nur das, was unsere Sinne uns erlauben.

Zusammenhang zwischen Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion

Unser In unserem Gehirn entsteht unsere Vorstellung von der Welt.
Dennoch hat das Gehirn keine direkte Verbindung nach außen. Es sitzt sozusagen abgeschottet im Schädel. Alle Reize der Umwelt werden über die Sinnesorgane an es herangetragen. Wir nehmen abstrakte Informationen über unsere Sinnesorgane auf und verarbeiten sie anschließend. Dieser Prozess spielt auch beim Lernen eine entscheidende Rolle.

Ein Vertreter des Interaktionistischen Konstruktivismus ist Kersten Reich. Im Gegensatz zum Radikalen Konstruktivismus ist diese Variante sozial und kulturell orientiert. Zudem befasst sie sich mit der Rolle der Sprache und dem Lernen. Es wird davon ausgegangen, dass Lernprozesse sich im Rahmen von Rekonstruktion, Konstruktion und Dekonstruktion stattfinden.

Beim Rekonstruieren entdecken wir die Welt, beim Konstruieren erfinden wir sie und wir kritisieren die Welt im Zuge des Dekonstruierens. Das alles findet nicht nur unter den subjektiven Voraussetzungen eines Lernenden statt, sondern auch unter Einfluss der kulturellen und sozialen Gegebenheiten, in denen er sich befindet.

Ein Teil des interaktionistischen Konstruktivismus ist die konstruktivistische Lerntheorie. Die Annahme ist die, dass wir vor allem selbst erarbeitetes Wissen am besten abspeichern. Im Kontext des Schulunterrichts sollen Lehrer daher nicht den gesamten Unterrichtsstoff vorgeben, sondern den Schülern Mittel zur selbstständigen Erarbeitung der Themengebiete bereitstellen. Statt einfach nur passiv den Ausführungen der Lehrkraft zu folgen, soll diese den Schülern als Unterstützer im eigenen Lernprozess zur Seite stehen.

Unterschied zwischen Realität und Wirklichkeit innerhalb des Konstruktivismus

Gibt es eine objektive Realität oder nur subjektive Wirklichkeiten?
Im Konstruktivismus wird von einer objektiven Realität ausgegangen, welche wir allerdings nicht wahrnehmen können. Das ist einerseits unseren Sinnesorganen geschuldet, andererseits auch unseren Emotionen, Erfahrungen oder Persönlichkeitseigenschaften.

Wir sehen die Welt sozusagen durch unsere persönliche Brille. Jeder erstellt sich demnach eine eigene Wirklichkeit, welche der realen Welt nur mit Einschränkungen entspricht. Wir nehmen die Realität also nicht objektiv wahr und unser Gehirn bildet diese nicht hundertprozentig ab. Viel mehr konstruieren wir uns aus den uns zur Verfügung stehenden Informationen ein Abbild von der Umwelt, um uns bestmöglich darin zurecht zu finden.

Konstruiert der Mensch seine eigene Wahrnehmung?

Unsere Wahrnehmung an sich konstruieren wir nicht.
Diese findet über unsere Sinnesorgane statt. Die Reize werden ans Gehirn weitergeleitet. Darauf haben wir keinen wirklichen Einfluss. Wo die Konstruktion stattfindet, liegen allerdings Einflüsse durch Emotionen und Erinnerungen vor.

Ob wir eine bestimmte Situation als ungefährlich oder bedrohlich interpretieren, hängt beispielsweise sowohl von unseren Erfahrungen als auch von unserer Persönlichkeit ab. Menschen mit einem Hang zum Neurotizismus werden sich in einer Prüfungssituation wesentlich schneller gestresst fühlen als Menschen mit einer geringeren Ausprägung dieses Persönlichkeitsfaktors.

Auch die Art und Weise früherer Prüfungsabläufe fließt in unsere Bewertung der Situation ein. Sind wir schon häufiger durch eine Klausur gefallen? Dann ist aktuelle die Prüfungssituation nun umso bedrohlicher, da wir um die Folgen einer versemmelten Prüfung wissen.

Haben wir stattdessen immer mit guten Noten bestanden, macht uns das Schreiben der Klausur vermutlich weniger aus. Auch der Glaube an unsere eigenen Fähigkeiten ist hierbei von Bedeutung. Trauen wir uns generell wenig zu, haben wir eher Angst zu versagen. Sind wir der Meinung, genug gelernt zu haben und fühlen uns sicher im Stoff, so erscheint die ganze Sache weit weniger katastrophal.

Diese und weitere Faktoren führen dazu, dass wir eine ganz individuelle Wahrnehmung der Situation haben. Sie erklären, warum verschiedene Menschen auf dieselben Umstände manchmal vollkommen unterschiedlich reagieren.

Unsere Wahrnehmung wird nicht konstruiert, unterliegt allerdings einigen Einflüssen

Unsere Wahrnehmung wird auf der anderen Seite allerdings schon ein Stück weit von unseren persönlichen Voraussetzungen beeinflusst.

Individuelle Unterschiede in den Funktionsweisen der Sinnesorgane spielen eine Rolle dabei, welche Reize wir aufnehmen. Auch unsere Aufmerksamkeit kann zu Teil steuern, was wir wahrnehmen und was nicht.

Sind wir in Eile, ist unser Fokus zum Beispiel auf den gerade abfahrenden Zug gerichtet. Da wir ihn noch erwischen wollen, hasten wir so schnell wie möglich an den anderen Personen am Bahnhof vorbei.

Dabei bemerken wir vielleicht gar nicht, dass einer älteren Frau ihre Tasche mit Einkäufen heruntergefallen ist. Hätten wir keinen Zeitdruck gehabt und am Bahnhof stehend auf den Zug gewartet, hätten wir das bemerkt und der Frau beim Aufsammeln helfen können. Unsere Aufmerksamkeit war allerdings im ersten Fall nicht auf unsere Umgebung gerichtet, sondern eben auf den anfahrenden Zug.

Zusammenfassung

  • Im Alltag nehmen wir selbstverständlich an, dass die Realität das ist, was wir wahrnehmen.
  • Doch Philosophen und Psychologen fragen sich, ob das wirklich so ist.
  • Schließlich ist unser Gehirn quasi von der Außenwelt abgeschnitten. Wir erkennen die Realität nicht direkt mit unserem Gehirn. Dieses ist auf die Reize angewiesen, die es durch die Sinnesorgane erhält.
  • Augen, Ohren und die anderen Sinnesorgane bilden demnach Verbindungsstellen zur Außenwelt. Sie nehmen Umweltinformationen auf und leiten sie ans Gehirn weiter. Hier werden sie letztendlich zusammengesetzt, bewertet und interpretiert.
  • Unsere Wirklichkeit ist also subjektiv. Sie kann nicht Eins zu Eins der objektiven Realität entsprechen, da wir auf die Informationen unserer Sinne angewiesen sind. Und diese sind sowohl fehleranfällig als auch durch verschiedene situationale Faktoren beeinflussbar.
  • So können individuelle biologische Unterschiede im Sehen oder Hören bereits zu einem Info-Input führen, der sich von Mensch zu Mensch unterscheidet. Doch auch die individuellen Erfahrungen, Persönlichkeitseigenschaften, Aufmerksamkeit oder Emotionen haben einen Einfluss auf die Konstruktion unserer Wirklichkeit.
  • Konstruktion, Dekonstruktion und Rekonstruktion spielen in der konstruktivistischen Lerntheorie eine Rolle. In diesem Bereich sowie auch im Alltag ist unsere Interpretation der Wirklichkeit allerdings auch von kulturellen Einflüssen geprägt.

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