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Humanistische Psychologie – Bedeutung, Merkmale und Menschenbild

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Die humanistische Psychologie stellt den Menschen – im Gegensatz zu anderen psychologischen Strömungen – als Ganzes in den Vordergrund.
Wenn du an Psychologie denkst, kommen dir vielleicht zunächst einmal verschiedenste psychische Erkrankungen in den Sinn. Die Psychologie hat sich durchaus lange Zeit mit der Behandlung und Ursachensuche für alle möglichen psychischen Störungen befasst und tut dies auch noch heute.

Hierbei wurden vornehmlich einzelne Elemente berücksichtigt, die zu einem bestimmten Verhalten oder einer Krankheit geführt haben könnten. Allerdings kam mit der humanistischen Psychologie eine weitere Perspektive dazu, die den Menschen als Ganzes in den Mittelpunkt rückte. Hier war der Mensch nicht mehr nur die Summe seiner Teile. Ihm wurde ein freier Wille, Würde und bewusstes Handeln zugeschrieben.

Was bedeutet humanistische Psychologie

Die humanistische Psychologie entwickelte sich in den 1950er Jahren.
Sie stellt eine alternative Sichtweise zu den damals vorherrschenden behavioristischen und psychoanalytischen Sichtweisen dar.

Die Psychoanalyse geht auf Sigmund Freud zurück und betrachtet vor allem Ereignisse in der Kindheit, die für psychische Probleme im Erwachsenenalter verantwortlich gemacht werden. Auch die angeborenen Triebe des Menschen steuern der psychoanalytischen Sicht nach dessen Verhalten. Der Behaviorismus hingegen erklärt das menschliche Verhalten nicht anhand von Kindheitserlebnissen, sondern mit Reiz-Reaktionsverbindungen. Die Vertreter des Behaviorismus erforschten besonders Lernprozesse mithilfe der Zusammenhänge von Reiz und Reaktion.

Beide Strömungen sehen aber nicht den Menschen als Ganzes, sondern nur einen Teil von ihm.

Der Mensch besteht nicht nur aus Trieben und erlerntem Verhalten

Die humanistische Psychologie stellt diesen Annahmen andere Perspektiven auf den Menschen gegenüber.

Diese Strömung sieht den Menschen nicht nur als das Ergebnis von Kindheitserfahrungen oder automatischen Reaktionen auf bestimmte Reize. Der Mensch gilt hier als aktives Wesen. Auf Reize folgen daher auch keine automatischen Reaktionen, sondern bewusste Handlungen.

Die humanistische Psychologie geht davon aus, dass der Mensch von Grund auf gut ist und frei in seinen Entscheidungen. Dem Menschen wird jedoch nicht nur Ganzheitlichkeit und Autonomie zugeschrieben, sondern auch Selbstverwirklichung und Sinnorientierung.

Somit unterscheidet sich das Menschenbild in der humanistischen Psychologie deutlich von denen des Behaviorismus und Psychoanalyse. Die menschliche Psyche ist hier kein stumpfer Gegenstand, welcher unbewussten Trieben und Bedürfnissen nach geht. Und sie ist auch kein Reaktionsapparat, welcher nur auf Umweltreize reagiert.

Eine Verbindung aus Psychologie und Philosophie

Ihre Wurzeln hat die humanistische Psychologie in verschiedenen Bereichen der Philosophie und natürlich auch in er Psychologie.

Einflüsse erhielt die humanistische Psychologie beispielsweise aus dem klassischen Humanismus.
Dieser entstand in der Renaissance und bildete einen Gegenpol zum Menschenbild des Mittelalters. Das idealistische Bild vom selbstverwirklichten Menschen aus der Antike wurde wiederbelebt. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde diese Vorstellung mit humanistischer Bildung und bürgerlicher Erziehung ergänzt. Die Phänomenologie befasst sich mit der sinnlichen Erfahrung des Menschen und floss ebenfalls in die humanistische Psychologie ein. Ebenso der Existentialismus. Dessen Vorstellungen von der Autonomie des Menschen, seiner Identität und Würde sind auch heute noch Bestandteil der humanistischen Psychologie.

