Lernen (Psychologie): kognitive Prozesse und Einflussfaktoren
Lernen ist, die durch Erfahrung entstandene, andauernde Verhaltensänderung. Dies die Sichtweise der Psychologie. Wenn wir das Wort „Lernen“ hören, denken die meisten von uns vermutlich an ihre Schulzeit. Doch Lernen aus psychologischer Sicht beinhaltet mehr als das stumpfe Auswendiglernen von langen chemischen Formeln oder das Pauken von Vokabeln.
Jeder lernt täglich und sein Leben lang, also weit über die Schulzeit hinaus.
Wir lernen neue Verhaltensweisen oder neue Zusammenhänge. Manchmal bewusst, manchmal unbewusst.
Inhalt
Was ist Lernen psychologisch betrachtet?
Wenn man sich den Prozess des Lernens genauer anschaut, bilden Erfahrungen die Basis.
Das heißt, es werden neue Informationen aufgenommen, bewertet und umgewandelt. Gleichzeitig geht dies mit Reaktionen einher, die Einfluss auf die Umwelt nehmen.
Den Prozess des Lernens kann man nicht aktiv von außen beobachten.
Doch dass etwas gelernt wurde, zeigt sich häufig in einer sichtbaren Leistung. Ob jemand zum Beispiel gelernt hat, wie man Fahrrad fährt, sieht man daran, dass er aktiv Fahrrad fährt. Dass etwas gelernt wurde, zeigt sich außerdem noch in einer relativ nachhaltigen Veränderung im Verhalten. Das bedeutet, dass die neu erlernte Fähigkeit über einen langen Zeitraum erhalten bleibt.
Nehmen wir noch einmal das Fahrrad-Bespiel.
Das Gelernte zeigt sich hier darin, dass man nicht so schnell wieder vergisst, wie man Fahrrad fährt. Dazu gehört allerdings auch, dass diese Veränderungen im Verhalten nicht immer dauerhaft sind. Doch in der Regel folgt auch nach einer längeren Trainingspause ein schnelles Wiedererlernen.
Von Hunden und Glocken
Einer der populärsten Namen im Zusammenhang mit Lernprozessen ist wohl der des Physiologen Iwan Pawlow. Er entdeckte das Phänomen, das heute unter klassischer Konditionierung verstanden wird, eher zufällig.
Während seiner Forschungsarbeit zu Verdauungsvorgängen bei Hunden fiel ihm auf, dass der Speichelfluss bei den Hunden nicht nur beim Anblick von Futter zunahm. Der Speichelfluss setzte bereits ein, sobald die Hunde die Person sahen, die ihnen das Futter brachte. Aufgrund dieser Beobachtung führte Pawlow Experimente mit den Hunden durch, bei denen er kurz vor der Fütterung eine Glocke läutete. Nach wiederholter Kombination von Glockenklingeln und Futter, begannen die Hunde bereits beim Klingeln zu speicheln.
Der Kern der klassischen Konditionierung sind die Reflexe.
Diese sind zu verstehen als ungelernte Reaktionen auf einen bestimmten Reiz. Bei den Hunden ist das Speicheln also ein Reflex auf den Anblick des Futters. Das Futter ist in diesem Beispiel ein unkonditionierter Stimulus.
Das bedeutet, dass das Futter die Reaktion, also den vermehrten Speichelfluss, ohne vorheriges Erlernen auslöst.
Der vermehrte Speichelfluss ist dementsprechend eine unkonditionierte Reaktion. Das Klingeln der Glocke ist eigentlich ein neutraler Stimulus, auf den ein Hund normalerweise nicht mit mehr Speichelfluss reagiert. Wird dieser neutrale Stimulus allerdings mehrfach mit dem unkonditionierten Stimulus (dem Futter) kombiniert, zeigt der Hund eine konditionierte Reaktion und zwar den Speichelfluss beim Klingeln. Der Hund hat gelernt, dass auf das Klingeln ein voller Futternapf folgt.
Wie kann Gelerntes wieder abgerufen werden?
Um erlerntes Wissen später nutzen zu können, sind drei Prozesse nötig.
Der erste Prozess ist die Enkodierung.
Hierbei werden Informationen aufgenommen und es werden erste mentale Repräsentationen, also geistige Abbilder, der Informationen erstellt.
Darauf folgt der zweite Prozess.
Die Speicherung oder auch Konsolidierung. Die enkodierten Informationen werden über eine gewisse Zeitspanne hinweg aufrechterhalten. Dabei finden kurz- oder auch langfristige Veränderungen im Gehirn statt. Bei Lernprozessen werden neue Synapsen gebildet – die Struktur des Gehirns verändert sich also durch das Lernen neuer Dinge. Synapsen sind eine Art Verknüpfungsstellen, über die ein Reiz von einer Zelle zur andern übergehen kann. Die Eigenschaft des Gehirns, sich durch die Neubildung von Synapsen zu verändern, wird auch als Plastizität bezeichnet.
Der dritte Prozess ist der Abruf.