Psychologische Einflüsse stammten vor allem aus der Gestaltpsychologie der sogenannten Berliner Schule. Zu deren Vertretern gehörten unter anderem Max Wertheimer, Kurt Goldstein und Kurt Lewin. Goldstein betonte die Einheit des Organismus und gleichzeitig auch die Fähigkeit zur Selbstregulation. Damit ist zum Beispiel die Fähigkeit des Gehirns gemeint, bestimmte Aufgaben an die seine unverletzten Areale zu delegieren. Der Organismus kann sich selbst in einem dynamischen Prozess an die vorherrschenden Bedingungen der Umwelt anpassen. Die Ganzheitlichkeit des Menschen wurde auch von Andras Angyal betont.

Maslows Bedürfnispyramide

Das zentrale Modell der humanistischen Psychologie liegt im Selbstkonzept des Menschen.

Sowohl das Wissen um die eigene Person als auch die Selbstwahrnehmung zählen dazu. Da die ganzheitliche Auffassung dieser Strömung auch die Umweltreize einbezieht, sollte die Umwelt möglichst für das Individuum geeignet sein. Das bedeutet, dass dem menschlichen Streben nach Selbstverwirklichung nur unter günstigen Umweltbedingungen nachgegangen werden kann. Jeder Mensch hat bestimmte Grundbedürfnisse, die erfüllt werden müssen. Aufgrund dieses Umstandes entwickelte Abraham Maslow das Modell der Bedürfnispyramide. Diese ist in fünf Ebenen aufgeteilt, welche aufeinander aufbauen. Erst wenn die Bedürfnisse der unteren vier Ebenen erfüllt sind, ist eine Selbstverwirklichung möglich.

maslow-bedürfnispyramide

Maslow Bedürfnispyramide: Erst wenn die Bedürfnisse der unteren Stufen erfüllt sind, strebt der Mensch die nächste Stufe an Bedürfnissen an.

Die fünf Ebenen der Pyramide umfassen körperliche oder auch Grundbedürfnisse, das Bedürfnis nach Sicherheit, soziale Bedürfnisse und Individualbedürfnisse. Die Grundbedürfnisse stellen die erste Stufe und damit die Basis der Pyramide dar. Maslow zählte zu den Grundbedürfnissen Nahrung, Luft, Wasser und Schlaf sowie Fortpflanzung und Homöostase. Letzteres meint den Schutz des Körpers vor zum Beispiel der Witterung. Eine Unterkunft gehört somit also auch zu den menschlichen Grundbedürfnissen.

Die zweite Ebene umfasst das Sicherheitsbedürfnis.
Dazu gehören eine materielle Grundversicherung, eine Familie oder der Erhalt der Gesundheit. Maslow sah Zwangsstörungen als Zeichen dafür, dass das Bedürfnis nach Sicherheit nicht erfüllt ist. Menschen mit einem Ordnungszwang versuchen sich selbst ein Gefühl der Sicherheit zu verschaffen, indem sie durch das zwanghafte Ordnen alle Unsicherheiten vermeiden wollen.

Die sozialen Bedürfnisse befinden sich auf der dritten Ebene.
Dabei geht es vor allem um die sozialen Beziehungen. Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Zuneigung oder auch Liebe sind Anliegen, die nach der Erfüllung von Grund- und Sicherheitsbedürfnissen an die Reihe kommen.

Auf der vierten Ebene befinden sich die Individualbedürfnisse des Menschen. Damit sind Wertschätzung, Freiheit, Vertrauen oder Selbstbestätigung gemeint. Maslow unterschied diese Bedürfnisse noch einmal in zwei Kategorien. Die erste Kategorie beschreibt den Wunsch nach Erfolg, Stärke und Unabhängigkeit. Diese Aspekte sind eher aktiv und gehen vom Individuum selbst aus. In der zweiten Kategorie befinden sich eher passive Aspekte. Der Wunsch nach beispielsweise Ansehen und Wertschätzung kann nämlich nur durch andere Menschen erfüllt werden.