Zu einem späteren Zeitpunkt kann also auf die zuvor enkodierte und gespeicherte Information zugegriffen werden. Man erinnert sich an das Gelernte und kann es anwenden.
Interessant ist auch der Einfluss von Cortisol auf diese drei Prozesse.
Cortisol ist ein Hormon, welches von der Nebennierenrinde ausgeschüttet wird, wenn wir gestresst sind. Bei einer erhöhten Konzentration von Cortisol im Blut kommt es beim Enkodieren und Konsolidieren zu einer verbesserten Aufnahme und Speicherung von Informationen. Das heißt, dass du dir Informationen besser merken kannst, wenn du unter einem gewissen Maß an Stress lernst. Allerdings darf der Stresslevel nicht so hoch sein, dass du dich nicht mehr auf das Lernen konzentrieren kannst.
Den gegenteiligen Effekt hat Cortisol bei dem Abruf des Gelernten.
Denn eine hohe Cortisolkonzentration führt zu einem schlechteren Abruf der gelernten Informationen. Wenn du also unter Prüfungsangst leidest, wird durch den Stress mehr Cortisol ausgeschüttet und du kannst dich schlechter an die richtigen Antworten bei Klausurfragen erinnern.
Das hängt damit zusammen, dass Cortisol sich negativ auf den Hippocampus auswirkt.
Diese Hirnregion ist zuständig für das Gedächtnis. Kommt es zu Verletzungen des Hippocampus, können unter Umständen neue Gedächtnisinhalte nicht mehr aufgenommen werden. In diesem Fall spricht man von einer anterograden Amnesie.
Kann man in seiner Vorstellung lernen bzw. etwas erlernen?
Unser Gehirn kann nicht unterscheiden, ob eine Situation real ist oder ob wir sie uns nur vorstellen.
Das zeigt sich sehr deutlich an unseren körperlichen Reaktionen. Wenn jemand zum Beispiel an einer Spinnenphobie leidet, wird diese Person allein schon bei der Vorstellung an eine Spinne schwitzige Hände, einen schnelleren Herzschlag oder eine Gänsehaut bekommen.
Diese Tatsache kann aber auch positiv genutzt werden und zwar in Form von mentalem Training.
Mit Hilfe dieser Trainings, kann man nicht nur sportlicher Abläufe verbessern oder erlernen, sondern auch seine Emotionen besser kontrollieren.
Mentales Training zur Verhaltensänderung
Genutzt werden mentale Trainings oft in der kognitiven Verhaltenstherapie, um zum Beispiel einen besseren Umgang mit Ängsten zu erlernen. Wie etwa der Angst vor Spinnen.
Hierzu wird vor der eigentlichen Trainingseinheit meist eine Entspannungsübung gemacht.
Ein Beispiel sind hier Atemübungen. Anschließend stellt man sich die Situation, die einem Angst macht, so genau wie möglich vor. Gleichzeitig stellt man sich vor, wie man in dieser Situation gelassen bleibt.
Je öfter man dieses Gedankenspiel unternimmt, desto besser lernt das Gehirn, in der betreffenden Situation ruhig zu bleiben. Bei einem erfolgreichen mentalen Training sollte die Person, die an einer Spinnenphobie leidet, in Zukunft also beim Anblick einer Spinne Ruhe bewahren können. Dahinter steckt einfach nur die Umkehr der negativen Gedanken, die vorher mit der Situation verknüpft waren.
Bessere sportliche Leistung allein durch die Kraft der Gedanken?
Auch Bewegungsabläufe und sportliche Aktivitäten können durch die Vorstellungskraft verbessert werden.
Die Forscher Yue und Cole zeigten Anfang der 1990er Jahre einen Zusammenhang von mentalem Training und Muskelstärke. Die eine Hälfte der Studienteilnehmer trainierte die Muskeln ihrer Finger tatsächlich. Die andere Hälfte stellte sich das Training lediglich vor. Bei beiden Gruppen zeigte sich nach der Studie eine höhere Muskelkraft. Zwar war die Kraft der Gruppe, die das mentale Training durchführte, geringer als die der anderen. Jedoch ist erstaunlich, dass bei ihnen nur durch ihre Vorstellung ein Stärkezuwachs von 22 Prozent vorlag. Und zwar ohne zusätzliche Muskelaktivität. Die Gruppe, die die Muskeln ihrer Finger tatsächlich trainierten, hatten einen Kraftzuwachs von 30 Prozent.
Wie schon erwähnt, kann das Gehirn nicht zwischen vorgestellten und tatsächlichen Abläufen unterscheiden. Daher ist auch die mentale Simulation einer Handlung der tatsächlichen Handlungsausführung sehr ähnlich. Das liegt vor allem daran, dass wir in unserer Vorstellung auch innerhalb unserer körperlichen Beschränkungen bleiben. Das heißt, dass wir in unserer Vorstellung langsamer gehen, wenn wir etwas Schweres tragen. Oder wir brauchen auch in unserer Vorstellung für ein weiter entferntes Ziel mehr Zeit, um dieses zu erreichen.