Die Selbstverwirklichung wird bei Erreichen der fünften Ebene relevant. Erst wenn alle anderen Bedürfnisse befriedigt sind, kann der Mensch seine Kreativität und sein Potenzial entwickeln und ausbauen. Wie diese Selbstverwirklichung letztendlich aussieht, ist von Person zu Person unterschiedlich. Für die einen besteht die Selbstverwirklichung vielleicht darin, berühmte Künstler oder Ärzte zu werden. Andere verwirklichen sich in ihrer Elternrolle oder in Pflegeberufen. Du siehst also, jeder strebt nach einem anderen Ziel.

Aus fünf werden acht

Dieses klassische Modell der Bedürfnispyramide wurde später noch um drei Ebene erweitert.

Maslow fügte zwischen den Individualbedürfnissen und der Selbstverwirklichung noch die kognitiven und die ästhetischen Bedürfnisse ein. Kognitiven Bedürfnissen beschreiben den Wunsch nach Wissen, Lernen und Verstehen. Ästhetische Bedürfnisse hingegen werden durch Sauberkeit, Ordnung oder Schönheit befriedigt. Gleichzeitig folgt im neuen Modell auf die Selbstverwirklichung noch eine weitere Ebene: Die Transzendenz. Diese umfasst Themen wie Religion oder Spiritualität.

maslow-bedürfnispyramide-8-stufen

Die 8 stufige Bedürfnispyramide enthält weiterhin kognitive und ästhetische Bedürfnisse und das Bedürfnis nach Transzendez.

In der humanistischen Psychologie fließen somit die 8 Bedürfnisarten in die Sichtweisen der Psychoanalyse (Kindheitstrauma) und des Behaviorismus (Reiz Umwelt Reaktion) ein und erweitern diese.
Dadurch wird menschliches Verhalten, sein Denken und Handeln, auch durch seine Bedürfnisse bestimmt.

Werte in der humanistischen Psychologie

Das menschliche Verhalten und Erleben wird nicht auf nur ein bestimmtes Ereignis zurückgeführt.

Hierin unterscheidet sich die humanistische Psychologie von der psychoanalytischen und der behavioristischen Sicht. Vielmehr findet eine holistische Betrachtungsweise statt. Der Mensch soll in seiner Gänze verstanden werden. Daher werden auch sämtliche Faktoren einbezogen, die einen Menschen ausmachen und die ihn beeinflussen. Es geht natürlich vorrangig um das Verständnis der menschlichen Psyche und des Verhaltens. Doch auch der Körper, soziale Faktoren oder das kulturelle Umfeld werden berücksichtigt und als bedeutsam empfunden. Die gesamte Lebensgeschichte eines Menschen wird untersucht. Hierbei sollen Muster aufgedeckt werden, die auf das jetzige Verhalten hinweisen.

Die Hauptaufgabe des Menschen ist der humanistischen Psychologie nach das Streben nach einer positiven Entwicklung. Ein bekannter Vertreter dieser psychologischen Strömung war Carl Rogers. Er sagte dem Menschen eine Tendenz zur geistigen Weiterentwicklung und Gesundheit nach. Der Mensch versucht demnach, sich selbst als Individuum immer weiter zu verbessern. Dieses Bestreben kann Rogers zufolge durch positive Verstärkung unterstützt werden.

Ein ähnliches Verständnis hatte Abraham Maslow von der menschlichen Natur. Auch seiner Ansicht nach strebt der Mensch nach der sogenannten „self-actualization“. Diese Selbstverwirklichung beschreibt er als den Drang eines Individuums, sein Potenzial bestmöglich zu verwirklichen.

Charlotte Bühler war eine Entwicklungspsychologin, die zusammen mit Rogers und Maslow die Grundlagen der humanistischen Psychologie entwickelte. Sie war der Auffassung, dass das menschliche Leben vier Grundtendenzen aufweist: Aufrechterhaltung innerer Ordnung, Bedürfnisbefriedigung, schöpferische Expansion und selbstbeschränkte Anpassung.

Die humanistische Psychologie hat auch in der heutigen Psychologie Spuren hinterlassen.
Sie änderte die Psychotherapie und verschaffte ihr neue Ansätze. So wird immer noch die positive Kraft eines Menschen betont. Das zeigt sich vor allem in der positiven Psychologie und der Resilienzforschung. Hier geht es darum, die Ressourcen eines Menschen zu nutzen. Der Fokus liegt auch auf weiteren positiven Aspekten des Menschen. Dazu gehören etwa Optimismus, Liebe oder Glück.

Ein bedeutender Wert in der humanistischen Psychologie ist die menschliche Würde. So sollen die Erkenntnisse aus der Psychologie nur dazu dienen den Menschen zu verstehen und ihm zu helfen. Das Kontrollieren von Verhaltens- oder Denkweisen hingegen wird grundsätzlich abgelehnt.

Forschungsmethoden und Studien humanistischer Psychologie

Die Therapien mit humanistisch-psychologischen Schwerpunkt sehen den Menschen an sich immer wertschätzend.

Hier steht der Mensch im Mittelpunkt des Interesses und nicht seine Krankheit. Die Auseinandersetzung mit psychischen Problemen ist auch dann angebracht, wenn diese keine eindeutig erkennbaren Ursache haben. Dazu zählen etwa Sinnkrisen oder zwischenmenschliche Konflikte.

Charakteristisch ist, dass die humanistische Psychologie sich hauptsächlich mit dem Menschen an sich und weniger mit Methoden befasst. Die Psychotherapie dieser Strömung ist non-direktiv. Der Fokus liegt also nicht bei der systematischen Suche nach Ursachen oder der Erstellung von Lösungen. Vielmehr geht es darum, den Patienten genau zu beobachten und diesem unbedingte Wertschätzung entgegenzubringen. Empathie ist hier von besonders großer Bedeutung. Die Patienten sollen eine stärkere Selbstwirksamkeit entwickeln und der Therapeut soll ihnen bei der Entfaltung ihres Selbst unterstützend zur Seite stehen.

Doch gerade aufgrund der eher klientenzentrierten Arbeit stand und steht die humanistische Psychologie dennoch in der Kritik. Da weniger Wert auf Empirie (Statistische Datenerhebung) und Grundlagenforschung gelegt wird, fehlt eine wissenschaftliche Basis bei der Behandlung der Patienten. Außerdem wird an den Behandlungsmethoden der humanistischen Psychotherapie bemängelt, dass keine Nachweise über ihre Wirksamkeit vorliegen. Aufgrund dessen ist diese Therapieform auch in Deutschland kein anerkanntes Psychotherapieverfahren.

Zusammenfassung:

  • Humanistische Psychologie schließt das Gesamtbild des Menschen in die Forschung mit ein.
  • Anders als in der Psychoanalyse oder im Behaviorismus wird nicht nur ein Teil des Menschen (seine Vergangenheit oder sein Reizreaktion) als Ursache für sein Handeln betrachtet, sondern der gesamte Mensch.
  • Stattdessen fließen seine Bedürfnisse, Umwelteinflüsse oder sozialen Strukturen in die Sichtweise mit ein.
  • Die Grundannahme der humanistischen Psychologie geht davon aus, dass jeder Mensch nach Selbstverwirklichung strebt. Weiterhin wird der Mensch als schöpferisches Wesen begriffen, welches sein Verhalten bewusst steuern und beeinflussen kann.
  • Sein Antrieb stammt aus der Selbstverwirklichung heraus und dadurch ist sein Erleben und Verhalten ziel- und ergebnisorientiert.
  • Seelische oder körperliche Probleme entstehen – laut humanistischer Psychologie – immer dann, wenn sein Potential bzw. das ziel- oder ergebnisorientierte Handeln gestört wird.

Literatur

  • Werner D. Fröhlich: Wörterbuch Psychologie, ISBN 9783423346252*
  • von Hermann Hobmair, Sophia Altenthan, Sylvia Betscher-Ott, Wilfried Gotthardt: Kompendium der Psychologie: Schülerband, ISBN 3427400700*

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