Welche Rolle spielt Schlaf beim Lernen?
Schlaf ist nicht nur wichtig für die Regeneration unseres Körpers, sondern auch für unser Gehirn.
Die Konsolidierung ist gleichzusetzen mit der Speicherung von erlernten Informationen.
Im Wachzustand findet ein Dialog zwischen dem Hippocampus und der Hirnrinde statt. Die Hirnrinde wird auch Cortex genannt und bildet die äußere Schicht des Gehirns. Sie erinnert mit all ihren Furchen und Windungen ein wenig an eine Walnuss.
Sowohl in der Hirnrinde als auch im Hippocampus werden neue Informationen enkodiert.
Allerdings ist der Hippocampus vor allem für die kurzfristige Aufnahme neuer Informationen zuständig, während die Hirnrinde große Mengen an Informationsinhalten für längere Zeit abspeichert. In der nächsten Tiefschlafphase nach einer Lernphase werden die neu gelernten Infos noch einmal aufbereitet. Es kommt zu einem sogenannten Replay.
Das Gelernte wird während des Schlafes vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis übertragen.
Um den Effekt zu verstärken, ist wiederholtes Üben des zu lernenden Materials wichtig. Folgt auf die Lernprozesse eine Schlafphase, bilden sich neue Gedächtnisspuren aus. Je mehr Lernwiederholungen stattfinden, desto langfristiger wird das Gelernte abgespeichert. Wie genau die Übertragung der neuen Informationen in das Langzeitgedächtnis und die Kommunikation zwischen Hippocampus und Hirnrinde funktioniert, wurde allerdings noch nicht vollständig erforscht.
Warum lernen wir alle unterschiedlich?
Emotionen und äußere Umstände beeinflussen unser Lernen.
Das liegt zum einen daran, dass Emotionen während des Lernens den Prozess beeinflussen. Informationen, die starke Emotionen auslösen, werden besser erinnert. Emotionen können als eine Abfolge von Reaktionen auf eine Information oder einen Reiz verstanden werden.
Der Reiz wird bewertet, aktiviert das Nervensystem und beeinflusst das weitere Verhalten.
Emotionen wiederum haben einen starken Einfluss auf die Aufmerksamkeit. Oder besser gesagt: Informationen, die einen hohen Emotionsgehalt haben, ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Das kann beim Lernen einerseits positiv sein. Denn die Lernleistung verbessert sich, wenn das zu lernende Material Emotionen auslöst. Andererseits können emotionale Reize das Lernen auch beeinflussen, sofern sie als Störreize auftreten.
Nehmen wir als Beispiel das Lernen von Vokabeln.
Dabei möchtest du dir ein neues Wort einer anderen Sprache einprägen. Erinnert dieses Wort dich beispielsweise an eine Situation, in der du dich richtig wohl gefühlt hast, kannst du dir dieses Wort besser merken. Da du eine positive Emotion an das Wort knüpfen kannst, erinnerst du dich auch besser an die Vokabel.
Verstärkung und Bestrafung spielen eine wichtige Rolle beim Lernen
Aber nicht nur Emotionen haben Einfluss auf das Lernen, sondern auch die äußeren Umstände.
Lernprozesse können durch bestimmte Reize verstärkt werden. Hierbei ist Neben dem Reiz und der Reaktion auch die Konsequenz von Bedeutung. Unterschieden wird zwischen positiver und negativer Verstärkung, sowie zwischen Bestrafung erster Art und Bestrafung zweiter Art.
Eine positive Verstärkung besteht darin, dass ein Reiz eine Reaktion auslöst und die gewünschte Konsequenz erfolgt. Als Beispiel könnte ein Getränkeautomat als Reiz genommen werden. Das darauffolgende Verhalten ist das Einwerfen von Geld, um an die gewünschte Konsequenz (in diesem Fall eine Getränkedose) zu gelangen.
Negative Verstärkung erfolgt dann, wenn man einem negativen Reiz vermeiden kann.
Der Reiz könnte beispielsweise Regenwetter sein. Um nicht nass zu werden, wird das Verhalten angepasst. Man nimmt einen Regenschirm zur Hand und als Konsequenz daraus, bleibt man trocken.
Bei der Bestrafung erster Art folgt auf ein nicht erwünschtes Verhalten eine negative Konsequenz.
Spielt ein Kind mit Streichhölzern könnte die negative Konsequenz sein, dass es sich verbrennt oder Ärger von seinen Eltern bekommt.
Die Bestrafung zweiter Art beinhaltet das Ausbleiben einer gewünschten Konsequenz.
Will ein Kind sein Gemüse nicht aufessen, bekommt es anschließend keinen Nachtisch.
Durch Verstärkung oder Bestrafung kann also das gewünschte Verhalten erlernt werden.
Da jede Person aber unterschiedliche Vorlieben und Interessen hat, funktioniert nicht jeder Reiz gleich gut als Verstärker oder Bestrafung.